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Vereint Abraham Juden, Christen und Muslime?

Montag 16. Januar 2012 von Pfr. Eberhard Troeger


Pfr. Eberhard Troeger

Vereint Abraham Juden, Christen und Muslime?

Einleitung

Gern wird heute – vor allem von christlicher Seite – die Einheit der drei sogen. ‚abrahamitischen‘, monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam beschworen, weil sich alle auf Abraham und seinen Glauben an den einen Gott berufen. Man beschwört eine ‚Ökumene der Religionen, die an den einen Gott glauben‘. Im Eingottglauben Abrahams will man gewissermaßen den kleinsten gemeinsamen Nenner finden. Man will ehrlicherweise die Unterschiede im Gottesglauben nicht verwischen, aber das Gemeinsame herausstellen und als Basis für das Gespräch und die Zusammenarbeit betonen.

Ist das möglich und legitim? Bei genauem Hinsehen berufen sich Judentum, Christentum und Islam auf je ‚ihren Abraham‘, also auf einen Abraham, wie sie ihn jeweils verstehen. Am jeweiligen Abrahamverständnis werden gerade nicht die Gemeinsamkeiten des Gottesglaubens, sondern seine Unterschiede deutlich. Wir werden sehen, dass am jeweiligen Abraham-Bild das unterschiedliche Gottesverständnis deutlich wird.

Dabei ist natürlich zu bedenken, dass alle drei Glaubensweisen ‚breiten Strömen‘ gleichen, in denen recht unterschiedliche Auffassungen zum Thema vertreten werden. Wir werden uns deshalb vor allem an die Haupturkunden der drei Religionen, Altes und Neues Testament und Koran zu halten haben.

1. Abraham im alttestamentlichen Zeugnis

a. Das Alte Testament bezeugt uns Abraham als einen Menschen, zu dem Gott auf verschiedene Weise sehr persönlich geredet hat. Dabei hat Gott ihm nicht einfach ‚Wissen über Gott‘ vermittelt, sondern hat ihn erfahren lassen, wer Gott ist – nämlich der treue, zuverlässige Bundesgott, der seine Verheißungen erfüllt.

Gott hat Abraham aus seiner vertrauten Umgebung herausgerufen und ihn in eine fremde Welt beordert. Abraham hat sich auf dieses ‚Wagnis des Glaubens‘ eingelassen. Er verließ seine Heimat, ohne zu wissen, wo es hingeht und wie dort im fremden Land alles werden wird. Abraham gehorchte Gott, und Gott erwies sich als der zuverlässige, reale Gott.

Gott gab Abraham ein dreifaches Versprechen: er versprach ihm eine neue Heimat, ein Land; er versprach ihm große Nachkommenschaft; ein Volk solle aus ihm werden; und schließlich: Abraham solle für viele Menschen ein Segen sein; mit seinem Namen solle man sich gegenseitig Segen wünschen, und durch ihn und in ihm sollen alle Völker der Welt gesegnet werden.

Diese Verheißung steht am Anfang der Abraham-Berichte (1. Mose 12,1-3). Alle weiteren Berichte zeigen, wie diese Verheißungen anbruchhaft in Erfüllung gingen, aber zwischendurch immer wieder gefährdet waren.

b. Vom verheißenen Land konnte Abraham nur ein kleines Stück erwerben, nämlich einen Acker bei Hebron, an dessen Rand eine Höhle lag, in welcher er Sara begrub. Dieses Stück Land wurde zur Anzahlung für ganz Kanaan. Doch das erlebte Abraham nicht mehr. Er blieb Glaubender und Hoffender.

Am dramatischsten entwickelte sich die Frage nach dem großen Volk, d.h. nach dem oder den Nachfahren. Abraham und Sara hatten keine Kinder und waren alt. Abrahams Vertrauen in Gott wurde auf viele, harte Proben gestellt. Sara war einige Male gefährdet, da man sie Abraham abwerben wollte, und Abraham verhielt sich in diesen Situationen nicht ganz glücklich. Aber Gott rettete Sara.

