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Wird der schmale Weg verbreitert?

Freitag 4. September 2009 von Pfr. Wilhelm Busch (1897-1966)


Pfr. Wilhelm Busch (1897-1966)

Wird der „Schmale Weg“ verbreitert?
Ein Wort zur evangelischen Jugendarbeit (1958)

Schmerzerfüllt schrieb einst der Apostel Paulus von einem seiner bisherigen Mitarbeiter: „Demas hat mich verlassen und die Welt lieb gewonnen.“ Wenn dieser Demas heute lebte, dann hätte er es nicht nötig, die christliche Gemeinde zu verlassen. Er würde bleiben, weil er in der Jugendarbeit der Christenheit ein großartiges Betätigungsfeld fände. Ja, er würde bald zu hohen Ehren aufsteigen. Und dann würde er in irgendeinem Jugendblatt einen Aufsatz schreiben, in welchem er dem Apostel Paulus nachweisen würde, daß er eine „pietistische“ oder gar „introvertierte“ Theologie hätte und daß er, der Paulus, schuldig sei an dem gesetzlichen Wesen in der bisherigen Gemeindearbeit. In einem zweiten Aufsatz würde er den Aposteln sagen: Es geht nicht an, daß ihr solch einen Trennungsstrich zieht zwischen Gemeinde und Welt, wie es der Johannes tut in dem Satz: „Habt nicht lieb die Welt!“ So darf man nicht sagen und tun! Denn- so würde Demas ausführen – „das Salz gehört in die Suppe und nicht neben den Suppentopf!“ Ich sehe die Artikelserie des Demas vor mir. Darin würde er etwa schreiben: Es geht nicht an, daß ihr zu den Götzenfesten der Heiden einfach „Nein!“ sagt. Ihr müßt mitfeiern und dafür sorgen, daß es hübsche, nette und anständige Götzenfeste werden! So etwa würde Demas heute schreiben.

Die Lage

Vor mir liegt ein Blättchen, darin heißt es: „Wir möchten gern am kommenden Samstag ein kleines fest feiern, ein sommerfest. wir würden uns freuen, wenn auch du, liebes Mädel, und du, lieber Junge, und ihr, liebe Eltern und liebe Gemeindeväter an unsrer Freude teilhaben könntet. – für den Magen und die Kehle ist eine Kleinigkeit vorbereitet. es soll euch nicht viel kosten. Wir wollen natürlich nicht nur essen und trinken, sondern auch tanzen und spielen. (Wem fällt da nicht der Satz aus 1. Korinther 10, 7 ein: „Werdet nicht Abgöttische, gleichwie jener etliche wurden, wie geschrieben steht: Das Volk setzte sich nieder, zu essen und zu trinken, und stand auf, zu spielen.“ Die Schriftleitung.) auch die älteren unter uns sollen dabei zu ihrem recht kommen. also dann bis zum Samstag, den 22. 9., um 20 Uhr in unsrer Lutherkirche.

es ladet herzlichst ein die jugend luther-süd. programmfolge: polonaise / tanzserie für alle / totozettel / tanzserie für anfänger / fußballspiel/volkstanz / gemeinschaftstanz / der widerspenstige besen / tanzserie für die halbwüchsigen / heute gehn wir bummeln / volkstanz / gemeinschaftstanz.“

