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Sind Christen zum Dialog verpflichtet?

Mittwoch 14. Mai 2008 von Pastor Jens Motschmann


Pastor Jens Motschmann

Sind Christen zum Dialog verpflichtet?
Die Forderung nach Dialog und die biblische Wahrheit

Christen vertreten Ãœberzeugungen, die in aller Regel nicht dem Zeitgeist entsprechen. Dadurch entstehen Spannungen, nicht selten auch Auseinandersetzungen. Menschen, die ein starkes Harmoniebedürfnis haben, leiden darunter. Das ist im privaten Bereich so, aber auch im öffentlichen und eben auch im religiösen Bereich. Ãœberall da, wo Konflikte auftreten. wünscht man sich, daß die Betroffenen miteinander reden. „Nicht übereinander, sondern miteinander reden“, lautet ein häufig geäußerter Ratschlag.

In diesem Zusammenhang wird immer wieder die Forderung nach einer Kultur des Dialoges laut. Besonders in den Kirchen fällt diese Forderung auf fruchtbaren Boden. Wer will sich schon nachsagen lassen, daß er gegen einen Dialog mit Menschen anderer Ãœberzeugung sei? Erst kürzlich hat der in Genf ansässige Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) aus Anlaß des 60. Jahrestages seines Bestehens zu einer Verstärkung dieses Dialoges aufgerufen. Die Liebe zum Nächsten, so heißt es in einer Erklärung dieses Dachverbandes vieler nicht katholischer Kirchen, sei im Christentum wie im Islam „wesentlicher und integraler Bestandteil des Glaubens an Gott und der Liebe zu Gott“. Am 20. März dieses Jahres gab die auch als Weltkirchenrat bezeichnete Organisation eine Stellungnahme heraus mit dem Titel: „Gemeinsam das Verständnis der Liebe erschließen – ein Lernprozeß“. Sie richtet sich an die Kirchen und enthält Vorschläge, die ihnen helfen sollen, auf den Offenen Brief zu reagieren, den 138 leitende (gemäßigte) muslimische Repräsentanten im Oktober 2007 an christliche Führungspersönlichkeiten gerichtet haben. „Wir ermutigen unsere Mitgliedskirchen, diese Einladung seitens der Muslime als neue Chance für den interreligiösen Dialog zu begreifen“, erklärte der Generalsekretär des ÖRK, Pfarrer Samuel Kobia.

Solche Forderungen und Hoffnungen sprechen unzählig vielen Menschen aus dem Herzen. Wer sich in unseren Medien positiv zum Dialog äußert, darf der allgemeinen Zustimmung in der Öffentlichkeit gewiß sein. Um aber in die Kultur des Dialoges einzutreten, sollte man sich erst einmal darüber verständigen, was unter diesem Begriff überhaupt zu verstehen ist.

Was bedeutet eigentlich der Begriff „Dialog“? Das Wort kommt aus dem Griechischen und meint ursprünglich die „Kunst der Unterredung“. Die Frage ist nur, welche Funktion dem Dialog im Blick auf die Bewertung inhaltlicher Aussagen im Verlauf der Unterredung zukommt. Bereits an diesem Punkt gehen die Meinungen weit auseinander – und darum wird ausgerechnet bei einem Thema, das der Verständigung dienen soll, auch in der Kirche so leicht aneinander vorbeigedacht und dann auch aneinander vorbeigeredet. Das liegt daran, daß in unserer kulturgeschichtlichen Tradition das philosophische Verständnis des Dialoges ganz stark nachwirkt.

Die Form des Dialoges wurde durch die antike griechische Philosophie begründet und von Platon (427-347 v. Chr.) zu hoher formaler Vollendung geführt. Man verstand unter Dialog die Methode, durch das Aufeinandertreffen einander widersprechender Meinungen und die Überwindung der Widersprüche im Gespräch zur Wahrheit zu gelangen. Etwas vereinfacht dargestellt sieht dieses Modell so aus: Durch Rede (These) und Gegenrede (Antithese) wird die Lösung einer Frage (Synthese) angestrebt. Die Synthese kann dann wieder zum Ausgangspunkt eines neuen Dialogs werden, also zu einer neuen These, die wiederum eine neue Antithese herausfordert und wieder in eine neue Synthese mündet. So versucht man sich durch viele Gedankenschritte mehr und mehr der Wahrheit anzunähern. Im Blick auf die Frage: „Was ist Wahrheit?“ gilt im Rahmen dieses philosophischen Modells, daß die Antwort zwar im Reich der Ideen bereits existiert, aber den am Dialog Beteiligten nicht von vornherein einsichtig ist. Erst der Dialog soll im buchstäblichen Sinne die Wahrheit ans Licht bringen. Von daher ist der berühmt gewordene Satz des Philosophen Karl Jaspers (1883-1969) zu verstehen: „Die Wahrheit beginnt zu zweien.“

