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 „…die Wurzel trägt dich“ (Römer 11,18) – Eine Erklärung zum Verhältnis von Christen und Juden

Mittwoch 7. Juni 2017 von Lebendige Gemeinde


Lebendige Gemeinde

Bis ins Reformationsjahr 2017 hinein wurden in den evangelischen Kirchen viele Gespräche über das Verhältnis von Christen und Juden geführt. Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland hat sich insbesondere von Luthers Schmähungen gegenüber Juden distanziert, die biblisch klar bezeugte Treue Gottes zu seinem Volk Israel neu formuliert und über Fragen der sogenannten „Judenmission“ diskutiert. Nicht thematisiert wurden dabei die messianischen Juden, die an Jesus als Messias glauben, sich aber gleichwohl als Juden verstehen. Darum halten wir ergänzend Folgendes fest.

Eine einzigartige Verbundenheit

Christen und Juden sind auf einzigartige und unlösbare Weise verbunden: Wir teilen den Glauben an den einen Gott, der sich in der Bibel als Schöpfer und liebender Vater offenbart.

Wir erkennen uns durch sein Wort als Ebenbilder Gottes, gewinnen im gemeinsamen Hören auf die Schrift einen Sinn für die Würde des Menschen und den Wert jedes einzelnen Lebens. Wir hören gemeinsam auf Gottes Gebote und fragen nach seinem Willen. Uns verbindet Gottesfurcht und Gottesliebe. Wir teilen die Haltung der Buße vor dem heiligen Gott und die Hoffnung auf seine Barmherzigkeit und Gnade. Uns verbindet die Erwartung auf den kommenden und endgültig Frieden schaffenden Messias. Wir teilen die Verantwortung für diese Welt, für die Bewahrung der Schöpfung und den Einsatz für gerechte Lebensverhältnisse.

Die bleibende Erwählung Israels

Als Christen wissen wir uns in den Bund Gottes mit Israel mit hineingenommen. Wir erkennen eine einzigartige Verbundenheit mit den Juden, die wir in Demut und Dankbarkeit annehmen. Wir sind verbunden durch die gemeinsame Schrift, die wir als Gottes Wort hören und achten. Wir sind verbunden durch die Erwählung Gottes. Den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs bekennen wir Christen als Vater Jesu Christi und damit als den einen Gott der ganzen Bibel, den Schöpfer und Erlöser, von dessen Treue wir gemeinsam mit den Juden leben. Dabei löst die Erwählung der Kirche die Erwählung Israels keinesfalls ab – im Gegenteil: Christen wissen sich in die eine Erwählung Gottes, die zuerst Israel gilt, mit hineingenommen. Der Apostel Paulus formuliert an Christen aus den Völkern gerichtet: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich“ (Römer 11,18). Jede Haltung der Überheblichkeit gegenüber dem jüdischen Volk ist darum gänzlich unangemessen; sie widerspricht dem Wesen des Gottesvolkes aus altem und neuem Bund und sie verkennt völlig den Charakter der Erwählung Gottes, die uns unverdientermaßen zukommt.

Bleibende Unterschiede

Wenn wir diese grundlegenden Gemeinsamkeiten festhalten, übersehen wir die Unterschiede nicht. Als Christen glauben wir an Jesus Christus als den Sohn Gottes und Retter der Welt. Wir erkennen in ihm den erwarteten Messias. Wir bekennen seinen Tod am Kreuz für uns und seine Auferstehung. Wir sind im Vertrauen auf ihn gerechtfertigt allein durch seine Gnade und sein Erbarmen. In Jesus Christus erkennen und bezeugen wir Gottes Heilsweg für alle Menschen.

Schuld und Verpflichtung

Als Christen stehen wir an der Seite der Juden und achten sie mit Respekt als Gottes erwähltes Volk. Jeder Form des Antijudaismus oder Antisemitismus widersprechen und widerstehen wir in Solidarität mit den Juden. Ohne Einschränkung erkennen wir die bleibende Erwählung Israels an. Allzu oft haben auch die christlichen Kirchen vergessen und missachtet, dass sie ihren Grund in der Erwählung Gottes haben, die zuerst Israel gilt. Mit tiefer Beschämung erkennen wir eine Mitverantwortung und Mitschuld an den Verbrechen gegenüber dem jüdischen Volk durch die Jahrhunderte und ein Versagen der Kirche in der Schoah des 20. Jahrhunderts. Als Christen in Deutschland erkennen wir in unserer Geschichte eine besondere Schuld, mit der eine besondere Verpflichtung für Gegenwart und Zukunft einhergeht. Wir treten entschieden gegen die Abwertung des Judentums auf und wir treten für ein versöhntes Miteinander ein. Wir sind dankbar, dass in Deutschland wieder jüdische Gemeinden entstanden sind und Juden hier ihre Heimat haben. Als Christen erkennen wir den Staat Israel an und wissen uns mit Israel in besonderer Weise verbunden.

