Stellungnahme zur Kontroverse Ulrich Parzany – Michael Diener
Freitag 22. Januar 2016 von Dr. Joachim Cochlovius
Die Kontroverse
Der Gnadauer PrĂ€ses und Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz Dr. Michael Diener hat im Dezember 2015 in der Online-Ausgabe der WELT seine Auffassung zu gelebter HomosexualitĂ€t, zur Glaubenspraxis der landeskirchlichen Gemeinschaften, zur Mission und zu seiner eigenen religiösen Sozialisation geĂ€uĂert. Kurze Zeit spĂ€ter konkretisierte er seine Positionen in der wöchentlichen Online-Medienzeitschrift proKompakt.M. Diener findet einerseits in der Bibel keinen Anhaltspunkt fĂŒr kirchliche Segnungen homosexueller Beziehungen und deren Gleichsetzung mit der Ehe, andererseits spricht er von einem persönlichen Lernprozess, der ihn zur Anerkennung gegenteiliger Bibelauslegungen und homosexueller kirchlicher AmtstrĂ€ger gefĂŒhrt habe. Er nennt diese Doppelanerkennung gegensĂ€tzlicher Auffassungen âpluralâ. Bestimmten pietistischen Christen wirft er eine âAbschottungâ gegenĂŒber der Gesellschaft vor. Die pietistische Frömmigkeit, in welcher er selber sozialisiert wurde, sei ânicht fĂŒr alle geeignetâ. Die in Teilen der EKD verbreitete Ersetzung der Mission durch einen interreligiösen Dialog lehnt er ab; die âErfahrung der Erlösung durch Jesus Christusâ soll auch Muslimen und Juden weitergegeben werden. Die Mitwirkung des EKD-Ratsvorsitzenden Bedford-Strohm bei einem MĂŒnchner Islamforum unterstĂŒtzt er.
Zwei Tage spĂ€ter reagierte der Evangelist Ulrich Parzany mit einem Offenen Brief an M. Diener und mit einer Stellungnahme âWo gehen wir hin?â
Dieners Anerkennung gegensĂ€tzlicher Bibelauslegungen in puncto HomosexualitĂ€t nennt Parzany eine Auslieferung der Heiligen Schrift an die âBeliebigkeit subjektiver Sichtenâ. Er zeigt sich davon ĂŒberrascht, wie schnell M. Diener nach seiner Wahl in den EKD-Rat âdie eigenen Leute wegen ihrer angeblichen Abschottungâ kritisiert und die âEKD-Linieâ lobt. Bei den Initiatoren der Initiative âZeit zum Aufstehenâ (2014) nimmt er âmehr Beschwichtigung und Anpassung als Aufstehen, Bekenntnis und Widerstand wahrâ. âUnd das ausgerechnet in einer Zeit, in der die EKD aus Anlass des ReformationsjubilĂ€ums die Grundlagen des evangelischen Glaubens demontiertâ. Parzany nennt zwei Beispiel fĂŒr diese Demontage. Unter Bezugnahme auf den EKD-Grundlagentext âRechtfertigung und Freiheit, 500 Jahre Reformation 2017â (2014) wirft er der EKD vor: âDas Bekenntnis zu Jesus Christus als dem einzigen Retter fĂŒr alle Menschen wird dem interreligiösen Dialog geopfertâ. Eine weitere Demontage der Grundlagen des evangelischen Glaubens sieht er in der Bibelhaltung des Grundlagentextes. Der Rat der EKD hatte dort erklĂ€rt, dass man seit der historisch-kritischen Erforschung der biblischen Texte die Bibel nicht mehr wie zur Zeit der Reformatoren als âWort Gottesâ verstehen könne. SchlieĂlich Ă€uĂert Parzany, dass er mit Spannung darauf wartet, âwelchen Weg die Initiatoren von âZeit zum Aufstehenâ weitergehen wollenâ.
