Gemeindenetzwerk

Ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes

Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag Artikel empfehlen Artikel empfehlen

Was am Ende wirklich zählt

Mittwoch 22. Juli 2009 von Dr. Fritz Laubach


Dr. Fritz Laubach

Was am Ende wirklich zählt: „Sinnvoll leben – getröstet sterben“

In dieser Zuspitzung des Themas konnte ich nicht auf alte Manuskripte zurückgreifen, ich mußte mich ihm selber neu stellen. Für mich als alten Menschen, der an der Schwelle zur Ewigkeit steht, hat dies Thema bei der Vorbereitung des Vortrags existentielle Bedeutung gewonnen – etwa in dem Sinn des Liedes der Gräfin Juliane von Schwarzenburg-Rudolstadt:„Wer weiß, wie nahe mir mein Ende! Hin geht die Zeit, her kommt der Tod. Es kann vor Nacht leicht anders werden, als es am frühen Morgen war.“ Ich mußte mir selbst Rechenschaft geben, wie ich die mit dem Thema verknüpften Fragen für mich ganz persönlich beantworten – und was ich davon zuverlässig an Sie weitergeben kann.

Zunächst möchte ich das Thema „Sinnvoll leben – getröstet sterben“ in eine These umwandeln: „Nur wer sinnvoll gelebt hat, kann getröstet sterben. Und ich versuche, das zu begründen. Aber was heißt das: „ Sinnvoll leben?“ Um mein Leben sinnvoll einzurichten, muß ich wissen, was der Sinn meines Lebens ist. Wer bin ich? Warum wurde ich geboren? Wozu bin ich da? Warum lebe ich eigentlich? Ich habe nur ein einziges Leben zu leben, ich kann nicht irgendwann noch normal von vorne beginnen. In einer Zeit, in der Wissenschaft und Technik weithin unser Denken beherrschen, müssen wir uns eingestehen: die Wissenschaft mit ihren höchst intelligenten Methoden kann das Geheimnis um die Herkunft unseres Lebens nicht lösen. Sie kann den Sinn unserer Existenz auf Erden nicht erfassen. Auch der Tod ist noch immer ein unlösbares Problem. Allein auf unsere Vernunfterkenntnis angewiesen, wissen wir nicht, was vor unserer Geburt war und was uns nach dem Tod erwartet, weil diese Bereiche gleichsam wie durch Mauern von uns getrennt sind. Martin Heidegger, der „Vater der Existenzphilosophie“, der das philosophische Denken des vergangenen Jahrhunderts mitgeprägt hat, sagt: „Wir sind in unser Dasein hineingeworfen, immer neu in die Entscheidung gestellt, das Bestmögliche aus unserem Leben zu machen. Die Sinnfrage zu stellen, ist streng genommen sinnlos.“ Unphilosophisch gesprochen: Der Mensch ist das, was er aus seinem Leben macht. Es geht darum, möglichst intensiv zu leben. Eine für jedermann verbindliche Definition für den Sinn des Lebens gibt es nicht. Für unsere Vernunfterkenntnis gibt es keine letzte Instanz, von der her der Sinn unseres Lebens definiert werden kann.

