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Kapitalismus und Christentum. Mit Jesus durch die Globalisierung und weiter

Donnerstag 25. August 2011 von Dr. Christoph Sprich


Dr. Christoph Sprich

Kapitalismus und Christentum. Mit Jesus durch die Globalisierung und weiter

In der FAZ vom 20. August 2011 ist unter dem Titel „Mission erfüllt“ ein lesenswerter Artikel abgedruckt über die Heiligen der letzten Tage, also über die Mormonen. Man liest dort von zielorientierter und strenger Erziehung, bei der Kirche und Familie im Mittelpunkt stehen. So lernen junge Mormonen ab dem dritten Lebensjahr, in Gruppen über ihren Glauben zu sprechen. Vor ihrem Berufseintritt gehen sie ins Ausland, manche für mehrere Jahre, um anderen Menschen für die Lehren des Joseph Smith zu begeistern. Die Mormonen werden als disziplinierte, arbeitsame und fromme Menschen beschrieben, als „Maschinen“, die perfekt auf die Anforderungen des globalen Kapitalismus zugeschnitten sind. „Sie haben das Profil des Angestellten, von dem jedes Unternehmen träumt. Darüber hinaus neigen sie weniger dazu, Hierarchien und Autorität anzufechten, da sie dazu erzogen wurden sich anzupassen.“ Auch in politischer Hinsicht sind Mormonen äußerst kompatibel zur Marktwirtschaft. Sie sind pro-kapitalistisch und patriotisch, im Kommunismus sieht ihre Kirche ein Werk Satans. Sie sind hartnäckig, ausdauernd, entschlossen, organisiert, diszipliniert, gemäßigt und ernsthaft. Eigenschaften, die bei der Bewältigung der Zukunftsaufgaben der westlichen Länder notwendig sein werden.

Ich habe Mormonen kennen gelernt und mich auch etwas mit ihren Grundsätzen und Strukturen beschäftigt. Ich hatte die Gelegenheit, in Salt Lake City einige ihrer Einrichtungen zu besuchen. Und ich habe keinen Zweifel daran, dass die oben genannten Eigenschaften zumindest auf viele Mormonen zutreffen. Allerdings glaube ich nicht, dass die beschriebene Lebenstüchtigkeit, die Angepaßtheit an die Lebensbedingungen der modernen, globalisierten Welt, ein Alleinstellungsmerkmal der Mormonen ist. Denn auch Christen, die Jesus und die Bibel in das Zentrum ihres Glaubens stellen, sind in besonderer Weise dazu befähigt, gesellschaftliche Veränderungen zu bewältigen. Das gilt auch für wirtschaftliche Herausforderungen. Den Zusammenhang zwischen christlichem Glauben und wirtschaftlichem Erfolg hat bereits Max Weber skizziert. Der Ordnungsökonom der Freiburger Schule der Wirtschaftspolitik Walter Eucken skizzierte unter dem Stichwort der Interdependenz der Ordnungen auch den engen Zusammenhang zwischen Religion und Wirtschaftsordnung. Der Ordoliberale Wilhelm Röpke war geradezu ein Apologet der christlichen Ethik. Der grundsätzliche Zusammenhang zwischen Religion und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit wurde später theoretisch ausgearbeitet durch den Nobelpreisträger Douglass North. Und der Religionssoziologe Michael Blume hat außerdem den Zusammenhang zwischen Glauben und familiärem bzw. reproduktivem Erfolg beschrieben.

Doch was genau sind die „wirtschaftlichen Erfolgsfaktoren“ des Christentums? Max Weber bezog sich auf die Calvinisten und sieht als wichtigen Grund, dass Christen sich nicht sicher sein können, in den Himmel zu kommen. Also würden sie versuchen, so Weber, sich durch Fleiß, Anstand und Disziplin ihren Platz in der Ewigkeit abzusichern. In der so entstehenden „Protestantischen Ethik“ sieht er den „Geist des Kapitalismus“. Im Gegensatz zu Weber meine ich, dass der Calvinismus kein guter Maßstab ist. Die Bibel zeigt den Weg in den Himmel unmißverständlich auf, und er kann nicht erarbeitet werden, schon gar nicht durch wirtschaftlichen Erfolg. Dennoch hat Weber recht, es ist etwas vom Geist des Kapitalismus im christlichen Glauben zu finden. Aber es geht dabei nicht um eine spezifisch protestantische Ethik. Sondern um Aspekte des christlichen Glaubens, die allen Christen gemeinsam sind. Einige möchte ich hier andeuten:

Einerseits fördert der christliche Glaube persönliche Charaktereigenschaften, die wirtschaftlich bedeutsam sein können. Diese Eigenschaften können Menschen aller Glaubensrichtungen haben, aber ich denke, das Christentum begünstigt sie in besonderer Weise. Erstens spendet die Gewißheit, von einem liebenden Gott, der alle Geschehnisse in der Hand hat, dem Gläubigen Zuversicht und Optimismus. Daraus erwächst ein Vertrauen in die Zukunft und die Bereitschaft zur Übernahme von unternehmerischem Risiko. Zweitens ergibt sich aus der Schöpfungsoffenbarung der Bibel ein positives Verhältnis zu Arbeit und Gestaltungswillen. Der Mensch erhält als Ebenbild Gottes den Auftrag, Gottes Schöpfung zu bearbeiten und auch zu bewahren. Drittens schenkt der Glaube die Bereitschaft zu einem materiell sparsamen Leben. Denn im Verhältnis zu dem Geschenk des ewigen Glücks im Himmel erscheinen allen denkbaren weltlichen Vergnügungen ohnehin als flüchtige Torheiten. Viertens gibt Bibel wertvolle Hinweise für ein glückliches Familienleben.