Die Kontroverse spiegelt die innere Zerrissenheit der evangelikalen Bewegung in Deutschland wider. Es ist gut, dass der seit langer Zeit schwelende Konflikt durch die kritischen RĂŒckfragen Ulrich Parzanys wieder einmal an die OberflĂ€che kommt. Die einen â wie M. Diener und die Initiatoren von âZeit zum Aufstehenâ âwollen die landeskirchlichen Evangelikalen mit der EKD und die EKD mit den Evangelikalen aussöhnen. Die anderen â wie U. Parzany â wollen in der Kirche âgegen Irrlehre und GleichgĂŒltigkeit die Wahrheit der Heiligen Schrift bekennen und lebenâ (Offener Brief) und âden Gemeinden, Gemeinschaften und einzelnen Christen klare Orientierung gemÀà der Heiligen Schriftâ geben (âWo gehen wir hin?â).
Helmut Matthies hat weitblickend in idea Spektrum eine KlĂ€rung in der evangelikalen Bewegung angemahnt. Andernfalls, so seine Vermutung, könnte das von Parzany vorgeschlagene âNetzwerk Bibel und Bekenntnisâ eine Konkurrenz zur Evangelischen Allianz werden und den Gnadauer Verband in eine ZerreiĂprobe stĂŒrzen.
Kann es eine Aussöhnung zwischen gegensÀtzlicher Dogmatik und Ethik geben?
Stellt man sich die Frage, wie hoch die Erfolgsaussichten einer Aussöhnung zwischen der evangelikalen Bewegung und der EKD sind, wird man sehr skeptisch, wenn man die gegensĂ€tzlichen Positionen in der Dogmatik und Ethik ernst nimmt. Lassen sich âevangelikale und liberale Weltâ versöhnen? Zweifel sind angebracht.
Die Schriftfrage
Wie soll es z.B. in der Schriftfrage zu einer Aussöhnung kommen? Der Rat der EKD hĂ€lt nach wie vor an der historisch-kritischen Bibelinterpretation fest. Damit werden die menschliche Erfahrung und der menschliche Verstand zum letzten Auslegungskriterium erhoben. Nach Ernst Troeltsch, einem der einflussreichsten Theoretiker der Bibelkritik, kann die historisch-kritische Methode analogieloses Geschehen nicht akzeptieren. Die groĂen analogielosen biblischen Geschichtswunder wie z.B. die Jungfrauengeburt Jesu, sein Leben als menschgewordener Sohn Gottes, sein stellvertretender SĂŒhnetod und seine leibhafte Auferstehung mĂŒssen folglich uminterpretiert werden (wie es ja auch in unzĂ€hligen Predigten und kirchlichen BlĂ€ttern laufend geschieht). Die biblischen Texte können in dieser kritischen Perspektive nicht mehr als âGottes Wortâ verstanden werden. Damit ist das reformatorische sola scriptura, dass also die Heilige Schrift die alleinige AutoritĂ€t fĂŒr Glauben und Leben der Kirche ist, grundsĂ€tzlich aufgegeben.
NatĂŒrlich darf der Einzelne fĂŒr sich persönlich noch an der AutoritĂ€t der Bibel in einzelnen StĂŒcken oder als Ganzes festhalten, aber eine verbindliche Glaubens- und Bekenntnisgrundlage fĂŒr die gesamte Kirche kann die Bibel unter dieser Voraussetzung nicht mehr sein. Das ist die innere Lage in den EKD-Kirchen seit langem. Die Konsequenz fĂŒr die VerkĂŒndiger liegt auf der Hand. Ihnen wird eine gespaltene Bibelhaltung zugemutet. Persönlich dĂŒrfen sie glauben, was sie wollen, aber in ihrem Dienst wird von ihnen erwartet, dass sie die historisch-kritische Auslegungen akzeptieren. M. Diener gibt dafĂŒr ein anschauliches Beispiel, wenn er fĂŒr sich persönlich an der Verbindlichkeit der biblischen Ablehnung homosexueller Praxis festhĂ€lt, aber gleichzeitig auch ein entgegengesetztes BibelverstĂ€ndnis anerkennt.
