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Wie Israel für Christus gewonnen wird

Freitag 30. Mai 2014 von Martin Goldsmith


Martin Goldsmith

Die Verheißungen von Römer 9-11.

1. Röm 9–11 im Zusammenhang des Römerbriefes

Das mir gestellte Thema liegt mir sehr am Herzen. Es ist ganz uneuropäisch geprägt, ganz undeutsch und auch ganz unenglisch. Wenn man es hier in Deutschland, in England oder einem anderen europäischen Land bearbeitet, würde man üblicherweise ein „Vielleicht“ oder ein „Hoffentlich“ hinzufügen, zum Beispiel so: „Wie Israel vielleicht oder hoffentlich für Christus gewonnen werden wird“.

Aber Gott sei Dank: Wir finden in dieser Themenstellung kein „Vielleicht“, kein „Hoffentlich“ – es ist eine Gewissheit: „Wie Israel sicher für Christus gewonnen werden wird“. Es sind die Verheißungen Gottes. Und wenn Gott etwas verspricht, dann wird es sicher geschehen. Dann ist es klar. Darüber braucht man dann keine Zweifel mehr zu haben.

Wenn wir dieses Thema bearbeiten, dann beziehen wir uns auf die Verheißungen im Römerbrief Kap. 9 bis 11. Dieser Abschnitt in der Bibel muss immer im Zusammenhang des ganzen Briefes verstanden werden. Aber wenn man die Bibelkommentare liest, hat man den Eindruck, dass das nicht wahrgenommen wird. In den Kommentaren ist es gewöhnlich so, dass man diese Kapitel für unabhängig von den anderen Teilen des Briefes hält. Also hat man in den ersten acht Kapiteln die Theologie, nämlich die Rechtfertigung durch den Glauben. Dann, nach einer Pause, kommt man zur Ethik, nämlich wie man handeln soll, wenn man zum Glauben an Jesus kommt. Aber diese Kapitel 9 bis 11 gehören nicht dazu. So scheint es in den meisten Kommentaren zu sein.

Wenn man jedoch diesen Abschnitt etwas sorgfältiger betrachtet, dann bemerkt man sofort, dass Kap. 9 direkt nach Kap. 8 kommt; und Kap.9 fängt mit dem Wort an: „Ich sage die Wahrheit in Christus und lüge nicht, wie mir mein Gewissen bezeugt im Heiligen Geist, dass ich große Traurigkeit und unablässigen Schmerz in meinem Herzen habe. Ich wünschte nämlich selber von Christus verbannt zu sein.“ (Röm 9,1)

Und am Ende des 8. Kap lesen wir es fast ähnlich: „Nichts kann uns von Christus trennen!“

Das 9. Kapitel folgt direkt auf das 8. – es ist nicht unabhängig davon. Es hängt genau und direkt vom 8. Kapitel ab.

Und so ist es auch mit dem 11. Kapitel. In den Versen 30 bis 32 spricht Paulus von der Barmherzigkeit des Herrn für die Juden und auch für die Nicht-Juden. Da heißt es:

„Denn gleichwie auch wie auch ihr einst Gott nicht gehorcht habt, nun aber begnadigt worden seid infolge ihres Ungehorsams, so haben auch sie jetzt nicht gehorcht infolge eurer Begnadigung, damit auch sie begnadigt würden. Denn Gott hat alle“ – ohne Ausnahme! – „miteinander in den Unglauben verschlossen, damit er sich aller erbarme“. (Röm 11, 30-32)

Das ist das Ziel: Die Barmherzigkeit und Gnade Gottes, dass er sich über alle erbarmt.

Anschließend fährt er in Kap. 12, 1-2 fort: „Ich ermahne euch nun, ihr Brüder, kraft der Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber darbringt als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer.“

Der ganze Schwerpunkt liegt also auf der Barmherzigkeit Gottes. Das ist in Kap. 11, besonders in Vers 32 so, aber darüber hinaus auch in Kap. 12.

Die Barmherzigkeit Gottes gilt für alle Völker – nicht nur für Israel, nicht nur für die Juden, sondern für alle Völker, für alle Nationen! Und das Umgekehrte gilt dann auch: Die Barmherzigkeit Gottes gilt nicht nur für die Nicht-Juden, nicht nur für die sogenannten Heiden.

