Gemeindenetzwerk

Ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes

Ein Brief über Glaubensabfall und Allversöhnung

Freitag 7. März 2025 von Dr. Joachim Cochlovius


Dr. Joachim Cochlovius

Vielen Dank für Ihre Fragen. Sie haben eine Predigt über den Glaubensabfall im endgeschichtlichen Gefälle und über die Allversöhnung gehört und fragen, was man von diesen theologischen Positionen halten soll. Ich habe mir die Predigt angehört. Hier meine Antwort in Kürze.

1.) Der Prediger spricht unter Bezug auf 1 Timotheus 4 vom großen Glaubensabfall der Gemeinde im endgeschichtlichen Gefälle. Der Begriff des Abfalls kommt im Danielbuch 11,32 und in 2 Thess 2 vor. Legt man Dan 11 zugrunde, handelt es sich dabei um ein endgeschichtliches Geschehen im jüdischen Volk, denn Daniel ist ein Israelprophet. Wenn der Falschchristus (der sog. Antichrist) mit Verführungskünsten und Wundern auftritt, werden sich viele Juden von ihm verführen lassen, denn Israel ist ein wundergläubiges Volk (1 Kor 1,22). Wenn Paulus in 2 Thess 2,3 vom Abfall spricht, dann tut er dies im Zusammenhang mit dem Auftreten des Antichrists („Mensch der Bosheit“). Es spricht deswegen viel für die Annahme, dass der Apostel hier Daniel 11 und das jüdische Volk im Auge hat. Die Gemeinde Jesu muss im endgeschichtlichen Gefälle genau beobachten, was im Volk der Juden vor sich geht.

Natürlich steht auch die Christenheit immer in der Gefahr des Glaubensabfalls, und zwar von Anfang an. Der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe, um Jesu Nachfolger zu verführen, das wissen wir. Aber die gläubigen Christen haben den Heiligen Geist und Jesus Christus ist ihr guter Hirte. Wenn sie ihrem Herrn vertrauen und die geistliche Waffenrüstung anziehen (Eph 6,10ff.), können sie die Tricks und Verführungen Satans durchschauen und ihnen widerstehen. Und wenn sie gefallen sind, können sie wieder aufstehen. Wenn Paulus in 1 Tim 4,1ff. von den letzten Zeiten spricht, dann meint er zunächst seine eigene Zeit, aber auch die sich anschließende Zeit bis zur Wiederkunft des Herrn. Die „letzten Zeiten“ haben nach Einschätzung der Apostel bereits mit dem ersten Pfingstfest begonnen. Seitdem der Heilige Geist sein Werk in dieser Welt tut und Christus groß macht, ist auch der Geist des falschen Christus tätig. Der Apostel Johannes schreibt in seinem ersten Brief, dass der Geist des Antichristen von Anfang an in der Gemeinde präsent ist. Die Predigt erweckt den Eindruck, dass die Gemeinde Jesu erst in der endgeschichtlichen Zeit besonderen Verführungen ausgesetzt sei. Das lässt sich aus dem Neuen Testament aber nicht begründen.

Ebenso verhält es sich mit der in der Predigt vertretenen Auffassung, dass es in der letzten Zeit vor Jesu Kommen große Scheidungen in der Christenheit geben werde. Diese Scheidungen gab es schon von Anfang an. Die Christen spalten sich derzeit in über 3000 Denominationen. Das ist also nichts Neues. In der Predigt heißt es, dass sich in der letzten Zeit eine große Scheidung zwischen den Gläubigen und den Scheinchristen ergeben wird. Auch hier muss man widersprechen. Jesus sagt in seinen Gleichnissen, dass der Feind Gottes andauernd Unkraut zwischen den Weizen sät und dass dies so bleiben wird, bis der große Erntetag kommt (Jesu Wiederkunft). Erst dann wird geschieden zwischen denen, die angenommen werden und denen, die verworfen werden (Offb 20,11-15). Von einer solchen Scheidung vorher, also vor dem Kommen des Herrn, steht in Bezug auf die Gemeinde nichts in der Bibel, wohl aber hinsichtlich Israel (Sach 13,7-9). In Gottes Auserwählungsvolk wird es in der Tat in der letzten Zeit dramatische Verwerfungen geben. Die einen werden sich an den Falschmessias anschließen. Die anderen werden auf den wahren Messias warten, der vom Himmel herabkommen wird, und viele werden dem Antichristus unter Einsatz ihres Lebens widerstehen. Es wird massive Konflikte in den Familien geben. Darauf hat schon Jesus in seiner israelbezogenen Endzeitrede hingewiesen (Matth 24,19). Diesen biblischen Ankündigungen widmet der Prediger leider zu wenig Aufmerksamkeit.