Für den Christen aber ist der Weg genau umgekehrt: Er geht in seinem geistlichen Erkenntnisweg nicht auf die Wahrheit zu, sondern er kommt bereits von der Wahrheit her. Und diese Wahrheit ist nicht eine Lehre, sondern sie ist eine Person und hat einen Namen: Jesus Christus. Er konnte von sich in göttlicher Vollmacht sagen: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben …“ (Johannes 14,6).

Und später wird er im Verhör vor dem römischen Statthalter Pontius Pilatus bezeugen: „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, daß ich die Wahrheit bezeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme“ (Johannes 18,37), worauf Pilatus nur skeptisch antwortet: „Was ist Wahrheit?“. Die Wahrheit beginnt für den Christen nicht zu zweien, sondern sie kommt von diesem Einen und Einzigartigen her – von Jesus Christus. Diese Wahrheit, die mit Christus in die Welt gekommen ist, kann für den Christen nicht mehr hinterfragt, sondern nur bezeugt werden. Selbst in Leitungsgremien der Kirchen scheint man dieser schlichten Einsicht im Gespräch mit Vertretern anderer Religionen nicht mehr zu folgen.

Immer häufiger werden sogenannte ökumenische Gebetstreffen veranstaltet. Daran beteiligen sich nicht nur Randgruppen in der Kirche (vor allem auf den Kirchentagen), sondern auch Bischöfe und Mitglieder von Kirchenleitungen. Allgemeines Aufsehen erregte ein erstes „Gebet für den Frieden“ am 26. Oktober 1986 in Stuttgart. Auf die „Musik zur Einstimmung“ folgten: Begrüßung und Grußworte der Vertreter der Religionen; Gebet der Israelitischen Religionsgemeinschaft; Muslimisches Gebet (aus den Suren 1 und 49 des Koran); eine Hindumeditation (aus dem Gesang der Bhagavadgita); Buddhistisches Gebet (aus Karaniya-Metta-Sutta); Liturgische Eröffnung; Wort des katholischen Bischofs von Rottenburg-Stuttgart; Christliches Gebet; Gesang aus der Griechisch-Orthodoxen Liturgie; Evangelium: Matthäus 5,1-10 (Seligpreisungen aus der Bergpredigt); Wort des evangelischen Landesbischofs; Stille; Große Litanei (Friedensektenie der Russisch-Orthodoxen Kirche); Fürbitten („Herr, mache mich zum Werkzeug deines Friedens“); Lied: „Sonne der Gerechtigkeit“; Vaterunser in mehreren Sprachen gleichzeitig; Trinitarischer Segen; Kanon: „Lobet und preiset, ihr Völker den Herrn“.

Es verwundert nicht, daß nach solchen Experimenten durch kirchenleitende Persönlichkeiten seitdem auch in den Gemeinden das Interesse an derartigen multireligiösen Veranstaltungen wächst. Dabei wird allerdings nicht bedacht, daß z. B. manche Vertreter der anderen Religionen an einem solchen Treffen nur teilnehmen können, wenn sie aus Höflichkeit gegenüber den deutschen Gastgebern ihre grundlegenden Überzeugungen verleugnen. Für einen Muslim z. B. ist der trinitarische Segen eine einzige Gotteslästerung, weil eben für ihn Jesus Christus nicht Sohn Gottes ist. So könnte man auch fragen: Warum nötigen Bischöfe Muslime zur Heuchelei?

Gleichzeitig hat sich Folgendes ergeben: In dem Maße, wie seit dem Ende der sechziger Jahre der Dialog zwischen den Religionen gefordert und gefördert wird, läßt die Bereitschaft zur Mission nach. Bereits auf der 4. Vollversammlung des Weltkirchenrates, die 1968 in Uppsala (Schweden) stattfand, konnte man in einem Sektionsbericht die erstaunliche Aussage lesen: „In der Begegnung mit Mohammedanern, Hindus, Marxisten und Humanisten lernen Christen, die gemeinsamen Grundlagen unseres Menschseins zu entdecken und kommen so zu einem volleren Verständnis der Wahrheit.“

Reicht demnach für den Ökumenischen Rat der Kirchen Jesus Christus nicht aus, obwohl im Kolosserbrief (2,3) steht, daß in ihm „verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis“? Wie will man bei einem solchen Verständnis von Dialog und Wahrheit noch vollmächtig missionieren? Genau das gab selbstkritisch der ehemalige Generalsekretär des ÖRK, Willem Visser‘t Hooft zu bedenken, als er 1973 in der Ökumenischen Rundschau (April 1973, S. 162) schrieb: Es gibt Formen des Dialoges und des Dialogverständnisses, die „nicht mit dem Missionsauftrag der Kirche und mit dem Wesen des Evangeliums übereinstimmen“.