Dieses Wort habe ich nicht gern. Die meisten von Ihnen sind Heiden, aber hoffentlich nicht heidnisch geprägt. Das Wort passt nicht und stimmt nicht. Allerdings ist es die gewöhnliche Übersetzung in der Luther-Bibel und in manchen anderen Büchern und Übersetzungen. Aber das Wort stimmt nicht. Meine Frau ist auch Heidin, aber auch nicht heidnisch geprägt. „Die Nationen, die Völker“ in modernen Übersetzungen ist besser.

Es geht also immer um die Barmherzigkeit Gottes.

Deswegen sagt Paulus: „Ich ermahne euch, eure Körper, eure Leiber, als Opfer zu geben“, in diesem Kontext, dass Gott sich über alle Völker erbarmt, ohne Ausnahme: In Asien, in Afrika, in Europa, unter Juden, unter Nicht-Juden. Für alle Menschen gilt die Gnade und die Barmherzigkeit des HERRN. Deswegen sollen wir uns für ihn opfern. Das gilt vor allem auch im Kontext der internationalen Mission.

Die Kapitel 9 bis 11 stehen also im Zusammenhang mit dem ganzen Römerbrief. Darum werden wir den ganzen Brief ansehen, wenn wir diese Kapitel gut verstehen wollen.

2. Der Aufriss des Römerbriefes

In den ersten drei Kapiteln sagt Paulus, dass Juden und Nicht-Juden gleichermaßen unter der Sünde stehen.

Er fängt damit an, dass die Nicht-Juden, die Nationen, unter der Sünde stehen. Für uns als Juden ist das schon klar – das wissen wir schon. Wir haben immer geglaubt, dass Sie als Nicht-Juden sündig sind.

In Kap. 2 fährt er aber fort: Alle Leute, wer sie auch sind, stehen gleichermaßen unter der Sünde. Hier sagt er etwas, dass ganz erschreckend ist, ein Geheimnis, das wir normalerweise nicht zugeben: Nämlich, dass wir als Juden auch sündig sind. Das zu sagen ist inakzeptabel, unannehmbar. Wir sind natürlich das Volk Gottes – wir sind doch nicht sündig!

Aber Paulus sagt, dass wir gleichermaßen, Juden sowie Nicht-Juden, unter der Sünde stehen. Juden und Nicht-Juden werden auch gleichermaßen erlöst durch die Gnade. Aber zuerst soll man immer das Problem ansehen – das Problem der Sünde ist international. Es ist afrikanisch, asiatisch, europäisch, jüdisch, nicht-jüdisch. Es ist für alle gültig, dass wir unter der Sünde stehen.

Das sagt Paulus in seiner Zusammenfassung in Kap. 3, 9: „Wie nun? Haben wir etwas voraus? Ganz und gar nicht. Denn wir haben ja vorhin sowohl Juden als auch Griechen“ – also Nicht-Juden – „beschuldigt, dass sie alle unter der Sünde sind, wie geschrieben steht.“

Und dann bietet er eine ganze Kette von alttestamentlichen Versen auf, um zu beweisen, dass alle unter der Sünde stehen. Ein guter Arzt fängt damit an, das Problem, die Krankheit zu sehen. Und wenn man weiß, was die Krankheit ist, dann erst kommt man zur Antwort, also zur Heilung. Und so ist es bei Paulus. Das Problem, die Krankheit, ist die Sünde aller Völker. Und das gilt eben auch für uns als Juden.

Gibt es nun eine Antwort? Gibt es ein Medikament? Ja. Paulus zeigt nämlich in Kap. 3, dass Jesus die Antwort ist. Sein Kreuz, Seine Auferstehung, die Gnade, die Güte und die Barmherzigkeit Gottes.

Aber selbst wenn man das gelesen und angenommen hat, bleibt ein Problem: Ist der jüdische Messias, Sein Kreuz und Seine Auferstehung auch für die Nicht-Juden gültig oder nur für uns als Juden?

In Kap. 3 zeigt Paulus, dass diese Antwort, dieses Medikament, für alle Leute gültig ist. Er sagt in Kap. 3, 27: „Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Das der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens.“

Also eben nicht durch das Gesetz. Als Juden rühmen wir uns. Wir sind darauf stolz und hochmütig. Wir haben das Gesetz. Wir haben die Thora. Wir haben den Bund mit Gott. Man darf sagen, wir haben den jüdischen, den israelitischen Bund. Er ist für uns gemeint, nicht für die anderen Völker, nur für uns als Juden. Wir haben den Bund durch Mose. Wir haben das Gesetz. Wir haben das Wort Gottes. Durch dieses Wort wird Gott uns annehmen und eine echte und enge Beziehung mit uns haben. Wir sind das Volk Gottes wegen des Gesetzes.

