Gemeindenetzwerk

Ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes

Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag Artikel empfehlen Artikel empfehlen

Predigt: Mahnung zur Geduld

Dienstag 23. November 2010 von Pastor Jens Motschmann


Pastor Jens Motschmann

Pastor Jens Motschmann
Adventspredigt über Jakobus 5, 7 – 8
Thema: Mahnung zur Geduld

 7 So seid nun geduldig, liebe Brüder, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. 8 Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.

Advent hat mit Warten und Ankunft zu tun. Und zu jedem Warten gehört auch immer die Geduld. Und darum hören wir heute: „So seid nun geduldig … bis auf den Tag, da der Herr kommt.“ Jakobus führt uns hier mitten hinein in eine ganz zentrale Glaubensaussage, die wir Sonntag für Sonntag aussprechen mit den Worten des Glaubensbekenntnisses: „Er – Jesus Christus – sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.“ Am Advent liegt der Akzent auf dieser Hoffnung, auf dieser Erwartung seines Kommens.

Wie ist das mit dem Warten bei uns? Gehe ich zu weit, wenn ich sage: niemand von uns lebt völlig ohne Erwartung? Ja, ich gehe noch einen Schritt weiter und sage: Niemand von uns kann ohne Erwartung leben. Wenn wir nichts mehr von uns und für uns, von anderen und für andere erwarten würden, dann hätten wir mit dem Leben abgeschlossen. Man kann geradezu sagen: Worauf du wartest, das bestimmt dein Leben. Je weniger Aussichten wir haben, desto aussichtsloser unser Leben. Je mehr Hoffnungen wir haben, desto zuversichtlicher blicken wir in die Zukunft.

Worauf du wartest, bestimmt dein Leben. Gestern Abend sah ich im Fernsehen ein Interview mit einem berühmten Dirigenten  nserer Zeit: Nikolaus Harnoncourt, der heute am 6. Dezember 2009 seinen 80. Geburtstag feierte. Er berichtete, wie er als Kind mit einer Grippe im Bett lag. Die Mutter hatte ihm ein kleines Radio ans Bett gestellt, damit er sich die Zeit etwas vertreiben sollte. Da hörte er zufällig die 7. Symphonie von Ludwig van Beethoven. In diesem Augenblick fasste er den Entschluss: „Ich muss Musiker werden und in einem großen Orchester mitspielen.“ Bis dahin war es noch ein weiter Weg, aber von nun an tat er alles, um sich darauf vorzubereiten. Dieses Ziel, dieser Wunsch bestimmte von nun an sein Leben. Worauf du wartest, bestimmt dein Leben.

Mir ist in der Adventszeit – genauer an der Adventsbotschaft – dieser Gedanke der wichtigste: Christus wird kommen, um diese Welt und auch mein Leben zu vollenden, ihm den Schlußpunkt zu geben, der dann auch dahin gehört, wohin er ihn setzen wird. Aber eben das ist die Frage: Warte ich darauf, stelle ich mich darauf ein, dass er zu mir kommen will, dass unter seinem Wort und in seinem Geist in mein Leben etwas hineinkommt, das ich mir selbst nicht geben kann? Dass es dadurch Möglichkeiten gibt, die ich jetzt noch gar nicht erkennen kann? Wer darauf wartet, für den kann es niemals aussichtslose Situationen geben. Denn der Glaubende weiß, dass sein Leben offen ist – offen zu Gott hin und dass es letztlich von daher gestaltet wird.

In einem unserer schönen Choräle heißt es darum sehr richtig: „Es kann mir nichts geschehen, als was er hat ersehen und was mir selig ist.“ Wenn wir das doch wirklich glauben könnten! Wir würden ganz anders dastehen. Wir würden uns ganz anders gehalten und getragen wissen. Wir würden viel zuversichtlicher in die Zukunft schauen. Und genau dazu möchte uns Jakobus ermutigen. Lassen Sie uns darum diesen Text jetzt ein wenig genauer betrachten. Es sind ja nur zwei kleine Verse. Aber sie bringen in ihrer Weise zum Ausdruck, was eigentlich ein Christenleben ausmacht. Der Text enthält eine Behauptung, eine Aufforderung und einen Vergleich.

1. Worin besteht die Behauptung?

Zweimal taucht hier ein sehr markanter Begriff auf: im griechischen Urtext steht hier das Wort parusia – griechisch Advent; zu deutsch: Ankunft, Kommen des Herrn. parusia – das Wort dürfen wir nicht falsch verstehen. Es meint eben gerade nicht die Vertröstung auf den Sankt Nimmerleinstag, sondern dahinter steht die Gewissheit: Wir haben Christus als den in der Vergangenheit Gekommenen. Wir glauben an ihn als den Gegenwärtigen. Und wir hoffen auf ihn als den Kommenden. Parusie: Wir warten auf den Gekommenen. Darum geht es im christlichen Glauben!