Schließlich schlug Sara Abraham eine recht menschliche Lösung vor, Kinder zu bekommen, und Abraham ließ sich darauf ein. Das Ergebnis war Ismael, der Sohn der Hagar – aber dieser eigenmächtige Weg führte zu einem Familiendrama und schließlich zur Ausweisung Hagars und Ismaels.

Doch während sich dieser Fehlschlag abzeichnete, kündigte Gott das Wunder der Geburt Isaaks an, und es geschah. Der Junge wuchs heran. Dann aber sollte Abraham ausgerechnet diesen ‚Sohn des Glaubens‘ als Opfer darbringen. Das war die härteste Glaubensprobe. ‚Der Herr wird’s versehen‘, antwortete Abraham auf die neugierige Frage Isaaks nach dem Opfertier. Abraham blieb gehorsam und erfuhr die Treue Gottes in der Auslösung Isaaks durch ein Tier. Isaak war gerettet und konnte der Vater eines großen Volkes werden. Isaak wurde zum ‚Angeld‘ für das Volk Israel. Doch das erlebte Abraham nicht mehr. Er blieb Glaubender und Hoffender.

 Mit Isaak stand und fiel auch die Segensverheißung für alle Völker. Wahrscheinlich hatte Abraham es erlebt, dass die Menschen seiner Zeit sich segneten und sagten: Gott mache dich reich wie Abraham. Doch die eigentliche Erfüllung erlebte Abraham nicht. Die Erfüllung kam letztlich erst mit Jesus, dem ‚Licht der Welt‘. Paulus schreibt in Gal. 3,8: „Die Schrift aber hat es vorausgesehen, dass Gott die Heiden durch den Glauben gerecht macht. Darum verkündigte sie dem Abraham (1. Mose 12,3): ‚In dir sollen alle Heiden gesegnet werden.'“

c. In der Abrahamgeschichte verkündigt uns das Alte Testament Gott als den treuen Bundesgott. Dieser Gott erwies sich als ein Gott, mit dem der Mensch rechnen kann. D.h., Gott nicht als eine unpersönliche Idee, sondern als eine lebendige Wirklichkeit und als solche ein persönliches Gegenüber zum Menschen, ein Du. Abraham hat Gott als solchen erfahren. Und jeder Mensch kann Gott als solchen erfahren.

2. Abraham im Judentum

‚Wir haben Abraham zum Vater‘ (Matth. 3,9, vgl. Joh. 8,33) – so rechtfertigten sich die Juden im 1. Jahrhundert gegenüber Johannes dem Täufer und gegenüber Jesus. Mit dem Hinweis auf ihr Kindschaftsverhältnis zu Abraham lehnten sie sowohl den Bußruf des Täufers als auch den Jesu ab. Die leibliche Abstammung von Abraham machte sie selbstsicher gegenüber dem Anspruch Gottes auf ihr Leben. Jesus sagte ihnen: „Wenn ihr Abrahams Kinder wäret, so tätet ihr Abrahams Werke.“ Sowohl Johannes als auch Jesus sagten deutlich, dass eine leibliche Abstammung von Abraham nicht ausreicht.

Johannes und Jesus setzen damit die Kritik der alttestamentlichen Propheten fort. Israel solle nicht meinen, dass die Berufung durch Gott ein Freibrief für die Sünde ist. Gott will Gehorsam, eben den Gehorsam Abrahams.

Der alttestamentliche Abraham war eben beides:

– einerseits der leibliche Vater Israels über seinen Sohn Isaak und seinen Enkel Jakob, und das 1. Buch Mose macht klar, dass diese Erblinie die Erwählungslinie ist; Israel kann sich also wirklich auf den Abrahambund und die Erwählung durch Gott berufen;

– andererseits ist der alttestamentliche Abraham das große Vorbild im Glaubensgehorsam und insofern Typos für alle zukünftigen an Gott Glaubenden. Durch Abraham sollen eben alle Völker gesegnet werden und nicht nur die Nachfahren.