Deswegen fragt Paulus in 3, 27: „Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Ist es durch die Thora ausgeschlossen? Nein. So kommen wir zu dem Schluss, dass der Mensch durch den Glauben gerechtfertigt werde ohne Gesetzeswerke.“

Kap. 3, 28 ist der Lieblingsvers von Martin Luther, nämlich dass wir durch den Glauben gerettet, gerechtfertigt werden und nicht durch die Werke des Gesetzes, der Thora, des göttlichen Wortes. Sie können sich vorstellen, was Luther in seinem Kommentar zum Römerbrief gesagt hat: „Durch den Glauben an Jesus und nur durch den Glauben!“ Also: „Sola fide – allein durch den Glauben!“ Das ist das Wort Martin Luthers.

Er schreibt, dass die Rechtfertigung nicht aus den Werken kommt, sondern allein durch den Glauben an Jesus und das, was Jesus für uns getan hat. Das ist ganz und gar evangelisch.

Er spricht auch über moralische, ethische und religiöse Werke. Aber kein Werk ist für Gott genug. Wir sind nicht durch die Werke gerechtfertigt, sondern nur durch den Glauben. Aber das bereitet uns ein Problem. Nach Vers 28 – Sie werden erstaunt sein – kommt Vers 29.

3. Das besondere Problem von Röm 3, 29

Martin Luther hatte furchtbare Probleme mit diesem Vers. Warum steht dieser Vers direkt nach Vers 28? Wie hängt Vers 29 mit Vers 28 zusammen? Gibt es einen Zusammenhang? Warum kommt Vers 29?

Ich lese es nochmal, V. 28 zuerst: „So kommen wir zu dem Schluss, dass der Mensch durch den Glauben gerechtfertigt werde, ohne Gesetzeswerke.“

Und dann V. 29: „Oder ist Gott nur der Juden Gott und nicht auch der Heiden Gott? Ja, freilich, auch der Heiden, denn es ist ja ein und derselbe Gott, welcher die Beschnittenen aus Glauben und die Unbeschnittenen durch den Glauben rechtfertigt.“

Das gilt für alle gleich. Aber warum fragt Paulus, ob die Rechtfertigung für den Nicht-Juden gültig ist? Sie geschieht durch den Glauben, und zwar durch den Glauben an Jesus. Alle Leute können glauben, nicht nur die Juden. Man hat mir erzählt, dass auch die Deutschen glauben können. Ich weiß, dass es selten vorkommt, aber doch ist es eine Möglichkeit. Der Glaube gilt nicht nur für die Juden, sondern für alle Völker gleichermaßen. Wenn die Rechtfertigung durch den Glauben kommt und nicht durch das jüdische Gesetz, durch den mosaischen Bund, dann ist sie tatsächlich für alle Leute gültig, nicht nur für die Juden.

Für uns als Juden ist das erschreckend, dass unsere Beziehung zu Gott und die Beziehung Gottes zu uns nicht nur für uns gilt, sondern auch für alle Menschen. Es scheint also nichts Besonderes zu sein, dass wir Juden sind. Denn die Rettung, die Versöhnung, kommt zu allen Menschen auf dieselbe Weise. Also was nützt es, jüdisch zu sein? Meint das schon oder noch etwas, dass wir Juden sind?

Das ist so erschreckend, dass Paulus es mit dem Beispiel von unserem Vater Abraham, dem Musterbild, entfaltet. Und wenn es für Abraham wahr ist, dann ist es wirklich gültig, es ist koscher.

Kap. 4 zeigt, dass die Rechtfertigung schon in sehr früher Zeit zu Abraham gekommen ist und ihm geschenkt wurde. Nur: Gab es damals noch keine guten Werke? Im Gegenteil: Es gab viele gute Werke, lange Jahre vor Abraham! Adam und Eva hatten gute Werke – zumindest eine Zeit lang. Noah hatte gute Werke. Es gab viele gute Werke, bevor Abraham kam. Aber die Rechtfertigung ist zu Abraham gekommen, lange bevor er beschnitten wurde, lange bevor das Gesetz Israel gegeben wurde.