Max Horkheimer spricht von der „unabänderlichen Verlassenheit des Menschen. Ich fand bei ihm den Satz, daß letztlich ohne einen Gottesbezug keine Sinnfrage gestellt oder beantwortet werden kann. Er schreibt in seinem Buch: Die Sehnsucht nach dem ganz anderen(Hamburg 1970 Seite 88):„Man wir das Theologische abschaffen. Damit verschwindet das, was wir „Sinn“ nennen, aus der der Welt. Zuvor wird große Geschäftigkeit herrschen, aber eigentlich sinnlose, also langweilige. Und eines Tages wird man auch die Philosophie als eine Kinderangelegenheit der Menschen betrachten.“ Der Schriftsteller Dieter Auburtin erzählt folgende Geschichte:„Es lebte ein Maler, der war ein sehr tätiger Mann und konnte es nicht übers Herz bringen, eine Minute seines wichtigen Lebens ungenützt vorüber zu lassen. Wenn er in der Stadt war, so plante er, in welchen Badeort er reisen werde. War er im Badeort, so beschloß er einen Ausflug nach Marienruh, wo man die berühmte Aussicht hat. Saß er dann auf Marienruh, so nahm er den Fahrplan her, um nachzusehen, wie man am schnellsten wieder zurückfahren könne. Wenn er im Gasthof einen Hammelbraten verzehrte, studierte er während des Essens die Karte, was man nachher nehmen könne. Und während er den langsamen Wein des Gottes Dionysos hastig hinuntergoß, dachte er, daß bei dieser Hitze ein Glas Bier wohl besser gewesen wäre. So hatte er niemals etwas getan, sondern immer nur ein nächstes vorbereitet. Und als er auf dem Sterbebett lag, wunderte er sich sehr, wie leer und zwecklos doch eigentlich dieses Leben gewesen sei.“(Victor Auburtin : „Einer bläst die Hirtenflöte.“; H. von Hugo – Verlag, Berlin 1949)

Sollte es diesen Mann gegeben haben, dann hat er intensiv gelebt, aber kein sinnerfülltes Leben gehabt. Sinnvoll leben kann nicht heißen, zuerst möglichst viel Geld zu verdienen und dabei seine Gesundheit zu zerstören, und anschließend viel Geld auszugeben, um wieder gesund zu werden. Sinnvoll leben kann auch nicht heißen, möglichst viel in unser Leben hinein zu packen, gewissermaßen im Zeitraffertempo zu leben. Tomislav Ivancic, Professor für Philosophie und Theologie in Zagreb, erzählt folgende Anekdote:„Zwei Freunde verlassen beim Einkaufen ein Geschäft und sehen, wie in diesem Augenblick ihre Straßenbahn vorüber fährt und etwa 50m weiter hält. „Komm, mach schnell“, sagt der eine zu seinem Freund, und beide laufen und springen noch rasch beim Anfahren auf die Bahn. Noch ganz außer Atem sagt der eine: „Noch mal Glück gehabt! Jetzt haben wir zehn Minutengewonnen.“ Fragt der Freund zurück: „Und was machen wir mit den zehn Minuten?“

Menschliches Leben erschöpft sich nicht im Diesseits, es hat eine jenseitige, transzendente Dimension. Die Frage nach einem sinnvollen Leben hat die Menschen schon vor 2000 Jahren bewegt. Jesus Christus hat dazu gesagt:„Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber dabei sein Leben einbüßt“.(Matth. 16, 26).Wer die transzendente Dimension seiner Existenz ausklammert, wer sich selbst zum „eindimensionalen Menschen“ – wie Herbert Marcuse es genannt hat – degradiert, wird nie einen Sinn in seinem Leben entdecken. Jesus sagt: „Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht um euer Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?“ (Matth. 6, 25).„Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen“: (Matth. 6, 33).Wer sein Leben mit allen möglichen Angeboten zu füllen sucht, wird kein sinnvolles Leben finden.„Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und mehr als die Kleidung – mehr als die Befriedigung irdischer Bedürfnisse? Was ist dieses „MEHR“?

Was ist es, was mein Leben in dieser Welt mit einem Sinn erfüllt, der nicht nur mein irdisches Dasein umspannt, sondern über den Tod hinaus auch die jenseitige Dimension umfasst? Jesus gibt die Antwort in seinem Hohenpriesterlichen Gebet: „Das ist das ewige Leben – ein sinnvolles Leben, das durch den leiblichen Tod nicht zerstört werden kann – das ist das ewige Leben, daß sie dich erkennen, der du allein wahrer Gott bist, und Jesus Christus als den, den du gesandt hast“. (Joh. 17, 3).Gott kennen ist Leben. Das ist es, was am Ende wirklich zählt: „Durch Jesus Christus den allein wahren Gott erkennen, nicht nur die biblische Botschaft gedanklich erfassen, sondern Gott erkennen in der Hingabe des Herzens an ihn, Gott erkennen in der gelebten Gemeinschaft mit ihm“. Wenn wir unser Leben an Jesus Christus verlieren, führt er uns zu einem sinnvollen Leben. Er hat versprochen: „Wer sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es gewinnen“: (Matth. 10, 39). Dies paradox klingende Wort wird in den Evangelien fünfmal überliefert und ist ein Schlüsselwort dafür, was Christsein bedeutet.