Im Judentum ist Abraham einseitig ‚verengt‘ worden auf die völkische Erwählungslinie. Ebenso hat das Judentum das Zeugnis von der Treue Gottes auf Israel begrenzt und damit den Gottesglauben verzerrt.

3. Abraham im neutestamentlichen Zeugnis

Jesus und die Apostel haben Abraham und den Gottesglauben wieder in die ursprüngliche Weite gerückt und den Gott bezeugt, welcher der treue Vater im Himmel für alle Glaubenden ist. Paulus führt in Römer 4 und 9 sowie in Galater 3 und 4 aus, dass der wesentliche Zug an Abraham sein Vertrauen in Gottes Verheißungen war. Durch dieses Vertrauen lebte er in der rechten Glaubensbeziehung. Ich meine, dass Paulus damit einerseits den Abraham der 1. Mosesbuches richtig verstanden hatte und andererseits auf der Linie Johannes des Täufers und Jesu dachte.

Wie für Johannes und Jesus hatte dieses Verständnis Abrahams eine besondere Bedeutung in seiner Auseinandersetzung mit dem gesetzestreuen Judentum. Für Paulus ist derjenige ‚Kind Abrahams‘, der Gott bedingungslos vertraut (Gal.3,7). Die leibliche Abstammung ist also nicht entscheidend. Paulus macht dies daran deutlich, dass Abraham ja viele leibliche Kinder hatte – außer Isaak auch Ismael und die Söhne der Ketura – dass aber nur Isaak der ‚Sohn des Glaubens‘ und damit der Träger der Bundesverheißung ist.

Paulus folgert daraus, dass auch Nichtjuden, also Menschen aus den Völkern der Welt (Gal. 3,8), Kinder Abrahams werden können, wenn sie glauben. „So sollte er ein Vater werden aller, die glauben….“ (Röm. 4,11). Paulus begründet auf diese Weise, dass es nicht nötig sei, das mosaische Gesetz zu halten, um in die richtige Gottesbeziehung zu kommen. Das Gesetz ist wohl gut, aber es kann den Menschen letztlich nicht in das rechte Gottesverhältnis bringen. Nur im Glauben an die in Jesus verheißene Sündenvergebung kann ein Mensch ‚mit Gott in Ordnung kommen‘.

Hier wird deutlich, dass die neutestamentliche Sicht Abrahams auch eine bestimmte Sicht Gottes ist. Gott ist der barmherzige Gott, der in seiner großen Liebe alle Menschen zu Kindern Abrahams machen möchte. Diese Liebe ist so groß, dass Gott durch seinen Sohn Jesus Christus einen Weg zu sich eröffnet hat, der für alle Menschen offen ist: nicht der Weg des Gesetzes, sondern der bedingungslosen Vergebung im Sühnopfer Jesu.

Die Apostel Jesu und damit der christliche Glaube sind sich gewiss, dass diese Deutung Abrahams und dieser Gottesglaube mit dem Alten Testament übereinstimmen, dass das Judentum das alttestamentliche Zeugnis von Gott verengt hat und dass der Jesusglaube das alttestamentliche Zeugnis von Gott bestätigt und vertieft. Das Christentum versteht sich, wenn es dem biblischen Zeugnis treu bleibt, als der Hüter des wahren Abrahamverständnisses und des wahren Gottesglaubens, als die endzeitliche Gemeinde der Glaubenden aus den Juden und aus den Völkern der Welt, als Menschen, die aus dieser Welt schon herausgerufen worden sind und auf die Herrschaft Gottes warten.

