Gemeindenetzwerk

Ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes

Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag Artikel empfehlen Artikel empfehlen

Geschlecht und Berufswahl: Grenzen des Gender Mainstreaming

Dienstag 27. Mai 2014 von Institut fĂĽr Demographie, Allgemeinwohl und Familie e. V.


Institut fĂĽr Demographie, Allgemeinwohl und Familie e. V.

Sind „gesellschaftlich vorherrschende Rollenmodelle“ dafür verantwortlich, dass Maurer  fast immer männlichen Geschlechts sind? Solche Ansichten müssen Arbeitsmarktforscher heutzutage vertreten, denn auf „natürliche“ Unterschiede zwischen Männern und Frauen dürfen sie nicht rekurrieren (1). Das verbietet die Weltanschauung des „Gender Mainstreaming“, die die Geschlechter als „künstliches Konstrukt“ verstehen will. Sie sieht alle geschlechtsspezifischen Differenzen als Ausdruck einer „Geschlechterhierarchie“, die Frauen notorisch diskriminiere (2). Als ihr Maßstab gilt vor allem das Geld – „Gender Pay Gap“ lautet das Schlagwort. Es misst den Gehaltsabstand zwischen Männern und Frauen. Es wird oft Skandal rufend fehlinterpretiert, so als ob Frauen für die gleiche Arbeit weniger Lohn bekämen als Männer. Eine solche Lohndiskriminierung wäre rechts- und tarifvertragswidrig. Es mag sie zwar in Einzelfällen geben, sie erklärt aber nicht das „Gender Pay Gap“. Dessen Ursachen sind erwiesenermaßen andere: Erwerbsunterbrechungen für Kindererziehung und Pflege, Teilzeitarbeit, weniger Führungspositionen und andere, zum Teil schlechter bezahlte Berufe als bei den Männern (3). Einschlägige Beispiele dafür sind Arzthelferin, Kindergärtnerin oder Altenpflegerin.

Danach befragt, warum sie diese Berufe wählen wollen, antworten junge Frauen oft, dass sie „mit Menschen“ zu tun haben wollen. Spiegelbildlich dazu sind Frauen in Technikberufen unterrepräsentiert: Elektroinstallateure und Maschinenschlosser etwa sind zu mehr als 90% männlichen Geschlechts (4). Generell arbeiten Frauen eher im Dienstleistungs- und Verwaltungssektor, Männer eher in Produktionsberufen. Das hat sich nicht verändert: Der Frauenanteil in Produktionsberufen ist seit den 1970er Jahren sogar gesunken, während er in den Verwaltungs- und Dienstleistungsberufen zugenommen hat. Hier stellen Frauen inzwischen die Mehrheit (ca. 60%) der Beschäftigten, während ihr Anteil in der „Produktion“ unter einem Fünftel liegt (5). Benachteiligt durch diese „Geschlechtersegregation“ sind nicht die Frauen, sondern eher die Männer. Denn die männerdominierten Produktionsberufe haben mit dem industriellen Strukturwandel an Bedeutung verloren (6). Männer sind die Verlierer des Strukturwandels, wie die Erwerbstätigenzahlen belegen: Seit Beginn der 1990er Jahre ist die Zahl ihrer Vollzeitstellen um etwa zwei Millionen zurückgegangen. Die Zahl der Frauenvollzeitarbeitsplätze ist dagegen etwa gleich geblieben. Außerdem ist die Zahl der Teilzeitarbeitsplätze stark gewachsen, sie hat sich fast verdreifacht (7). Das ist ein, gern übersehener, Schlüsselfaktor für das „deutsche Beschäftigungswunder“. Die bezahlte Arbeitszeit, das sog. Erwerbsvolumen, liegt heute mehr als zwei Milliarden Stunden niedriger als zu Beginn der 1990er Jahre (8). Dass die Beschäftigtenzahlen heute neue Rekorde erreichen, ist nur durch die Teilzeitarbeit möglich.

Von der Expansion der Teilzeitarbeit profitieren Frauen, die Familie und Beruf vereinbaren wollen. Dennoch denunzieren Gleichstellungsadvokat(innen) die Teilzeitarbeit als „Falle“ für Frauen. Sie können es nicht akzeptieren, dass sich viele Frauen für Kindererziehung, Teilzeitarbeit, Fürsorgeberufe und damit für vermeintlich „antiquierte“ weibliche Lebensentwürfe entscheiden (9). Zu ihrem Leidwesen halten sich die vermeintlichen „Stereotypen“ aber hartnäckig, auch bei den Hochqualifizierten: Während in der Elektrotechnik fast nur Männer arbeiten, entwickelt sich die Medizin zu einer Frauendomäne. Dass die Gleichberechtigung nicht zu Gleichförmigkeit, sondern zu neuer Differenzierung führt, können die Anhänger des „Gender Mainstreaming“ nicht tolerieren. Aus ihrer Sicht werden junge Menschen, besonders Mädchen, durch „einengende Rollenbilder“ verführt, von denen sie durch Aufklärung über ihre „wahren“ Interessen emanzipiert werden müssen (10). Der Staat soll die Menschen erziehen, „habit formation“ nennen das Regierungsberater (11). Hier zeigt sich ein Paternalismus, der den Menschenverstand und freien Willen der Normalbürger missachtet. Ob sich die Bürger diese Bevormundung dauerhaft gefallen lassen, ist eine offene Frage, auch und besonders im Blick auf die Entwicklung der Europäischen Union.