Ja, hier kann sich Demas wohl fühlen. Wahrscheinlich führt er die Polonaise an. Es meine nur niemand, das sei eine einzelne Entgleisung. Nein! Das soll offenbar immer mehr der Kurs in der evangelischen Jugendarbeit werden. Und wer nicht mitmachen will, der ist „hoffnungslos rückständig“. Da schreibt mir ein Pfarrer einen notvollen Brief. Er schildert, wie sein blühender Jugendkreis allmählich in die Brüche geht. Denn der Synodal-Jugendpfarrer holt an jedem Samstag die Jugend zusammen zu Tanzkreisen. Damit ist ein Geist in seinen Jugendkreis eingekehrt, der dem Heiligen Geist stracks zuwider ist. „Ich kann in den Bibelstunden kaum noch ein Lied ansagen“, schreibt er, „ohne daß noch ein paar sich schnell die Erlebnisse des letzten Samstag zuflüstern.“ Am meisten hat mich in seinem Brief die Bemerkung erschüttert, daß die ernsten, suchenden Seelen dem Kreis fernbleiben. Wohin gehen sie? Wenn’s gut geht, in die Freikirchen! Da sitze ich in einer Großstadt nach einer Bibelstunde noch ein wenig zusammen mit dem Sekretär des CVJM und zwei Vorstandsmitgliedern. Sie berichten von einer Jugendwoche, die ein Landesjugendpfarrer in ihrer Stadt inszeniert hat. Man hatte sich Leute verschrieben, die gar nicht in der evangelischen Jugendarbeit stehen, die aber Volkstänze und Gesellschaftstänze lehren können. Man hat Diskussionen veranstaltet, in denen in höchst unverbindlicher Weise über dies und jenes geschwätzt wurde. Es wurde unentwegt von „neuen Wegen“ geredet. „Sehen Sie“, sagt der Jugendsekretär, „ich bin durch Ihren Bruder zum Glauben gekommen. Damals habe ich mich entschlossen, mein Leben in den Dienst des Herrn Jesus zu stellen. Früher war ich in der Hitler-Jugend. Es ist also in meinem Leben durch eine klare Entscheidung gegangen. Wenn nun dieser neue Kurs in der evangelischen Jugendarbeit gesteuert werden soll, dann kann ich nicht mehr mitmachen. Meine Kreise jedenfalls werde ich von diesem Treiben fernhalten.“ Ich spüre seinen Worten an, wie unendlich einsam er geworden ist. Fast ist es, als fragte er mich: „War ich denn ein Narr, als ich mich zum Herrn bekehrte?“ Vor einiger Zeit fand ein Treffen von deutschen und holländischen Jugendarbeitern und Mitarbeiterinnen statt. Bei diesem Treffen wurde es offen ausgesprochen: „Wir können doch nicht mit der Bibel zu den jungen Menschen von heute gehen! Wir können doch nicht mit der Tür ins Haus fallen. Wir müssen mit ihnen tanzen und ins Kino gehen. Vielleicht ergibt sich dann die Möglichkeit, auch gelegentlich das Evangelium anzubringen.“ Und fast alle stimmten dem zu. Im letzten Jahr erschien in der Tageszeitung einer Großstadt ein halbseitiger Bericht über die Karneval-Veranstaltung des CVJM – – – Das ist die Lage: Demas übernimmt die Führung der evangelischen Jugendarbeit.