Also gilt die Rechtfertigung vor dem Gesetz, nicht vor den Werken! Luther und wir als Evangelikalehaben manchmal das falsche Wort so sehr hervorgehoben: Die Werke! Nein, der Glaube. Aber es sind nicht die Werke, die betont werden. Es ist das Gesetz, das betont wird – durch die Werke des Gesetzes.

In Kap. 5 – 8 beschreibt Paulus die Konsequenzen und die Vorteile des im Glauben gerechtfertigten Menschen. Hier spricht Paulus viel mehr über die Rechtfertigung und über das christliche Leben in einer engen Beziehung mit dem HERRN.

Aber es bleibt immer noch das Problem, es bleiben noch dieselben Fragen für Paulus: Wenn die Juden und die Nicht-Juden zusammen auf gleiche Weise gesündigt haben, werden sie dasselbe Problem haben. Und wenn sie alle dieselbe Antwort empfangen, dieselbe Heilung, dieselbe Rettung, dieselbe Rechtfertigung erfahren: Was nützt es dann eigentlich, jüdisch zu sein? Bleiben die Verheißungen Gottes für Israel noch gültig?

4. Hebt die Sünde Israels Erwählung auf?

Und deswegen kommen wir zu den Kapiteln 9 – 11. Sie folgen natürlich nach diesen ersten 8 Kapiteln. Ist der alte Bund noch gültig? Oder hat die Sünde Israels den Bund aus dem Fenster geworfen? Oder hat Gott seine Verheißungen nicht gehalten? Oder hat er sie sogar schon gebrochen wegen der Sünde Israels? Was nützt es eigentlich, noch in Israel zu sein? Hat Gott besondere Pläne für uns? Hat er sie noch? Das fragen wir jetzt, in unserem Zeitalter. Sind die Verheißungen Gottes im Alten Testament noch gültig für Israel? Ist unser Thema richtig oder nicht? Haben wir noch dieselben Verheißungen Gottes oder sind sie schon verloren gegangen? Sie wissen, dass es in unseren Kirchen über diese Fragen immer wieder einen heftigen Streit gibt. Sind die Verheißungen ungültig oder nicht?

Deswegen freue ich mich über das Thema, die Verheißungen im Römerbrief Kap. 9 – 11: „Wie Israel für Christus gewonnen werden wird“ – ohne „vielleicht“, ohne „hoffentlich“.

Auch für Paulus ist das problematisch. Man muss sich immer daran erinnern, dass diese Kapitel auf seinem leidvollen Sehnen nach der Rettung seines eigenen Volkes basieren. Er verlangt danach, er sehnt sich danach, dass sein Volk, dass Israel zu Jesus und deswegen zu dem Vater kommen wird. Dass sie alle geheilt werden können. Allerdings ist das nicht nur eine theologische Frage! Es ist für ihn eine Herzensfrage, eine ganz emotionale Frage. Es ist ja sein Volk, das er liebt.

Aber es ist eine Tatsache, dass die meisten Juden nicht an Jesus glauben und ihn als Messias nicht annehmen wollen. Und das ist ja bis heute so. Also ist das für uns alle ein Ruf zur Evangelisation, zur Verkündigung, dass wir mit Paulus dasselbe Herzensgefühl haben und uns auch danach sehnen, dass das jüdische Volk zu Jesus kommen wird.

Aber es ist nicht so einfach. In Kap. 9 fragt sich Paulus, ob Israels göttliche Erwählung zu seiner Rettung führen kann. Er spricht ziemlich viel über die Erwählung: Dass wir das erwählte Volk sind, denn Gott hat uns erwählt. Wir sind sein Lieblingsvolk. Er hat uns lieb. Und das ist schön. Wir freuen uns darüber.

Aber es hilft nicht, sagt Paulus, weil die meisten Juden noch ungläubig bleiben; und wenn sie nicht glauben, dann nützt es nichts, dass wir das erwählte Volk sind. Das ist zwar schön, und Sie als Nicht-Juden können sich darüber freuen. Aber für uns als Juden heißt das, dass die meisten von unserem Volk verloren gehen wegen ihres Unglaubens – auch wenn sie erwählt sind! Dann nützt auch die Erwählung nichts.

Das hilft dem Paulus nicht. Das ist keine Antwort auf seine Frage. In Kap. 9, 27 erwähnt er den Ãœberrest Israels, der gerettet werden wird. Theologisch gesprochen ist das eine gute Antwort, dass es einen Ãœberrest gibt – der eine hier, der andere dort.

