Gemeindenetzwerk

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Die Gnadengaben im Dienst der Gemeinde

Freitag 11. Februar 2011 von Pastor Jens Motschmann


Pastor Jens Motschmann

Predigt: Die Gnadengaben im Dienst der Gemeinde
(Römer 12,3-8)

„Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich’s gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat. 4 Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, 5 so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied, 6 und haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Ist jemand prophetische Rede gegeben, so übe er sie dem Glauben gemäß. 7 Ist jemand ein Amt gegeben, so diene er. Ist jemand Lehre gegeben, so lehre er. 8 Ist jemand Ermahnung gegeben, so ermahne er. Gibt jemand, so gebe er mit lauterem Sinn. Steht jemand der Gemeinde vor, so sei er sorgfältig. Ãœbt jemand Barmherzigkeit, so tue er’s gern.“ (Römer 12,3-8)

Es ist eine bekannte Tatsache, dass jeder von uns allein und völlig auf sich gestellt, kaum lebensfähig wäre. Alles, was wir sind, was wir geworden sind, was uns lebenstüchtig gemacht hat, verdanken wir nicht nur unserer eigenen Tüchtigkeit, sondern ganz entscheidend andern: Eltern, Lehrern, Ausbildern, Freunden, hoffentlich auch Pastoren und engagierten Christen. Und das bleibt so – wir sind weiterhin auf andere angewiesen: Auf Ärzte, Handwerker, auf die, die uns Nahrung geben – für den Körper, für den Geist, für die Seele.

Dies gilt auch für unser Christsein. Es gibt kein Christsein ohne Gemeinde. Wer meint, er könne seinen christlichen Glauben ohne Gemeinde leben, wird sehen, dass dies allenfalls nur vorübergehend möglich ist. Auf Dauer geht das nicht. Es sind ja heute Morgen sicherlich einige unter uns, die früher auch gemeint haben, es ginge ohne Gemeinde.

Und Sie haben festgestellt, dass in der Zeit, als Sie so dachten, ihr Glaubensleben etwas matt war und kaum Ausstrahlung hatte. War es nicht so? Eine Gemeinde, so schreibt Paulus an die Gemeinde in Rom, ist einem Leib vergleichbar. Da ist ein Körper, da sind vielfältige Organe und das Ganze muss sinnvoll zusammenwirken, wenn der Körper gesund bleiben soll. Die Gemeinde ist ebenfalls eine Einheit, aber auch eine Vielfalt und sie braucht das Zusammenwirken. So dürfen wir nach Paulus die Gemeinde verstehen. Und was er hier sagt, gilt natürlich nicht nur für die Gemeinde in Rom, sondern ist grundsätzlich gemeint und gilt folglich für alle Gemeinden.

1.  Die Einheit der Gemeinde

Paulus drückt es so aus: „Wir viele sind ein Leib in Christus.“ Was Christus durch seine Hingabe, durch sein Opfer, für uns getan hat, das allein bildet und hält die

Gemeinde zusammen. Das ist ein ganz wichtiger Gedanke. Die Voraussetzung für die Einheit der Gemeinde liegt nicht darin, dass da Menschen zusammenkommen, die sich sympathisch finden. Sondern dass diejenigen, die da zusammenkommen, wissen, dass wir die Sympathie von Christus her haben. Das ist sicherlich etwas ungewöhnlich ausgedrückt.

Was heißt denn wörtlich übersetzt „Sympathie“? Wir gebrauchen dieses Wort im allgemeinen Sprachgebrauch etwas oberflächlich. Sympathisch nennen wir jemanden, den wir ganz nett finden. Das griechische Wort sympathein heißt aber genau übersetzt „mitleiden“. Sympathisch sind wir uns erst dann, wenn uns der andere so wichtig ist, dass wir nicht nur nette Stunden mit ihm verbringen wollen, sondern auch bereit sind, mit ihm mitzuleiden, wenn er niedergeschlagen ist. Ob eine Gemeinschaft wirklich trägt und belastbar ist, kann man erst erkennen, wenn man gemeinsam durch Tiefen gegangen ist. Paulus sagt ja auch an anderer Stelle: „Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit ….“ (1.Korinther 12,26)