Was immer schon war

Es ist keine Frage, daß zu evangelischer Jugendarbeit nicht nur Bibelstunden gehören. Es werden Fahrten unternommen. Es wird auch gespielt, Sport getrieben, es werden Filme gezeigt. Das ist seit Anfang aller Jugendarbeit schon so gewesen. Die evangelische Jugendarbeit ist aus der Erweckung entstanden. Darum wußte sie klar, daß sie eine einzige Aufgabe hat: junge Menschen zu Jesus zu führen. Darum stand allezeit das Wort der Bibel im Mittelpunkt. An diesem Wort aber entsteht Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft will sich betätigen. Darum kam man schon in der ersten Christenheit zusammen zu „Liebesmahlen“. In Frauenvereinen betätigt sich die Gemeinschaft in Kaffeefesten, in der Jugendarbeit in Fahrten, Sport und Lager. Habe ich es deutlich ausgedrückt? Es darf in der evangelischen Jugendarbeit solche Dinge nur geben als Betätigung der Gemeinschaft, die am Worte Gottes entsteht. Die Nationalsozialisten haben ganz genau gewußt, was sie taten, als sie der evangelischen Jugend alle „weltliche“ Betätigung wie Spiel und Wanderungen verboten. Sie wollten uns die Möglichkeit nehmen, die am Worte Gottes entstandene Gemeinschaft zu betätigen. Wenn man wirklich das Wort der Bibel in den Mittelpunkt stellt und die „weltlichen Dinge“ als Betätigung der Gemeinschaft versteht, dann wird ohne weiteres klar, daß dabei gewisse Grenzen gesetzt sind. Es ist doch sehr interessant, daß unsere Sportleute in der „Eichenkreuz-Bewegung“ immer sehr mißtrauisch waren gegen den Fußball. Pastor Weigle, der ja wirklich etwas von Jugendarbeit verstand, pflegte zu sagen: „Der Fußball erweckt seltsamerweise Leidenschaften, die der Handball und andre Spiele nicht kennen. Also verzichten wir auf ihn!“ Dasselbe gilt vom Tanzen. Hier muß eine Anmerkung gemacht werden, damit keine Mißverständnisse entstehen: Selbstverständlich haben wir in unserer Jugendarbeit allezeit junge Menschen, die von ihren Eltern aus die Tanzstunde besuchen müssen. Davon ist jetzt nicht die Rede. Es ist eine seelsorgerliche Frage, wie wir den jungen Menschen hier raten. Und wir müssen uns dabei vor einer Ãœberforderung und vor Gesetzlichkeit hüten. In unserem Aufsatz geht es um die Frage: Was ist der Auftrag der evangelischen Jugendarbeit? Und das ist sicher: Tanzen und Kino und müßige Diskussionen und all das, was uns unter dem Stichwort „Neue Wege“ angepriesen wird, gehören nicht dazu.

Die „neuen Wege“

Nun schreit man heute lauthals immerzu nach „neuen Wegen“. Diese neuen Wege bestehen samt und sonders darin, daß man den Geist der „Welt“ (die Bibel sagt: das Schema der Welt) unsre Jugendkreise bestimmen läßt. Hierfür hat man drei Gründe:

1. Man erklärt: „Wir müssen zuerst mit der Jugend Kontakt suchen, ehe wir das Evangelium sagen können.“ Ich finde, daß diese Erklärung ein erbärmliches Armutszeugnis ist. Ich habe alte Christen kennengelernt, die einen ungeheuren seelsorgerlichen Einfluß auf junge Menschen ausübten, nicht etwa dadurch, daß sie „Kontakt suchten“, sondern dadurch, daß sie eine große Liebe hatten und eine große Vollmacht. Der Mann, der den Berliner CVJM in der Wilhelmstraße geprägt hat, Forstmeister von Rothkirch, konnte sich neben einen jungen Menschen setzen, der zum erstenmal kam. Und nach fünf Minuten sprach er mit ihm von Jesus. Ich habe solche Leute später gesprochen. Und sie berichteten übereinstimmend, wie ihnen bei von Rothkirch eine ganz große Liebe und menschliche Wärme entgegengekommen sei, die sofort jeden Alters- und Standesunterschied überbrückt habe. Ja, wenn wir „Pfarrherren“ sind, dann müssen wir erst Kontakt suchen. Doch ich fürchte, wir werden den Kontakt nicht dadurch finden, daß wir auf das kümmerliche Niveau unserer Zeit hinabsteigen. Ich habe einmal erlebt, wie mein Bruder Johannes einem wildfremden jungen Burschen auf die Schulter schlug und „Hallo!“ sagte. Von dem Moment ab war „Kontakt“ da.

