Gemeindenetzwerk

Ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes

Ein Angriff auf die Wirklichkeit

Mittwoch 5. Juni 2013 von Dr. Christa-Maria Steinberg


Dr. Christa-Maria Steinberg

Familie im Gender-Zeitalter

Im Zusammenhang mit Familien- und Gleichstellungspolitik taucht immer wieder das Zauberwort Gender Mainstreaming auf. Wobei aber kaum jemand weiß, was es eigentlich bedeutet. Wer genau hinschaut, wird Erschreckendes finden: Einen Angriff auf die biologische RealitĂ€t, auf die Familie und auf die IdentitĂ€t des Menschen. Was verbirgt sich dahinter, und wie können wir Christen damit umgehen?

1.  Ein Begriff wie ein U-Boot

Gender Mainstreaming, kurz GM, ist ein englischer Ausdruck: main heißt Haupt, stream ist der Strom, also Hauptstrom. Mainstreaming bedeutet, etwas in den „Hauptstrom“, ins Zentrum des Denkens und des Handelns zu bringen. Das Thema Gender soll also zur Hauptsache werden. Es spielt nicht nur in unserer Familienpolitik eine Rolle, sondern dringt auch in die Kirche ein und spaltet sie. Auf der einen Seite stehen alle, die GM unbedingt durchsetzen wollen. Auf der anderen Seite stehen viele, die dahinter Gottlosigkeit und totalitĂ€re GrundzĂŒge sehen.

Wo kommt GM her? Bei der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 wurde eine Abschlussresolution mit dem Titel „Mainstreaming a Gender Perspective“, kurz „Gender Mainstreaming“, verabschiedet. Ein Zitat daraus: „Wir wollen in den Mittelpunkt unserer BemĂŒhungen das Ziel der Gleichheit von Mann und Frau stellen.“ 1

Gender ist ein anderes Wort fĂŒr Geschlecht. Das normale englische Wort fĂŒr Geschlecht ist „sex“ und meint die Unterscheidung mĂ€nnlich-weiblich. Aber darum geht es bei Gender nicht. Dahinter steht der Vorwurf, Jungen und MĂ€dchen wĂŒrden so erzogen, dass sie gar nicht anders können als Jungen oder MĂ€dchen zu sein. Gender meint ein empfundenes und verĂ€nderbares Geschlecht – ohne Zusammenhang mit biologischen Fakten. Das klingt abstrus, soll aber allen Ernstes durchgesetzt werden. Die Grundeinsicht, dass die Gesellschaft Kinder braucht, um zu ĂŒberleben und die Grundfrage, was den Kindern nĂŒtzt, werden bei GM völlig außer acht gelassen. Es geht um die Durchsetzung des Geschlechtes, zu dem man sich zugehörig fĂŒhlt.

Dahinter steht eine radikalfeministische Ideologie. Diese wurde zur Frauenkonferenz in Peking formuliert und hat ein Ziel, das auf den ersten Blick gar nicht mal schlecht klingt: 50% aller ArbeitsplÀtze auf der ganzen Welt in allen Berufssparten sollen so schnell wie möglich mit Frauen besetzt werden. Diese Gender-Perspektive ist weltweit politische Vorgabe und Ziel.

Notfalls auch zwangsweise. Bei dieser Weltfrauenkonferenz waren auch Frauen aus Ă€rmeren LĂ€ndern dabei, in denen die Familie einen sehr großen Stellenwert hat. Als es um GM ging, waren sie geneigt, darĂŒber hinwegzuhören, weil es ihnen so unglaublich vorkam. Bis man ihnen zu verstehen gab: Wenn das in euren LĂ€ndern nicht umgesetzt wird, bleibt die Entwicklungshilfe aus! 2

Öffentlich wird ĂŒber GM kaum diskutiert. „Über das, was die Gender-Perspektive will, gibt es keine offene Diskussion. Sie kommt nicht als großes Schiff daher, obwohl sie doch in allen politischen und öffentlichen Programmen verankert werden soll, sondern wie ein U-Boot, das keiner genau kennen soll.“ 3
Diese UnverstĂ€ndlichkeit ist gewollt. Zur Durchsetzungsstrategie gehört, die Bedeutung von Worten zu verĂ€ndern. Wohin so etwas fĂŒhren kann, kennen wir aus unserer Geschichte nur zu gut.