4. Der Abraham Muhammads

a. Für Muhammed war wichtig, dass Abraham weder Jude noch Christ war, sondern einfach ein Gottgläubiger. Muhammed hatte kein klares Geschichtsbild, aber er hatte begriffen, dass Abraham vor Mose und Jesus lebte. Da Abraham ein Verehrer des einen Gottes war, schloss Muhammed daraus, dass man nicht Jude oder Christ werden müsse, um den einen Gott zu verehren.

Vermutlich stand Muhammed vor seinem Berufungserlebnis vor der Frage, ob er nicht Jude oder Christ werden solle. Nach seinem Berufungserlebnis wusste er sich als arabischer Gottgläubiger ‚gleichberechtigt‘ neben Juden und Christen. Da aber Juden und Christen seine Sendung ablehnten, wurde für Muhammed der Rückgriff auf Abraham immer wichtiger: Wer glaubt wie Abraham, der ist im rechten Gottesverhältnis!

Muhammed argumentierte also ähnlich wie Paulus, doch ist der Unterschied nicht zu übersehen. Während Paulus den alttestamentlichen Abraham aus den heiligen Schriften kannte, hat Muhammed den im 1. Mosebuch bezeugten Abraham nicht kennen gelernt, da er die hebräischen Schriften weder lesen konnte noch – vermutlich – zu hören bekam. Seine Kenntnis von Abraham beruhte auf jüdischen Legenden, und Muhammed legte seine eigenen Vorstellungen von dem wahren Gottgläubigen in Abrahams Geschichte hinein. Der Koran verkündigt einen ‚muhammedanischen Abraham‘, der gegen die Vielgötterei kämpft wie Muhammed selbst.

b. Zahlreiche Koranstellen schildern Abrahams Kampf gegen den Götzendienst seiner Zeit, vor allem auch gegen seinen Vater Azar. Er zerschlägt die Götzenstatuen (21,58). Daraufhin will man Abraham töten, aber Gott errettet ihn (21,68). Abraham bekennt sich zu Gott als dem Schöpfer. Berühmt sind die Koranverse (6,76 – 79), in denen Abraham die Sterne, den Mond und die Sonne als unfähige Helfer ablehnt und sich Gott zuwendet. Nach 2,260 bittet Abraham Gott um einen Beweis, dass er Tote lebendig machen kann. Daraufhin werden vier tote Vögel ‚auferweckt‘.

Ich möchte hier einige Anmerklungen zum islamischen Schöpfungsglauben machen. Er unterscheidet sich wesentlich vom biblischen. Das hängt damit zusammen, dass der Islam die absolute Freiheit Gottes betont, aber nicht um die unendliche Treue und Geduld Gottes weiß. Prof. Adel Khoury, Münster, schreibt dazu in seinem Buch ‚Einführung in die Grundlagen des Islam‘, Köln u.a. 1978, S. 144f.: „Wenn alles immer wieder neu dem Schöpfungsakt Gottes entspringt, so bedeutet das, dass alles in jedem Augenblick durch den schöpferischen, unbedingten und uneingeschränkten Willen Gottes bestimmt und bedingt wird (Atomismus). Es folgt aus dieser Sicht der Dinge, dass die Welt keine innere Kontinuität aufweist. Ihre äußerliche Kontinuität ist lediglich die Zusammensetzung unendlich vieler Augenblicke, in denen Gott immer wieder die Welt neu erschafft. Was wir Menschen als eine Kontinuität der Existenz der Welt und eine Bestätigung ihrer Naturgesetze betrachten, ist in Wirklichkeit nur die Reihe der punktuellen und immer erneuten Wirkungserscheinungen des freien Schöpferwillens Gottes. So besteht in der Natur keine innere Wahrheit der Dinge. Das Wesen jeder Erscheinung wird von Gott direkt in jedem Augenblick im Zusammenhang mit ihrer Erschaffung neu festgesetzt…Dieser Atomismus erstreckt sich auf alle Bereiche des Seins und des Daseins, er umfasst alle Ebenen der Welt und des menschlichen Lebens…Die islamischen Theologen, die diesen Atomismus bejahen, berufen sich unter anderem auf folgende Koranstellen: S 56,71-72…S 8,17: „Und nicht ihr habt sie getötet, sondern Gott. Und nicht du hast jenen Wurf ausgeführt, sondern Gott…“.

