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Verschiedene Bibelverständnisse im Pietismus?

Mittwoch 2. Oktober 2019 von Pfr. Karl Baral


Pfr. Karl Baral

Seltsame Meinungen werden heute vertreten. Sie klingen eindrucksvoll, manchmal sind sie geeignet, Menschen, auch Christenmenschen zu verwirren. Das heißt aber keinesfalls, dass sie richtig sind. Gerade die grundlegenden Lehren sind es, in denen die Gemeinde am meisten angefochten wird, nämlich die, die von Jesus Christus, Seiner Person und von Seinem Werk handeln, also von dem, wer Er ist und was Er für uns getan hat, und die Lehre von der Heiligen Schrift. Das ist nicht nur in unserer Zeit so. Schon der Apostel Paulus schrieb seinem geistlichen Sohn Timotheus: „Du aber bleibe in dem, was du gelernt hast und dir anvertraut ist; du weißt ja, von wem du gelernt hast und dass du von Kind auf die Heilige Schrift kennst, die dich unterweisen kann zur Seligkeit durch den Glauben an Christus Jesus. Denn alle Schrift ist von Gott eingegeben…“ (2.Tim 3,14ff.).

„Das Wort und Christus in dem Wort, das soll mein Leitstern bleiben“, so schrieb der schwäbische Pfarrer und Liederdichter Philipp Friedrich Hiller, dessen Lehrer und Seelsorger Johann Albrecht Bengel war, beide in der Heiligen Schrift verwurzelt, wie es auch das lutherische Bekenntnis lehrt, das sie von Herzen vertraten, nicht allein, weil sie als Pfarrer auf Bibel und Bekenntnis ordiniert waren, sondern weil sie das Bekenntnis für eine gute Zusammenfassung der Lehre der Heiligen Schrift sahen. So wussten sie, dass die Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments grundsätzlich anders ist als alle anderen Schriften, und dass „allein die Heilige Schrift der einzige Richter, Regel und Richtschnur (bleibt), nach welcher als dem einzigen Prüfstein sollen und müssen alle Lehren erkannt und beurteilt werden, ob sie gut oder bös, recht oder unrecht seien“, so die Konkordienformel, eine wichtige lutherische Bekenntnisschrift. Nach ihr ist also die Bibel allein Quelle und Maßstab der Lehre der Kirche. Auf dieser Grundlage glaubten, lehrten, lebten und arbeiteten auch Bengel und Hiller und so wurden sie wichtige Lehrer der evangelischen Kirche und in besonderer Weise Lehrer des Pietismus in Württemberg.

Aber – es gibt heute nichts, was es nicht gibt, selbst in Kirche und pietistischen Organisationen. So hat es mich schwer getroffen, als ich kürzlich las, dass ein christlicher Leiter tatsächlich behauptet hat, es gebe im Pietismus verschiedene Schriftverständnisse. Aber das ist genau dieselbe irreführende Fehlinformation, wie wenn man sagt, in der Landeskirche gebe es (berechtigt) verschiedene Schriftverständnisse. Denn: Der Pietismus ist keine Lehrbewegung, sondern eine Frömmigkeitsbewegung. Er hat kein eigenes Bekenntnis, sondern steht in der Bekenntnistradition der jeweiligen Kirche: Der lutherische Pietismus in der lutherischen Bekenntnistradition, der reformierte Pietismus in der reformierten Bekenntnistradition. Beide aber lehren, dass die Bibel das Wort Gottes ist. Deshalb kann Jörg Breitschwerdt in seinem neuen Buch „Theologisch konservativ“ (Göttingen 2019) auch zurecht schreiben, dass das Schriftverständnis Luthers in die lutherische Bekenntnisbildung und ihren Abschluss in der Konkordienformel, die auch im Konkordienbuch steht, eingegangen ist und von der lutherischen Orthodoxie und dem Pietismus übernommen wurde.

Deshalb gibt es sowohl in der Württembergischen Landeskirche als auch im Pietismus kein Heimatrecht eines anderen Schriftverständnisses; deshalb haben sich 1969 auch viele bekenntnistreue Pfarrer gegen die sogenannte Esslinger Vikarserklärung gewehrt, damals mit Erfolg(1). Deshalb kann auch heute kein Kirchengesetz berechtigten Bestand haben, das gegen die Heilige Schrift und gegen das Bekenntnis der Kirche steht. § 1 der württ. Kirchenverfassung beruft sich auf Bibel und Bekenntnis und nach Artikel 73 der Kirchenverfassung gilt: „Das Bekenntnis ist nicht Gegenstand der kirchlichen Rechtssetzung.“ So schreibt die Kirchenrechtlerin Renate Penßel(2): „Die Verpflichtung zur Wahrung von Schrift und Bekenntnis gilt … nicht nur für kirchliche Rechtssetzung i.e.S., sondern darüber hinaus grds. für alles kirchenleitende Handeln: Sie gilt für Rechtsnormen, … sie gilt aber auch für kirchliches Leitungshandeln ohne Inanspruchnahme der Formen des Rechts: Kirchliches Leitungshandeln, das von der Bindung an Schrift und Bekenntnis frei ist, gibt es nicht… Kirchenleitende Organe können die Behauptung der Schriftwidrigkeit von Kirchenrecht und auch von sonstigem … kirchenleitenden Handeln … nicht als irrelevant ignorieren.“