2. Die zweite Begründung, die man für das Demas-Wesen der evangelischen Jugendarbeit häufig hört, lautet: „Die Kirche hat früher den Menschen gesagt, wie sie selig sterben können. Heute müssen wir ihnen sagen, wie sie richtig leben können.“ Nun will man ihnen also praktische Lebenshilfe bieten, indem man mit ihnen ins Kino geht und ihnen erklärt, was schlecht und was gut ist; indem man mit ihnen tanzt, um einen „anständigen Karneval“ zu demonstrieren. Die Folge ist, daß man nicht mehr den Frieden mit Gott predigt, sondern Lebensfragen bespricht. Wissen wir, wohin das führt? Damit stehen wir wieder bei der „Aufklärung“. Das war eine geistige Bewegung, die um das Jahr 1800 die Kirche verwüstete, weil man nicht mehr Vergebung der Sünden predigen wollte, sondern „Lebenshilfe“. Klaus Harms hielt in jener Zeit eine Predigt über das Thema: „Öffne dein Herz der Geselligkeit, aber halte dich auch zum Abschied bereit.“ Sehen Sie, das waren praktische Predigten mit „Lebenshilfe“. Und es ist ja bekannt, daß ein Bauernpfarrer in der Weihnachtspredigt über den „Nutzen der Stallfütterung“ predigte, weil ihm eine Predigt über das Kind in der Krippe nicht „lebensnah“ genug erschien. Ulkig ist übrigens folgendes: Die „Aufklärung“ löste das Zeitalter der Orthodoxie ab. Weil wir heute in schnellerem Tempo leben, machen wir Aufklärung und Orthodoxie auf einmal ab. Darum sieht ein modernes Programm für Jugendarbeit etwa so aus: Morgens eine orthodoxe Barth’sche Predigt mit Abendmahl, abends Tanzvergnügen.

3. Die dritte Begründung, die uns für das Demas-Wesen in der evangelischen Jugendarbeit genannt wird, ist die kümmerlichste. Ich habe sie oft genug, namentlich in Süddeutschland, gehört: „Wir müssen doch beweisen, daß wir in die Welt hineinpassen.“ Ach du liebe Zeit! Dahinein passen wir (abgesehen von einigen komischen Typen) nur allzu gut! Die Frage ist vielmehr, ob wir in das Reich Gottes hineinpassen und ob an uns die Früchte des Heiligen Geistes, die in Galater 5, 22 genannt sind, sichtbar werden. Die moderne Jugend fragt uns nicht, ob wir in die Welt hineinpassen, sondern sie fragt uns, ob wir eine göttliche Botschaft für sie haben, die wirklich dem Menschen im tiefsten Grunde hilft. Darauf kommen wir noch zu sprechen. Wie sehen bei solchen Voraussetzungen die Jugendstunden der „neuen Wege“ aus? Ein Pfarrer sagte mir: „Mensch! Bedenken Sie, daß die jungen Leute den ganzen Tag gearbeitet haben. Da können wir ihnen doch nicht am Abend noch mit der Bibel kommen!“ – „Nun“, bat ich ihn, „erzählen Sie nur einmal, was Sie mit Ihrer Jugend in der letzten Stunde gemach haben.“ – „Oh, das war sehr nett“, berichtete er. „Da sind zwei, die auch noch zu den Naturfreunden gehören. Die waren an diesem Abend auf einem Maskenfest der Naturfreunde. Zwischendurch kamen sie zu uns und erzählten von ihrem Ball. Das wurde sehr lustig. Dann zogen sie wieder los, und wir anderen haben noch ein wenig Erinnerungen ausgetauscht an ähnliche Erlebnisse.“ Evangelische Jugendarbeit?! Neue Wege sollen das sein? Das sind die uralten Wege des Rationalismus. Es sind die uralten Wege des Demas, der die Welt liebgewann. Es sind die uralten Wege der alttestamentlichen Gemeinde, die vom Herrn abfiel, die Götzen anbetete und „dem Fleische“ diente. Da entwürdigen nun Pfarrer ihr kirchliches „Amt, das die Versöhnung predigt“ (2. Kor. 5,18) und machen sich endlich selbst zum „maitre de plaisir“, zum Vergnügungsmeister. Da registrieren sie mit Begeisterung, wieviel Jugend sie „erreicht“ haben und bedenken gar nicht, daß es nicht ums „erreichen“ geht, sondern um einen heiligen Auftrag: „Ihr sollt meine Zeugen sein.“ Da werden Geld und Kraft verschwendet für Torheit und Allotria. Und die wirkliche Gemeinde seufzt und ist betrübt. Die ernsten jungen Menschen aber wenden sich schaudernd ab von einer Christenheit, die selbst kein Vertrauen mehr zu ihrer Botschaft hat.

