Einsamkeit – Preis der postmodernen Vielfalt
Mittwoch 7. November 2012 von Institut fĂŒr Demographie, Allgemeinwohl und Familie e. V.

âAutonomie“, âDynamik“, und âVielfalt“ lauten die Zauberwörter, wenn im öffentlichen Diskurs von Partnerschaft und Familie die Rede ist. Neue Formen des Zusammenlebens seien Ausdruck eines verĂ€nderten Partnerschaftsideals, das stĂ€rker auf Autonomie setze. Daraus folge aber keine Abkehr von der Familie: In âmodernisierten“ Formen bleibe sie erhalten und verliere nichts von ihrer Bedeutung. Diese âErzĂ€hlung“ ist besonders in Feuilletons populĂ€r, hĂ€lt aber einer empirischen PrĂŒfung nicht stand. ErnĂŒchternd deutlich zeigen neue Mikrozensus-Zahlen eine steigende âFamilienlosigkeit“: Auf dem RĂŒckzug sind nicht nur die Ehe und die âtraditionelle“ Kernfamilie, sondern das Zusammenleben mit Partnern und Kindern generell (1). Der Singularisierungstrend betrifft vor allem die MĂ€nner: Etwa 45% der MĂ€nner im Alter von 40-45 Jahren lebten 2011 ohne Kinder im Haushalt; bei den gleichaltrigen Frauen lag dieser Anteil ânur“ bei 28%. Vor fĂŒnfzehn Jahren (1996) war es unter den Frauen dieses Alters ca. ein FĂŒnftel und bei den MĂ€nnern knapp ein Drittel, die ohne Kinder im Haushalt lebten (2). Schon in den 1990er Jahren war also die âKinderlosigkeit“ unter MĂ€nnern höher als unter Frauen, seitdem hat sich diese Differenz aber noch wesentlich vergröĂert.
Wie lĂ€sst sich dieses wachsende âGender Gap“ erklĂ€ren? Eine wesentliche Ursache dafĂŒr ist der MĂ€nnerĂŒberschuss auf dem Partnerschaftsmarkt: Da mehr Jungen als MĂ€dchen zur Welt kommen, gibt es bis zur Altersgruppe der 50-JĂ€hrigen immer mehr MĂ€nner als Frauen. Gleichzeitig verbinden sich Frauen meist mit etwas Ă€lteren MĂ€nnern – im Durchschnitt sind sie in Partnerschaften etwa drei Jahre jĂŒnger. Der GeburtenrĂŒckgang seit den 1960er Jahren fĂŒhrt nun dazu, dass jeder MĂ€nnerjahrgang auf eine zahlenmĂ€Ăig kleinere Kohorte partnerschaftlich noch nicht gebundener Frauen trifft. Von diesem âbirth-squeeze-Effekt“ waren die 40-45-jĂ€hrigen MĂ€nner im Jahr 1996 noch nicht betroffen: In den 1950er Jahren geboren, stieĂen sie dank des Baby-Booms Ende der 1950er Jahre auf eine wachsende Zahl (potentieller) Partnerinnen. FĂŒr die nach dem âPillenknick“ geborenen MĂ€nner haben sich dagegen die Heiratschancen verschlechtert (3). Dieser âmarriage squeeze“ ist ein Grund fĂŒr den sprunghaft gestiegenen Anteil der MĂ€nner, die nicht nur ohne Kinder, sondern auch ohne Partnerin leben: Zwischen 1996 und 2011 ist er unter den 40-45-JĂ€hrigen von unter 19% auf 31% gestiegen. Eine Tendenz zum Singledasein gibt es zwar auch bei den Frauen; im Vergleich zu den MĂ€nnern leben sie aber wesentlich seltener ganz allein (14%). DafĂŒr lebt aber fast jede achte Frau als Alleinerziehende, wĂ€hrend nur etwa jeder 50. Mann ohne Partnerin aber mit Kind(ern) lebt (4). Neben dem Frauenmangel erklĂ€rt also die Zunahme alleinerziehender MĂŒtter, warum immer mehr MĂ€nner ohne Frau und Kind(er) leben.