Christus hat mit uns und für uns gelitten, weil er sah, dass Menschen ohne Gott keinen festen Halt haben, dass sie dadurch auch leichter ins Unglück laufen. Wir lesen in der Bibel, wie Jesus, als er sich mit seinen Jüngern Jerusalem näherte, die Stadt vor sich liegen sah und über Jerusalem weinte:

„Und als er nahe hinzukam, sah er die Stadt und weinte über sie und sprach: Wenn doch auch du erkenntest zu dieser Zeit, was zum Frieden dient.“ (Lukas 19, 41-42) Jesus sah die Katastrophe kommen, die ja tatsächlich im Jahre 70 n. Chr. eintrat. Jesus hat Mitleid mit den Menschen, die Furchtbares erleiden werden.

Kommen wir zurück auf das Bild, das Paulus von uns allen gebraucht: Die Gemeinde ist nicht eine beziehungslose Gruppe von Menschen, sondern wir sind ein Leib. Unser Herz ist von der Liebe Christi erfüllt. Unser Kopf, unser Geist wird gesteuert vom Heiligen Geist. Alle Körperteile werden vom gleichen Blutkreislauf durchströmt.

Sehen Sie: Das will dieses Bild vom Leib sagen. Die Gemeinde ist zuallererst eine organische und nicht eine organisierte Gemeinschaft. Wir müssen diese Gemeinde nicht schaffen. Jesus hat sie ins Leben gerufen. Grund zur Dankbarkeit, dass es das gibt: eine Gemeinde, in der es eine Vielfalt von unterschiedlichen Organen und Gliedern gibt, die dieser Körper hat!

2.  Die Gemeinde ist Vielfalt

Paulus beschreibt die Gemeinde Jesu als ein Leib mit vielen Gliedern. „Aber nicht alle Glieder haben dieselbe Aufgabe“. Bei diesem Wort Vielfalt kann es allerdings nicht darum gehen, dass wir in der Gemeinde in zentralen Glaubensaussagen total unterschiedlicher Meinung sein könnten. Wo das in einer Gemeinde geschieht, da ist der Tod im Topf. Da geht es mit einer solchen Gemeinde über kurz oder lang unweigerlich bergab. Wir müssen nun wirklich nicht über jeden Punkt und jedes Komma in der Bibel einer Meinung sein. Und wir sehen ja auch, dass die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes und daneben z. B. Paulus die Akzente der Botschaft von Jesus verschieden setzen, aber doch spürbar aus einem Geist. Ob Jesus Gottes Sohn ist, ob er wahrhaftig auferstanden ist, ob die Worte, die die Bibel von ihm überliefert, echt sind, ob er Taufe und Abendmahl eingesetzt hat, war für die Verfasser der Evangelien und der Briefe in der Bibel kein Diskussionsthema und kann darum auch für gläubige Christen kein Diskussionsthema sein.

Ich weiß, es gibt Gemeinden, da sieht man das anders. Vor einiger Zeit rief mich jemand aus einer anderen Gemeinde an, um sich zu vergewissern, dass es doch wohl nicht in Ordnung sei, dass der Pastor es bei einer Taufe abgelehnt habe, den Taufbefehl Jesu aus Matthäus 28 zu sprechen, da diese Worte angeblich nicht von ihm stammen und folglich auch gar nicht in die Bibel hineingehörten. Wenn eine Gemeinde einen Pastor oder Kirchenvorsteher wählt, sollte dieser Punkt unbedingt angesprochen werden: „Wie verbindlich sind für Sie die Aussagen der Bibel?“ Mit dem Verständnis der Bibel steht und fällt eine Gemeinde!

Gerade das Bild des Leibes, das Paulus hier gebraucht, macht ja deutlich, dass es wohl eine Vielfalt der Glaubensäußerungen gibt, die aber alle aus einem Geist kommen. Die Vielfalt bezieht sich also nur auf die vielfältigen Gaben in der Gemeinde. Paulus nennt hier einige dieser Gaben:

Er nennt die prophetische Rede, also die Gabe, Gottes Willen für die Zeit zu deuten.
Er nennt die Fähigkeit, ein Amt zu versehen.
Er nennt die Gabe zu lehren, zu unterrichten, zu ermahnen.
Er nennt die Gabe Barmherzigkeit zu üben, also mit dem Blick der Liebe den zu sehen, der im Augenblick besondere Hilfe und Zuwendung braucht.