Nun, wir haben gegen diese sogenannten „neuen Wege“ einiges einzuwenden. Nicht nur, weil wir hoffnungslos rückständig sind. (Es ist uns allerdings auch kein wichtiges Anliegen, als modern zu gelten.) Wir glauben vielmehr, etwas von Jugendarbeit zu verstehen und sind schließlich auch Kinder unserer Zeit. (Wenn ich „wir“ sage, meine ich die ganze große Schar derer, denen dieses Treiben innerhalb der kirchlichen Jugendarbeit allmählich zuviel wird, zuviel, weil es ungeistlich und töricht ist. Und je ungeistlicher und törichter, desto lauter ist es!) Was wir einzuwenden haben gegen die „neuen Wege“: Man verkennt völlig die geistige Lage der heutigen Jugend. Da tun diese Leute, die ihre Jugendarbeit mit Tanz, Diskussionen und Kino bestreiten wollen, als wenn sie wunder wie modern seien. Und dabei ahnen sie gar nicht, daß sie völlig unmodern sind und keine Ahnung haben von der geistigen Lage der heutigen jungen Generation. Wie sieht es denn da aus? Die größte Not der heutigen Jugend ist, daß sie nichts mehr ernst nehmen kann. Ohne daß sie es sich klarmacht, leidet sie darunter. Diese geistige Situation ruft nach nichts anderem als nach der klaren Verkündigung des Evangeliums. Alle Werte und Lebensinhalte sind dieser Jugend zerbrochen. Nichts kann ihr Herz mehr richtig gefangennehmen. Und da stehen wir Christen da mit einer Botschaft, die man einfach ernst nehmen muß: daß Gott in Jesus ein großes Heil geschenkt hat, und daß dieser Jesus zur Nachfolge aufruft, und daß ein ewiges Reich unter uns angebrochen ist.

Vor einem Jahr sprach ich über die geistige Lage der Jugend vor norwegischen Pfarrern in Oslo. (Hier ist zu bemerken, daß viele norwegische Theologen, ehe sie ins Pfarramt gehen, erst einige Jahre sich in der Jugendarbeit betätigen.) Ich sagte ihnen das, was ich hier ausgeführt habe: Die Jugend hat nichts, was sie ernst nehmen kann. Damit sind die Türen offen für die Botschaft des Evangeliums, die Tiefgang hat und das Leben in sich trägt. Darauf stand sehr ärgerlich ein älterer Pfarrer auf und erklärte: „Was Sie eben erzählt haben, mag für die deutsche Jugend zutreffen. Die norwegische Jugend kennt noch Werte, die ihre Begeisterung erwecken.“ Ich bat ihn, mir solche Werte zu nennen. Darauf sagte er: „Unsere Monarchie.“ Es stimmt allerdings, daß der König von Norwegen, der vor kurzem verstorben ist, die Liebe seines Volkes hatte, weil er sich während der deutschen Besatzung heldenhaft benommen hat. Aber ich mußte dem Pfarrer erwidern: „Bitte, nehmen Sie es mir nicht übel, daß ich als Deutscher Ihnen jetzt ein Erlebnis erzählen muß, das ich heute morgen hatte. Ich war zum Schloß hinübergegangen, wo eine kleine militärische Zeremonie stattfinden sollte, weil der König ausfuhr, um das norwegische Parlament zu schließen. Allerlei junges Volk zwischen 16 und 20 Jahren hatte sich angesammelt. Wir sahen neugierig zu, wie das Militär aufmarschierte, wie eine Musikkapelle heranzog – und dann, in diesem Augenblick, rannte auf einmal all das junge Volk weg nach der Straße, die auf die Schloßterrasse hinaufführt. Ich ging hinterher und sah, daß im Mittelpunkt des Gewühls eine Dame stand mit leuchtend roten Lippen und violett untermalten Augen, in einem Pelzmantel von ungeheurem Wert. Mit müder Hand gab diese junge Dame einige Autogramme und ließ dann den Füller einfach auf den Boden fallen. Ich fragte: „Wer ist denn das?“ und bekam die Antwort: „Das ist Sophia Loren.“ Den Namen dieser Filmschauspielerin hatte ich schon gehört, obwohl ich nicht ins Kino gehe… Inzwischen war der König weggefahren – unbeachtet von der Jugend. Ihr galt eine Filmschauspielerin soviel wie ihr König. Und ich fürchte, daß die vaterländischen Werte, die uns Alte noch begeistert haben, dieser Jugend nicht mehr allzuviel bedeuten. Nein, ich bleibe dabei: Sie ist im Grunde ihres Herzens nihilistisch.“ Da sprangen die jungen Pfarrer auf und gaben mir leidenschaftlich recht. Und sie begriffen meine Forderung, dieser Jugend jetzt nichts anderes als die volle biblische Botschaft zu sagen. Sie hungert ja förmlich danach! Wir Christen sind die einzigen, die ihr noch etwas Wertbeständiges anzubieten haben.

