Transparenz unerwünscht: Mit alten Legenden gegen das Betreuungsgeld – Was Familien wirklich zahlen
Montag 23. April 2012 von Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e. V.
Transparenz unerwünscht: Mit alten Legenden gegen das Betreuungsgeld – Was Familien wirklich zahlen
Kinder zu erziehen kostet Eltern viel Geld. Diese merken das täglich, die Medien wollen sie nun aber eines Besseren belehren: Fast täglich insinuieren Berichte, dass Kinder weniger für die Eltern, sondern vielmehr Eltern für das Gemeinwesen teuer sind. Auf eine Summe von 180-190 Milliarden Euro addierten sich die „Subventionen“, die der Staat Familien gewähre (1). In die Welt gesetzt hat diese Schätzung 2006 das Bundesfamilienministerium – unzählige Beiträge haben sie seitdem wiederholt und Familien das Stigma der „Subventionsempfänger“ verpasst (2).
Innerhalb weniger Jahre hat sich so die öffentliche Sicht auf Familie und Staat um 180 Grad gedreht: Noch 2005 errechnete das Ifo-Institut, dass der Staat mit einem Kind – im Durchschnitt und bezogen auf den gesamten Lebensverlauf -mindestens 77.000 Euro Gewinn macht (3). Die von den Kinderlosen mitfinanzierten Leistungen könnten diese „positive fiskalische Externalität“, die von den Eltern durch die Erziehung erbracht werde, nicht ausgleichen. Faktisch belege der Staat die Geburt eines Kindes also mit einer „Strafsteuer“ von annähernd 80.000 € (4).
Diese „Transferausbeutung“ von Familien hatte das Bundesverfassungsgericht seit den 1990er Jahren wiederholt beanstandet: Die Mittel für die Alterssicherung der „jetzt erwerbstätigen Generation“ müsse immer die „nachrückende Generation“ aufbringen, weshalb Kindererziehung für das Sozialsystem eine „bestandssichernde Bedeutung“ habe. Gleichzeitig führe dieses System zu einer Benachteiligung der Familie mit mehreren Kindern, da diese wegen des Erziehungsaufwands weniger Rentenansprüche erwerben und Ersparnisse bilden könnten. Um diese Ungerechtigkeit zu korrigieren, müsse der Gesetzgeber mit „jedem Reformschritt die Benachteiligung der Familie“ verringern (5). Dabei sei zu berücksichtigen, dass Eltern ihren Kindern Leistungen schuldeten, die dem „kindlichen Bedürfnis nach Unterstützung, Anleitung sowie Vermittlung praktischer und kultureller Erfahrungen genügen“. Dementsprechend müsse der Staat dafür sorgen, „dass es Eltern gleichermaßen möglich ist, teilweise und zeitweise auf eine eigene Erwerbstätigkeit zugunsten der persönlichen Betreuung ihrer Kinder zu verzichten wie auch Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit miteinander zu verbinden“ (6). Gerechtigkeit für die Erziehungsleistung von Eltern und Wahlfreiheit in der Kinderbetreuung lautete also der Auftrag der Verfassungsrichter.
Just mit diesen Grundsätzen hat die sogenannte „nachhaltige“ Familienpolitik seit 2005 radikal gebrochen: Ihr Leitbild ist nicht mehr die Wahlfreiheit, sondern die „kontinuierliche“ Erwerbstätigkeit beider Eltern und die Ganztagsbetreuung von Kindern in Institutionen. Finanzielle Leistungen für Eltern zu erhöhen ist aus dieser Sicht kontraproduktiv, stattdessen seien die Ressourcen zugunsten der Betreuungsinfrastruktur umzuverteilen (7). Zur Legitimation dieser Politik rechnete ein 2006 eingerichtetes „Kompetenzzentrum“ die öffentlichen Ausgaben auf 180 Mrd. Euro hoch. Noch 2004 war selbst das Bundesfinanzministerium nur auf 60 Mrd. Euro gekommen. Ermöglicht hatte diese plötzliche Geldvermehrung eine neue Beliebigkeit in der Definition von „Familienleistungen“, zu denen neben sämtlichen Bildungsausgaben unter anderem auch die Kinderfreibeträge im Steuerrecht zählten. Nach derselben Logik müsste auch das steuerfreie Existenzminimum als „Subvention“ für Singles gelten, denen im Ãœbrigen die Bildungsinfrastruktur genauso zu Gute gekommen ist (8). Unbeschadet dessen kolportieren die Medien seitdem eifrig die Legende von den hochsubventionierten Familien. Gegenwärtig dient sie als Munition gegen ein vergleichsweise bescheidenes Betreuungsgeld für Eltern, die ihre Kinder persönlich erziehen. Nicht die Eltern, sondern der Staat müsse die Kinder erziehen – lautet die Botschaft. Dass der Steuerzahler dafür Krippenplätze mit ca. 1.000 € im Monat subventionieren muss, verschweigen sie genauso wie die noch viel höheren Kosten für die Erziehung in Heimen (9). Transparenz ist unerwünscht. Denn es geht nicht darum, Erziehungsleistungen zu honorieren, sondern den materiellen Druck hin zur doppelten Vollzeiterwerbstätigkeit von Eltern zu verstärken (10).