Jim Elliot, der amerikanischer Missionar, der bei den Auca ums Leben kam, hat in seinem Tagebuch geschrieben: „Der ist kein Narr, der hergibt, was er ohnehin nicht behalten kann, aber dafür das gewinnt, was ihm niemand mehr nehmen kann.“ Wer sein Leben an dem gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus festmacht, der lernt den lebendigen Gott kennen, er lernt ihn kennen als den Schöpfer, Erhalter und Vollender –nicht nur der Welt, sondern auch unseres Lebens, Ihres und meines ganz persönlichen Lebens. Wer Jesus Christus als Herrn in sein Leben aufnimmt, wird den Sinn seines Lebens entdecken, vielleicht anfänglich bruchstückhaft, vielleicht erst spät in der Rückschau auf sein Leben, aber er gewinnt ein tragendes Fundament, den „festen Punkt“, von dem der griechische Mathematiker und Philosoph Archimedes gesagt hat: „Gebt mir einen festen Punkt, und ich werde die Welt aus den Angeln heben.“

Wie das geschehen kann? Diese Erfahrung ist für jeden zugänglich. In der Bibel wird uns auf vielerlei Weise immer wieder der eine Weg zu dieser Erfahrung, dem Schlüssel zum sinnvollen Leben, gezeigt. Auf die Frage was müssen wir tun? antwortet Petrus Apg. 2, 38: „Tut Buße, und ein jeder lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung unserer Sünden, so werdet ihr die Gabe des heiligen Geistes empfangen“. Der Apostel sagt Apg. 16, 31: „Glaube an den Herrn Jesus …so wirst du gerettet“ Röm.10, 10: „Wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht.“ Röm. 10, 17: „Der Glaube kommt aus der Predigt.“ Gott fordert mich auf, auf sein Wort, das Wort der Bibel zu hören, es bewußt aufzunehmen, im Zentrum meiner Existenz eine Entscheidung zu treffen, mein verfehltes Leben an Jesus Christus auszuliefern, um Vergebung meiner Schuld zu bitten und Gottes Gnade dankbar anzunehmen. Hier geht für mich die Tür zu einem sinnvollen Leben auf. Ich erkenne: Ich bin von Gott gewollt, geliebt, erlöst, von ihm „berufen zur Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus, unserm Herrn“ (1. Kor.2, 9). Zur Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott bestimmt, das ist im tiefsten Grund der Sinn meines Lebens. Was am Anfang der Menschheitsgeschichte Gottes Plan war – Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, als sein Gegenüber, bestimmt zur Gemeinschaft mit Gott, dankbarer Empfänger der Liebe Gottes zu sein, was unsere Voreltern durch ihren Ungehorsam, durch ihre Anmaßung, wie Gott sein zu wollen, verloren haben – das darf in unserem Leben neu Gestalt gewinnen. Gott gibt meinem Leben einen Sinn, dadurch daß ich wirklich wieder sein Gegenüber, mehr noch, sein Kind werde, daß er mich durch seinen Geist mit sich verbindet.