Lassen Sie mich noch ein Beispiel sagen: Der „Spiegel“ 11/48 berichtet über den jungen, erfolgreichen englischen Bühnenschriftsteller John Osborne. Ein junger Mann zwischen 20 und 30 Jahren! In seinem Stück „Blick zurück im Zorn“, das ebenso in Moskau wie in London gespielt wird und die Jugend anlockt, zeigt er einen jungen Mann, der alles, aber auch alles verneint, lästert und beschimpft. Ein entsetzlicher Nihilismus! Nur an einer Stelle ist ein anderer Klang zu hören: „Wie sehne ich mich nach etwas Enthusiasmus, ganz gewöhnlichem menschlichem Enthusiasmus! Einmal eine warme, begeisterte Stimme ,Halleluja!‘ in die Welt hinausschreien hören…!“ Das heißt doch: Wo ist ein Mensch, der mit ganzer Gewißheit eine ernstzunehmende Botschaft sagen kann? „Er spricht für unsere Generation“, sagen die jungen Menschen.

Hier sind nun doch die Christen gerufen; denn wir sind nun die einzigen, die noch eine wirkliche Botschaft haben. Sie heißt: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die sich dem anvertrauen, nicht verlorengehen, sondern das ewige Leben haben.“ Diese junge Generation fragt uns nicht, ob wir „weltoffen“ sind. Das Elend aller Weltoffenheit kennt sie ja zur Genüge. Sie fragt uns, ob wir eine wichtige Botschaft haben. Sie fragt uns nicht, ob wir mit ihr ins Kino gehen wollen. Das kann sie ohne uns. Sie fragt uns auch nicht, ob wir mit ihr tanzen wollen. Das kann sie sogar besser ohne uns. Nein! Sie fragt uns, ob wir unserer Botschaft ganz gewiß sind. Das fragt sie. Und hier scheint mir die eigentliche Not zu liegen. Bibelkritik und theologische Spitzfindigkeiten entlassen den Pfarrer in seine Gemeinde so, daß er keine gewisse Botschaft mehr hat. Aber nach unserer Gewißheit fragt eben die junge Generation. Und wenn sie die bei uns findet, horcht sie auf. Im November 1957 wurde in Nürnberg ein kühner Vorstoß gemacht. Man veranstaltete eine „Jugendwoche“, bei der nichts weiter geschah, als daß an fünf Abenden in der Messehalle das Evangelium verkündigt wurde. Man fing mit 2500 Stühlen an. Am nächsten Abend wurden 1000 Stühle dazugestellt, am dritten Abend noch einmal. Der vierte Abend hatte das Thema „Unser Recht auf Liebe“. Da kamen etwa 5500 junge Menschen. Die Alten wurden in eine nahegelegene Kirche verwiesen, wohin eine Ãœbertragung stattfand. Es kamen solche Scharen von „Halbstarken“, daß man fürchtete, die Sache könne den Veranstaltern aus der Hand gleiten. Aber vom ersten Wort an war atemlose Aufmerksamkeit. Der letzte Abend hatte das Thema: „Kann man ohne Jesus leben?“ Jeder erwartete bei diesem Thema ein Abflauen des Besuchs. Aber wieder kamen 5000 bis 6000 junge Menschen. Das ist die Lage! Die heutige Jugend fragt uns:

