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Wird es ein tausendjähriges Friedensreich auf dieser Erde geben?

Dienstag 23. August 2011 von Dr. Joachim Cochlovius


Dr. Joachim Cochlovius

Um die Frage, ob es ein tausendjähriges Friedensreich auf dieser Erde nach Christi Wiederkunft geben wird, gibt es seit den Tagen der Alten Kirche Streit. Nachdem einige der frühen Kirchenväter sich ein solches Reich unter der Herrschaft Christi in den buntesten Farben vorgestellt hatten, beendete Augustin diese Spekulationen mit einer neuen Sichtweise, wonach das Friedensreich bereits mit dem Entstehen der Römisch-katholischen Weltkirche begonnen habe.

Die Reformatoren behielten die  augustinische Skepsis gegenüber der von ihnen so genannten „chiliastischen Schwärmerei“ bei („Chiliasmus“ = Lehre vom Tausendjährigen Reich), so daß die  evangelische Theologie bis zum Aufkommen des Pietismus die Frage nach einem Tausendjährigen Reich mied. Erst pietistische Theologen wie J. A. Bengel, M. Hahn und Oettinger lehrten wieder ein solches Reich nach Jesu Wiederkunft.  Seitdem ist der Protestantismus in dieser Frage gespalten. Im angelsächsischen Raum herrscht dabei generell eine größere Offenheit für die Annahme eines solchen Reichs als bei uns in Deutschland. Was ist aufgrund des biblischen Befunds  in Offb 20 dazu zu sagen?

Zunächst ist festzustellen, daß es den Begriff „Tausendjähriges Reich“ in der Johannesoffenbarung nicht gibt. Statt dessen gibt es in Offb 20 zwei Erzählstränge, in denen von 1000 Jahren die Rede ist. Erstens wird der Teufel für 1000 Jahre gebunden und nach den 1000 Jahren  noch einmal für eine kurze Zeit freigelassen. Zweitens werden die mit einem Auferstehungsleib ausgestatteten „enthaupteten“ Märtyrer 1000 Jahre lang zusammen mit Christus die zwölf Stämme Israels richten und regieren.

Die Auffassung, daß es nach der Bindung  Satans ein Tausendjähriges Friedensreich auf dieser Erde geben wird, entsteht im wesentlichen durch eine rein chronologische Auslegung von Kapitel 20. Man fügt die Abschnitte V. 1-3, V. 4-6, V. 7-10 und V. 11-15 chronologisch aneinander. Dadurch entsteht der Eindruck, daß Christus nach der Bindung Satans zusammen mit den lebendig gewordenen Märtyrern 1000 Jahre regieren wird, daß danach der Teufel endgültig vernichtet wird und daß dann schließlich das Weltgericht abgehalten wird. Danach schließlich kommt es in dieser Sichtweise zur Neuschöpfung von Himmel und Erde.

Eine rein chronologische Auffassung von Kapitel 20 kann jedoch nicht überzeugen. Die ganze Johannesoffenbarung ist ja nicht streng chronologisch, sondern theologisch-heilsökonomisch aufgebaut. Das innere Leitthema ist das Verhältnis Christi zu den Überwindern. Diesem Thema folgt die Struktur. Wie in der Auslegung ausgeführt, werden in Kapitel 20 zwei Gerichtsakte geschildert, das Gericht an Satan und an den zwölf Stämmen Israels.

Die Schilderung der beiden Gerichtsakte ist nicht chronologisch, sondern verschränkt. Johannes will den Eindruck vermeiden, daß das Gericht erst 1000 Jahre nach der Bindung des Satans vollzogen wird. Deswegen setzt er jeweils den 1. Teil und den 2. Teil der beiden Erzählstränge nebeneinander. Er wählt dazu die rhetorische Figur des Chiasmus, der gegenläufigen Entsprechung. Erst spricht er von Satans Bindung und Hinabwurf in den Abgrund und dann, obwohl der Bericht über Satan noch nicht fertig ist, von den Gerichtsthronen, auf denen die auferstandenen Märtyrer Platz nehmen. Danach nimmt er den ersten Erzählstrang wieder auf und führt anschließend den zweiten Erzählstrang zu Ende.

Diese verschränkte Darstellung darf also gerade nicht zur Annahme führen, daß der 4. Gerichtsakt (Gericht über Israel) erst 1000 Jahre nach der Bindung Satans erfolgt. Mit dem Erweis der chronologischen Nähe des 3. und 4. Gerichtsaktes entfällt die Annahme, daß das Gericht über Israel (meist das Weltgericht genannt) erst nach den 1000 Jahren stattfindet. Gerade diese Annahme war und ist ein wesentlicher Grund für die Überzeugung, daß Christus ein Tausendjähriges Reich auf dieser Erde errichten wird.

