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Betreuungsgeld-Debatte: Die Ideologen sind wieder unterwegs

Sonntag 17. Juli 2011 von Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e. V.


Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e. V.

Freiheit kann gefährlich sein – an diese nicht ganz neue Erkenntnis erinnerte jüngst eine Bundestags-Anhörung zur Kinderbetreuungspolitik. Zur Debatte stand das Betreuungsgeld: Eine Zahlung von 150 € an Eltern, die ihren ab 2013 geltenden Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung nicht wahrnehmen, sondern ihre 2- und 3-jährigen Kinder zu Hause erziehen. Seine Befürworter argumentieren mit der Wahlfreiheit: Eltern sollen zwischen einer Sachleistung (Betreuungsplatz) und einer Geldleistung entscheiden können, je nachdem, ob sie eine institutionelle oder eine familiäre Betreuung ihrer Kinder bevorzugen. Eben diese Entscheidungsfreiheit sehen die Kritiker als Gefahr: „Da viele Familien eine private Kinderbetreuung vorziehen, könnten sie sich trotz Einkommensausfall zu einer Verringerung der Erwerbsintensität entscheiden“ (1). Das Betreuungsgeld könne den folgenden Erwerbseinkommensausfall aber nicht kompensieren, so dass die Armutsrisiken für Familien wachsen könnten. Da zumeist Mütter die Kinder betreuten, verfestige sich damit auch das „Gender Gap“ auf dem Arbeitsmarkt (2).

Schließlich animiere ein Betreuungsgeld Eltern dazu, ihren Kindern „frühe Bildung“ in einer Krippe vorzuenthalten, was insbesondere Kindern aus „bildungsfernen“ Schichten Zukunftsperspektiven verbaue (3). Bei diesen Kindern käme das Betreuungsgeld ohnehin nicht an, weil ihre Eltern es für den Alkohol- und Tabakkonsum missbrauchten. Statt Bargeld dürften Eltern allenfalls noch Gutscheine für staatlich bestimmte Zwecke erhalten, ansonsten müssten alle Ressourcen der Familienpolitik in den Ausbau von Ganztagskinderbetreuung fließen (4).

Eine freie Wahl der von Eltern für ihre Kinder bevorzugten Betreuungsform soll es nicht mehr geben: „Schon der Begriff der „Wahlfreiheit“ sei abzulehnen, weil er zwei Entscheidungsalternativen, nämlich die Eigenbetreuung und das Betreuen-lassen, impliziert“. In der Familienförderung – so heißt es in dem einschlägigen Rechtsgutachten weiter – sei der Gesetzgeber „gehalten, institutionelle Rahmenbedingungen für die Familien zu schaffen, die ihnen Orientierungssicherheit geben. Unbedingt zu vermeiden seien dafür „Impulse“, die Eltern „zu einem riskanten Entscheidungsverhalten veranlassen“ (5). Als das zentrale Risiko vor dem der Staat Mütter schützen müsse, gilt die Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit für die Kindererziehung (6). Obsolet sind damit alle Regelungen, die Einverdienerfamilien bzw. nichterwerbstätige Mütter unterstützen: Dies gilt nicht nur für Einkommenstransfers an Familien, sondern auch für das steuerliche Ehegattensplitting, Rentenanwartschaften für Kindererziehungszeiten etc.; fast parallel zur Betreuungsgeldanhörung forderten Ökonomen daher, die „beitragsfreie“ Mitversicherung nicht berufstätiger Ehepartner abzuschaffen (7). Finanzieller Druck soll also die vielen bisher noch leichtsinnigen Mütter zur kontinuierlichen Erwerbstätigkeit drängen.

Bezeichnend für den Paternalismus der Betreuungsgeldgegner ist der medial verbreitete Begriff „Herdprämie“: Vordergründig auf die Leistung als solche bezogen diffamiert er zugleich pauschal die häusliche Kindererziehung. Auf diese Weise setzt er nichterwerbstätige Mütter noch mehr unter Rechtfertigungszwänge, und auf diese Weise lässt sich die Wahlfreiheit nicht nur materiell, sondern auch moralisch-ideell beschneiden. Einem solchen Druck auf Frauen, einer neuen emanzipatorisch-korrekten „Standard-Biographie“ zu folgen, widersprach noch 2001 der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder: Es sei „überhaupt kein Verrat an Emanzipation und Frauenbewegung“, wenn sich Frauen für die unbezahlte Arbeit in Haus und Familie entschieden, die „für unsere Gesellschaft immer wichtiger“ werde (8). Schröder stand diesbezüglich in der Kontinuität seiner Kanzler-Vorgänger: Ãœber Jahrzehnte hatten die Bundesregierungen immer wieder – wenigstens rhetorisch – die Leistungen der Familien in der erzieherischen Sorge für ihre Kinder gewürdigt und ihre Absicht bekundet Eltern „Spielräume und Wahlfreiheiten zu erhalten“ (9). Dieses Zutrauen ist innerhalb weniger Jahre einer Hermeneutik des Versagens-Verdachts gegenüber Eltern gewichen. Erkenntnisfortschritte können diesen Klimasturz nicht erklären: Zu deutlich zeigen die Humanwissenschaften immer wieder, dass Institutionen die Familie nicht ersetzen können (10). Maßgeblich ist vielmehr das Interesse an der Arbeitsmarktverfügbarkeit von Eltern – hier sind sich Feministinnen, Gewerkschaften und Wirtschaftslobby einig. Ihre dirigistische Agenda verkaufen sie der Öffentlichkeit mit Hilfe mancher Medien als „Gemeinwohl“ – eine Strategie, die eigentlich aus der Ideologieproduktion von Diktaturen bekannt ist.