Wer mit den Reformatoren die Bibel als Wort Gottes ansieht, ist in der derzeitigen EKD ein Randsiedler. Er findet keine Synode, die ihn in seiner Bibelhaltung bestĂ€rkt. Und nach kirchlichen AmtstrĂ€gern oberhalb der Ebene der Pfarrerschaft, die ihn offen unterstĂŒtzen, muss er lange suchen. Deswegen kann man U. Parzany nur zustimmen, wenn er die Ăberwindung der historisch-kritischen Bibelauslegung fordert. Eine Einigung bzw. Aussöhnung zwischen der reformatorischen und historisch-kritischen Bibelhaltung ist prinzipiell nicht möglich. Wer die Bibel als Gottes Wort ernst nimmt, dem bezeugt sich ihre Wahrheit immer wieder neu im Gewissen. Er wird sich deswegen mit ihrer historisch-kritischen Uminterpretation niemals aussöhnen.
Die Ethik
Ăhnlich sieht es im Bereich der Ethik aus. Wer die Bibel als Wort Gottes ernst nimmt, der nimmt auch die ethischen Weisungen der Apostel ernst. Wenn der Epheserbrief im 5. Kapitel die Gemeinde auffordert, als âKinder des Lichtsâ zu leben und die âunfruchtbaren Werke der Finsternisâ abzulegen, und wenn es dort konkret heiĂt, dass Christen sich jeglicher Unzucht enthalten, alle Habgier ĂŒberwinden und alles böse Gerede unterlassen sollen, dann kann man und will man als reformatorischer Christ nicht dahinter zurĂŒck. Man lĂ€sst es sich vom Apostel sagen, dass diese Verhaltensmuster âverdorben und verkehrtâ sind (Phil 2,15) und vom Reich Gottes ausschlieĂen (1 Kor 6,9f). Stattdessen will man als âAlternativerâ (d.h. âanders Geborenerâ) nicht mehr fĂŒr sich selbst, sondern fĂŒr Christus leben (2 Kor 5,15), die Ehe in Ehren halten (Hebr 13,4), sich in die Danksagung einĂŒben (Eph 5,20) und mit Weisheit reden (Kol 3,16). So ĂŒben sich Christen in einen alternativen Lebensstil ein.
Die auf der Basis der historisch-kritischen Auslegungsmethode entwickelte EKD-Ethik sieht anders aus. Da wird die Abtreibung in die VerfĂŒgung der schwangeren Frau gelegt (âRosenheimer ErklĂ€rungâ 1991), da wird dem Berliner Antiabtreibungs-âMarsch fĂŒr das Lebenâ von der derzeitigen PrĂ€ses der EKD-Synode der Zutritt zum Berliner Dom verwehrt, da wird Homosexuellen, âdenen das Charisma sexueller Enthaltsamkeit nicht gegeben istâ, zu einer âethisch verantworteten gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaftâ geraten (EKD Texte 57, 1996), da wird das evangelische Pfarrhaus fĂŒr gleichgeschlechtliche Partnerschaften geöffnet (VELKD-Bischofskonferenz 2004), da wird die Stiftung der Ehe durch Gott bestritten (EKD-Familienschrift 2013).
Es erĂŒbrigt sich fast die Frage, ob eine dem Neuen Testament verpflichtete Ethik und eine solche zeit- und weltangepasste EKD-Ethik miteinander zu versöhnen sind. Sie sind es nicht. Entsprechende gutgemeinte Versuche wurden und werden zwar immer wieder gemacht. Sie können aber nicht ĂŒberzeugen. Wiederum gibt M. Diener ein anschauliches Beispiel. Er sagt im WELT-online-Artikel einerseits, dass er fĂŒr kirchliche Segnungs-und Trauungsgottesdienste bei Homosexuellen âkeinen Anhaltspunkt in der Bibelâ sieht, und andererseits, dass er gelernt habe, Pfarrerinnen und Pfarrer anzuerkennen, âdie ihre HomosexualitĂ€t geistlich fĂŒr sich geklĂ€rt haben und sich von Gott nicht zur Aufgabe dieser PrĂ€gung aufgefordert sehenâ.
