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Haus ohne Hüterin

Mittwoch 2. September 2009 von Rheinischer Merkur


Rheinischer Merkur

Friedrich Graf von Westphalen
Haus ohne Hüterin
Die christlich geprägte Ehe wird zum Auslaufmodell

Ehe und Familie, sagt das Grundgesetz, „stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“. Dahinter verbirgt sich das, was Juristen eine „Institutsgarantie“ nennen, basierend auf einer objektiven Wertordnung – die Ehe gedacht und auch praktiziert als eine lebenslange Verbindung von Mann und Frau als Keimzelle der Gesellschaft. Doch wenig hat sich in den letzten Jahrzehnten so radikal geändert wie das Bewusstsein und die Anschauungen davon, welche Werte denn Ehe und Familie tatsächlich ausmachen. Das Recht hat sich diesem Wandel des Bewusstseins und der Anschauungen behände angepasst und hat damit – auch gestützt durch Entscheidungen des Verfassungsgerichts – dem Zerfall von Ehe und Familie Tribut gezollt, wie die einen sagen; andere sprechen von einer nötigen Neuorientierung. Der Text des Grundgesetzes indessen blieb unverändert. Das Recht ist eben „dynamisch“.

In den Anfangsjahren der Bonner Republik durfte eine Ehe nicht gegen den Widerspruch des einen Ehegatten geschieden werden. Die Ehe war eben wesentlich mehr als nur ein gegenseitiger, schon gar kein kündbarer Vertrag. Mehr und mehr aber sah man darin einen „Zwang zur Ehe“ und mahnte fehlende Ehrlichkeit an: Wo die Ehe gescheitert ist, da sollte auch die Scheidung auf dem Fuß folgen. Ein Festhalten an einer zerbrochenen Ehe helfe niemandem. 1976 griff der Gesetzgeber diesen Sinneswandel in einer radikalen Reform auf: Das bis dahin geltende Verschuldensprinzip als Grundlage einer Scheidung wurde durch das Zerrüttungsprinzip ersetzt; das Widerspruchsrecht des scheidungsunwilligen Ehegatten, dem „Institut“ der Ehe verpflichtet, wurde praktisch aufgegeben.

Darin spiegelt sich ein gänzlich neues Bild der Ehe. Denn die Zerrüttung bedeutet eben nur – rein faktisch gewertet –, dass die Ehe gescheitert ist; der Konsens beider Ehegatten, die Ehe miteinander zu führen, ist zerbrochen. Wird dann die Trennung für mehr als ein Jahr vollzogen, dann war’s das: Die Scheidung wird ausgesprochen. Punktum. Die Gründe, die personale Verantwortung für dieses Scheitern zählen nicht mehr; nach „Schuld“ und Verantwortung wird gar nicht mehr gefragt. Diese unschwer zu erkennende Deregulierung aber hat weitreichende Konsequenzen: Etwa 200 000 Ehen werden Jahr für Jahr geschieden; bezogen auf die Zahl der (ohnehin abnehmenden) Eheschließungen ist das eine Quote von mehr als 50 vom Hundert. Im Jahr 1960 lag die Quote der Scheidungen noch bei knapp zehn Prozent. Die Freiheit zur Selbstverwirklichung hat sich durchgesetzt; die Leidtragenden sind die Kinder. Etwa 100 000 pro Jahr.

Es geht ums Geld

Aus der ursprünglich christlich geprägten Vorstellung von Ehe und Familie ist ein rein zivilrechtlicher Vertrag geworden, eine höchst konturenarme Zivilehe. Nur noch als wirtschaftliche Wertschöpfungsgemeinschaft wird sie gesehen und auch vom Gesetzgeber so bewertet: Die Verrechtlichung der Scheidungsfolgen beherrscht die Szene. Bei der Scheidung geht es vorwiegend um Geld (Unterhalt, Versorgungsausgleich, Teilung des Zugewinns) – und um das Sorge- und Umgangsrecht der gemeinsamen Kinder. An dieser Stelle setzt die jetzt zum 1. September in Kraft tretende Reform des Unterhaltsrechts an.