(1) Axel Plünnecke: Das Betreuungsgeld aus ökonomischer Sicht – Stellungnahme zur Bundestagsanhörung für das Institut der deutschen Wirtschaft Köln, S. 4, abrufbar unter www.iw-koeln.de.

(2) Vgl. ebd., S. 4-5.

(3) Ebenda, S. 5-6. Diese Argumentation zusammenfassend: Margareta Schuler-Harms: „Verfassungsrechtlich prekär“: Expertise zur Einführung eines Betreuungsgeldes im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2010, S. 9. Auf dieses Gutachten bezieht sich die SPD-Bundestagsfraktion in ihrem Antrag „Auf die Einführung des Betreuungsgeldes verzichten“ (Bundestagsdrucksache Drucksache 17/6088 vom 7. Juni 2011).

(4) Zu dieser Argumentation und ihrer mangelnden empirischen Plausibilität: Stefan Fuchs. Staatliches Kindergeld, von den Eltern „versoffen“: http://www.erziehungstrends.de/node/603.

(5) Siehe: Margareta Schuler-Harms: „Verfassungsrechtlich prekär“, op. cito, S. 24 und S. 26.

(6) Die Notwendigkeit der kontinuierlichen Erwerbstätigkeit wird dabei angesichts des Trennungs- bzw. Scheidungsrisikos ausdrücklich mit den verringerten Ansprüchen der Reform des Unterhaltsrechts begründet, vgl. ebenda. Noch deutlicher formuliert diese Standpunkt Uta Sacksofsky in ihrem Rechtsgutachten zur „Vereinbarkeit des geplanten Betreuungsgeldes nach § 16 SGB VIII mit Art. 3 und Art. 6 GG“ (abrufbar unter www.gruene-bundestag.de) für die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen: „Ein Ausscheiden für mehrere Jahre macht die Rückkehr in den Beruf schwierig. An diesem Umstand kann der Staat nur sehr begrenzt etwas ändern […]. Dieses Risiko wird denjenigen aufgebürdet, die wegen Kinderbetreuung für längere Dauer aus dem Berufsleben aussteigen. […] Dieses Risiko wird auch nicht mehr durch zivilrechtliche Regelungen aufgefangen. […] Die Hausfrauentätigkeit wird zunehmend prekär und ist mit erheblichen Armutsrisiken im Alter oder nach Scheidung verbunden. Dem Verfassungsauftrag zur Durchsetzung tatsächlicher Gleichberechtigung entspricht es daher nicht, Frauen Anreize zu dieser prekären Lebensform zu geben“. Ebenda, S. 14. Die Reformt des Unterhalts wie auch der Verzicht auf den Ausbau der Rentenanwartschaften von „Hausfrauen“ sind ihrerseits Ausdruck des neuen Leitbilds kontinuierlich erwerbstätiger Elternschaft, das sich somit quasi aus sich selbst legitimiert. Zur Unterhaltsrechtsreform siehe: iDAF-Newsletter der Woche 52 – 2009.

(7) Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft: Herdprämie gehört nicht in die Krankenversicherung, Pressemitteilung vom 29. Juni 2011zum INSM-Gutachten Fehlfinanzierung der Sozialversicherung, abrufbar unter http://www.insm.de/insm/Presse/Pressemeldungen. Kritisch zur beitragsfreien Mitversicherung wie zum Ehegattensplitting aus juristisch-feministischer Sicht: Uta Sacksofsky, op. cito, S. 14.

(8) Gerhard Schröder: Selbstverwirklichung beginnt in der Familie, in: DIE WELT vom 30.3.2001,  http://www.welt.de/printwelt/article442673/Selbstverwirklichung_beginnt_in_der_Familie.html.

(9) Zu Zeiten der sozial-liberalen Koalition: „Die Bundesregierung anerkennt und würdigt die große Leistung der Familien bei der Erziehung und Sorge für die Kinder. […] Anerkennung gebührt sowohl Müttern, die sich ganz der Aufgabe der Erziehung und des Haushalts widmen, als auch Müttern, die beides – Haushalt und Beruf – miteinander verbinden. Im Recht der Eltern sieht die Bundesregierung kein vom Staat abgeleitetes, sondern ein originäres Recht der Familien.“ Siehe: Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht der Sachverständigenkommission für den Dritten Familienbericht, S. 3-19, in: Die Lage der Familien in der Bundesrepublik Deutschland – Dritter Familienbericht – Deutscher Bundestag 8. Wahlperiode Drucksache 8/3120, S. 4. Noch prononcierter äußerte sich die Kohl-Regierung in dieser Richtung: „Die Bundesregierung unterstreicht die Aussage des Berichts, dass sich Arbeit nicht in Erwerbsarbeit erschöpft. Ohne Zweifel ist die Arbeit, die in den privaten Haushalten geleistet wird als ein gewichtiges Kernstück der Daseinsvorsorge anzuerkennen. Der Weg des Ausbaus von menschlichem Handlungspotential, das heißt von Humanvermögen, beginnt in der Familie. […] Politik des Staates und der gesellschaftlichen Gruppen sollen helfen, Familien Spielräume und Wahlfreiheiten zu erhalten und damit ihre Handlungskompetenz zur Bewältigung vielfältiger Aufgaben zu stärken.“ Stellungnahme der Bundesregierung zum Fünften Familienbericht, III-XXXIV, in: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland – Zukunft des Humanvermögens (Fünfter Familienbericht), Bundestagsdrucksache 12/7560, Bonn 1995, XVII sowie XXXIII.

(10) Siehe hierzu: http://www.i-daf.org/290-0-Wochen-9-10-2010.html.

Quelle: IDAF Nachricht der Wochen 27-28 / 2011

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Sonntag 17. Juli 2011 um 20:28 und abgelegt unter Ehe u. Familie, Gesellschaft / Politik.