Aber das ist die Situation unseres Volkes: Der eine hier, der andere dort. Aber das genügt nicht. Wir sehnen uns mit Paulus danach, dass die Menge unseres Volkes zu Jesus kommen wird, nicht nur der eine hier und der andere da. Das genügt uns eben nicht. Deswegen wiederholt Paulus in Kap. 10 das mit anderen Worten, was er vorher in Kap. 9 schon gesagt hat:

„Brüder, meines Herzens Wunsch und mein Flehen vor Gott für Israel ist auf ihr Heil gerichtet. Denn ich gebe ihnen das Zeugnis, dass sie eifern um Gott, aber mit Unverstand. Denn weil sie die Gerechtigkeit Gottes nicht erkennen und ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten trachten, sind sie der Gerechtigkeit Gottes nicht untertan.“ (10, 1)

Es liegt eine Traurigkeit in diesen Worten. Das treibt einem die Tränen in die Augen, dass die meisten von unserem Volk verloren gehen. Es ist so einfach und so schön, vom Überrest zu reden. Aber das genügt dem Paulus gar nicht. Und es genügt mir und meinem Volk auch nicht.

In Kap. 10 schreibt Paulus, dass diese Rettung durch den Glauben an Jesus kommt, nicht durch das Gesetz. Das hatte er schon erwähnt, aber er wiederholt es. Wir müssen die Botschaft hören, glauben und den HERRN anrufen. Das ist wahr, und als Evangelikale glauben wir das. Für uns als bibeltreue Christen ist das selbstverständlich, dass wir an Jesus glauben sollen. Auf diese Weise können wir die Rettung erfahren. Wir müssen die Botschaft hören, glauben und den HERRN anrufen.

Aber das genügt auch nicht. Das ist eine gute Theologie, eine klare Theologie. Aber es genügt gar nicht, weil die meisten von unserem Volk eben nicht glauben. Und so ist es bis heute. Man kann sagen, wenn sie glauben würden, dann würden sie geheilt, gerettet werden. Aber sie glauben eben nicht! Wir als gläubige messianische Christen sind eine sehr kleine Minderheit in unserem Volk. Sie verstehen das als Deutsche natürlich: Sie sind auch eine Minderheit in Ihrem Volk, und zwar auch eine kleine Minderheit. Also ist es beruhigend zu sagen, dass man eine neue Beziehung zum HERRN haben wird, sogar eine ewige Beziehung, wenn man glaubt. Aber was nützt es, das zu sagen, wenn alle unsere Familien, alle unsere Bekannten verloren gehen werden, weil sie nicht glauben? Das ist zwar eine gute Theologie, aber nutzlos.

Das sagt Paulus auch: Israel hat die Botschaft gehört – und doch nicht geglaubt oder den HERRN angerufen. Nicht-Juden aber glauben. Es ist alles umgekehrt. Es ist alles durcheinander gegangen. Die guten Juden gehen verloren, und die Nicht-Juden, die keinen Bund haben, die außerhalb des Bundes Gottes stehen, haben geglaubt und werden gerettet! „Was sollen wir dazu sagen?“, fragt Paulus (9, 14).

Schon in 10, 4 stellt er fest, dass jedem die Gerechtigkeit Gottes gegeben wird, der glaubt. Somit sieht er voraus, dass Gottes Gnade sowohl für Heiden als auch für Juden gilt, wenn sie nur glauben.

5. Die bleibende Gültigkeit des Alten Bundes

Aber doch haben wir noch keine Antwort. Ist der Alte Bund noch gültig? Hat Gott noch Pläne für uns als Juden? Wie ist es mit Seinen Verheißungen? Sind Seine Verheißungen von unserem Glauben abhängig? Oder bleiben sie gültig, auch wenn wir sündig sind und sie nicht ernst und gut annehmen?

Das ist die entscheidende und zugleich eine sehr treffende Frage auch für uns in unserer modernen Zeit hier in Europa. Denn die meisten Europäer sind auch verloren ohne den Glauben. Wie ist es denn mit den Verheißungen Gottes? Wenn die Sünde die Verheißungen Gottes ungültig macht, dann haben wir furchtbare Probleme. Denn die Geschichte der Gemeinde Jesu ist auch nicht gut. Ich habe das Dritte Reich erwähnt. Die meisten Christen haben gesündigt. Es hat zwar die Bewegung der Bekennenden Kirche gegeben, aber die meisten Christen gehörten nicht dazu. Und auch viele Ihrer Eltern haben furchtbare Dinge getan.