Und alle diese Gaben und noch einige mehr, die Paulus an anderer Stelle nennt, sind in jeder gesunden Gemeinde da – in jeder. Mag ja sein, dass man persönlich eine Vorliebe für bestimmte Organe und Glieder des Körpers hat, dass einem vor allem die Augen unersetzlich vorkommen oder das Gehör oder die Hände. Aber wir wissen zugleich, dass jedes Glied wichtig ist. Sonst wäre es nicht da. Jedes Glied ist vom Schöpfer her so gewollt. Und eben das gilt auch für jedes Glied der Gemeinde. Mag sein, dass wir das eine oder andere Gemeindeglied wegen seiner Gabe oder Fähigkeit besonders schätzen. Aber auch da sollten wir uns immer wieder vor Augen halten, dass jedes Gemeindeglied mindestens eine besondere, von Gott geschenkte Gabe für das Ganze mitbringt. Wir sind doch keine 0815-Typen, um einen gängigen Ausdruck zu gebrauchen. Wir sind zwar alle aus demselben Holz geschnitzt, aber doch sehr verschieden.

A propos Holz! Der bekannte Prediger Ulrich Parzany berichtete von einer Begegnung mit einem Holzschnitzmeister aus dem Erzgebirge aus der Zeit, als es die DDR noch gab: Der Holzschnitzmeister war Christ geworden. Sein Handwerk verstand er. Er gestaltete wunderschöne Dinge. An manchen Figuren arbeitete er tagelang. Aber um finanziell über die Runden zu kommen, fertigte er serienmäßig aufrecht stehende Fäuste an. Die geballte Faust war ja eine Geste der Kommunisten. Also solche serienmäßigen Fäuste stellte jener Holzschnitzmeister her. Dienststellen in Staat und Partei kauften sie ihm ab. In wenigen Minuten hatte er eine solche Faust produziert, aber die künstlerischen Schnitzereien dagegen kosteten viel Zeit. Das ist wie ein Gleichnis. Wer den Menschen nur noch in eine Schablone presst, der ist mit ihm schnell fertig, aber das ist unmenschlich. So wird der Mensch zur Nummer, als sei er ein Serienprodukt des Fließbandes, billig und schnell.

Die Liebe dagegen erfasst den andern nie als Schablone. Gottes Schaffen am Menschen ist dem künstlerischen Schaffen des Holzschnitzmeisters ähnlich, wenn ich mich einmal so ausdrücken darf. Es gibt schätzungsweise 7 Milliarden Bewohner dieser Erde. Keiner ist wie der andere, jeder ein Unikat, mit Liebe gedacht, geformt, entwickelt. Darum sage ich nochmals: Jeder hat Gaben, die für ihn und für andere gut und nützlich sind. Nicht jeder von uns hat einen Beruf – oder kann ihn ausüben. Aber jeder von uns hat eine Berufung: Die Berufung, als Glied am Leib Christi mit den anderen Gliedern zusammenzuwirken.

3.  Die Gemeinde braucht das Zusammenwirken der Glieder

Nur dadurch, dass die verschiedenen Glieder zusammenwirken, entsteht Lebendigkeit. Man mag ja vom Fußball oder Handball halten, was man will. Aber an einer solchen Mannschaft kann man sehen, wie wichtig es ist, dass das Zusammenspiel klappt. Das Zusammenwirken erst macht das Spiel lebendig. Wenn da jeder sein Bestes gibt, dann kommt Schwung in die Sache. Dann spornt das an. Dann will man den andern nicht enttäuschen und setzt sich für die andern ein. Dann springt auch der Funke über – untereinander und auch auf diejenigen, die am Rande stehen und zusehen. Ãœbrigens, die Leute, die zusehen, sind immer in der großen Ãœberzahl – das ist beim Sport so und das ist auch in der Gemeinde so. Die Leute, die zusehen, wissen natürlich auch immer alles besser. Die können genau sagen, warum die Mannschaft so lahm ist, warum die Gemeinde nicht besser ist und warum auf diesem Platz, der sich Gemeinde nennt, nicht mehr los ist. Aber sich selbst engagieren – das geht dann doch zu weit. Macht nichts! Wenn wir uns nach bestem Wissen und Gewissen in der Gemeinde engagieren, wird auch von hier – von St. Jakobi aus – der Funke auf den einen oder andern überspringen. Und es werden Menschen kommen, die plötzlich mitmachen wollen. Dann kommt es darauf an, dass wir sie herzlich aufnehmen.

