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Zwischen Kirche und Politik

Dienstag 25. Januar 2011 von Administrator


Zwischen Kirche und  Politik

Ein neues Buch von Rudolf von Thadden beschreibt pommersche Lebenswelt 1807-1948

Abseits von allen grossen Straßen zwischen Stettin und Danzig, genauer zwischen Greifenberg/Gryfice und Plathe/Ploty liegt das pommersche Dorf Trieglaff, heute Trzyglow. Rudolf von Thadden, emeritierter Professor für Neuere Geschichte, hat die Geschichte dieses Ortes in den letzten zweihundert Jahren nachgezeichnet. Er ist in mehrfacher Hinsicht dafür prädestiniert, als ausgewiesener Kenner der europäischen Geschichte der Neuzeit und als Angehöriger der Familie, deren Name mit dem Gut Trieglaff verbunden ist. Sein Vater, bekannt aus der Geschichte des pommerschen Kirchenkampfes im Dritten Reich und als Gründer der Deutschen Evangelischen Kirchentage nach dem zweiten Weltkrieg, fügte zum Zeichen dieser Verbindung den Ortsnamen dem Familiennamen hinzu, Reinold von Thadden-Trieglaff.

Das Buch eröffnet viele überraschende Perspektiven. Europäische Geschichte wird lebendig in diesem hinterpommerschen Mikrokosmos. Sie beginnt mit der Gründergeneration um Adolph und Henriette von Thadden auf dem Hintergrund der napoleonischen Wirren und der Befreiungskriege, die ihre Spuren auch in Trieglaff hinterlassen.  Die Auswanderungswelle aus Hinterpommern nach Amerika, die soziale Not und die Auseinandersetzungen zwischen der preussischen Landeskirche und der Erweckungsbewegung werden in ihren Grundzügen beschrieben und mit vielen Details sehr lebendig vor Augen geführt. Dokumente aus dem Thadden`schen Familienarchiv helfen, Geschichte so konkret werden zu lassen, wie dies in Lehrbüchern und Gesamtdarstellungen nicht möglich ist.

Besonders lesens- und nachdenkenswert sind die Ausschnitte aus dem Briefwechsel zwischen den nach Amerika ausgewanderten Trieglaffer Dorfbewohnern und den Daheimgebliebenen. Die großen Namen der preußischen Geschichte und später des Kaiserreiches, allen voran Bismarck, der durch Marie von Thadden von Jugend an eng mit der Familiengeschichte verbunden war, spielen eine große Rolle in den folgenden Kapiteln der Erzählung der Geschichte des Dorfes. Der Leser begegnet Theobald von Bethmann-Hollweg, der Familie von Gerlach und anderen herausragenden Persönlichkeiten – ebenso aber auch dem Trieglaffer Schäfer Wangerin, der Familie Kiekhaefer und anderen Unbekannten, ohne die der Verlauf der Ereignisse nicht denkbar gewesen wäre.

Kirche und Politik, Frömmigkeit und staatsbürgerliche Verantwortung sind die zwei Brennpunkte, an denen der Autor den Gang der Ereignisse schildert. Die Besonderheit des evangelischen Pommern leuchtet auf, wo die Bedeutung pietistischer Frömmigkeit für die soziale Verantwortung beschrieben wird. In der Sicht des Autors bildet sich eine Kontinuität in der Widerstandskraft heraus, die von den Anhängern der Erweckungsbewegung gegen die Staatskirche im 19. Jahrhundert bis hin zu den Mitgliedern der Bekennenden Kirche in der Hitlerzeit reicht. Nicht zufällig fand Dietrich Bonhoeffer in den Kreisen des hinterpommerschen Landadels viel Unterstützung, nicht zuletzt durch Reinold von Thadden.

Wohltuend, ohne missverständliche Unter- oder Zwischentöne ist die Darstellung der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg. Die neuen Perspektiven, die Versöhnungsbereitschaft und das Wissen um die gemeinsamen europäischen Wurzeln und Verpflichtungen eröffnen, bilden den Abschluss des Buches. Trieglaff ist eine versunkene Welt, die jedoch wichtige Spuren hinterlassen hat und zugleich eine Brücke in die Zukunft baut. Abseits von den großen Strassen, aber darum vielleicht um so wichtiger!

Dem Buch von Rudolf von Thadden sind viele Leser und vielleicht bald auch eine Übersetzung ins Polnische zu wünschen. Die Anmerkungen am Ende jedes Kapitels und ein gut überschaubares Literaturverzeichnis bieten viele weiterführende Hinweise.

Christoph Ehricht

Rudolf von Thadden: Trieglaff. Eine pommersche Lebenswelt zwischen Kirche und Politik 1807-1948, Wallstein Verlag Oktober 2010, 24.90 Euro.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung, 1/2011,  S. 8

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Dienstag 25. Januar 2011 um 9:34 und abgelegt unter Buchempfehlungen, Rezensionen.