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Rezension zu Stefanie Huesmann, Mut zum Bekenntnis. Peter Brunners Widerstand im aufkommenden Nationalsozialismus

Sonntag 30. September 2012 von Dr. Werner Neuer


Dr. Werner Neuer

Der Heidelberger Dogmatikprofessor Peter Brunner war zweifellos einer der bedeutendsten lutherischen Theologen des 20. Jahrhunderts. Er hat nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur eine Generation von Theologiestudenten und Pfarrern im Sinne einer biblisch-heilsgeschichtlichen lutherischen Theologie geprägt, sondern wurde weit über die Kirchen- und Ländergrenzen hinweg auch international geschätzt. Sein wohl bedeutendstes Werk ist das 1954 erschienene Buch „Zur Lehre vom Gottesdienst der im Namen Jesu versammelten Gemeinde“, welches das evangelisch-lutherische Verständnis des Gottesdienstes in einer seither unerreicht gebliebenen biblischen Tiefe und zugleich dogmatischen und ökumenischen Breite entfaltete. (In: Leiturgia. Hb. des evangelischen Gottesdienstes, Bd.1, Kassel 1954, 83–364; 2.Auflage Hannover 1993, hg. v. J. Stalmann).In den letzten Jahrzehnten geriet Brunner leider immer mehr in Vergessenheit. Dies ist umso bedauerlicher, als Peter Brunner – was kaum bekannt ist – im Dritten Reich zu den tapfersten Pfarrern der Bekennenden Kirche gehörte und schon im März 1935 als einer der ersten evangelischen Pastoren Deutschlands im Konzentrationslager Dachau inhaftiert wurde.

Brunners bemerkenswerter Widerstand gegen den Nationalsozialismus wird nun erstmals in einer gut lesbaren und preiswerten kirchengeschichtlichen Studie der Öffentlichkeit vorgestellt. Diesem Buch kann man aus drei Gründen nur einen großen Leserkreis wünschen:

Das Buch ist ein packendes und emotional anrührendes Glaubenszeugnis, das Mut macht, sich auch in schwierigsten Situationen zu Jesus Christus und zu seiner Kirche zu bekennen. Was die Autorin zutage gefördert hat, sind Ereignisse von kaum zu überbietender Dramatik, die schließlich in der Inhaftierung Brunners und seiner Einweisung in das KZ Dachau ihren Höhepunkt finden. Brunner hat den jahrelangen und sich zuspitzenden Schikanen und Erpressungsversuchen der Nationalsozialisten und der „Deutschen Christen“ als Pfarrer von Ranstadt zusammen mit seiner Dorfgemeinde einen geradezu heroischen Widerstand entgegengesetzt, der jedem Leser Hochachtung abnötigt, zumal er in jenen Jahren jungverheirateter Ehemann und Vater zweier kleiner Töchter war. Peter Brunner hatte schon vor Hitlers Machtergreifung den antichristlichen Charakter des Nationalsozialismus erkannt und sogar in einem Vortrag bereits 1931 öffentlich davor gewarnt. Durch seine biblische Verkündigung und die ihm geschenkte (damals auch in der Bekennenden Kirche eher seltene!) politische und ideologische Klarheit gelang es ihm, seine Gemeinde zu einer  Bekenntnisgemeinde zu formen,  die ihre geistliche Mitte im Gottesdienst hatte und ihren Pfarrer in ihrer großen Mehrheit auf eindrucksvolle Weise unterstützte: So sorgte sie für den Lebensunterhalt der Pfarrfamilie, als Brunner von der „deutsch-christlichen“ Kirchenleitung das Gehalt gestrichen wurde, und wagte es sogar, monatelang das Predigtverbot Brunners öffentlich zu unterlaufen, indem sie sich zunächst zur Feier des Gottesdienstes in der Dorfkirche verbarrikadierte und dann (nach Besetzung der Kirche durch die nationalsozialistischen Gegner) die Gottesdienste im Freien abhielt! Selbst den Abtransport ihres Pfarrers (zunächst ins Gefängnis und dann ins KZ) versuchte die Gemeinde zu verhindern, indem sie den Polizeiwagen umstellte und ein Gemeindeglied unter Lebensgefahr vor das Auto sprang. Nachdem Brunner nach ausländischen Protesten (z.B. von Bonhoeffers Freund Bischof Bell aus Chichester) am 3. Juni 1935 aus dem Konzentrationslager entlassen wurde, nahm er die Amtsgeschäfte wieder auf, obwohl er von der Kirchenleitung beurlaubt war, da er sein Pfarramt „verwirkt“ habe. Trotz des Versuches, für Brunner und seine Gottesdienstgemeinde den Zutritt zur Kirche zu sperren, konnten sie ihre Gottesdienste bis zur Aufhebung der Beurlaubung im Dezember 1935 durchführen, weil die überwältigend große Mehrheit der aktiven Gemeindeglieder sich in einer schriftlichen Erklärung hinter Brunner stellte. Die geschilderten Ereignisse machen deutlich, dass selbst in einer so skrupellosen Diktatur wie dem NS-Staat der Mut zum Bekenntnis des Glaubens erstaunliche Spielräume des Handelns eröffnen kann, die zwar das „äußere Unterliegen“ nicht unbedingt verhindern (wie Brunners Abtransport nach Dachau zeigt), wohl aber jener „Freiheit im Geist“ Ausdruck verleihen, die vor einer inneren Kapitulation bewahrt. In geistlicher und ethischer Hinsicht jedenfalls gingen Brunner und seine Gemeinde aus dem Konflikt als „Sieger“ hervor.