c. Kommen wir zurück zu Abraham. Zahlreiche Koranstellen beziehen sich auf die Verheißung von Nachkommenschaft an Abraham und auf das Gericht über Lots Leute. Die ganze heilsgeschichtliche Dramatik fehlt aber im Koran. Die Geburt eines Jungen von hochbetagten Eltern wird als ein Geschenk Gottes angesehen. Auch die Geschichte von der Opferung dieses Jungen wird in vager Form geschildert. Der Name Isaaks wird dabei nicht genannt, und für die Muslime war Ismael der zu Opfernde. Merkwürdigerweise sagte Abraham zu seinem Sohn: „‚Mein Sohn! Ich sah im Traum, dass ich dich schlachten werde. Ãœberleg jetzt (und sag), was du (dazu) meinst!‘ Er sagte: ‚Vater! Tu, was dir befohlen wird!…“ (Sure 37,102). Die ganze Dramatik der alttestamentlichen Erzählung ist hier eingeebnet, der Sohn zu einem ergebenen Muslim gemacht worden.

d. Zahlreiche weitere Koranverse schildern Abraham als frommen Muslim, der hofft, dass Gott ihm am Tag der Auferstehung seine Sünde vergibt (26,82). Abraham war ein Prophet, ja er hat Offenbarungen von Gott erhalten, die in den ‚Blättern Abrahams‘ festgehalten worden sind (2,136; 4,54). Der Islam wird als die ‚Religion Abrahams‘ (2,135) bezeichnet. Abraham wird nach Mekka in Arabien verpflanzt, die Kaaba als Haus und Platz Abrahams (2,125) bezeichnet. Abraham und Ismael haben nach 2,127 die Mauern ‚des Hauses‘ gebaut.

e. Mit Hilfe dieser Projektionen setzte Muhammed die biblische Heilsgeschichte von Abraham bis Jesus praktisch außer Kraft. Mit dem Rückgriff auf Abraham entzog sich Muhammed sowohl dem Anspruch des mosaischen Gesetzes als auch des durch Jesus gewirkten Heils.

Der islamische Rückgriff auf Abraham ist gerade keine gemeinsame Plattform für den Gottesglauben von Juden, Christen und Muslimen, sondern vielmehr eine Kampfansage an den in der Bibel bezeugten ‚Gott der Väter‘ und den Vater Jesu Christi. Das koranische und das biblische Zeugnis von Gott lassen sich nicht ‚auf einen Nenner bringen‘, sind vielmehr gegensätzlich. Der Koran spricht von einem ‚anderen Gott‘ als die Bibel, auch wenn wir Muslimen natürlich zugestehen müssen, dass sie den einen Gott, den Schöpfer und Herrn der Welt, meinen.

f. Im Islam ist das koranische Gottesbild zur Norm erhoben worden. An dieser Norm wird das biblische Gottesbild gemessen. Alles, was in der Bibel dem koranischen Gottesbild widerspricht, wird als Erfindung von Juden und Christen, also als menschliche Fälschung hingestellt. Muslime sind der Meinung, dass sie allein im Koran und in der Tradition das wahre Gottesbild bzw. die wahre Gottesoffenbarung bewahrt haben und Juden wie Christen einem falschen Gottesbild anhängen. Einen Gott, der durch Opfer versöhnt werden muss, einen Gott, der seinen Sohn am Kreuz opfert, lehnen Muslime ab.