2.) Im 2. Teil der Predigt geht es um die Frage, ob am Ende alle Menschen gerettet werden. Diese Auffassung vertreten die Anhänger der sog. Allversöhnungslehre. In der Predigt geht es vor allem um die Auslegung von 1 Tim 2,4 und 4,10. Man ist zunächst erstaunt, mit welcher Leichtigkeit der Prediger die schwierigsten theologischen Fragen behandelt. Z.B. sagt er „Wenn dieser Gott nicht schafft, was er will, dann gibt es keine Hoffnung…für keinen von uns“. Oder „Gottes Wille wird immer zur Wirklichkeit durch Gericht und Gnade“. Woher nimmt der Prediger die Gewissheit für diese Aussagen? Ausleger wie Martin Luther haben lebenslang mit diesen Fragen gerungen. Luther hat einmal gesagt, dass man sich nicht zu lange mit dem deus absconditus (dem verborgenen Gott) beschäftigen dürfe (also mit seinem für uns unverständlichen bzw. verborgenen Handeln), weil sich Gott nur dort finden lassen will, wo er sich selbst offenbart, in Jesus Christus (als deus revelatus, als sich offenbarender Gott).

Der Prediger bekennt sich vorbehaltlos zur Lehre der Allversöhnung. Bitte denken Sie einmal kurz über die Konsequenzen dieser Lehre nach. Sie führt letztlich zur Auffassung, dass auch der Teufel und alle seine unreinen und widergöttlichen Geister gerettet werden. Ferner, dass alle Aufrufe im Neuen Testament an die Menschen, dass sie sich erretten lassen sollen, unnötig und falsch waren (z.B. die Pfingstansprache des Petrus, Apg 2,40). Eine weitere Konsequenz ist, dass im Rahmen dieser Lehre der Glaube unwesentlich wird. Wenn ohnehin alle gerettet werden, dann braucht es keinen Glauben mehr. Aber Jesus sagt das Gegenteil, nämlich dass alle, die glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben (Joh 3,16). Ich befürchte, dass die Vertreter der Allversöhnungslehre die Konsequenzen ihrer Auffassung nicht richtig durchdacht haben.

Was sagt die Predigt zu den beiden Stellen 1 Tim 2,4 und 4,10? Anscheinend stehen sie beim flüchtigen Lesen für die Position der Allversöhnungslehre. Die erste Stelle ist mir selbst sehr schmerzhaft in Erinnerung. Sie hat mich als junger Christ jahrelang an einer konsequenten Fürbitte gehindert. Ich dachte mir, wenn Gott will, dass alle errettet werden, dann wird er das in seiner Allmacht auch erreichen. Ohne es zu merken, hatte ich mir ein logisch-philosophisches Bild von Gott gemacht. Es dauerte Jahre, bis ich den Zusammenhang dieser Aussage näher studierte, vor allem den griechischen Urtext. Da ist nämlich von der heiligen Pflicht der Christen zur Fürbitte die Rede. Gott wartet auf unsere Fürbitte, ja er bindet sich geradezu an sie. So hoch wertet er die Christen, dass er sie zu seinen Mitarbeitern macht und sie in seine Pläne mit einbezieht. Unsere Fürbitte für andere ist unendlich wichtig, weil sie Gottes Arm bewegt. Gott ist eben kein Allahgott, der alles allein bestimmt und durchzieht. Wir sollen Fürbitte tun, weil Gott andere zur Erkenntnis der Wahrheit führen will.

Die zweite Stelle (1 Tim 4,10), dass Gott der Erretter bzw. der Heiland aller Menschen ist, meint keineswegs, dass er alle zum ewigen Heil führt. Auch hier muss man den Zusammenhang beachten. In 1 Tim 4,8 heißt es klar, dass nur die Frömmigkeit (also die Umkehr zu Gott und das daraus entspringende neue Leben) die Verheißung des ewigen Lebens hat. Mit der Aussage, dass Gott der Erretter aller ist, wird vielmehr ausgedrückt, dass er einen universalen Heilswillen hat und dass er für alle Menschen ansprechbar ist. Jeder kann zu ihm kommen kann, jeden kann er erretten. Man darf aus solchen Aussagen keinen Automatismus machen, dergestalt, dass alle errettet sind. Diese auf menschlicher Logik aufgebaute Theologie wird dem Wesen Gottes und dem biblischen Menschenbild nicht gerecht. Sie wird dem Wesen Gottes nicht gerecht, weil sie das Leiden Gottes nicht berücksichtigt. Jesus leidet an den Menschen, die ohne Hirten leben (Matth. 9,36). Der Vater im Gleichnis vom Verlorenen Sohn leidet an der Gottesferne seines Sohnes. Wenn Menschen Gottes Versöhnungshand nicht annehmen, leidet er, aber seine Liebe zwingt sie dennoch nicht dazu. Liebe kann alles, aber nicht zwingen. Die Allversöhnungslehre wird auch dem biblischen Menschenbild nicht gerecht. Denn wenn es in den Plänen Gottes angelegt wäre, alle Menschen zu erretten, würde Gott dem Menschen die Möglichkeit nehmen, auf Gottes Liebe zu reagieren. Und gerade diese Möglichkeit ist das Kostbarste, was Gott in den Menschen hineingelegt hat. Die Liebe Gottes zu erfahren und mit Liebe beantworten zu können, ist geradezu der Inbegriff der im Menschen angelegten Gottesebenbildlichkeit.

Ich hoffe, dass diese kurzen Gedanken Ihnen helfen, das biblische Wort über die Gefahren des Glaubensabfalls und der Allversöhnungslehre besser zu verstehen. Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Passions- und Osterzeit.

Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 7. März 2025 um 10:49 und abgelegt unter Gemeinde, Seelsorge / Lebenshilfe, Theologie.