Ein solches falsches Verständnis wurde beispielsweise in einer Rundfunk-Andacht deutlich, ausgestrahlt von Radio Bremen. In ihr ging es um den sogenannten Missions- und Taufbefehl Jesu: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ Dazu der Pastor: „Der Missionseifer der Christen züngelt auch heute – unauslöschbar …“ Missionseifer – das könne doch nicht im Sinne Jesu sein: „Kein Theologe, keine Kirche wird nachweisen können, daß der Jesus der biblischen Geschichten den ganzen Globus vor Augen hatte, wenn er von seinem Auftrag sprach. Die Machtillusion einer Kirche, Jesus sei der Heiland aller Menschen, auch derjenigen, die längst ihren eigenen Heiland gefunden haben, ihre eigene Erlösung, Versöhnung oder Befreiung in ihrem Glauben, dieser christliche Universalanspruch soll nicht mehr meinen Blick vernebeln.“ – „Christus ist mein Heiland, mein Weg, meine Wahrheit und ein Stück weit mein Leben, aber ich will niemand anders davon überzeugen …“ Das scheint auch die Meinung des Geschäftsführers des Deutschen Evangelischen Kirchentags, Hartwig Bodmann, zu sein, der kürzlich in einem Interview des „Weser-Kurier“ bekannte: „Es gibt eben Christen, die sind in ihrem Glauben ganz gewiß. Der Kirchentag pflegt dagegen mehr eine Fragehaltung. Bei uns stellt sich niemand auf das Podium und verkündet die alleinige Wahrheit.“ Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat zwar 2006 in einer sogenannten Handreichung „Klarheit und gute Nachbarschaft. Christen und Muslime in Deutschland“ ausdrücklich betont: „Dialog und Mission schließen sich nicht aus“, aber in anderen Publikationen z. B. bezüglich der Judenmission darauf hingewiesen, daß das christliche Zeugnis nicht gleich Mission bedeuten müsse, ja daß Dialog erst da anfangen könne, wo Mission aufhöre. So wird Mission unter Juden geradezu abgelehnt – obwohl das Neue Testament gerade von ihr bestimmt ist.

Bleiben wir bei dem Beispiel Dialog mit dem Islam: Es kann keinen sinnvollen Dialog zwischen Christen und Muslimen geben, weil beide die „Wahrheit“ an Aussagen in der Bibel bzw. im Koran heften, die von der einen oder der anderen Seite nicht akzeptiert werden können, wenn jede Seite ihre Glaubensüberzeugung ernst nimmt. Es gibt ja durchaus eine ganze Reihe von Ãœbereinstimmungen zwischen den beiden Glaubensauffassungen. Aber ausgerechnet in den wichtigsten Aussagen ist keine Ãœbereinstimmung möglich – lehnt doch der Islam das für Christen Wichtigste ab: Kreuzigung und Auferstehung Jesu – und damit die Grundlage der Erlösung aller Menschen überhaupt. Der Satz des Philosophen Karl Jaspers (der typisch ist für den Dialog) – „Die Wahrheit beginnt zu zweien“ – führt in diesem konkreten Fall in die Sackgasse. Der klassische Dialog hilft hier nicht weiter, sondern – viel bescheidener – das Gespräch, das die Gegensätze stehen läßt, aber um menschliches Vertrauen wirbt. Das ist schon viel, wenn dadurch das Miteinander spannungsfreier wird. Gespräche mit Vertretern der Religionen sollten aufrichtig geführt werden. Dazu gehört aber auch die Bereitschaft, die Gegensätze ehrlich zu benennen und so stehen zu lassen. Das hindert nicht, gemeinsam auszuloten, welche Ãœberzeugungen verbinden und welche Aufgaben zum Wohl aller Menschen gemeinsam angepackt und auch gemeinsam gelöst werden können.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 14. Mai 2008 um 18:05 und abgelegt unter Theologie.