Aus diesen Ausführungen folgt nun:

5. Wie sehen Judentum, Christentum und Islam einander?

Wir haben gesehen, dass Juden, Christen und Muslime nicht nur Abraham, sondern auch den Gott Abrahams sehr unterschiedlich glauben und bekennen. Was folgt daraus für die Sicht der jeweils beiden anderen Glaubensweisen?

a. Das Judentum versteht sich selbst als den wahren Hüter des biblischen Eingottglaubens.

Das Christentum sieht es dagegen sehr kritisch. Aus jüdischer Sicht ist das Christentum letztlich eine aus dem Judentum kommende Sekte, die Sekte der Jesus-Anhänger, die sich leider weltweit ausgebreitet hat und durch die Einbeziehung der Heidenchristen eine mächtige Weltreligion geworden ist.

Auch den christlichen Gottesglauben sieht das Judentum sehr kritisch. Es wirft uns als Christen vor, den vermeintlichen Messias Jesus auf die göttliche Ebene gehoben und damit den strengen Eingottglauben preisgegeben zu haben. Das Judentum hat im Laufe der Kirchengeschichte den christlichen Glauben immer wieder massiv in Frage gestellt, vor allem den Glauben an die Dreieinigkeit Gottes und an den gekreuzigten Messias Jesus. Leider haben Christen im Laufe der zweitausend Jahre Kirchengeschichte das Zeugnis von dem erniedrigten Gottessohn durch das harte Verhalten gegenüber den Juden sehr unglaubwürdig gemacht.

Das Judentum sieht auch den Islam sehr kritisch. Einerseits würdigen Juden den strengen islamischen Eingottglauben, aber Juden können nicht zustimmen, dass dieser Gottesglaube an Muhammed offenbart sein soll. Die Juden zur Zeit Muhammeds haben ihm vermutlich deutlich gesagt, dass die Offenbarung mit der hebräischen Bibel abgeschlossen ist. Juden können unmöglich Muhammed als Propheten anerkennen. Sie müssen Muhammed vorwerfen, sich an die Stelle Moses gesetzt zu haben.

Juden müssen aber auch den islamischen Machtanspruch verwerfen. Der Islam hatte sich noch unter Muhammed in Madina zu seinem religiösen Staat entwickelt und die Juden blutig aus Madina vertrieben. Der Islam versteht sich wie das alte Volk Israel als ein religiös-politisches Gemeinwesen. Darin liegt eine große Tragik, die gerade in unseren Tagen im Nahostkonflikt deutlich wird. Das Judentum hat die Hoffnung auf eine staatliche Existenz nie aufgegeben. Damit stößt es aber mit den islamischen Machtinteressen zusammen. Politisch ist der Islam die große Konkurrenz des Judentums, während die christliche Kirche inzwischen auf ihre politischen Ansprüche – Gott sei Dank – verzichtet hat.

b. Wie ist die christliche Stellung zu Juden und Muslimen zu formulieren, wie ich sie aufgrund des Zeugnisses der Schrift verstehe.

Als Christen sind wir den Juden besonders verbunden, weil wir die hebräische Bibel mit ihnen gemeinsam haben und weil wie in den gläubigen Juden Zeugen für den einen Gott und seine Treue sehen. Paulus nennt die Juden ‚Kinder Gottes‘ (Röm. 9,4) und Geliebte Gottes (V. 28). Mit den Juden warten wir auf die Ankunft des Messias in Macht und Herrlichkeit. Mit Paulus wissen wir, dass „ganz Israel gerettet werden wird“ (Röm. 11,26).