Das Geschlecht ist also nicht mehr eindeutig. Es gibt nicht zwei Geschlechter, sondern fĂŒnf: MĂ€nner, Frauen, homosexuell empfindende MĂ€nner, homosexuell empfindende Frauen und bi- oder transsexuell empfindende Menschen. (Bisexuelle Menschen verkehren mit beiden Geschlechtern. Transsexuelle Menschen haben zwar Ă€ußerlich eindeutige Geschlechtsmerkmale, fĂŒhlen sich aber innerlich dem jeweils anderen Geschlecht zugehörig, dass sie sich so kleiden und so leben.) Die Kategorie „Geschlecht“ soll aufgeweicht, die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen abgeschafft werden, „Mann“ und „Frau“ wird auswechselbar.

Nun unterscheiden sich Frauen von den MĂ€nnern ja u. a. durch ihre FĂ€higkeit, Kinder zu bekommen. Aber dass Frauen mit den Kindern beschĂ€ftigt sind und deshalb nicht arbeiten gehen können, passt nicht ins Gender-Konzept. Also wird die Abtreibung gefördert. Die Frau soll dem Mann gleichgestellt sein. Hier wird aber die Bedeutung des Wortes „Gleichstellung“ verĂ€ndert. Sie wĂ€re erreicht, wenn eine Frau z. B. fĂŒr die gleiche Arbeit so viel Geld verdient wie ein Mann. Aber darum geht es hier gar nicht.

Auch fĂŒr unser Rechtssystem hĂ€tte GM Konsequenzen. Maßgeblich fĂŒr die rechtliche Bestimmung des Geschlechtes sollen nicht mehr die Ă€ußeren Geschlechtsmerkmale sein, sondern allein das subjektive Empfinden des Menschen. Jeder soll sein Geschlecht selbst bestimmen und im Lauf der Zeit auch verĂ€ndern können. Heute fĂŒhlt man sich hetero-, morgen vielleicht homosexuell … (Diese Idee stĂ¶ĂŸt ĂŒbrigens ausgerechnet bei HomosexuellenverbĂ€nden auf Widerstand. Sie wehren sich gegen eine VerĂ€nderung der sexuellen Veranlagung; denn ihrer Meinung nach wird man homosexuell geboren und bleibt es sein Leben lang.)

Die Gender-Perspektive redet durchaus positiv von Familie. Aber sie definiert Familie völlig neu. Es gibt eine Abneigung gegen Worte wie „Vater“ und „Mutter“, statt von Ehemann und Ehefrau wird nur von „Partner“ gesprochen. „Familie“ soll durch „Freundschaft“ ersetzt werden. In einem der Arbeitspapiere der Pekinger Frauenkonferenz steht: „Stellen Sie sich vor, Sex unter Freunden wĂ€re die Norm. (…) VergnĂŒgen ist unser Geburtsrecht, dessen uns ein religiöses Patriarchat 4 beraubt hat. (…) In meiner Vorstellung sehe ich Freunde, keine Familien, die in vollen ZĂŒgen das VergnĂŒgen genießen, das uns zusteht, weil unsere Körper heilig sind.“

2.  Einige geschichtliche Wegbereiter

Der Vater der Gender-Perspektive ist Friedrich Engels. Er schrieb: „Der erste Klassengegensatz, der in der Geschichte auftritt, fĂ€llt zusammen mit der Entwicklung des Antagonismus 5 von Mann und Weib in der Einzelehe, und die erste KlassenunterdrĂŒckung mit der des weiblichen Geschlechts durch das mĂ€nnliche.“ Anders ausgedrĂŒckt: Die Ehe ist eine Plattform zur UnterdrĂŒckung der Frau, weil dort der Klassengegensatz im kleinsten Rahmen stattfindet.

In den USA gab es einen Psychiater namens John Money, der 1965 in Baltimore eine Gender Identity Clinic, eine Klinik fĂŒr GeschlechtsidentitĂ€t, grĂŒndete. Dort wurden bei erwachsenen Menschen, die nicht lĂ€nger als MĂ€nner oder Frauen leben wollten, operative Geschlechtsumwandlungen vorgenommen. 1967 wurde das unter Dr. Moneys Leitung sogar an einem zweijĂ€hrigen Jungen vollzogen – in der Annahme, er wĂŒrde sich dann zu einem MĂ€dchen entwickeln. Was aber nicht geschah. SpĂ€ter beging der junge Mann verzweifelt Selbstmord, weil er dieses aus seiner Sicht verpfuschte Leben nicht mehr aushielt. Die Gender Identity Clinic wurde 1979 geschlossen. Trotzdem gelten Dr. Moneys Ansichten in vielen Kreisen noch immer als wissenschaftlich.