Wie bei der Bibelhaltung muss man auch hier von einer gespaltenen Ethik sprechen. Es ist weder logisch noch geistlich ĂŒberzeugend, fĂŒr sich persönlich die apostolische Ethik zu akzeptieren und gleichzeitig in der Ăffentlichkeit ein dieser Ethik entgegengesetztes Leben anzuerkennen. Wer die neutestamentliche Ehe- und Sexualethik und die Warnungen vor Unzucht in jeglicher Form wirklich ernst nimmt, der wird versuchen, Menschen eine BrĂŒcke zu einem neuen Leben im Vertrauen auf Jesus Christus zu bauen, ohne sie in ihrer bisherigen Lebensweise zu bestĂ€rken.
Wie kann es weitergehen?
Reformatorisch gesinnte Christen finden in der derzeitigen EKD keine geistliche Heimat mehr, weder mit ihrer Bibelhaltung noch mit ihrer Ethik. Sie sind Randsiedler geworden, die vielleicht â wenn sie GlĂŒck haben â noch in ihrer Ortsgemeinde, aber kaum noch in ihrer Landeskirche geistlichen RĂŒckhalt bekommen. Viele finden aber auch in ihrer Ortsgemeinde kein geistliches Zuhause mehr und emigrieren innerlich und Ă€uĂerlich.
Manche haben in den landeskirchlichen Gemeinschaften und deren HĂ€usern geistliche Nahrung gesucht und gefunden. Wenn nun die Initiatoren von âZeit zum Aufstehenâ zusammen mit M. Diener eine âAussöhnungâ zwischen evangelikaler Bewegung und EKD versuchen, dann werden diese Christen einen solchen in ihren Augen aussichtslosen Weg schwerlich mitgehen. Sie wĂŒrden, wenn dieser Weg tatsĂ€chlich weiter beschritten wird, ein zweites Mal ihre geistliche Heimat verlieren und wĂ€ren dann in einem doppelten Sinn Randsiedler.
Was können sie tun? In jedem Fall wĂ€re eine stĂ€rkere bundesweite Vernetzung der bibel- und bekenntnisgebundenen Christen wĂŒnschenswert, denn als doppelte Randsiedler brauchen sie in besonderem MaĂ gegenseitige geistliche StĂ€rkung, um standfest zu bleiben, um sich selber aus einer gespaltenen Schrifthaltung und Ethik zu lösen und um andere angefochtene Christen vor einem Abgleiten in die offizielle EKD-Dogmatik und âEthik zu bewahren.
Angesichts der fortgeschrittenen Welt- und Zeitanpassung innerhalb der EKD und der damit verbundenen GlaubensverfĂŒhrung sollten es die reformatorisch gesinnten Christen aber nicht nur bei der gegenseitigen StĂ€rkung und Information belassen. Als Teil der evangelischen Kirche brauchen sie ein kirchliches Organ, das sie in der EKD vertritt, und das kann nur eine von ihnen berufene Synode sein. Diese könnte dann auch denjenigen, die aus GewissensgrĂŒnden die evangelische Kirche verlassen haben, wieder eine geistliche Heimat bieten.
Evangelische Christen in den skandinavischen LĂ€ndern und in den USA, die ebenfalls unter dem Abfall von Bibel und Bekenntnis in ihren Kirchen gelitten haben, sind in den letzten Jahren bereits diesen Weg gegangen. Die Zeit ist auch in Deutschland dafĂŒr reif.
Pastor Dr. Joachim Cochlovius
Quellenangaben:
www.welt.de/politik/deutschland/article149946122 (M. Diener)
www.gemeindenetzwerk.de/?p=13006 (U. Parzany)
Aus: AUFBRUCH – Informationen des Gemeindehilfsbundes, Januar 2016. Der âAufbruchâ kann bei der GeschĂ€ftsstelle des Gemeindehilfsbundes bestellt und zum kostenlosen Bezug abonniert werden (MĂŒhlenstr. 42, 29664 Walsrode, Tel. und Fax: 05161/911330, Email: info@gemeindehilfsbund.de)
Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 22. Januar 2016 um 6:50 und abgelegt unter Gemeinde, Kirche, Theologie.