(1) Beispielhaft dafür: Patrick Bernau: Wie soll der Staat die Kinder fördern? Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 17.04.2012, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/debatte-ums-betreuungsgeld-wie-soll-der-staat-die-kinder-foerdern-11718109.html; Michael Inacker/Daniel Delhaes: Je mehr Kinder, umso höher die Rente, Handelsblatt vom 17.04.2012; http://www.focus.de/politik/deutschland/suessmuth-appelliert-an-csu-betreuungsgeld-ist-rueckwaertsgewandt_aid_739942.html.
(2) Stefan Fuchs: Der politische Kampf gegen die traditionelle Familie und die Erziehungsverantwortung der Eltern, http://www.erziehungstrends.de/Kompetenzzentrum/Familienleistungen.
(3) Vgl.: Martin Werding/Herbert Hofmann: Die fiskalische Bilanz eines Kindes im deutschen Steuer-und Sozialsystem, ifo Forschungsberichte 27, München 2005, S. 34.
(4) Vgl. Kurt Biedenkopf et al: Starke Familie. Bericht der Kommission „Familie und demographischer Wandel“ im Auftrag der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart 2005, S. 104-105.
(5) BVerfGE 87, 1 – 1 BvL 51/86 u.a. vom 07.07.1992.
(6) BVerfGE 99, 216 – 2 BvR 1057/91 vom 10.11.1998. Zusammenfassend zu den „Familienurteilen“ des Bundesverfassungsgerichts: Deutscher Familienverband: Verfassungstreue bei der Anerkennung von Familienleistungen – Informationen zum Jahresschwerpunktthema 2006, Berlin 2006.
(7) Zur Programmatik der „nachhaltigen“ Familienpolitik: Malte Ristau: Der ökonomische Charme der Familie, S. 18-24, in: Aus Politik und Zeitgeschichte – 23-24/2005. Kritisch hierzu: http://www.i-daf.org/212-0-Woche-35-2009.html.
(8) Stefan Fuchs: Der politische Kampf gegen die traditionelle Familie und die Erziehungsverantwortung der Eltern, a.a.O.. Familien- und Wohlfahrtsverbände haben damals eigene, empirisch fundierte Gegendarstellungen zu den überhöhten Schätzungen des Bundesfamilienministeriums veröffentlicht: Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband – Gesamtverband (Hrsg.): Auf den Punkt gebracht. Empirische Beiträge zur aktuellen Diskussion über Kinderbetreuung und Familientransfers, Berlin 2007/Familienbund der deutschen Katholiken: Das 184- Mrd. €- Märchen, Familienbund kritisiert falsche Zahlen in der Familienförderung, Pressemitteilung vom 10. April 2007.
(9) Vgl.: Stefan Fuchs: „Krippenoffensive“ – politische Vorgabe vs. empirische Bedarf, http://www.erziehungstrends.de/Krippenoffensive.
(10) Befürworter der „nachhaltigen“ Familienpolitik“ fordern deshalb beständig das Ehegattensplitting und die Mitversicherung nichterwerbstätiger Ehepartner in den Gesetzlichen Krankenkassen abzuschaffen. Als aktuelles Beispiel für diese Position: Ulrike Timm „Das Konzept, das fehlt beim Betreuungsgeld“ – Staatsrechtlerin fordert Reform der Ehe- und Familienpolitik, Deutschlandradio Kultur vom 17.04.2012, http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1732170/. Siehe hierzu auch: http://www.i-daf.org/361-0-Wochen-3-4-2011.html.
IDAF, Newsletter 16-17, April 2012 (www.i-daf.org)
Dieser Beitrag wurde erstellt am Montag 23. April 2012 um 8:45 und abgelegt unter Ehe u. Familie.