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Stellungnahme zum Thema „Einführung eines Betreuungsgeldes“

Montag 17. September 2012 von Birgit Kelle


Birgit Kelle

Stellungnahme zum Fragenkatalog der öffentlichen Anhörung im Deutschen Bundestag zum Thema „Einführung eines Betreuungsgeldes“ am 14. September 2012

1.) Der Gesetzesentwurf zum Betreuungsgeld verstößt gegen keinerlei verfassungsrechtliche Vorgaben, ganz im Gegenteil, die jetzige Situation, dass einseitig vom Staat nur die Betreuung von Kindern in der Krippe subventioniert wird, ist in meinen Augen verfassungsrechtlich nicht haltbar, da alle Betreuungsmodelle gleichwertig gefördert werden sollten. Die Einführung eines Betreuungsgeldes würde somit erst diesen derzeit ungerechten Zustand beseitigen.

2.) Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung sehr klar und eindeutig formuliert, dass eine Kinderbetreuung in der „jeweils von den Eltern gewählten Form“ ermöglicht werden muss. Der Staat muss dementsprechend der Entscheidungskompetenz der Eltern Vorrang geben. Die derzeitige, einseitige Förderung nur des Betreuungsmodells in Krippen und Kindertagesstätten widerspricht somit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes und bedeutet derzeit eine rechtliche Benachteiligung von Eltern, die ihre Kinder selbst erziehe wollen. Mit der Formulierung der „tatsächlichen Voraussetzungen“ legt das Bundesverfassungsgericht ebenfalls fest, dass eine Umsetzung durch die Eltern auch realisierbar sein muss. Dies ist nicht der Fall, wenn Eltern aus finanziellen Gründen gar nicht in der Lage sind, ihre Kinder abseits von Krippen selbst oder durch andere Lösungen zu betreuen. Von einer Wahlfreiheit der Eltern kann also bislang nicht gesprochen werden, wer finanziell keine Wahl hat, ist in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränkt. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist somit die Einführung einer Geldleistung auf Basis des Art. 6 GG zwingend geboten. Da der Staat keine Betreuungsform favorisieren darf, dies ist ja, siehe oben, Entscheidungskompetenz der Eltern, bestehen aus meiner Sicht jedoch verfassungsrechtliche Bedenken, ob eine Geldleistung in Höhe von nur 130 oder 150 Euro ausreicht, da sie im Vergleich zu den durchschnittlichen Förderungskosten eines Krippenplatzes in Höhe von 1.200 Euro monatlich vergleichsweise gering angesetzt ist. Eine Gleichbehandlung aller Eltern ist damit nicht erreicht.

3.) Die Gewährung einer Ersatzleistung für Eltern, die einen Krippenplatz nicht in Anspruch nehmen, bedeutet Gerechtigkeit für alle Eltern und die längst überfällige Herstellung eines verfassungsgemäßen Zustandes, der vom Bundesverfassungsgericht schon lange gefordert wird. Da wie bereits unter Punkt 2 ausgeführt, der Staat gar nicht einseitig nur eine mögliche Betreuungsform subventionieren darf, ist durch die Subventionierung alternativer Betreuungsmodelle erst ein verfassungsgemäßer Zustand in der Familienförderung erreicht. Es handelt sich somit gar nicht um eine Ersatzzahlung für die Nichtinanspruchnahme einer bereitgestellten alternativen Förderung, sondern um eine Zahlung, die der Staat schon längst für Betreuungsmodelle abseits von Krippen hätte bereitstellen müssen im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes. Der Staat würde mit einem Betreuungsgeld somit nichts weiter tun, als seinen bislang nicht erfüllen Verfassungsauftrag endlich zu erfüllen. Im Übrigen existieren auch im Bereich des Pflegegeldes ähnliche rechtliche Konstellationen, die alternative Zahlungen vorsehen für pflegende Angehörige, wenn diese keinen Platz in einer Pflegeeinrichtung in Anspruch nehmen. Wer hier argumentiert, es könne keine Ersatzzahlung für die Nichtinanspruchnahme einer staatlichen Leistung beansprucht werden, der muss konsequenter Weise auch bei der Pflege älterer Familienangehöriger Barzahlungen ersatzlos abschaffen.