(1)  Seriöse Forscher geben dabei zu, dass „die unterschiedlichen Berufswahlpräferenzen von Frauen und Männern die wichtigste Erklärung“ für die weltweit zu beobachtende Geschlechtersegregation auf dem Arbeitsmarkt sind. „Natürlich“ dürfen diese Unterschiede aber nicht bedingt sein, sondern müssen als „durch die gesellschaftlich vorherrschenden Rollenmodelle“ produziert gelten. Vgl.: Ann-Christin Hausmann und Corinna Kleinert: Berufliche Segregation auf dem Arbeitsmarkt: Männer und Frauendomänen kaum verändert. IAB— Kurzbericht 9/2014, S. 1.

(2)  Eingehender zur Konzeption und Politik des „Gender Mainstreaming“: Nachricht der Wochen 7-8/2011-02-20, http://altewebsite.i-daf.org/369-0-Wochen-7-8-2011.html.

(3) Eingehender Zum „Gender Pay Gap“: Ebenda, sowie: Nachricht der Woche 10-12/2013, 25.03.2013, http://www.i-daf.org/aktuelles/aktuelles-einzelansicht/archiv/2013/03/25/artikel/gender-pay-gap-musterbeispiel-der-manipulation.html.

 (4) Vgl.: Ann-Christin Hausmann und Corinna Kleinert: Berufliche Segregation auf dem Arbeitsmarkt, a. a. O., S. 3 (Frauenanteile in den 30 Berufen mit den meisten BeschäftigtenAbbildung 1).

(5) Vgl. ebd., S. 6 (Abbildung 4).

(6) Vgl. ebd., S. 6.

(7) Vgl.: Strukturwandel des Arbeitsmarktes (Abbildung). Siehe hierzu auch: Nachricht der Woche, 2014/1, 05.01.2014, http://www.i-daf.org/aktuelles/aktuelles-einzelansicht/archiv/2014/01/05/artikel/weniger-arbeit-mehr-stellen-das-deutsche-jobwunder-die-zuwanderung-und-die-wirtschaftslobby.html. Damit hat die relative Bedeutung der der Teilzeitarbeit für die Frauenbeschäftigung stark zugenommen. Siehe hierzu: Strukturwandel der Frauenerwerbstätigkeit von Vollzeit- zu Teilzeitarbeitsverhältnissen (Abbildung).

(8) Vgl.: Rückgang des Arbeitsvolumens als säkularer Trend (Abbildung), in: : Nachricht der Woche, 2014/1, 05.01.2014, http://www.i-daf.org/aktuelles/aktuelles-einzelansicht/archiv/2014/01/05/artikel/weniger-arbeit-mehr-stellen-das-deutsche-jobwunder-die-zuwanderung-und-die-wirtschaftslobby.html.

(9) Eingehender zur Teilzeitarbeit von Frauen und ihren Erwerbspräferenzen: Nachricht der Woche, 2014/2, 19.01.2014,  http://www.i-daf.org/aktuelles/aktuelles-einzelansicht/archiv/2014/01/19/artikel/arbeitszeit-was-muetter-und-vaeter-wirklich-wollen.html.

(10) Diesem Ziel dienen eine Vielzahl von Programmen und Initiativen wie der „Girls’ Day“ und der „Boys’ Day“, die es Mädchen und Jungen ermöglichen sollen, „ihre eigenen Interessen, Stärken, Fähigkeiten und Talente jenseits einengender traditioneller Rollenbilder zu entdecken“. Geschlechtsspezifische Berufswahl von jungen Frauen und ihre Situation im Ausbildungssystem – Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Abgeordneten […] und der Fraktion „DIE LINKE“, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – Drucksache 17/9477, S. 4. Eingehender hierzu: Nachricht der Wochen 36-37/2012, 10.09.2012, http://www.i-daf.org/aktuelles/aktuelles-einzelansicht/archiv/2012/09/10/artikel/hilflose-genderisten-bei-der-berufswahl-versiegt-der-mainstream.html. Die Bedeutung der Ideologie der metaempirischen „wahren“ Interessen für den Feminismus analysiert der frühere EU-Kommissar Bolkestein wie folgt: „Now as to the “true” needs of the consumer. In this case, it also applies to women, whose preferences should be scrutinized as (at least in part) social artifacts. […] But are European women to be regarded as the victims of indoctrination? By and large we must admit this is no longer so. Therefore we must regard their preferences as authentic. Not to do so would be unacceptable patronizing and very illiberal […]. If we want liberalism then we may have to accept inequality – differences –, that is – when they do result from free choice.” Frits Bolkestein: The intellectual temptation. Dangerous ideas in politics, Leiden 2013, S. 246.

(11) Vgl. BMFSFJ (Hrsg.): Zeit fĂĽr Familie. Familienzeitpolitik als Chance einer nachhaltigen Familienpolitik (Achter Familienbericht), Bundestagsdrucksache 17/ 9000, Berlin 2012, S. 17.

Quelle: IDAF Nachricht 10/2014

Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag Artikel empfehlen Artikel empfehlen

Dieser Beitrag wurde erstellt am Dienstag 27. Mai 2014 um 6:38 und abgelegt unter Gesellschaft / Politik, Sexualethik.