Das Buch schildert übrigens nicht nur Brunners Kirchenkampf als Dorfpfarrer, sondern skizziert dann auch noch seinen weiteren Weg nach Beendigung des Pfarrdienstes in Ranstadt bis zum Ende des Krieges und danach. Zunächst setzte sich Brunners Leidensweg fort: Er folgte 1936 einer Berufung als Dozent an die Hochschule der Bekennenden Kirche in Elberfeld und setzte diese Tätigkeit noch weitere neun Jahre in der Illegalität fort, nachdem die Hochschule Ende des Jahres vom Staat geschlossen worden war. Darüber hinaus diente er ohne festes Einkommen auf Spendenbasis als Hilfsprediger einer lutherischen Gemeinde. Erst nach Kriegsende war die Zeit der äußeren Bedrohung für Brunner vorbei, und er konnte dann von 1947 bis1968 inHeidelberg eine Lehrtätigkeit als Professor für Dogmatik wahrnehmen, die nicht nur von seiner profunden Gelehrsamkeit, sondern auch von seiner Erfahrung des Kirchenkampfes und von der Überzeugung geprägt war, dass lebendiger Glaube und Kirchesein die stete Bereitschaft zum Martyrium einschließen: „Die Zeiten sind vorbei, wo man in aller Behaglichkeit Christ sein konnte“ (S.70).

Das Buch schließt in kirchengeschichtlicher Hinsicht eine Lücke: Die Erlebnisse Brunners als Ortspfarrer des hessischen Dorfes Ranstadt und als führender Theologe der hessen-nassauischen Bekennenden Kirche waren bislang im Detail weitgehend unbekannt. Dank der sorgfältigen Quellenforschungen der Ranstadter (!) Autorin und Religionslehrerin Stefanie Huesmann ist der Ranstadter Kirchenkampf erstmals detailgetreu rekonstruiert. Zwar hatte der in die Schweiz emigrierte judenchristliche Schriftsteller Otto Salomon – ein persönlicher Freund Brunners – schon vor dem Zweiten Weltkrieg Brunners Kirchenkampferlebnisse unter dem Pseudonym Otto Bruder als literarische Erzählung (unter dem Titel „Das Dorf auf dem Berge“ mit veränderten Orts- und Personennamen, aber historisch im wesentlichen zutreffend) veröffentlicht. Aber die Ereignisse waren noch nicht aufgrund aller zur Verfügung stehenden Dokumente und Quellen kritisch aufgearbeitet worden. Dies ist nun in einer plausiblen und für den Leser erfreulich durchsichtigen Weise (mit Bildern und Originaldokumenten, z.T. in Faksimile) geschehen. Der Autorin gebührt Dank, dass sie sich dieser mühevollen Arbeit mit Erfolg unterzogen hat!

Das Buch eignet sich auch in doppelter Weise als Einführung: Einerseits als Einführung in den Kirchenkampf des Dritten Reiches, weil die Autorin über die biographischen und lokalhistorischen Einzelheiten hinaus doch auch den geschichtlichen Gesamthorizont plastisch nachzuzeichnen versteht. Andererseits aber bietet sie auch eine erste (freilich nur sehr skizzenhafte) Einführung in das theologische Denken Brunners, die (so bleibt jedenfalls zu hoffen) manchen Leser auch dazu motiviert, sich in Brunners ungemein reiche und tiefe Theologie einzuarbeiten.

Stefanie Huesmann: „Mut zum Bekenntnis. Peter Brunners Widerstand im aufkommenden Nationalsozialismus“. Mit einem Vorwort von Friedrich Beißer,  Freimund-Verlag Neuendettelsau  2012, 213 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-86540-102-1, 21,80 Euro.

Mit freundlicher Genehmigung des Rezensenten und der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Bayern

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Sonntag 30. September 2012 um 21:08 und abgelegt unter Buchempfehlungen, Gemeinde, Gesellschaft / Politik, Kirche, Theologie.