Übrigens sagt sogar die römisch-katholische Kirche, dass die Bibel das Wort Gottes ist, sogar (was ja sogar bei Evangelikalen manchmal abgelehnt wird) das „irrtumslose“ Wort Gottes.

Dass Karl Barth zwischen Bibel und Wort Gottes unterscheidet, entspricht nicht seiner reformierten Tradition, sondern zeigt, dass er theologisch gesehen ein „Schwärmer“ ist, so kann er z.B. auch das Kampfwort der Schwärmer der Reformationszeit vom „papierenen Papst“, das die Schwärmer damals gegen Luthers Bibelverständnis gebraucht haben, benutzen. Dazu steht er sehr kräftig in der philosophischen Linie des Neuplatonismus, der leider über Augustinus ins Reformiertentum eingeflossen ist (z.B. „doppelte Vorherbestimmung“ zum Heil oder Unheil, bei Barth dann verändert, dass es keine Verlorenen mehr gibt).

Manche berufen sich auf These 1 der Barmer Theologischen Erklärung von 1934, in der Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, als das einzige Wort Gottes bezeichnet wird. Aber dies ist grad nicht als Gegensatz von Jesus und Bibel gemeint. Im Gegenteil. Der Theologe Wilhelm Vischer, der mit Barth verbunden war und hier mit diesem einig ist (er hat auch die beiden Bände „Das Christuszeugnis des Alten Testaments“ geschrieben), zeigt, wie es gemeint ist. Stefan Felber (ein wissenschaftlicher Theologe) hat seine Doktorarbeit (geringfügig verbessert) veröffentlicht mit dem Titel: „Wilhelm Vischer als Ausleger der Heiligen Schrift. Eine Untersuchung zum Christuszeugnis des Alten Testaments (Göttingen 1999). – Darin heißt es z.B. (S. 149): „5. Das ‚Christuszeugnis‘ ist der Inhalt der Heiligen Schrift. Die Schrift bildet eine ‚unteilbare Ganzheit‘, weil in Christus Jesus die Einheit und Wahrheit beider Testamente liegt. Seine Gegenwart in ihr ist der Grund dafür, daß die Heilige Schrift beider Testamente als ganzes Gottes Wort und als ganzes Menschenwort ist. Daher empfängt jedes einzelne Schriftwort seine Autorität und Wirksamkeit von Jesus Christus. 6. Die wahre Beziehung zwischen Gott und Mensch wird nicht erkannt, wenn ein Teil der Bibel oder eines der Testamente gegenüber dem anderen abgewertet wird…“.

Der dreieinige Gott war ja auch schon im Alten Testament da. Gott der Sohn war auch da beteiligt. Und das Bibelverständnis Jesu und der Apostel ist das von der Bibel als dem Wort Gottes.

Ein Gegensatz von Jesustreu und bibeltreu ist also „grottenfalsch“. Vielmehr ist der Jesus treu, der mit Ihm persönlich verbunden ist, Sein Wort (die Bibel) aus Seiner Hand empfängt und es als Sein Wort und als persönliche Anrede liest und ihm gehorsam ist. Jesus und die Bibel auseinanderreißen – das tun die historisch-Kritischen, die unter der „wissenschaftlichen“ Vorgabe (genauer: der Vorgabe der Philosophie Immanuel Kants) die Bibel mit atheistischen Methoden erforschen und mit der Bibel umgehen, „als wäre sie eine Leiche“ (Wilhelm Vischer).

24.09.2019, Pfarrer Karl Baral

1 Dazu Karin Oehlmann: „Ein Gesprächspartner unter anderen“, in: Hartmut Zweigle (Hg.): Zwischen Beständigkeit und Wandel, Stuttgart 2017, S. 117ff.

2 Renate Penßel: Kirchenrechtliche Leitlinien für kirchenleitendes Handeln, dessen Übereinstimmung mit Schrift und Bekenntnis in Frage steht, theologische beiträge 50. Jg. (2019) S. 169ff. (172f.)

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 2. Oktober 2019 um 13:33 und abgelegt unter Demographie, Gemeinde, Kirche, Theologie.