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Jugendarbeitslosigkeit, „Hotel Mama“ und Kindermangel

Freitag 20. Januar 2012 von Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e. V.


Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e. V.

Jugendarbeitslosigkeit, „Hotel Mama“ und Kindermangel

Was ist der Grund für die Baby-Baisse in Deutschland? Ãœber viele Jahre transportierten die Medien unermüdlich die immer gleiche Botschaft: Der Hauptgrund für die niedrigen Geburtenraten sei die fehlende „Vereinbarkeit“ von Beruf und Familie. Das Problem lösen könnten nur mehr Kinderbetreuungsplätze, die Müttern eine kontinuierliche (Vollzeit)Erwerbstätigkeit ermöglichten. Mit dieser Sichtweise hat auch die Bundesregierung den Ausbau der Kindertagesbetreuung begründet, der allerdings bisher keinen „Baby-Boom“ auslöste (1).

Auch Vordenker dieser Politik räumen ein, dass Betreuungsplätze allein für die Familienplanung nicht ausreichen: Sie verweisen auf die „extremen Unsicherheiten in der Lebensplanung“, die das Wirtschaftsleben heute der jungen Generation „in praktisch allen Berufssparten“ zumute (2). Und in der Tat: Jüngere Arbeitnehmer gehören nachweislich zu den Verlierern der „Deregulierung“ der Arbeitsmärkte: Sie sind häufiger befristet beschäftigt und erhalten wesentlich häufiger Niedriglöhne (3). Trotz ihres im Durchschnitt höheren Qualifikationsniveaus verfügen sie seltener als ihre Eltern oder Großeltern Mitte Zwanzig über ein „Normalarbeitsverhältnis“ als Grundlage einer verlässlichen Lebens- und Familienplanung.

Verlängerte Ausbildungszeiten, unsichere Beschäftigungsverhältnisse, flexibilisierte Arbeitsmärkte erschweren jungen Menschen allerdings nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa die Familiengründung. Besonders prekär ist ihre Arbeitsmarktlage im Süden und Osten der Europäischen Union: In Spanien sind gegenwärtig fast die Hälfte, in Griechenland mehr als 45%, in der Slowakei mehr als ein Drittel und in Italien, Portugal sowie in Polen etwa 30% der Jugendlichen (15-24 Jahre) ohne Erwerbsarbeit (4). Angesichts ihrer prekären wirtschaftlichen Lage verwundert es nicht, dass die jungen Menschen lange bei ihren Eltern wohnen: Junge Frauen gründen erst mit 26-28 Jahren und junge Männer sogar erst mit 27-31 Jahren einen eigenen Haushalt. Damit verbunden gehen junge Menschen spät „feste“ Partnerschaften ein – und zögern mit der Familiengründung (5).

Auch im Vorzeigewohlfahrtsstaat Schweden und in Frankreich ist die wirtschaftliche Lage junger Menschen schwierig: Mehr als ein Fünftel der Jugendlichen sind arbeitslos (6). Trotzdem verlassen dort junge Menschen oft schon früh (durchschnittlich mit 20-23 Jahren) das Elternhaus. Öffentliche Transfers wie Wohngeld oder Ausbildungsbeihilfen erleichtern es hier jungen Menschen einen eigenen Haushalt zu gründen – auch wenn es am selbst verdienten Geld noch mangelt. Auf diese frühe Ablösung vom Elternhaus führen manche Sozialforscher zurück, dass junge Menschen in Frankreich und Skandinavien häufiger feste Partnerschaften mit einem gemeinsamen Haushalt eingehen und später dann auch Familien gründen (7). Die frühzeitige Selbständigkeit junger Menschen, so meinen sie, fördere die Geburtenfreudigkeit, während eine längere Bindung an das „Hotel Mama“ zur Nachwuchsbaisse führe (8). Letzteres trifft durchaus zu: Ein hohes Auszugsalter aus dem Elternhaus ist in Europa immer mit niedrigen Geburtenraten verbunden – beispielhaft dafür sind die Slowakei, Italien, Griechenland und die iberische Halbinsel. Umgekehrt fördert aber eine frühe Haushaltsgründung nicht per se die Neigung, Familien zu gründen. Exemplarisch dafür ist Deutschland: Die Jugendlichen hierzulande gehören im europäischen Vergleich eher zu den „Nestflüchtern“ (9). Ihren Lebensunterhalt können sie dabei häufiger als junge Franzosen oder Schweden durch eigene Erwerbstätigkeit erwirtschaften – schließlich ist die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland so niedrig wie sonst nur noch in Österreich und den Niederlanden (10). Es besteht kein Zweifel: Auch für junge Deutsche sind die Arbeitsmarktverhältnisse rauer geworden; in der grassierenden Finanzkrise trifft es aber junge Italiener, Spanier und Griechen wesentlich härter. Es bedarf keiner besonderen Kühnheit, um Südeuropa weiteren Babyschwund zu prognostizieren. Woher die Geburtenmüdigkeit in Deutschland kommt bleibt dagegen ein Rätsel – zumindest solange die Ursachenforschung im Tunnelblick nur auf die Arbeitswelt verharrt.

(1) Siehe: http://www.i-daf.org/306-0-2-2010.html.

(2) So Hans Bertram im Gespräch mit Marie Amrhein und Michael Naumann, in: Keine Zeit für Kinderglück, Cicero vom 12/2011, S. 46.

(3) Siehe: http://www.i-daf.org/226-0-Woche-39-2008.html.

(4) Siehe: „Jugendarbeitslosigkeit in Europa“ (Abbildung unten).

(5) Siehe: „Wann verlassen junge Europäer das Elternhaus?“ (Abbildung unten).

(6) Siehe: „Jugendarbeitslosigkeit in Europa“ (Abbildung unten).

(7) Beispielhaft für diese Argumentation: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Familien zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit – Perspektiven für eine lebenslaufbezogene Familienpolitik. Siebter Familienbericht, Bundestagsdrucksache 16/1360, S. 23.

(8) Auf diese Weise erklärt zum Beispiel der belgische Demograph Ron Lesthaeghe die Unterschiede im Geburtenniveau zwischen Süd- und Nordwesteuropa. Vgl.: Ron Lesthaeghe: The „Second Demographic Transition“: A conceptual Map for the Understanding of Late Modern Demographic Developments in Fertility and Family Formation, S. 179-218, in: Historical Social Research, Vol. 36, 2/2011, S. 191-193.

(9) Siehe: „Wann verlassen junge Europäer das Elternhaus?“ (Abbildung unten).

(10) Siehe: „Jugendarbeitslosigkeit in Europa“ (Abbildung unten).

IDAF, Nachricht der Wochen 1-3/2012 (www.i-daf.org)

  

 

 

 

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 20. Januar 2012 um 22:08 und abgelegt unter Ehe u. Familie, Gesellschaft / Politik.