Obwohl das Evangelium ausdrücklich kein politisches Programm ist, hat der christliche Glauben doch positive Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft im Ganzen, also über die Förderung von Charaktereigenschaften hinaus. So manifestieren erstens schon die zehn Gebote die Idee des Privateigentums. Zweitens mahnt die Bibel zur Anerkennung der staatlichen Autorität und der Gesetze, also der rule of law. Das begünstigt zwar patriotisches Verhalten, aber keinesfalls im Sinne einer Abhängigkeit vom Staat oder anderen Organisationen. Vielmehr begünstigt das Christentum drittens die individuelle Freiheit. Diese Freiheit auf geistlicher Ebene ist es auch, die Christen helfen kann, den Strom der Zeit und auch die Veränderungen durch die Globalisierung besser bewältigen zu können. Der Gläubige ist letztlich nicht so sehr von den Änderungen auf dieser Welt, nicht von den Zuständen auf Erden, nicht von ihrer Position innerhalb der Gesellschaft abhängig und auch nicht von einem spezifischen Heimatland abhängig. Er hat einen Lebensmittelpunkt jenseits dieses Zeitlaufs. Aus dieser geistlichen Freiheit kann eine weltliche Flexibilität wachsen, die Christen in allen Zeiten dabei geholfen hat, Veränderungen zu bewältigen.

Doch warum lesen wir von globalisierungstrainierten Mormonen, während viele Menschen im alten Europa vor den Herausforderungen der Globalisierung verzagen? Die Kraft des Glaubens kann natürlich auch in wirtschaftlichen Fragen nur dann zur Geltung kommen, wenn die Botschaft Christi verstanden und auch geglaubt wird. Die Mormonen scheinen Verständnis und Glauben gegenüber ihrer eigenen Lehre zu haben. Doch es scheint mir, als hätten die Christen in Europa Schwierigkeiten, das Evangelium Jesu Christi zu verwirklichen. Vielleicht durch ein verflachtes Kirchentagschristentum, das sich nicht mehr auf Christus und die Bibel bezieht. Wohlfühlrhetorik und Verweltlichung bzw. Politisierung stehen vielfach im Vordergrund. Allversöhnungslehre und die historisch kritische Theologie sind Teil des Hintergrunds. Sowohl Verständnis als auch Glauben werden dadurch beschädigt. Schädlich scheint mir auch das Aufkommen eines Wohlstandsevangeliums zu sein, dem es zwar nicht an Glauben, aber bisweilen an biblischem Verständnis fehlt. Christus verspricht schließlich seinen Anhängern nicht ein Leben in Lust, sondern er macht Lust auf die Ewigkeit. Zerstörerisch ist meiner Meinung nach auch die Fokussierung des Glaubenslebens auf Organisationen und Personen. Dadurch wird der Glauben an Christus beschädigt, Christentum verkommt zum Clubleben.

Die Globalisierung hält noch viele Herausforderungen für den Menschen bereit. Besonders groß sind die wirtschaftlichen Herausforderungen. Der Aufstieg der asiatischen Schwellenländer und die Schuldenkrise in Europa und den USA geben einen Hinweis darauf. Der christliche Glaube hat sich in der Menschheitsgeschichte als gutes „Navigationsgerät“ bei Veränderungen und Herausforderungen bewährt. Der Fall der Mormonen zeigt, dass Navigation auch in Zeiten wirtschaftlicher Herausforderungen und schneller Veränderungen möglich ist. Doch wir in Europa müssen sozusagen erst wieder unser Navigationsgerät vom Dachboden holen. Wenn wir es abstauben und für die Reise benutzen, dann kann es Zuversicht schenken und Wege in die Zukunft aufzeigen. Und, worüber ich gerne mit Mormonen sprechen würde, auch weit darüber hinaus.

Dr. Christoph Sprich (Quelle: www.freiewelt.net)

Über den Autor: Studium der Volkswirtschaftslehre in Freiburg, Diplomarbeit über Walter Eucken und Friedrich August von Hayek, Dissertation über die Kritik Hayeks an der Rationalitätsannahme. Referent für Außenwirtschaftspolitik beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Der Autor äußert hier ausschließlich seine private Meinung.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Donnerstag 25. August 2011 um 9:13 und abgelegt unter Gesellschaft / Politik, Wirtschaftsethik.