Er gibt meinem Leben dadurch einen Sinn völlig unabhängig von meiner Lebensleistung. Es geht zu allererst nicht um ein besonderes Tun, sondern um ein Sein. Ich bin in dieser Welt, um etwas „zum Lob seiner Herrlichkeit zu sein“ (Eph. 1, 6.12.14). Die Gemeinschaft mit Christus, in der ich etwas „zum Lob der Gnade Gottes“ sein soll, ist eine unsichtbare Beziehung. „Euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott“ (Ko.13, 3) aber diese Beziehung verändert mich in einem lebenslangen Prozeß, einem ständigen Lernprozeß. Jesus sagt seinen Jüngern: „Lernt von mir!“ Auf dem Weg mit Jesus werde ich nicht sündlos oder fehlerfrei. Das gehört zu meiner Endlichkeit. Ich entdecke was Luther gesagt hat: Christsein ist nicht ein Gesundsein, wohl aber ein Gesundwerden, ein Genesungsprozeß. Zu diesem Weg mit Jesus gehören die ganz einfachen Dinge, die Merkmal der ersten Christen:„Sie blieben beständig in der Apostel Lehre, in der Gemeinschaft, im Brotbrechen und im Gebet“ (Apg. 2, 42). Täglich auf Gott hören, jeden Tage mit Gott sprechen, sich gegenseitig im Glauben stärken und immer neue Vergewisserung der Erlösung durch die Zeichen im Brot und Wein im Abendmahl. Paulus begründet ein sinnvolles Leben mit den Worten „Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, welche Gott zuvor bereitet hat, daß wir darin wandeln sollen.“(Eph. 2, 10) Dazu erschließt uns Gott geheime Quellen seiner Kraft: „Laßt das Wort Christi reichlich unter euch wohnen; lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit…Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen der Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn“ (Kol. 3, 16-17).

Es ist wichtig, dem Wort Gottes weiten Raum in unserem Alltag zu geben, uns gegenseitig zu ermutigen und uns in der Dankbarkeit einzuüben. Paulus wiederholt im gleichen Atemzug, was er eben gesagt hat: „Alles was ihr tut, das tut von Herzen als dem Herrn und nicht den Menschen, denn ihr wißt, daß ich von dem Herrn als Lohn das Erbe empfangen werdet. Ihr dienst dem Herrn Christus!“(Kol. 3, 23-24). Wir dienen dem Herrn – ganz gleich, in welcher beruflichen Situation. Nicht nur der Pfarrer, nicht nur die Diakonisse, nicht nur der Arzt oder die Krankenschwester im Krankenhaus, die Familienfrau, die Frau und Mutter, die Tag für Tag dieselben hundertfältigen, kleinen Dinge erledigen muß, damit der Betrieb im Hause läuft, die Sekretärin, der Polizist auf der Straße, selbst die Politesse, die nur den Auftrag hat, die parkenden Autos zu kontrollieren und womöglich einen Strafzettel hinter die Scheibenwischer zu stecken, als Christen dienen sie dem Herrn. Ganz gleich in welcher Situation, selbst dann, wenn man gar nichts tun kann. Für einen Christen gilt: Leiden und gar nichts tun können, kann auch ein Auftrag Gottes sein. Wichtig, daß wir ganz bei der Sache sind – „von Herzen“, wörtlich „mit unserm Leben, mit unserer Seele“ dabei sind. Dabei sollen wir den Blick auf das Ziel nicht verlieren: „als Lohn das Erbe empfangen“. Matth. 5, 16: „Darum laßt euer Licht leuchten vor dem Menschen, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“ Unser Leben soll ein Wegweiser sein, durch den Menschen auf Gott hingewiesen werden, Das ist das Beste und Höchste, was wir mit unserem Leben machen können. Das ist ein sinnvolles Leben.

Wer sinnvoll lebt, kann auch getröstet sterben. Warum kann ich dessen gewiß sein? Nicht weil ich bekehrt worden bin, nicht weil ich Jesus nachgefolgt bin, nicht weil ich mich einem lebenslangen Lernprozeß gestellt habe, nicht weil ich mich bemüht habe, so wie Paulus sagt: „Ich übe mich allezeit ein unverletzt Gewissen zu haben“ (Apg. 24, 16). Warum aber dann? Die beste Antwort gibt der Heidelberger Katechismus auf die 1. Frage: „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?“ – „Daß ich mit Leib und Seele, beides im Leben und im Streben, nicht mein, sondern meines getreuen Heilandes Jesu Christi eigen bin, der mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkommen bezahlt und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst hat.“ Das ist, was am Ende wirklich zählt. Daran müssen wir festhalten, nicht erst auf der letzten Wegstrecke wenn wir schon auf der Zielgeraden hin zur Ewigkeit sind.