Entspricht das Leben als Single den WĂŒnschen dieser MĂ€nner? Viele dieser MĂ€nner dĂŒrften ihr Alleinleben nicht als Ausdruck von Autonomie und Selbstentfaltung, sondern als unglĂŒckliches Schicksal erfahren. Vergleichbares gilt fĂŒr Single-Frauen und auch fĂŒr Alleinerziehende: Ein-Eltern-Familien sind höchst selten geplant, sondern entstehen fast immer aus dem Zerbrechen von Beziehungen (5). Trennungen beruhen zunĂ€chst auf individuellen Entscheidungen, fĂŒr die bestimmte Personen verantwortlich sind. AnhĂ€nger der lebenslangen Ehe verurteilen Scheidungen deshalb nicht selten als moralisches Versagen, wĂ€hrend FĂŒrsprecher einer âseriellen Monogamie“ dazu neigen, Trennungen als Ausdruck des Selbstentfaltungsstrebens zu beschönigen (6). Beide Sichtweisen unterschĂ€tzen den Einfluss des sozialen Rahmens (âFramings“) auf die PartnerschaftsstabilitĂ€t: Die Ăbereinstimmung in Fragen des Lebensstils, der Religion und der Politik spielen eine wesentliche Rolle, ob Paare sich finden und zusammen bleiben (7). Je heterogener die Gesellschaft ist, desto schwieriger wird es fĂŒr den Einzelnen einen passenden Partner zu finden. Die postmoderne âVielfalt“ der LebensentwĂŒrfe hat deshalb einen hohen Preis, den besonders die unfreiwillig allein Lebenden und die alleinerziehenden MĂŒtter bezahlen. Eben dies blenden die gĂ€ngigen Feuilleton-Diskurse gerne aus. Denn wie schon Bert Brecht wusste: âDie im Dunkeln sieht man nicht“.
(1) Exemplarisch fĂŒr diese Sichtweise: Bernhard GĂŒckel: Gibt es eine Krise der Familie? Eine Lebensform im Spannungsfeld zwischen Wandel und Konstanz. Prof. Dr. Norbert F. Schneider zur Situation der Institution Familie bei der Dritten Tendenzwendekonferenz der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) am 17. November2011 inBerlin, im Interview in der Sendung âKulturgesprĂ€che“ des SĂŒdwestdeutschen Rundfunks (SWR 2) am 23. Dezember 2011 und im Beitrag âGeld allein ist keine Lösung“ der Publikation âThe European“ vom 10. Januar 2012, S. 10-11, in: Bevölkerungsforschung Aktuell 01/2012, S. 10-11.
(2) Vgl.: Abbildungen âFrauen: RĂŒckgang von Ehe und Kernfamilie“; âMĂ€nner: Abkehr von Ehe und Familie?“.
(3) Vgl.: Kerstin Ruckdeschel/Robert Naderi: FertilitĂ€t von MĂ€nnern, S. 2-9, in: Bevölkerungsforschung aktuell, Mitteilungen aus dem Bundesinstitut fĂŒr Bevölkerungsforschung, 30. Jahrgang, November 2009, S. 4.
(4) Vgl.: Abbildungen âFrauen: RĂŒckgang von Ehe und Kernfamilie“; âMĂ€nner: Abkehr von Ehe und Familie?“.
(5) Vgl.: Walter Bien/Alois Weidacher: Familien in prekĂ€ren Lebenslagen – zur politischen Relevanz der Untersuchungsergebnisse. Zusammenfassung und Ausblick, in: S. 229-242, in: Walter Bien/Alois Weidacher (Hrsg.): Leben neben der Wohlstandsgesellschaft. Familien in prekĂ€ren Lebenslagen, S. 239.
(6) Beispielhaft fĂŒr letzteres sei auf den 7. Familienbericht verwiesen: Nach seiner Auskunft ist die serielle Monogamie Ausdruck einer wachsenden individuellen Freiheit und des Wunsches, âunbefriedigende Verbindungen aufzugeben und nach besseren Perspektiven zu suchen“. Bundesministerium fĂŒr Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Familie zwischen FlexibilitĂ€t und VerlĂ€sslichkeit. Perspektiven fĂŒr eine lebenslaufbezogene Familienpolitik – Siebter Familienbericht, Berlin 2006, S. 126.
(7) Vgl.: Hartmut Esser: In guten wie in schlechten Tagen, Ehekrisen, Untreue und der Anstieg der Scheidungsraten – Eine Ursachenanalyse, http://ehe-familie.de/Seite333.htm.
Quelle: IDAF Nachricht der Wochen 44-45 / 2012
Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 7. November 2012 um 11:56 und abgelegt unter Demographie, Ehe u. Familie, Gesellschaft / Politik.