1. Habt Ihr eine ernst zu nehmende Botschaft?

2. Seid Ihr Eurer Botschaft gewiß?

Seit Jahrhunderten war nicht eine solche geistige Situation. Aber statt daß man diese von Gott gegebene Lage erkennt, glaubt man „modern“ zu sein, wenn man diesem jungen Volk von Seiten der Kirche Tanz und Kino und Diskussionen bietet. Man weiß wirklich nicht, ob man darüber lachen oder weinen soll. So lassen die „modernen“ (!) Vertreter der „neuen Wege“ eine suchende Jugend verschmachten. Sie bieten ihnen Steine statt Brot und rühmen sich dessen sogar noch. Sie gehen an der eigentlichen Problematik der Jugend vorbei und finden sich enorm zeitgemäß. Wen will man mit diesen Methoden erreichen? Ich will offen bekennen, daß ich vor meiner Bekehrung zum Herrn Jesus gern getanzt habe. Als ich aber ernst machte mit der Nachfolge, war es damit zu Ende. Ich möchte niemand richten, der als Christ tanzt. Es geht in diesem Aufsatz auch nicht um die Frage, ob ein Christ tanzen darf, sondern es geht um die Aufgaben der evangelischen Jugendarbeit.

Der Essener Erweckungsprediger Julius Dammann wurde einmal gefragt: „Kann man als Christ tanzen?“ Er antwortete: „Als ich ein kleiner Junge war, sah ich Seiltänzer, die auf einem ganz dünnen Seil tanzten. Ich kann das nicht. Genauso geht es mir mit allen Tanzvergnügungen. Es mag Menschen geben, die auf dem schmalen Weg zum ewigen Leben tanzen können. Ich kann es nicht.“ Nun stelle ich mir vor, es hätte mir nach meiner Bekehrung jemand den Vorschlag gemacht: ich könnte ja unter der Aufsicht eines Jugendpfarrers oder Sekretärs weitertanzen. Ach, da hätte ich laut gelacht und gedacht: „Was müssen das für komische Tanzklubs sein, die weder den Mut zum Sündigen, noch den Mut zum Ernstmachen haben!“