Als der Erweckungsprediger Ludwig Hofacker gerade 30 Jahre alt im Sterben lag, sagte er laut im Blick auf den Heiland am Kreuz: „Das ist mein Mann! Wüßte ich nicht gewiß, daß seine Liebe zu uns unendlich ist, dann müßte ich verzagen. Nur auf ihn verlasse ich mich!“ Ich kann die letzte Wegstrecke, mein Sterben, die Stunde meines Todes nicht vorwegnehmen. Ich kann nicht durch einen langen Schlaf oder eine Narkose das Sterben ausprobieren. Es ist gut, wenn ich mich in Gedanken und meinem Bewußtsein darauf einstelle, aber die Erfahrung des Sterbens wird noch anders sein, als ich es mir vorstellen kann. Die Vorstellung von einem kommenden Ereignis und das Erleben dieses Vorganges ist zweierlei. Erinnern wir uns daran: Als Israel aus Ägypten zog, kündigte Gott durch Mose dem Volk an, daß der Pharao sie verfolgen würde. Sie waren also gedanklich darauf vorbereitet. Als sie aber dann am Schilfmeer sahen, daß der Pharao tatsächlich mit seinem Heer hinter ihnen herkam, da „fürchteten sie sich sehr und schrieen in ihrer Angst zu dem Herrn“ (2. Mose 14). Im Sterben werde ich nicht mehr über mich selbst verfügen. Dann kommt alles darauf an, daß ich mich an die Zusagen meines Herrn und Heilandes Jesus Christi klammere: „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Mein Vater, der mir sie gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus des Vaters Hand reißen (Joh. 10, 28-21).“ So wie es schon in einer überwältigenden Gewißheit Asaph gebetet hat: „Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand.“ (Ps. 73, 23)

Wir bleiben bei Gott, weil er uns festhält. Jesus Christus hat seinen Jüngern versprochen: „Der Heilige Geist wird euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe!“ (Joh. 14, 26) Der Heilige Geist wird mich also nur an das erinnern können, was ich vorher gehört und bewußt in mich aufgenommen habe; er wird mich auf dem Sterbebett nur an das erinnern, was ich zuvor als Trost der Heiligen Schrift mir angeeignet habe. Nur so kann ich getröstet sterben.

Was sagt denn Gottes Wort, was mich erwartet, wenn ich sterben muß? „Denn wir wissen: wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel“ (2. Kor 5). „Wir wissen – wir haben“ – auch das ein Stück geistlichen Einübens, sich das nicht nur bewußt zu machen, sondern damit zu leben und dafür zu danken. Wir leben nicht im Ungewissen. Wir wissen. Wir erwarten nicht nur etwas. Wir haben etwas. Sterben ist ein Umzug. Das Zelt wird abgebrochen und wir kommen in ein Haus. Ein Umzug, in den wir nicht Irdisches mehr mitnehmen. Die Endlichkeit bleibt zurück. Paulus sagt: „Wir haben nichts in die Welt gebracht, wir werden auch nichts hinausnehmen“ (1. Tim.6, 7). Ãœben wir uns rechtzeitig und praktisch in diese Wahrheit ein. Jedes Jahr zu sehen: Was habe ich in den letzten Jahren nicht gebraucht und das kann weg, alles das, was überflüssig ist. Daß wir das nicht nur den Hinterbliebenen überlassen, unsere Habseligkeiten aufzuräumen und dem Sperrmüll zu übergeben.