Zugleich aber bekennen wir, dass Jesus von Nazareth der von Gott gesandte Messias Israels ist. Paulus stellt fest, dass die Mehrzahl der Juden diesem Messias und damit Gott ungehorsam ist (Röm. 11,31), dass sie ‚verstockt‘ (V. 25) und ‚Feinde‘ (V. 28) der Messiasgläubigen sind. Das gibt uns allerdings kein Recht, die Juden zu verachten oder gar zu verfolgen. Vielmehr sollen wir als Messiasgläubige den Juden ihren Messias bezeugen und sie zu Jesus rufen. Ich glaube, dass es legitim ist, dass wir als Christen aus den Völkern der Welt Juden zu dem einladen, der auch für sie als Retter und Messias gekommen, gestorben und auferstanden ist. Gleichzeitig sollten wir den Juden viel Liebe erweisen und sie angesichts ihrer vielen Feinde in Schutz nehmen. Wir wollen das ihnen von christlicher Seite zugefügte Unrecht bußfertig eingestehen, können aber Israel und das Judentum auch nicht verherrlichen und das von Israel anderen Menschen zugefügte Unrecht nicht übersehen.

Wie sehen wir von der Bibel her den Islam und die Muslime? Wir müssen zugestehen, dass viele Muslime einen großen ‚Eifer für Gott‘ haben, wie Paulus ihn auch vielen Juden zugesteht (Röm. 10,2). Wir müssen aber mit Paulus hinzufügen, dass dieser Eifer ‚ohne Einsicht‘, d.h. ohne wahre Gotteserkenntnis ist. Der Islam hat wohl Elemente des jüdischen und des christlichen Glaubens aufgenommen, aber insgesamt das biblische Zeugnis von Gott entstellt und einseitig verzerrt.

Der Islam kennt nicht den absolut heiligen Gott, dessen Urteil über den Sünder heißt: Des Todes schuldig. Der Islam meint, dass Menschen in der Lage seien, ihre Sünde wieder gutzumachen und bei Gott Anerkennung zu finden. Der Islam lehnt deshalb Versöhnung und Sühnopfer ab. Jesus wird zu einem bloßen Propheten herabgestuft.

Damit erweist sich der Islam als eine gegen den biblischen Jesus gerichtete Macht, eine endzeitliche Verführung, die Menschen von Jesus als dem Retter abhalten will (Anhänger eines ‚falschen Propheten‘ nach Matth. 24,24; 1. Joh. 2,22f.) und die Muslime als Menschen, die einer Verführung erlegen sind (2. Kor. 11,14; Matth. 16,22f.).

Von seiner Entstehung her ist der Islam eine arabische Religion mit jüdischen und christlichen Entlehnungen, die durch politische und militärische Erfolge Macht gewonnen hat und zur Weltreligion bzw. zur Weltmacht geworden ist.

Diese Einschätzung sollte freilich Christen nicht dazu verleiten, Muslime zu verachten oder gar zu bekämpfen. Auch Muslimen gilt die Liebe Christi. Ich meine, dass wir Muslime zu Jesus, dem Retter, einladen sollen.

Gleichzeitig sollten wir ihnen respektvoll begegnen und ihre Rechte als religiöse Minderheit in unserem Land achten. Wir sollten ihnen auch in Liebe helfen, wo es nötig und möglich ist. Wir sollten uns bemühen, die Muslime zu verstehen als Menschen, die wie wir unter unserer modernen und gottlosen Gesellschaft leiden. Wir können es uns auch leisten, unsere christliche Geschichte ehrlich zu sehen als eine Geschichte vielfachen Versagens gegenüber den Muslimen.

Das alles sollte uns aber nicht davon abhalten, den Muslimen Jesus als den Herrn und Retter zu bezeugen und ihre Umkehr zu Jesus zu erwarten. Wir sollten es gegenüber Muslimen auch nicht verschweigen, dass viele Christen in muslimischen Ländern keine Religionsfreiheit genießen dürfen. Wir sollten nicht müde werden, die Freiheit unserer christlichen Schwestern und Brüder einzufordern.

c. Wie sehen nun die Muslime Juden und Christen? Muslime halten sich selbst als die einzig wahren Gottgläubigen und rufen sowohl Juden als auch Christen zum Islam auf.