Nicht nur die Johannesoffenbarung, das gesamte Schriftzeugnis schweigt über ein Tausendjähriges Reich auf dieser Erde. Es gibt diesen Begriff weder im A.T. noch im N.T. Auch Paulus, der in 1 Kor 15 der Gemeinde Aufschluß gibt über die mit der Wiederkunft Christi zusammenhängenden Ereignisse, sagt davon nichts. Im Gegenteil, er sagt in 1 Kor 15,24 deutlich, daß nach der Wiederkunft Christi die Vollendungszeit beginnt.

Nun muß man natürlich, wenn man die Lehre von einem tausendjährigen Friedensreich Christi auf unserer Erde nicht übernehmen will, zu den einzelnen Aussagen in Offb 20,1-7, wo von den Tausend Jahren die Rede ist, Stellung beziehen. Wie schon gesagt, gibt es hier zwei Erzählstränge, die von Johannes miteinander verschränkt wurden, den Bericht über den 3. Gerichtsakt an Satan und den Bericht über den 4. Gerichtsakt an den Toten des Volkes Israel. Im ersten Erzählstrang heißt es, daß Satan 1000 Jahre im Abgrund verwahrt und danach für eine kurze Zeit freigelassen wird, bis er dann in den Feuerpfuhl geworfen wird. Diese Angaben nötigen keineswegs zur Annahme einer Tausendjährigen Regierung Christi auf unserer Erde. Warum Christus mit seinem ärgsten Feind so verfährt, ihn also nicht sofort in den Feuerpfuhl wirft, wissen wir nicht, weil es uns nicht offenbart ist. Der zweite Erzählstrang berichtet von den enthaupteten Märtyrern, die bei Christi Wiederkunft lebendig werden und gewürdigt werden, am Gericht Christi über die Toten Israels mitzuwirken. Dann heißt es in 20,6, in einer Parallelität zu den 1000 Jahren der Bindung Satans, daß sie 1000 Jahre als Priester Gottes und Christi mit ihm, d.h. mit Gott, regieren werden.

Diese Aussage kann schon eher zur Annahme eines Tausendjährigen Reiches führen. Die Frage ist nur, ob diese Zeitangabe zur Konstruktion einer tausendjährigen Herrschaft Christi auf der alten Erde, die sonst nirgends bezeugt ist, berechtigt bzw. nötigt. Das Zeugnis der Johannesoffenbarung steht einer solchen Annahme jedenfalls entgegen. Danach ist den Überwindern die Mitregentschaft nicht auf der alten Erde, sondern im Neuen Jerusalem verheißen (3,12). Nichts spricht also dagegen, daß diese Mitregentschaft 1000 Jahre auf der neuen Erde geschehen wird. Warum ihnen diese Dauer gesetzt ist, wissen wir ebenfalls nicht. Eine Hypothese sei an dieser Stelle erlaubt: Nach 20,5 werden die anderen, die nicht enthaupteten Märtyrer nach den 1000 Jahren lebendig gemacht. Auch sie sind ja zur Hochzeit des Lammes berufen. Es wird also nach den 1000 Jahren eine Gesamtregentschaft der 144000 im Neuen Jerusalem geben. Die 1000 Regierungsjahre der „Enthaupteten“ gleich nach der Herabkunft des Neuen Jerusalem könnten also vielleicht als eine Art Auszeichnung verstanden werden.

Die neuen Natur- und Lebensbedingungen in einer „satanslosen“ Zeit, die segensvollen Tätigkeiten des erneuerten Volkes Israel an den Völkern und die Wallfahrten der Völker nach Jerusalem, die von den Vertretern des „Tausendjährigen Reichs“ meist als dessen Hauptkennzeichen angegeben werden, sind damit keineswegs bestritten. Dies alles wird sich zweifellos nach den vier Gerichtsakten Christi ereignen, aber eben nicht in einem „Tausendjährigen Reich“ auf der alten Erde, sondern auf der erneuerten Erde im Neuen Jerusalem, wie es die Johannesoffenbarung in Kapitel 21 und 22 schildert.

Eine Audio-CD mit dem vorstehenden Seminar, das auf dem Kongressen „Siehe, ich komme bald“ im April 2011 in Bad Gandersheim und Zavelstein gehalten wurde, ist in der Geschäftsstelle des Gemeindehilfsbundes erhältlich (Mühlenstr. 42, 29664 Walsrode; info@gemeindehilfsbund.de). 

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Dienstag 23. August 2011 um 19:29 und abgelegt unter Theologie.