Paulus schreibt im gleichen Zusammenhang 2. Kor. 5, 2-4: Wir werden ausgezogen. Wir müssen dieses irdische Haus verlassen. Es ist so, als würde man ein Gewand ablegen. Er unterscheidet ja zwischen dem inneren und dem äußeren Menschen, unsere leiblich irdische Existenz und dem, was Gottes Heiliger Geist in uns hat schaffen können. Wir sollen bereit werden, loszulassen. Wir brauchen nichts mitzunehmen. Das ist etwas Gutes, was Gott uns sagt. Es wird alles vollkommen sein. In den Abschiedsreden hat Jesus seinen Jüngern eingeprägt: „In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen. Ich geh hin, euch die Stätte zu bereiten, und wenn ich sie bereitet habe, will ich wieder kommen und euch zu mir nehmen, damit ihr da seid, wo ich bin“ (Joh. 14, 2-3 ). Und Paulus sagt: „Wir werden daheim sein beim Herrn“ (2. Kor.5, 8). Vielleicht sind einige der Älteren hier, die vor Jahrzehnten einmal ihre Heimat verlassen mußten, die ohne Haus und Hof durchs Land zogen oder die viele Jahre in Kriegsgefangenschaft waren. Wissen Sie noch wie das war, als wir nach Hause kamen? Heimkehr! Ein Haus haben, ein Zuhause haben! Alles, was wir heute an irdischen Dingen haben, lassen wir zurück, aber wir haben dann ein bleibendes Haus. Jesus hat es seinen Jüngern gesagt: „Wo ich bin, da soll mein Diener auch sein.“ Wir dürfen dessen gewiß sein, wo es hin geht. Nicht weil wir als Christen so ernsthaft versucht haben, unserem Herrn nachzufolgen. Das alles trägt sicher in der letzten Stunde nicht durch. Aber Jesus, der in großer Ehrfurcht im Hohenpriesterlichen Gebet gebetet hat „Heiliger Vater“, hat in diesem Gebet gesagt: „Vater, ich will!“ Und er wußte sich mit seinem Willen einig mit dem Willen des Vaters. „Ich will, daß die, die zu mir gehören, bei mir sein sollen, damit sie meine Herrlichkeit sehen.“

Christen werden an der Herrlichkeit Gottes teilhaben, nicht weil sie so brave Leute sind, sondern weil er es will. Auf diesen Willen können wir uns absolut verlassen. Das ist ab und zu mein Gebet, daß Gott mich in der letzten Stunde durch seinen Heiligen Geist an diese Zusagen erinnert. Wir können Gott nicht mehr ehren, als daß wir ihn beim Wort nehmen, denn dazu hat er es uns gegeben. Jesus hat gesagt: „Ich will euch wieder sehen und euer Herz soll sich freuen und eure Freude wir niemand von euch nehmen“ (Joh. 16, 22). Paulus sagt: „Wir werden ihn, den wir jetzt nur in seinem Wort kennenlernen, schauen von Angesicht zu Angesicht“ (1. Kor.13, 12). Sein Mitapostel Johannes schreibt: „Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist“ (1. Joh.3, 2). Da sind dann alle unsere Fragen beantwortet. Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben? Daß ich meines Heilandes und Herrn Jesu Christi eigen bin. Das zählt am Ende wirklich.