Mitunter kann man allerdings den Eindruck gewinnen, dass es in der Kirche um ganz andere Erwartungen geht. Es gibt da gewisse kirchliche Gruppierungen, die ein unglaubliches Talent entwickelt haben, ganz bestimmte politische Erwartungen an die biblische Botschaft heranzutragen und mit ihr zu vermengen. Oder da gibt es die feministische Erwartung, dass durch eine Verweiblichung der biblischen Botschaft diese Botschaft attraktiver werden könnte. Das ist nicht die Botschaft der Bibel. Das ist nicht die Botschaft des Jakobus. Das ist das glatte Gegenteil von dem, was uns der Begriff Parusie signalisiert. Er zielt ab auf die Verkündigung des gekommenen und wiederkommenden Herrn. Das ist es, worum es im christlichen Glauben geht: dass es Tag werden wird über dieser Welt, über allem Finsteren, über den Weltkonflikten, über allem Unrecht und Elend. Deswegen können wir zuversichtlicher und froher als andere sein, deswegen können wir mit Hoffnung in die Zukunft sehen. Das also meint Jakobus als erstes: die Behauptung, dass Gott in Christus kommt. Dem entspricht nun eine Aufforderung.

2. Worin besteht die Aufforderung?

Es ist die Aufforderung zur Geduld. Dreimal begegnet uns in diesem Text das Wort „geduldig“. Nicht passives Erdulden ist gemeint, sondern diese gespannte Erwartung, die den langen Atem hat, etwas reifen zu lassen. makrothymia lautet das griechische Wort, das hier steht. Man könnte es übersetzen mit “langen Atem“ oder mit „Langmut“. Wir reagieren meist ziemlich kurzatmig auf unsere Umgebung und auf unsere Umwelt: Wer kennt das nicht, den Kummer mit einem der Kinder, das aus der Art schlägt? Dann heißt es: aus dem wird nie etwas Rechtes. Wer kennt nicht den Kummer mitten in einer Ehekrise? Wie schnell denken die Betroffenen: da kann man nichts mehr machen. Also Trennung und Scheidung. Wer kennt nicht den Kummer mit der Kirche? Da geht ja in der Tat in manchen Gemeinden manches drunter und drüber. Darum gehört diese Mahnung „seid geduldig!“ über jedes Leben, über jede Gemeinschaft. Über jede Familie: seid geduldig, wenn Spannungen ausgehalten werden müssen. Über jede Ehe: seid geduldig, wenn der andere die Dinge anders sieht als ich sie sehe. Über jeden Arbeitsplatz, aber auch über jede Gemeinde sollten wir im Geist diese Mahnung setzen: Seid geduldig!

Haben wir diesen Geist christlicher Langmut und Geduld – oder neigen wir eher zum Gegenteil? Das Gegenteil hat zwei Gesichter, so wie die zwei Seiten ein- und derselben Medaille: entweder Aggressivität aus Ungeduld oder Anpassung aus Resignation. Wenn wir als christliche Gemeinde davon angesteckt werden, dann geht zwar nicht die Kirche unter, aber ein Glied an ihr, an diesem Leib, beginnt abzusterben. Aggressive Ungeduld mit unseren Mitmenschen oder Anpassung an das, was man so sagt und tut – beides ist das reine Gift. Davor will uns Jakobus warnen.

Darum seid geduldig! Atmet kräftig durch! Stärkt eure Herzen! – nicht nur mit den Mitteln aus der Apotheke und dem Reformhaus! Andernfalls steht ihr in der Gefahr, dass ihr durchdreht und dass Zukunftsangst über euch kommt. In einer Zeit, in der immer mehr Menschen immer weniger die technischen, wirtschaftlichen und soziologischen Prozesse, von denen sie abhängen, durchschauen, da überkommt sie das Gefühl, von dunklen Mächten eingekreist zu sein.

