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Die Rückkehr der Familie

Donnerstag 11. Oktober 2012 von The European


The European

Die Rückkehr der Familie
Richard Schütze

Familienwerte erleben in Deutschland eine Renaissance. Statt aber nur Nachwuchs fürs Wirtschaftswachstum zu produzieren, verlangen Eltern heute zunehmend soziale Gerechtigkeit – und schon ist die Politik ratlos.

Keinen Tag zu früh, aber Jahrzehnte zu spät: Endlich ist das Thema da angekommen, wo es hingehört. Dachte man. Denn bei dem von der Bundesregierung mit einigem Aufwand veranstalteten „Demografiegipfel“ in Berlin erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel das Thema Bevölkerungsschwund und alternde Gesellschaft zur Chefsache.

Doch das Echo war zum Teil verheerend. Neben den Oppositionsparteien, die der Bundesregierung reflexartig eine Verschleppung der Probleme vorwarfen, war es ausgerechnet die liberal-konservativ geprägte „FAZ“ vom 5. Oktober, die das Ergebnis der Veranstaltung schlicht „blablabla“ nannte und der Regierung vorhielt, sie stelle nur „abstrakte Ãœberlegungen zum Wohle der Alten“ an und ignoriere die Interessen der Jugend. Und der international hoch angesehene Demografieexperte Herwig Birg konstatierte gar den Verlust von Rechtsstaatlichkeit und hielt der Regierungskoalition eine „verfassungswidrige Benachteiligung der Familien“ vor („FAZ“, 4.10.). Diese weigere sich immer noch, die Urteile des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2001 zur Verfassungswidrigkeit der derzeitigen gesetzlichen Ausgestaltung der Pflege-, Renten- und Krankenversicherung mit einer strukturellen Benachteiligung der Familien endlich durch eine von dem Gericht geforderte Anrechnung von Erziehungszeiten zu korrigieren.

Für die Unionsparteien entwickelt sich das Thema Familie mehr und mehr zu einem Desaster. Dabei hatten die Familienministerinnen Ursula von der Leyen und ihre Nachfolgerin in diesem Amt, Kristina Schröder, mit Merkels Rückendeckung manches angestoßen und auch versucht, eine Wende beim Geburtenrückgang zu bewerkstelligen. Vergeblich: Die Geburtenrate in Deutschland sank gegenüber dem Jahr 2009 mit 1,39 Kindern erneut auf 1,36 Kinder je Frau. Viel zu wenig, um den rasanten Bevölkerungsschwund auch nur abzubremsen. Von der Leyen, inzwischen Arbeits- und Sozialministerin, kämpft nun in der eigenen Partei und mit dem Koalitionspartner FDP statt für die in der „Rushhour des Lebens“ mit Familiengründung, Kindererziehung und Karriereplanung extrem ge- und überforderten Leistungsträger um eine Mindest- und Zuschussrente, die abermals die nachwachsenden Generationen finanziell nachhaltig belasten würde. Familienministerin Schröder versucht derweil wacker, das fast einzig noch von der CSU entsprechend dem Koalitionsvertrag vorbehaltlos eingeforderte Betreuungsgeld mit einer als Kompromiss erdachten Rentenkomponente für erziehende Väter und Mütter doch noch irgendwie ins Bundesgesetzblatt zu bringen. Und die Sozialdemokraten satteln mit ihrem Modell einer Solidaritätsrente auf das Konzept der Arbeitsministerin noch drauf. Die postjuvenilen Grünen sorgen sich, ebenso wie Ministerin Schröder und eine Gruppe von 13 CDU/CSU-Abgeordneten, vor- und vernehmlich um die Gleichstellung der sogenannten Homo- mit der Original-Ehe von einem Mann und einer Frau mit der Konsequenz einer vollkommenen steuer- und versorgungsrechtlichen Gleichstellung sowie auch einer entsprechenden Ausweitung des Adoptionsrechts; als würde das Land darunter leiden, zu viele Kinder und diese auch noch ohne eigene Eltern zu haben.

Da aber genau liegt der Hase im Pfeffer. Wie der Bonner Politikwissenschaftler Stefan Fuchs vom Institut für Demografie, Allgemeinwohl und Familie (i-DAF) feststellt, gibt es wie bereits im Zeitraum von 1890 bis 1930 seit 1970 zum zweiten Mal einen stetigen und nunmehr scheinbar auch unumkehrbar unaufhaltsamen Geburtenrückgang. Die Bevölkerung in Deutschland wird rascher schrumpfen und zugleich altern als gedacht; schon 2060 wird jeder Dritte in Deutschland ein Rentner sein und zugleich wird die Zahl der erwerbstätigen Menschen in Deutschland um sechs Millionen sinken. Neben den Megathemen Euro-Rettung, Energiewende und Klimawandel hat die Kanzlerin nun auch das von ihren Ministerinnen bislang nicht in den Griff bekommene Krisenthema Demografie an sich gezogen. Das aber kann auch Merkel in die Tiefe ziehen, wenn es ihr nicht gelingt, ein überzeugendes Gesamtkonzept für Jung und Alt zu entwickeln.