Ich habe aus der Perspektive eines alten Menschen geredet. Ich weiß, daß es für eine Mutter kurz nach dem 30. Lebensjahr, die drei kleine Kinder zurückläßt und an Krebs sterben muß, unsagbar schwer ist, getröstet zu sterben, loszulassen. Für einen alten Menschen sollte es etwas leichter sein. Aber auch da, denke ich, kann Gott über die Maßen trösten. Als in der jungen Christengemeinde in Thessalonich Gemeindeglieder heimgerufen wurden, hat Paulus geschrieben: „Ich will euch im Blick auf die Entschlafenen nicht im Ungewissen lassen…“ Er hat sie getröstet – nicht nur über den Verlust, den sie erlitten hatten, sondern auch für ihren eigenen Weg – und er hat ihnen als Trost den Blick für die endzeitliche Hoffnung geweitet. (1. Thess.4, 3-18). Diese Hoffnung wird uns in den letzten Kapiteln der Bibel entfaltet, in Bildern, denen eine Realität entspricht. Jesus Christus wird seine Gemeinde vollenden. Alle, die ihm gehört haben, werden dann dort sein, ganz gleich auf welche Weise sie in die Ewigkeit gerufen wurden. Es wird niemand fehlen. Jesus als der irdische Herr und als der verherrlichte Herr spricht von dem Hochzeitsfest. „Das Hochzeitsmahl des Lammes ist gekommen. Selig sind die teilhaben am Mahl des Lammes.“ Christus vollendet seine Gemeinde. Alle Glaubenden sind dabei. Dann wird er auf dieser Welt sichtbar erscheinen, um für eine von Gott begrenzte Zeit seine Herrschaft aufzurichten. So wie er es gesagt hat: „Er wird kommen mit seinen heiligen Engeln in Macht und Herrlichkeit und gesehen werden von jedermann.“ Dann wird er die Dinge ordnen. Am Ende dieses 1000jährigen Reiches wird er die Endabrechnung Gottes durchführen. Dann wird noch einmal alles zur Sprache kommen. Dann wird auch alles Unrecht, das in dieser Welt seinen gerechten Richter nicht gefunden hat, zur Sprache kommen.

Schließlich steht am Ende ein neuer Himmel und eine neue Erde. Am Ende wartet das große Freudenfest, die himmlische Hochzeitsfeier auf uns, von der Jesusgesprochen hat (Mattt. 22, 22; 25,21). Wir gehen dem großen Wiedersehensfest in Gottes Herrlichkeit entgegen, von dem Hedwig von Redern in der Übersetzung eines englischen Liedes von Charles Gabriel gesungen hat: „Dort vor dem Throne im himmlischen Land treff ich die Freunde, die hier ich gekannt, dennoch wird Jesus, und Jesus allein Grund meiner Freude und Anbetung sein.“ Je näher wir der Ewigkeit kommen, um so mehr sollten wir uns mit dem Inhalt der biblischen Hoffnung vertraut machen. Es ist wichtig, damit nicht erst im Alter anzufangen.

Seit Jahren schon, je näher ich dem Ende meines Lebens komme, um so mehr versuche ich, die Kernworte biblischer Hoffnung meinem Gedächtnis einzuprägen, und ich bitte Gott darum, daß sein Heiliger Geist mich in der Stunde des Sterbens daran erinnert, damit ich getröstet sterben kann. Und ich lerne und bete die Sterbenslieder aus dem Gesangbuch: Paul Gerhardt: „Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir. Wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann herfür. Wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein.“ Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt: „Ach Vater, deck all meine Sünde mit dem Verdienste Jesu zu, damit ich hier Vergebung finde, und dort die recht erwünschte Ruh. O Gott, ich bitt durch Christi Blut: Machs nur mit meinem Ende gut.“ Philipp Spitta: „Bleib mir nah auf dieser Erden, bleib auch, wenn mein Tag sich neigt. Wenn es nun will Abend werden, und die Nacht hernieder steigt; lege segnend deine Hände mir aufs müde schwache Haupt. Sprich: Mein Kind, hier geht’s zu Ende, aber dort lebt, wer hier glaubt.“ Georg von Viebahn: „Dem Ziele zu, es naht die Stunde, da wir dich sehn, dem wir geglaubt. O selges Wort, gewisse Kunde, daß nichts aus deiner Hand uns raubt. Dem Ziele zu, im Friedenshafen läuft bald das Schifflein droben ein. Ob du, Herr, kommst, ob wir entschlafen, wir werden jubelnd bei dir sein. Wir werden dankend vor dir stehn. Wir werden dich verherrlicht sehn.“