4.) Auch hier muss erneut an die Entscheidungskompetenz der Eltern bezüglich der Form der Betreuung ihrer Kinder verwiesen werden und die Pflicht des Staates, alle gewählten Formen zu unterstützen. Das Grundgesetz enthält keinerlei Auftrag, Kindertagesstätten und Kindertagespflege besonders zu fördern und andere Betreuungsformen auszusparen. Es gibt keine Pflicht, seine Kinder einer Tagespflegeperson oder einer Kindertageseinrichtung zu überreichen. Eltern, die eine solche Leistung nicht in Anspruch nehmen wollen – und das ist die Mehrheit der Eltern – verzichten somit nicht auf eine Leistung des Staates, sondern werden verfassungswidrig von alternativen Leistungen ausgespart.

5.) Niemand wird von frühkindlicher Förderung ferngehalten, wenn er bis zum dritten Lebensjahr nicht eine staatliche Erziehungsanstalt besucht. Diese Frage impliziert, dass kindliche Förderung in den ersten drei Lebensjahren nur in einer staatlichen Einrichtung gewährleistet werden könne, und nicht zu Hause bei den Eltern, dafür gibt es weder wissenschaftlich noch gesellschaftlich irgendeinen Nachweis. Zusätzlich wird die elterliche Erziehung und Bildung damit abgewertet, auch dafür gibt es keinen Anlass. Da hier explizit von Kindern zwischen dem ersten und dritten Lebensjahr die Rede ist, besteht sogar nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen aus zahlreichen Studien Grund zu der Annahme, dass gerade diese extrem jungen Kinder durch zu frühe Fremdbetreuung in ihrer Entwicklung eher Schaden nehmen können, was sicher langfristig auf ihren Schulverlauf gravierende Auswirkungen haben wird. Hinsichtlich Alleinerziehenden besteht aus Kindessicht eine zusätzlich verschärfte Situation hinsichtlich der psychischen Entwicklung. Diese Kinder müssen bereits auf ein Elternteil im Alltag verzichten, was ohne Zweifel wissenschaftlich belegt, zu massiven Entwicklungsstörungen führen kann. Werden sie nun noch zusätzlich von dem verbleibenden Elternteil ebenfalls den ganzen Tag getrennt, sind weitere Probleme eher zu erwarten, als zu vermeiden.

6.) Mit Blick auf das Kindeswohl ist unbedingt zu befürworten, dass Kinder bis zum dritten Lebensjahr möglichst in weitgehender Obhut der Eltern verbleiben. Die Bindungsforschung weiß heute durch zahlreiche Langzeitstudien belegt, dass sich in diesem Zeitraum die emotionale Bindungsfähigkeit eines Kindes entwickelt. Kinder die stabile Beziehungen aufbauen konnten in ihrem frühen Leben, haben später im Kindergartenalter ab drei Jahren weniger Schwierigkeiten, sich auf neue Bezugspersonen einzulassen. Feste Bindungen sind zudem Grundvoraussetzung für spätere Bildung. Die Bindungsforschung zeigt eindrücklich, dass die Bindung möglichst an eine nicht wechselnde Person für Kleinkinder extrem wichtig ist. Dies kann in einer Kindertageseinrichtung mit großen Gruppen und wechselndem Personal nicht gewährleistet werden. Experten bemängeln bereits seit Jahren, dass die Gruppenstärke und der Personalschlüssel in Kindertageseinrichtungen nicht kindgerecht sei. Bildung findet dort also, wenn überhaupt, nur unter deutlich erschwerteren Bedingungen statt, als zu Hause. Es ist also davon auszugehen, dass die Kinder eher Schaden nehmen durch die frühe Fremdbetreuung und es existiert bislang kein einziger, wissenschaftlicher Nachweis, dass die Fremdbetreuung von Kleinkindern auch nur gleichwertig zu der elterlichen Betreuung ist. Aus Sicht des Kindeswohles, bedeutet frühe Fremdbetreuung somit eher ein Risiko, denn einen Vorteil.