Albert Einstein, der große Physiker und Nobelpreisträger, hat das Lebensgefühl vieler Menschen

unseres Zeitalters und unseres Kulturkreises treffend charakterisiert, indem er sagte: “Wir leben in einer Zeit vollkommener Mittel und verworrener Ziele.“ Darum eilen immer neue Sinnvermittler auf den Plan, bieten ihre Hilfe an. Aber sie verwirren erst recht die Gemüter. Man denke nur an die Hochkonjunktur der sogenannten esoterischen Literatur. In den meisten Buchhandlungen findet man kaum noch christliche Literatur. Aber Esoterik ist in aller Regel gut sortiert vertreten. In unseren Großstädten finden immer häufiger Esoterik- Veranstaltungen statt. Da geht es um Reinkarnation und Karma, um das Einswerden mit kosmischen Energien, um eine neue Weltschau mit Hilfe der Astrologie und so weiter.

Und was sagen wir über die Zukunft? Christen wissen zwar nicht, was auf sie im einzelnen zukommt, aber sie wissen, wer auf sie zukommt. Wir leben als Menschheit zwischen den beiden gewaltigen Ereignissen: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden“ – und dem anderen: „Dieser Jesus wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.“ Jeder Tag bringt uns dem Ziel Gottes näher. Mag in unserer kleinen und erst recht in der großen Welt manches außer Rand und Band sein, so halten wir uns ganz schlicht an die Tatsache, dass in dieser Welt, auch in unserem Volk, die Gemeinde des Auferstandenen lebt. Und diese Gemeinde weiß: Gott kommt zum Ziel. Und keine Macht der Welt kann sein Konzept verderben. Das ist der biblische Realismus, der uns davor bewahrt, dass wir zum Spielball von Sehnsüchten und Ängste werden. Nochmals: Langmut brauchen wir, den langen Atem, der Gott wirken lässt.

3. Und damit kommen wir abschließend zu einem Vergleich.

Jakobus vergleicht das Warten auf den Herrn mit dem Warten eines Landmannes auf das Aufgehen der Saat. Mit diesem Bild aus der Landwirtschaft will er sagen: Es ist ja auch sonst im Leben oftmals so, da man warten muss und zunächst nichts, aber auch gar nichts sieht von dem, was man erhofft. Man hat zum Beispiel gesät. Dann sieht man wochenlang nichts. Man kann sich zwar vorstellen, was da kommen soll, aber man sieht nichts. Es muss erst regnen. Dann gehen wieder Wochen hin. Dann muss die Sonne scheinen und die Erde wärmen. Und es muss nochmals regnen – und dann endlich kommt etwas: „Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen.“

Langsam, fast unmerklich wächst die Frucht heran und somit kommt die Ernte mit jedem Tag näher. Warum kann der Landwirt so gelassen warten auf das Kommen der Frucht und der Ernte? Weil er den Boden rechtzeitig bereitet und die Saat eingelegt hat. Haben auch wir den Boden bereitet, dass die Saat Gottes auf dem Acker dieser Welt und in unserem Leben aufgehen und Frucht bringen kann? Oder haben wir hier etwas Wesentliches versäumt? Der alte Reichskanzler Otto von Bismarck hat gegen Ende seines Lebens kurz nach seiner Entlassung zu seinem alten Freund Keyserling gesagt: Er sei während der übermäßigen Arbeit und Kämpfe seiner letzten Amtsjahre als Kanzler Gott ferngerückt – um freilich sogleich hinzuzufügen: Er habe Gott gebeten, ihn nicht von der Erde zu nehmen, ohne dass Christus wieder neu und ganz in sein Leben gekommen sei. Darum bitte er und darauf warte er.

Advent bedeutet warten, genauer: sich wartend vorbereiten auf das Kommen des Herrn. Wir haben gesehen, selbst die Schöpfung lehrt uns das Warten: Die Erde wartet. Der Samen wartet. Die Kreatur wartet. Die Mutter wartet. Der Kranke wartet. Der Gesunde wartet. Und auch die Gemeinde Gottes ist nichts anderes als eine Gemeinde der Wartenden. “Die Welt lebt von den Wartenden“, so hat der Schriftsteller Willy Kramp einmal in einer Adventsbetrachtung geschrieben. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Es kommt ja darauf an, worauf sich das Warten bezieht. Manche warten am Ende nur noch auf den Tod. Wir aber warten auf das Leben, auf den, der dieses Leben gibt und es zu uns bringt. Und darum sagen wir: Die Welt lebt von dem Erwarteten. Das ist Jesus Christus. Ihn loben und preisen und ihm danken wir – auch mit diesem Gottesdienst. „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht“ – spricht Christus, unser Herr (Lukas 21,28). Amen.

Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag Artikel empfehlen Artikel empfehlen

Dieser Beitrag wurde erstellt am Dienstag 23. November 2010 um 0:05 und abgelegt unter Predigten / Andachten.