Heißt das, dass Gott keine Verheißungen mehr für Deutschland hat? Ich glaube es nicht. Aber wenn man sagt, dass die Sünde Israels die Verheißungen Gottes gebrochen hat, dann hat man Probleme in Deutschland oder in England, weil unsere Geschichte auch ganz sündig gewesen ist – in allen unseren Völkern und Ländern.

Aber Paulus sagt: Die Verheißungen Gottes bleiben ewiglich. Das sagen wir oft, fast jeden Tag. Die Verheißungen Gottes bleiben ewiglich. Das ist fast ganz gewöhnlich. Aber das sind wichtige Worte. Aber wenn das bekannt wird, soll das ganz ernst gesagt werden. Da ist kein „Hoffentlich“, kein „Vielleicht“ nötig. Sie bleiben.

Aber: Wir sind immer noch nicht zur Antwort gekommen. Endlich in Kap. 11 bietet Paulus eine Antwort an, und zwar eine ausreichende Antwort.

Er spricht hier von dem Ölbaum. Das ist merkwürdig, wie die ungläubigen Zweige weggeworfen und neue Zweige hinzugefügt werden, bis der Ölbaum international wird, für alle Völker, auch für Israel. Wir bemerken zwar, dass viele Zweige verloren gehen. Aber der Baum als solcher bleibt und lebt noch. Die neuen Zweige sind zu dem alten Baum hinzugetan, nicht zu einem neuen Baum gemacht worden!

Manche Leute sagen, dass Pfingsten der Geburtstag der Gemeinde ist. Das ist falsch. Wann hat die Gemeinde Jesu ihren Anfang genommen? Mit der Schöpfung? Oder mit dem Ruf Gottes an Abraham, also etwas vor dem ersten Pfingstfest. Denn der alte Baum lebt noch. Und Sie als Nicht-Juden sind zu dem israelitischen Baum hinzugetan worden. Denn wir alle kommen zu Gott durch Jesus. Das ist wunderbar!

Paulus findet also eine befriedigende Antwort auf seine Frage: Hat Gott Sein Volk verworfen? Nein! Der Baum bleibt und lebt noch! Alles, was Gott für Israel beabsichtigt, geschieht durch die Rettung der Heiden. Wegen der Rettung der Heiden wird die Rettung auch zu Israel kommen.

Den Höhepunkt seiner Einsicht über die Hoffnung Israels erreicht Paulus in Kap. 11, 25-26: Gottes Verheißungen für Israel sind immer noch gültig. Gott hat immer noch eine Bestimmung für Israel. Sein Bund mit Israel lebt weiter.

Wir wollen diese so wichtigen Verse etwas näher ansehen. In Kap. 11, 25-26 heißt es: „Denn ich will nicht, meine Brüder, dass euch dieses Geheimnis unbekannt bleibe, damit ihr euch nicht selbst klug dünkt, dass Israel zum Teil“ – nicht ganz und gar! – „Verstockung widerfahren ist, bis dass die Vollzahl der Heiden eingegangen sein wird. Dann wird ganz Israel errettet werden. Wie geschrieben steht: Aus Zion wird der Erlöser kommen und die Gottlosigkeit von Jakob abwenden. Und das ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihnen ihre Sünden wegnehmen werde.“

6. Die Vollzahl Israels und der Heiden

Calvin hat vermutet, dass das Wort „Israel“ in dieser Bibelstelle die nicht-jüdische Gemeinde Jesu meint. Aber im Kontext ist es klar, dass Calvin in dieser Hinsicht ganz falsch lag. Israel heißt Israel. Es meint die Juden. Vom Kontext kann man das nicht anders verstehen.

Es gibt hier eine typische hebräische Parallele – eine Parallele zwischen der Vollzahl der Heiden und ganz Israel. „Weder der eine“ noch „der andere“ meinen, dass jeder einzelne gerettet werden wird. Aber es meint eine Massenbewegung, also Viele. Eine „Vollzahl“ kann nicht eine kleine Minderheit meinen. Es muss größer sein. Es muss eine Masse, eine Menge gemeint sein.