Den Juden werfen Muslime vor, die göttliche Sendung Muhammeds abzulehnen und deshalb gegenüber Gott überheblich und ungehorsam zu sein. Muslime können Juden bestenfalls als ‚Leute der Schrift‘ dulden, aber nicht als wahre Gottgläubige anerkennen.

Auch uns Christen werfen die Muslime vor, dass wir Muhammads Sendung nicht anerkennen und deshalb Gott ungehorsam sind. Vor allem aber sieht man uns nicht als wahre Gläubige an den einen Gott, weil wir Gott als den dreieinigen bekennen, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Neben Gott Gottheiten zu bekennen, ist aus islamischer Sicht eine ganze schlimme Sünde, die den Menschen auf jeden Fall vom Heil ausschließt.

Muslime führen die Ablehnung Muhammads und den Glauben an die Göttlichkeit Jesu darauf zurück, dass die Nachfolger Jesu, vor allem Paulus, die Worte Jesu verdreht und entstellt hätten. Unsere Bibel sei also nicht mehr die ursprüngliche.

Muslime sehen auch die christliche Geschichte sehr kritisch. Sie meinen, dass Christen deshalb so viel Gewalt angewendet hätten, weil ihr Glaube so unlogisch und wenig überzeugend sei. Der christliche Glaube sei unrealistisch, weil er den Menschen keine klaren Gebote und Verbote verordne und die Menschen verführe, sich auf Christus zu verlassen, anstatt sich moralisch anzustrengen.

Vielleicht sind Sie verwundert über solche Argumentationen, aber wenn Sie sich intensiv auf das Gespräch mit Muslimen einlassen, werden Sie diese Argumente ständig zu hören bekommen.

Vor allem aber stellt sich nun noch einmal die Frage: Können drei so unterschiedlich denkende Glaubensweisen im Namen Abrahams auf einen Nenner gebracht werden? Ich halte das für ausgeschlossen, wenn wir sowohl unseren eigenen Glauben ernst nehmen und den Glauben von Juden und Muslimen in seiner Andersartigkeit respektieren wollen.

6. Welchem Abraham wollen wir folgen?

Der völkische Abraham des Judentums scheidet für uns als Menschen aus den Heiden aus. Wollen wir dem Abraham Muhammads folgen? Der Abraham des Koran war sicher ein wackerer Streiter für den Eingottglauben – ein Mensch, der ‚Eifer für Gott hatte‘ (Röm. 10,2). Alle Achtung vor diesem Abraham! Er schämte sich Gottes nicht.

Auch unter Christen finden wir solche wackeren Gottesstreiter – Hut ab vor ihnen! Ich möchte nicht das Geringste gegen alle christlichen Eiferer sagen – sie beschämen mich oft.

Und doch halte ich es lieber mit dem biblischen Abraham – diesem Mann, der gar kein so großer Held war, der schwache Stunden kannte und versagte, der dennoch Gott immer wieder neu vertraute und gehorchte, der den Weg des Glaubens trotz aller Anfechtungen und Niederlagen bis zu Ende ging.

Abraham sah das Angeld der Verheißungen, er sah noch nicht das Ganze. So geht es doch auch uns in unserem christlichen Glauben. Wir haben durch Jesus das verbürgte Angeld der Erlösung. Wir haben den Heiligen Geist als Angeld der neuen Welt Gottes. Aber wir warten noch auf das Endgültige, auf den neuen Himmel und die neue Erde. Wir warten auf den sichtbar wiederkommenden Herrn. Dann, ja dann werden wir endgültig vom Glauben zum Schauen kommen.

Mit diesem biblischen Abraham, der hoffnungsvoll und geduldig unterwegs ist zum Ziel möchte ich es halten. Er soll der ‚Vater meines Glaubens‘ sein. Und ich möchte mich an den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs halten, den lebendigen Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus.

Pfr. Eberhard Troeger, Freudenstadt am 13.2.06

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Montag 16. Januar 2012 um 11:47 und abgelegt unter Weltreligionen.