Ich bin froh, daß auch die Bibel gegen diese Halbheit Stellung nimmt. Der erhöhte Herr sagt: ,,O daß du kalt oder warm wärest!“ Was muß das für eine Jugend sein, die man mit Halbheiten gewinnen will! Ja, was soll das für eine Jugend sein?! „Wir können doch nicht mit der Tür ins Haus fallen!“, erklärt man mir weise. Man sucht also zuerst Kontakt mit dieser Jugend, indem man sich auf ihre Ebene begibt. Und dann, so klammheimlich, kommt man allmählich damit heraus, was man wirklich will. Ich vermute, daß jeder junge Mensch, wenn er einigermaßen normal reagiert, sagen wird: „Ihr habt wohl selber nicht viel Vertrauen zu Eurer Sache, daß Ihr so heimlich damit herauskommt!“ Ja, mir scheint in der ganzen Sache ein Widerspruch in sich selbst zu liegen: man begibt sich auf die „neuen Wege“, um das Vertrauen der Jugend zu gewinnen. Durch nichts aber verliert man das Vertrauen junger Menschen mehr, als wenn man nicht von vornherein offen sagt, wo man eigentlich hinaus will. Ein junger Mensch kann nur dann Vertrauen zu mir haben, wenn ich ihm von Anfang an offen sage: „Ich möchte Dich gewinnen für den Herrn Jesus Christus.“ Wenn ich diese Absicht verberge, muß das doch bei jedem normal reagierenden jungen Menschen höchstes Mißtrauen erwecken. Und auf dem Wege will man sein Vertrauen gewinnen? Was soll das für eine Jugend sein, die man so zu „erreichen“ hofft? Eines ist sicher: die hungrigen Seelen und die suchenden Herzen und die Verzweifelten und die Mühseligen und Beladenen wird man so nie finden. Und gerade für die ist doch das Evangelium da.

Haben wir nicht einen Auftrag auszurichten?

Unser Herr hat seiner Kirche befohlen: „Ihr sollt meine Zeugen sein.“ Das ist ein klarer Auftrag. Nun ist es doch einfach ungehorsam, wenn die Christen erklären: „Herr, für unsere Zeit paßt das nicht mehr so ganz. Wir können nicht immer nur von Dir reden, denn wir müssen den jungen Leuten heute helfen, richtig in das Leben hineinzufinden. Oder wir müssen zumindest zuerst ziemliche Anmarschwege machen, ehe wir Dir, Herr, gehorchen können.“ In meiner Bibel steht: „Predige zur Zeit und zur Unzeit!“ Da haben wir die klare Anweisung, nicht nach dem Erfolg zu fragen, sondern unseren Auftrag auszurichten. Der Herr wird mich an jenem Tage nicht fragen, ob ich ungeschickt war, wenn ich mit der Tür ins Haus fiel und einem jungen Menschen sagte: „Du brauchst Jesus!“ Aber Er wird mich richten, wenn ich in fleischlicher Klugheit meinen Auftrag zurückstellte. Doch nun ist ja heute gar nicht „Unzeit“. Die Türen sind offen für das Evangelium! Im übrigen: Gottes Wort kennt schon diese falschen Propheten der „neuen Wege“. Es sagt in Jeremia 6,16: „Tretet auf die Wege und schauet und fraget nach den vorigen Wegen, welches der gute Weg sei, und wandelt darin, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen! Aber sie sprechen: Wir wollen’s nicht tun.“

Die große Not

Die eigentliche Not, die in dieser ganzen Sache offenbar wird, ist doch die, daß man kein Vertrauen mehr hat in die „efficacia verbi divini“, das heißt in die Wirklichkeit des Wortes Gottes. Man traut dem Evangelium nicht mehr zu, daß eine Jugend im Zeitalter der Technik und der Sputniks diese alte Botschaft hören könnte. Da kann man nur sagen: Arme Boten, die kein Vertrauen zu ihrer Botschaft haben! Arme Kirche! Gott hat ihr einen starken „Freudenwein“ anvertraut – und sie macht eine dünne Limonade daraus. Arme Christenheit! Gott hat ihr das „Dynamit“ des Evangeliums anvertraut – und sie legt es beiseite und sucht die Steine mit einem Hämmerchen loszubrechen. Aber nun möchte ich sehr laut rufen im Namen all derer, die noch etwas wissen von der Macht des Evangeliums – im Namen all derer, die heute seufzen über all diese Allotria -: „Macht Schluß damit, daß der Demas unsere Jugendarbeit führt und prägt! Wir wollen, daß diese Arbeit geführt werde von dem Herrn der Kirche und geprägt werde von Seinem herrlichen Wort.“

Pastor Wilhelm Busch (1897-1966)
Quelle: „Verkündigung im Angriff“ (1958)

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 4. September 2009 um 12:40 und abgelegt unter Kirche.