Denn das Thema Familie ist nicht nur begrifflich wieder „in“. Zwei Drittel der Menschen in Deutschland haben Kinder und noch immer haben drei von vier Kindern Eltern, die miteinander verheiratet sind. Die Shell-Jugendstudien der vergangenen Jahre bestätigen konstant, dass sich die große Mehrheit der jungen Menschen in Deutschland trotz einer von Stefan Fuchs konstatierten „Pluralisierung der Lebensformen“ nach einer dauerhaft verlässlichen Partnerschaft mit Kindern sehnt. Die Familien und ihre Verbände werden zunehmend unruhig; es gärt besonders in bürgerlich-konservativen Schichten, wo die Institutionen Ehe und Familie als Kerngemeinschaften der Gesellschaft und Herzkammern des staatlichen Gemeinwesens empfunden werden. Generationen von Eltern haben mehr oder weniger klaglos und duldsam für die Gesamtgesellschaft Erziehungsleistungen erbracht und „Human Resources“ für den Staat als neue Steuerzahler und für die Wirtschaft und Industrie als  Arbeitskräfte hervorgebracht. Als Resultat dieser Leistungen sehen sie sich als Karriereversager und mütterliche Heimchen am Herd verächtlich gemacht und diffamiert.

Doch können Staat und Politik weder in die Schlafzimmer oder die Lebensentwürfe hinein regieren, noch sind sie verantwortlich für die weiter steigende Zahl von Ehescheidungen oder gar die signifikant hohe Kinderlosigkeit bei Berufsgruppen wie den Medienschaffenden oder auch den Informatikern; demgegenüber, so Fuchs, hätten Mediziner und Lehrer, aber zum Beispiel auch Friseure wesentlich mehr Kinder. Für den Wissenschaftler kristallisiert sich ein global wirkendes Zivilisationsgesetz heraus: Wo steigender Wohlstand und Massenkonsum, Mobilität und Zugang zur globalen Medienkommunikation Einzug halten und Säkularisierung mit demokratischen Rechten und politischen Freiheiten Platz greift, dort kommt es mit zunehmender Individualisierung auch nahezu automatisch zu steigendem Heiratsalter, weniger nichtehelichen Geburten und insgesamt stetig sinkenden Geburtenraten. In nahezu allen Ländern der westlichen Welt sei von unterschiedlichen Ausgangsniveaus aus – beispielsweise in Frankreich mit einem staatlich geförderten Natalismus aus nationalen Motiven im Verhältnis zum Nazi-traumatisierten Deutschland – seit den 1960er-Jahren ein quotenmäßig vergleichbarer Geburtenrückgang zu verzeichnen. Dies gelte nun auch für Osteuropa, Asien und Lateinamerika. Sogar in Ländern ohne entwickelte demokratische und rechtsstaatliche Strukturen wie China oder dem islamisch geprägten Iran liefen vergleichbare Prozesse ab. Mit zunehmendem Wohlstand und wachsenden Freiheitsräumen würden die Menschen in einer persönlichen und durch gesellschaftliche Vorbilder geprägten Kosten-Nutzen-Rechnung die Opportunitätskosten und dann in der Konsequenz die lebenslang verpflichtenden Belastungen durch Kinder kalkulieren und den Zeitpunkt einer Elternschaft hinausschieben sowie die Zahl ihrer Nachkommen reduzieren.

Fuchs folgert aus dieser globalen Entwicklung, dass Familienpolitik sich nur der Herstellung von mehr sozialer Gerechtigkeit widmen könne. Mit familienpolitischen Maßnahmen allein könne allenfalls die Dynamik der globalen demografischen Entwicklung abgebremst werden. Der Staat solle aber nicht mit einem „Defamiliarismus“, sprich dem Outsourcing sämtlicher Opportunitätskosten etwa allein in gigantische Kita-Programme reagieren, sondern neben einer vernünftigen Objekt- auch die Subjektförderung der Familien beispielsweise in Form von Betreuungs- und Erziehungsgeld und der Anrechnung von Erziehungszeiten auf die Renten- und Pflegeversicherung vorantreiben. Birg sieht darüber hinaus auch die Bildungs- und die Wirtschaftspolitik als Nutznießer der „Human Resources“ in der Pflicht.

Die Union lehnt aus parteipolitischen Erwägungen ein auch von Altbundespräsident Roman Herzog angeregtes und durch die Eltern wahrzunehmendes Kinderwahlrecht ab; umso mehr muss sie sich nun überzeugend für eine Renaissance des gesellschaftlichen Bewusstseins der Familienwerte einsetzen, wenn sie in diesem zentralen Politikbereich glaubwürdig bleiben will.

Quelle: The European. Das Debatten-Magazin, 8.10.12 (www.theeuropean.de)

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Donnerstag 11. Oktober 2012 um 16:46 und abgelegt unter Ehe u. Familie, Gesellschaft / Politik.