7.) Nein. Keinem Kind werden Bildungschancen vorenthalten, wenn es mit 12 Monaten nicht in eine Krippe gegeben wird. Eventuell werden ihm durch diesen Schritt jedoch Bildungschancen genommen, die es durch eine liebevolle Erziehung zu Hause hätte haben können.

8.) Keine. Es sind nur positive Effekte zu erwarten sowohl für die Kinder als auch für deren Eltern.

9.) Ich zweifle an, dass es überhaupt nötig ist, flächendeckend Kinderbetreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren zu schaffen. Nach der Bedarfserhebung des Familienministeriums, möchten 35 Prozent aller Eltern einen U3-Platz für ihr Kind haben. Dies bedeutet, 65 Prozent der Eltern wollen keine solchen Platz, was nicht bedeutet, dass sie keine alternative Förderung wollen oder brauchen. Tatsächlich stellt sich also die Frage, wie viele der 35 Prozent an Eltern tatsächlich noch einen Platz benötigen oder wollen, wenn der Staat endlich seiner verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Pflicht nachkommt, auch alternative Betreuung abseits von Krippen gleichwertig finanziell zu fördern. Hier hat der Staat noch nie eine Wahlfreiheit geschaffen. Wahlfreiheit kann und darf nicht nur in Bezug auf Krippenplätze definiert werden, sondern muss auch eine Wahl abseits von Krippen mit einschließen. Hier existierte also noch nie eine finanziell geförderte Wahlfreiheit der Eltern.  Bezeichnender Weise wird in Bezug auf Krippenplätze hier in der Frage nur von „flächendeckend und bedarfsgerecht“ gesprochen – es fehlt der Hinweis auf qualitativ hochwertige Krippen. Die Frage der Quantität sollte doch mindestens genau so wichtig sein, wie die Frage der Qualität. Der Hinweis auf nicht bedarfsgerechte Öffnungszeiten von Kindertageseinrichtungen ist im Übrigen eine weitere Begründung für ein Betreuungsgeld. Tatsächlich haben eine steigende Zahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Arbeitszeiten zu kämpfen, die in keiner Weise zu Kita-Öffnungszeiten passen. Alle Eltern, die in frühen Morgenstunden oder späten Abendstunden, in wechselndem Schichtdienst oder an Wochenenden arbeiten müssen, haben ständig Schwierigkeiten mit einer kindgerechten Betreuung ihrer Kinder. All diesen Eltern wäre mit einer Bargeldleistung geholfen, die sie frei einsetzen können für frei gewählte Hilfe bei der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder. All diese Eltern werden derzeit von der Politik im Stich gelassen. Bereits jetzt müssen zahlreiche Kinder in Deutschland aus dem Schlaf gerissen werden, um ohne Frühstück vor der Arbeit der Eltern in einer Einrichtung abgegeben zu werden. Wir haben Kinder, die in sogenannten 24-Stunden-Kitas teilweise übernachten müssen, anstatt im eigenen Bett zu schlafen. Dies hat nichts mehr mit Bildung oder kindgerechter Erziehung zutun und ist eine Zumutung für viele Kinder und Familien. Eine kind- und familiengerechte Politik sollte sich an den Bedürfnissen von Kindern und Familien ausrichten und nicht an den Notwendigkeiten des Arbeitsmarktes.

10.) Niemand kann heute sagen, welche Auswirkungen genau die Einführung eines Betreuungsgeldes auf die Erwerbstätigkeit der Eltern haben wird. Wir befinden uns also im Bereich der Spekulation und Hochrechnung. Zahlreiche Umfragen bestätigen jedoch, dass gerade Mütter mit kleinen Kindern sich eine Teilzeitbeschäftigung wünschen, so auch zum Beispiel die Allensbach-Studie, die im aktuellen Familienbericht des Familienministeriums zitiert wird. Demnach wollen zwei Drittel aller erwerbstätigen Mütter gerne ihre Arbeitszeit reduzieren zugunsten der Erziehung ihrer Kinder. All diesen Müttern wäre durch ein Betreuungsgeld in angemessener Höhe geholfen, die finanziellen Einbußen zu schultern. Das Betreuungsgeld würde zudem all denjenigen Eltern helfen, die nur tageweise wieder in den Beruf einsteigen wollen nach der Elternzeit und derzeit gezwungen sind, entweder für die ganze Woche einen Krippenplatz zu nehmen und zu bezahlen, oder gar keinen zu bekommen. Im Sinne der Wahlfreiheit der Eltern würde es also helfen, neue Arbeitszeitmodelle zu realisieren, wenn die Eltern mit einer Barleistung selbst eine Betreuung ihrer Kinder organisieren könnten, die sich bedarfsgerecht an ihren individuellen Arbeitszeiten orientiert.