Simone de Beauvoir, eine französische Schriftstellerin, Philosophin und Feministin, vertrat folgenden Standpunkt: „Keine Frau soll das Recht haben, zu Hause zu bleiben und die Kinder zu erziehen. (…) Frauen sollten diese Wahlfreiheit nicht haben, denn wenn sie sie haben, werden zu viele Frauen sie wĂ€hlen.“ 6 Ihr Buch „Memoiren einer Tochter aus gutem Hause“ war das Buch der Frauenbewegung in den 1970er Jahren. Schon damals wurde im Namen der Emanzipation der Frau daran gearbeitet, Familie zu zerstören, Abtreibung zu fördern, den Status Mutter lĂ€cherlich zu machen. Auch der Mann als Familienoberhaupt wurde demontiert. Wenn die Frauen aufstanden und sich emanzipierten, konnte er ja nichts mehr zu sagen haben.

Eine Frau, die in Deutschland dafĂŒr steht, ist die Feministin Alice Schwarzer. Sie ist eine der grĂ¶ĂŸten Gegnerinnen von Gruppen wie KALEB, die fĂŒr das Recht des ungeborenen Lebens einstehen.

GM hat Elemente aus dem Sozialismus und aus der 68er Bewegung. Nur scheint es heute, als wĂŒrde hinter der Zusammenfassung dieser Idee im weltweiten Rahmen eine viel stĂ€rkere Kraft stehen.

3.  Auswirkungen auf die Familienpolitik

„Leitsatz, Leitprinzip und Querschnittsaufgabe der Politik ist GM. Die Geschlechtsdifferenzierung zwischen Mann und Frau soll aufgehoben werden, lesbische, schwule, bisexuelle und transsexuelle Lebensweisen sollen der SexualitĂ€t zwischen Mann und Frau gleichwertig sein“ (Gabriele Kuby). Das Bundesministerium fĂŒr Familien ist dabei, diese Gender-Strategie umzusetzen.

Dazu gehört u.a. die Verstaatlichung der Kleinstkindererziehung. Nach SchĂ€tzungen sind in Deutschland ca. 5% der Eltern aus irgendeinem Grund der Erziehung ihrer Kinder nicht gewachsen. Ein gutes Argument fĂŒr Kinderkrippen. Dann brĂ€uchte man aber nicht fĂŒr 60% aller Kleinstkinder KrippenplĂ€tze. Und die werden angestrebt.

Davon sind viele Eltern sehr verunsichert. Immer wieder höre ich von jungen MĂŒttern die Frage: „Ja, muss ich mein Kind denn nicht in eine Kinderkrippe geben? So viele Angebote wie dort kann ich ihm doch gar nicht machen …“ Dabei ist das einzige Angebot, das ein Kind in den ersten vier Lebensjahren braucht, die Geborgenheit bei Mutter und Vater zu Hause. Alle anderen Angebote bekommt es noch das ganze Leben lang.

Ein weiteres Argument, das natĂŒrlich gut klingt, ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und das ist ja auch berechtigt. Aber gemeint ist eine staatlich gelenkte Kindererziehung zum neuen geschlechtsvariablen Menschen. Auf der Webseite der Bundeszentrale fĂŒr gesundheitliche AufklĂ€rung findet man zahlreiche Materialien zur sexuellen AufklĂ€rung von Schulkindern. Diese Schriften werden kostenlos an Eltern, Erzieher und auch an Schulen verteilt. Diese AufklĂ€rungsschriften propagieren die Sexualisierung von Kindern. Sie verfĂŒhren Kinder und Jugendliche zu einer SexualitĂ€t, die auf Lustbefriedigung reduziert ist. Von GefĂŒhl und dem Erleben von Liebe wird selten gesprochen. Dort geht es vorrangig um das Körperliche und Organische. Dass eine lebenslange Bindung, Liebe und Treue Grundlagen fĂŒr Sex sind, sagt den Kindern niemand.

So sieht ein Teil unserer Familienpolitik aus. Und eigentlich hĂ€tte die genĂŒgend andere Sorgen: Die demographische Kurve sieht erschreckend aus, die Gesellschaft ĂŒberaltert und es kommen zu wenig Kinder nach. Es mĂŒsste also vor allem darum gehen, Familien zu ermutigen, Kinder zu bekommen. Aber mit dieser Gender-Idee im Hinterkopf geht das nicht. Nicht Kinder sind das Leitprinzip, sondern GM. So wird das Problem der sinkenden Geburtenrate natĂŒrlich nicht gelöst.

Interessant ist, dass trotz der ganzen Propaganda fĂŒr ein freies Ausleben der SexualitĂ€t immer noch 74% einer Gruppe von befragten Jugendlichen das „klassische“ Familienbild von Vater und Mutter als Vorbild haben. Knapp drei Viertel der Jugendlichen hofft, den Partner fĂŒrs Leben zu finden, zu heiraten und eine Familie zu grĂŒnden.