Und ich freue mich darauf, dass wir am Ende der Zeit, am Ende der Geschichte, die Vollzahl der Nicht-Juden in Christus sehen werden – die Vollzahl, nicht nur eine Minderheit! Die Vollzahl der Deutschen, der Engländer, der Afrikaner, der Asiaten, aller Völker. Ich freue mich darauf! Auch in meinem kleinen Dorf, in Stanstead Abbots, wird es die Mehrzahl der Menschen sein, die zu Christus kommen. Es ist fast unmöglich, das zu glauben. Aber doch steht die Verheißung Gottes da: Die Vollzahl der Menschen, auch in meinem Dorf, auch in Saudi-Arabien, auch in Argentinien, überall.

Das ist ein Wunder! Das erfüllt uns mit Freude und Fröhlichkeit, dass die Vollzahl der Menschen zu Christus kommen und geheilt werden wird. Das ist wunderbar! Das ist die Zukunft für uns.

Und die Parallele dazu ist: Ganz Israel – nicht alle, nicht jeder Einzelne. Auch hier gilt die Vollzahl. Das heißt nicht: Alle, jeder Jude. In der Offenbarung steht etwas von 144.000 Juden. Dazu brauchen wir etwas Mathematik. 144 heißt 12 x 12. Die Zahl Zwölf bezieht sich einmal auf das Alte Testament, die andere Zwölf bezieht sich auf das Neue Testament. Also in der ganzen Geschichte vor Christus und nach Christus gibt es eine Menge. Für uns Juden heißt „1000“ eine ganze Menge, viele – aber nicht alle. Die Zahl ist begrenzt, aber es werden eben doch viele sein, also 144.000. Eine Menge von Juden jeder Art: Sephardische, askenasische – ich bin askenasischer Jude -, schwarze Juden aus Äthiopien, weiße Juden aus Europa und Amerika, asiatische Juden aus China und Indien. Allerlei Juden: Orthodoxe, liberale, reformierte, atheistische – allerlei werden zu Christus kommen, viele von ihnen. Das wird eine Massenbewegung sein.

Wir haben Massenbewegungen unter Muslimen in Indonesien und China erfahren, Massenbewegungen jetzt auch im Iran. In manchen Ländern sehen wir das. Aber wir sehen es noch nicht unter den Juden. Es gibt eine kleine Bewegung unter russischen Juden. Viele von ihnen kommen zu Jesus.

Und das ist hier in Deutschland von Interesse. Denn eine Viertelmillion russischer Juden sind nach Deutschland gekommen und leben jetzt in Deutschland. Die meisten von ihnen sprechen russisch. Also kann es für deutsche Christen sinnvoll und hilfreich sein, russisch zu lernen. Und diejenigen Christen, die aus der DDR gekommen sind, haben vielleicht in ihrer Jugend etwas russisch gelernt. Das ist wunderbar und eine Gabe Gottes für uns und für die Mission unter den russischen Juden hier in Deutschland.

Am Ende steht im Römerbrief der Lobpreis Gottes. Er wird gelobt und gepriesen. Das ist immer unser Ziel, auch das des Paulus. Es geht nicht allein die Rettung der Menschen, sondern der gute Name des HERRN soll verherrlicht werden. Wenn Er Seine Verheißungen nicht hält, dann geht Sein Name verloren. Denn dann wäre Er nicht mehr treu und vertrauenswürdig. Aber Gott sei Dank: Er ist der Treue. Er ist würdig. Wir können uns auf Ihn verlassen. Gott sei Dank. Ihm sei die Ehre.

Das ist das Ziel des Römerbriefes und besonders von Kapitel 9 – 11: die Verheißungen Gottes für Israel. Und Gott wird sie halten. Die Menschen werden sicher zu Christus kommen. Das gilt für die Menge der Nicht-Juden, aber auch für die Juden. Und darüber freuen wir uns.

Martin Goldsmith, Stanstead Abbots, Großbritannien

Dieser Vortrag wurde auf den Kongressen des Gemeindehilfsbundes „Gottes Weg mit Israel“ in Bad Gandersheim (4.4.-6.4.2014) und in Bad Teinach-Zavelstein (11.4.-13.4.2014) gehalten. Die gleichnamige Dokumentation mit allen Beiträgen der Kongresse kann in der Geschäftsstelle des Gemeindehilfsbundes für 5,00 € zzgl. Versand vorbestellt werden.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 30. Mai 2014 um 23:21 und abgelegt unter Christentum weltweit, Theologie.