11). Die Erfahrung mit dem Elterngeld hat gezeigt, dass diese Leistung in der Bevölkerung gerne und oft in Anspruch genommen wird. Dies ist auch vom Betreuungsgeld zu erwarten. Finanziell betrachtet bedeutet dies langfristig eine Entlastung des Staates, da die Betreuung jedes Kindes in einer Krippe derzeit durchschnittlich 1.200 Euro pro Monat kostet. Jedes Kind, das dort nicht betreut werden muss und bei dem die Eltern die Betreuung selbst mit Hilfe des Betreuungsgeldes realisieren, spart dem Staat somit eine sehr hohe Summe Geld. Durch den Rechtsanspruch auf einen U3-Platz ist der Staat eine hohe finanzielle Verpflichtung eingegangen. Bereits die Realisierung der U3-Plätze für 35 Prozent aller Kinder hat in den vergangenen Jahren über 20 Milliarden Euro verschlungen. Eine Realisierung von Plätzen für 100 Prozent der Kinder wäre einen nahezu unbezahlbare Angelegenheit. Selbst mit einem deutlich höheren und somit angemessenem Betreuungsgeld von 500 oder 600 Euro pro Kind und Monat würde der Staat also immer noch über 50 Prozent der Kosten sparen, die durch weiteren Ausbau von Krippenplätzen zu erwarten sind. Unter Berücksichtigung des überwiegenden Elternwunsches nach eigener Erziehung der Kinder, bedeutet eine hohe Akzeptanz des Betreuungsgeldes in der Bevölkerung also langfristig eine geringere Haushaltsbelastung für Staat und somit Gesellschaft.

12). Da im Gesetzesentwurf nicht aufgeschlüsselt ist, auf welchen Faktoren die aufgezeichnete Kostenentwicklung des Betreuungsgeldes beruht, kann ich hierzu nicht Stellung nehmen.

13). Ein Gutscheinmodell ist abzulehnen, da es die Freiheit der Eltern einschränkt, wie sie die Erziehung ihrer Kinder gewährleisten wollen. Insbesondere wird dadurch die elterliche Erziehung überhaupt nicht mehr honoriert oder gewürdigt, Gutscheine können ja nur außerhalb des Haushaltes eingelöst werden. Ein Gutscheinmodell ist auch deswegen abzulehnen, weil die voran stehende Begründung – die Sicherstellung, dass das Betreuungsgeld zum Wohl des Kindes eingesetzt wird – impliziert, Eltern wären nicht allein in der Lage, zu entscheiden, was dem Wohl ihres Kindes dient. Es kommt einer Diffamierung aller erziehenden Eltern gleich, dass der Staat annimmt, sie würden dies Geld nicht dem Wohl des Kindes zugute kommen lassen. Für einen derartigen Generalverdacht gibt es keinerlei Anlass oder gar Begründung und eine derartige Bevormundung ist entwürdigend und beleidigend für die Hundertausenden von Eltern, die sich täglich gut um ihre Kinder kümmern. Im Übrigen wird auch bei anderen Sozialleistungen nicht kontrolliert, wie sie im Einzelfall eingesetzt werden, auch dort vertraut der Staat auf seine Bürger, warum also nicht bei den Eltern?

Deutscher Bundestag
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschussdrucksache 17 (13) 188g

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Montag 17. September 2012 um 17:30 und abgelegt unter Ehe u. Familie, Gesellschaft / Politik.