Der Versorgungsausgleich wird vereinfacht: Jedes während der Ehe – dreijährige Dauer vorausgesetzt – aufgebaute (Renten)-Versorgungsrecht wird im Fall der Scheidung real geteilt; jeder Ehepartner erhält einen eigenen Anspruch gegen den Versorgungsträger. Beim Ausgleich des Zugewinns wird jetzt berücksichtigt, dass das Anfangsvermögen durch Schulden belastet und daher negativ sein kann. Zudem ist der Schutz gegen kurzfristige Verschiebungen von Vermögen verbessert; Schenkungen des Ehegatten an Dritte können zu einem Anspruch auf Wertersatz führen, den der ausgleichspflichtige Ehegatte schuldet. Diese Neuerung wird streitsüchtige Scheidungsanwälte erfreuen.

Hinzu kommt, dass neben der Ehe inzwischen – abgesichert durch das Verfassungsgericht – die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft angesiedelt ist. Darin liegen, so sagte Karlsruhe, „keine Einbußen“ am Bild der dem Schutz der staatlichen Ordnung anvertrauten Ehe. Mehr noch: Das rechtlich geprägte Dreieck, welches früher im Verhältnis zwischen Eltern, Kind und Staat bestand, wird mittlerweile um Stief- und Pflegeeltern als konkurrierende Elternschaften mit eigenen Rechten erweitert. Das Verfassungsgericht fand für diese zunehmende Zahl von „Patchwork“-Familien den Begriff der „sozial-familiären Beziehung“.

Die Ehe hat Konkurrenten bekommen. Derweilen gibt es für die Hausfrauenehe praktisch keinen Platz mehr. Das seit dem letzten Jahr geltende Unterhaltsrecht weist jetzt endgültig den Weg; und die ersten Urteile des Bundesgerichtshofs sind fast schon „brutal“ zu nennen: Grundsätzlich – und das wird wohl die nur sehr schwer zu durchbrechende Regel werden – kann eine Mutter nach der Scheidung nur noch für drei Jahre Betreuungsunterhalt für das Aufziehen eines Kindes reklamieren.

Danach tritt die nacheheliche Verantwortlichkeit der Ehefrau in ihr Recht und fordert – fast unerbittlich – deren Erwerbstätigkeit. Das Kind aber wird nach seinem dritten Lebensjahr der (weithin nicht vorhandenen) staatlichen Obsorge anvertraut. Nach dem Scheidungsschock ist dies oft das zweite Trauma für das Kind.

Scheitern erwünscht

Doch sozusagen als „Kompensation“ für die geschundene Kinderseele: Da in zahllosen Fällen das Einkommen des unterhaltspflichtigen Vaters nicht reicht, um sowohl die alte wie die neue Familie auch nur halbwegs über Wasser zu halten, hat sich der Gesetzgeber entschlossen, dem Kindesunterhalt die Priorität einzuräumen. Um die übrigen Unterhaltsberechtigten kümmert sich – mangels Leistungsfähigkeit des Vaters – mehr und mehr der Sozialstaat.

Dieser ist in sein Recht getreten, um das Unrecht der Scheidung zu mildern. Die Mehrzahl der Rechtsregeln, das neue Versorgungsausgleichsgesetz und die Neuregelung des Zugewinnausgleichs eingeschlossen, zielen inzwischen – das ist das Fazit – nicht auf die Erhaltung, sondern auf das Scheitern des „Projekts“ der bürgerlichen Ehe.

Friedrich Graf von Westphalen, Rheinischer Merkur Nr. 35, 27.08.2009

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 2. September 2009 um 10:00 und abgelegt unter Ehe u. Familie, Gesellschaft / Politik.