Zum Schluß lese ich ihnen etwas aus einem Erfahrungsbericht vor, den ein junger Pfarrer, Hartwig Neigenfeind, 36 Jahre alt, von der evangelisch-lutherischen Kirche in Berlin-Marzahn veröffentlicht hat. „Ich habe eine Frau besucht, die als Rentnerin fit, aktiv und lebenslustig war. Dann starb ihr Mann, später ein Sohn, dann mußte sie die Wohnung aufgeben, kam in ein Altenheim, dann kam sie in den Rollstuhl, dann kam sie nicht mehr aus dem Bett, nahm zehn Kilo ab, konnte nicht mehr lesen und fernsehen, dann kam sie kaum noch jemand besuchen, dann wurden ihr zwei Zehen amputiert. Und dann kam ich als Pastor zur Tür rein – was sollte ich ihr sagen? „Bald sind Sie tot, im Himmel ist alles besser!“, oder „Jesus hat Sie lieb und ist bei Ihnen!“? Ich bin rein gegangen und habe gesagt: „Gute Frau, ich weiß auch nicht mehr, was ich sagen soll! Tut mir leid.‘ Und da richtet sich dieses Bündel Elend auf und beginnt: „Ich werde Ihnen sagen, wozu ich so alt und schwach bin.“ Ich war baff! Und dann erklärt mir die Frau, warum sie Gott von Herzen dankbar ist, alt, gebrechlich und schwach zu sein: „Ich war immer fit und aktiv. Und dann hat Gott mir eines nach dem anderen fortgenommen. Mein Mann ist schon bei ihm, mein Sohn auch. Früher bin ich Tausende Kilometer gereist. Jetzt bewege ich mich nur noch auf zwei Quadratmetern. Ich esse wie ein Vögelchen und rede fünf Sätze am Tag. Gott hat mir nach und nach alles genommen.“ Das fand ich traurig. Als sie eine Pause machte, fragte ich: „Und was bleibt Ihnen nun?“ Da blitzten ihre Augen: „Jesus, ich habe Jesus!“ Das leuchtete mir nicht sofort ein: „Aber den hatten Sie doch früher auch. Sie waren doch früher auch im Gottesdienst und gehören von Kindesbeinen an zur Kirche.“ Die alte Dame lächelte und erklärte mir: „Sie haben recht. Aber früher hatte ich kleine Kinder und immer so viel zu tun, mußte hierhin und dort hin, Kuchen backen, Saugen, den Müll runterbringen – immer war irgend etwas. Ich hatte Jesus immer – mein ganzes Leben lang. Aber jetzt habe ich nur noch Jesus, jetzt habe ich Zeit. Ich liege hier, denke nach und bete. Ich erinnere mich an Predigten, die ich früher gehört habe und die Bibelverse, die ich kenne. Ich denke an meine Sonntagsschule und Einsegnung und wie Gott mich durch mein Leben geführt hat und wie es im Himmel sein wird.“ Da konnte ich nichts mehr sagen. „Ach, junger Mann, ich bin so froh, alt zu sein!“ Mich interessieren keine jungen Männer mehr, kein Fernseher, keine Zeitung. Jetzt will ich sterben. Und Jesus ist bei mir. Ich habe jetzt endlich Zeit und Ruhe und Stille, um ihm zuzuhören. Gott hat mir alles genommen, damit ich eines finde: Das ewige Leben mit meinem Heiland.“ Ich konnte ihr nichts mehr erwidern. Diese Frau hatte etwas entdeckt: Die Stille und Passivität im Alter können eine Chance sein, im Frieden mit Gott zu leben: ihn neu zu entdecken, Abschied nehmen und sich auf das ewige Leben vorzubereiten. Seit diesem Gespräch will ich alt werden – Rentner ohne Telefon, Fernseher und Action. Im Sessel dämmern, Choräle zusammenklauben, beten und sich aus der Bibel vorlesen lassen. Zwei Wochen nach unserem Gespräch ist die Frau gestorben – im Frieden, getröstet und gläubig.“

Vortrag auf der Konferenz des Netzwerks bekennender Christen (NbC-Pfalz) Profil 2007 am 3.11.2007 im Diakonissenmutterhaus Speyer.

Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag Artikel empfehlen Artikel empfehlen

Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 22. Juli 2009 um 10:25 und abgelegt unter Seelsorge / Lebenshilfe.