Das Christuszeugnis gegenüber Juden

Es gehört zum Wesen des christlichen Glaubens, dass er sich artikuliert. Wer glaubt, bekennt und bezeugt. Mit ihrem Zeugnis von Jesus Christus bringen Christen ihr Wesensinneres zum Ausdruck, das ihnen persönlich wie auch allen anderen Menschen gilt. Es ist die gute Nachricht von der Rettung, Erlösung und Befreiung durch Jesus Christus. Das Evangelium von Jesus Christus ist eine „gute Botschaft“, derer sich kein Mensch schämen muss (Römer 1,16). Die Verkündigung dieser guten Botschaft kann nicht so beschnitten werden, als gelte sie nicht für alle Menschen zu allen Zeiten. Das Besondere und Überraschende war am Anfang, dass diese Predigt von Gottes Heil in Christus auch den Heiden gilt. Das bedeutete aber zu keiner Zeit, dass sie nicht mehr für Juden gälte. Juden und Heiden – alle sollen sie hören und zum Lob Gottes finden (Römer 15,5-13).

Die Wahrheit von Jesus Christus als Retter der Welt darf „niemandem vorenthalten, muss also auch Israel gegenüber angezeigt werden. Aus der Bezeugung des Evangeliums in Israel ist ja die Kirche hervorgegangen. Sie müsste ihre eigene Herkunft verleugnen, wenn sie das Evangelium ausgerechnet Israel gegenüber verschweigen wollte. Dass das Evangelium Israels ureigenste Wahrheit ist, daran zu erinnern haben die Apostel sich verpflichtet gewusst. Aus dieser Verpflichtung kann auch die Kirche nicht entlassen werden“ (Eberhard Jüngel vor der Synode der EKD in Leipzig 1999). „Die den Christen im Ostergeschehen erschlossene Wahrheit über den Heilswillen Gottes ist das Evangelium für alle Menschen, für die Juden zuerst und auch für die Heiden (Römer 1,16). Das Evangelium Juden und Heiden zu bezeugen, gehört von Anfang an zur Apostolizität der Kirche (Galater 2,7-9). Dieses Zeugnis ist unablösbar vom Christsein selbst.“ (Gutachten der Tübinger Evangelisch-Theologischen Fakultät vom 23. Februar 2000)

Die Sendung zu allen und die Freiheit der Angesprochenen

Ein lebendiges Zeugnis von Christus stellt sich dabei nicht über die Menschen, die es hören. Es vereinnahmt nicht, sondern lässt dem jeweiligen Gegenüber alle Freiheit zur Antwort offen. Das gilt generell. Es gilt gegenüber Juden aber in besonderer Weise: Wenn Christen ihnen den Messias Jesus bezeugen, so tun sie das auf der Basis einer gemeinsamen Verheißung. Sie stellen damit die jüdische Identität nicht in Frage. Ein zentraler Bestandteil des irdischen Wirkens Jesu, der als „Diener der Juden“ lebte (Römer 15,8), war die Sendung seiner Jünger zu seinem jüdischen Volk (Matthäus 10; Lukas 10). Diese Sendung ist nie zum Ende gekommen. Sie geht fort bis auf diesen Tag (Apostelgeschichte 1,8). Allerdings geschieht diese Sendung unter anderen Vorzeichen als die zu den Völkern. Die missionarische Verkündigung des Evangeliums unter den sogenannten Heidenvölkern ist vom Zeugnis gegenüber Juden daher kategorial zu unterscheiden. Als Christuszeugnis eigener Art ist das Zeugnis gegenüber Juden aber Ausdruck christlicher Identität auf der Basis großer Gemeinsamkeit, das in der gegenseitigen Begegnung einen Raum haben muss, wenn diese Begegnung authentisch sein soll. Ein solches demütiges Zeugnis wahrt den Respekt gegenüber dem Anderen, achtet dessen Freiheit und dient dem Lob Gottes.

Die Verheißung an Israel und das Bekenntnis zu Jesus Christus

Das Zeugnis von Christus gehört unverzichtbar zum Bekenntnis zu Jesus Christus. „Die Tatsache, dass Juden dieses Bekenntnis nicht teilen, stellen wir Gott anheim. Auf dem Weg der Umkehr und Erneuerung haben wir von Paulus gelernt: Gott selbst wird sein Volk Israel die Vollendung seines Heils schauen lassen (vgl. Röm 11,25ff). Das Vertrauen auf Gottes Verheißung an Israel und das Bekenntnis zu Jesus Christus gehören für uns zusammen. Das Geheimnis der Offenbarung Gottes umschließt beides: die Erwartung der Wiederkunft Christi in Herrlichkeit und die Zuversicht, dass Gott sein erstberufenes Volk rettet.“ (Synode der EKD, in: „…der Treue hält ewiglich“, 2016 in Magdeburg).

Eine Erklärung der ChristusBewegung Lebendige Gemeinde, Korntal, 6. März 2017

 

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 7. Juni 2017 um 9:50 und abgelegt unter Israel, Kirche.