4.  Biologische Fakten

Aus der Bibel wissen wir: Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, als Mann und Frau. In dieser Zweiheit sind wir Gott ebenbildlich.

Als ich vor vielen Jahren in der Humangenetik meine Doktorarbeit schrieb, beschĂ€ftigte ich mich viel mit Chromosomen. Das sind kleine FĂ€dchen aus Eiweißen, die in den Zellkernen der Körperzellen vorhanden sind. Jeder Mensch hat 46 Chromosomen, 22 identische Paare und ein Paar, an dem man erkennen kann, ob man es mit einem Mann oder einer Frau zu tun hat. Frauen haben an dieser Stelle ein XX-, MĂ€nner ein XY-Chromosomenpaar. Dieses eine Chromosom sorgt gewissermaßen dafĂŒr, dass die betreffende Person ein Mann oder eine Frau ist.

Dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, ist biologisch nicht möglich. Es ist nur ideologisch möglich. Biologisch gesehen gibt es nur MÀnner oder Frauen 7. Unser Geschlecht ist angeboren.

5.  Familie aus biblischer Sicht

Wenn Jesus in einer Ehe etwas zu sagen hat, dann wird die Familie ein sicherer Ort fĂŒr alle, die darin leben. „Wer den Herrn fĂŒrchtet, der hat eine sichere Festung, und seine Kinder werden auch beschirmt“ (Spr.14,26). In solchen Familien finden Kinder Geborgenheit – die wichtigste Grundlage fĂŒr ein Leben ohne mögliche spĂ€tere psychische FolgeschĂ€den. Wenn Kinder in den ersten Lebensjahren Geborgenheit erfahren – sei es von den Eltern, Großeltern oder auch einer Tagesmutter, wenn beide Eltern arbeiten mĂŒssen – wird damit ein wichtiger Grund gelegt. So erlernen Kinder Geduld, soziale Kompetenz und BindungsfĂ€higkeit.

Die Bindungstheorie – der Aufbau und die VerĂ€nderung enger Beziehungen im Lauf des Lebens – ist eines der am besten psychologisch erforschten Wissenschaftsbereiche. Und obwohl wir daraus wissen, dass Kleinkinder die Bindung an eine Bezugsperson, die Mutter, brauchen, wird die Idee der flĂ€chendeckenden Kinderkrippen propagiert. Kleinkinder sind unfĂ€hig, sich an mehr als an eine Person zu binden; im Zentrum des Interesses steht die Mutter, spĂ€ter auch der Vater. Ein ein- oder zweijĂ€hriges Kind kann sich nicht an mehrere Krippenerzieherinnen binden. Damit wird die Grundlage fĂŒr eine spĂ€tere mögliche BindungsunfĂ€higkeit gelegt. Kinder brauchen gesunde Familien.

Familien, die mit Jesus leben, haben die Aufgabe, ihren Kindern auch den Glauben zu vermitteln. Wie das geschieht, kann sehr unterschiedlich sein. Einerseits mĂŒssen die Kinder Wissen vermittelt bekommen. Andererseits muss das Vorgelebte mit den Worten ĂŒbereinstimmen. Ich weiß, dass das im Alltag oft nicht leicht fĂ€llt. Aber ich möchte dazu ermutigen, die MaßstĂ€be zu ĂŒberdenken. Was brauchen Kinder? Sie brauchen nicht die teuren Geschenke, sondern unsere Zeit, unsere Liebe und unsere Geborgenheit. Und wenn wir unsere Geborgenheit vom Himmel beziehen, dann können wir sie auch weitergeben.

Dr. Christa-Maria Steinberg ist Kinder- und Jugendpsychiaterin und arbeitet seit ihrer Pensionierung als Lebensberaterin im Evangelisationsteam Sachsen.  Sie ist verheiratet und lebt in Limbach-Oberfrohna.

Der Text ist die bearbeitete Fassung eines Vortrages.

 

Fussnoten:
1 Alle Zitate nach Deutsches Institut fĂŒr Familie und Gesellschaft, Reichelsheim,
2 HintergrĂŒnde dazu siehe Bulletin Nr. 13 (1/2007) www.dijg.de/bulletin.html
3 Christl Ruth Vonholdt, in „Die Gender Agenda“, ebd.
4 Vorherrschaft des Vaters
5 Widerspruch, Widerstreit
6 www.bzga.de Infomaterialien
7 Mit der seltenen Ausnahme der sogenannten Hermaphroditen – Menschen, die mĂ€nnliche und weibliche Geschlechtsanteile haben

 

Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 5. Juni 2013 um 15:14 und abgelegt unter Ehe u. Familie, Gesellschaft / Politik, Seelsorge / Lebenshilfe, Sexualethik.