Auch das ist eine besondere Gabe, die nicht jedem so gegeben ist, unaufdringlich und doch herzlich auf andere zuzugehen. Auch eine Kirchengemeinde wird weder durch müdes Herumstehen der vielen noch durch einen hektischen Aktivismus einiger weniger die Herzen anderer gewinnen. Das geschieht nur – nach Paulus‚ „wenn niemand mehr von sich halte, als sich‘s gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.“

Dieses Wort sagt uns, dass die Gemeinde der Ort ist, an dem die Demut vor Gott und den Menschen immer wieder aufs Neue eingeübt werden muss. Demut – das bedeutet Mut mitzumachen, aber zugleich Unterordnung und Einordnung ins Ganze. Ich habe immer ein ungutes Gefühl bei den Vereinen, die von irgendwelchen großartigen Solisten geleitet oder besser gemanagt werden. Und dann heißt es: „Wenn der mal nicht mehr da ist, dann können die einpacken.“

Diese Solisten, die nicht abgeben wollen, können dann eines Tages auch nicht abgeben, weil niemand da ist, der darauf vorbereitet worden ist. Es gibt solche Pastoren, solche Kirchenvorsteher, solche Gruppenleiter. Sie verzehren sich im Dienst wie eine Kerze, die an beiden Seiten gleichzeitig brennt, aber irgendwann sind auch sie heruntergebrannt, ausgebrannt. So soll es in der Gemeinde nicht sein. Auch darauf ist also bei jeder Wahl zu achten, dass sich jedes Glied als Teil eines Ganzen versteht. Wir sprechen zu recht vom nötigen Teamgeist!

Im alten Testament gab es bereits ganz ähnliche Probleme. Mose hielt vom Morgen bis zum Abend Sprechstunde für die Israeliten. Zum Glück hat ihm sein Schwiegervater Jitro eines Tages ganz beherzt die Meinung gesagt: „Es ist nicht gut, wie du das tust. Du machst dich zu müde… Das Geschäft ist dir zu schwer; du kannst es allein nicht ausrichten.“ (2. Mose 18,17-18) Und dann gibt er dem Mose den Rat:

„Sieh dich aber unter dem ganzen Volk um nach redlichen Leuten, die Gott fürchten, wahrhaftig sind und dem ungerechten Gewinn feind. Die setze über sie…“ (2. Mose 18, 21) Ja, so soll es in einer gesunden Gemeinde sein. Und so soll es auch in St. Jakobi sein! Eine Gemeinde ist und bleibt eben nur dadurch gesund und intakt, dass in ihr alle Glieder – oder wenigstens möglichst viele – zum Wohl des Ganzen zusammenwirken, jedes nach dem Maß der ihm von Gott zugeteilten Möglichkeiten. Und ich bin überzeugt, dass jeder von uns beim Nachdenken über diesen Abschnitt aus dem Römerbrief sehr wohl weiß oder erst jetzt erkennt, wo seine Möglichkeiten für seine Gemeinde liegen – nach dem Maß des Glaubens, wie es Gott ihm zugeteilt hat.

Wir wollen darüber vor allem nicht den Dank vergessen, dass der Geist Gottes und die Liebe Christi uns die Gemeinde geschenkt haben! Ich sage es abschließend noch einmal: Die Gemeinde ist eine Einheit, in der es eine Vielfalt gibt, durch deren harmonisches Zusammenwirken sie lebendig ist. Diese Lebendigkeit wünsche ich von ganzem Herzen dieser St. Jakobi-Gemeinde!

Amen.

Pastor Jens Motschmann, Bremen, am 24.01.2010, dem letzten Sonntag nach Epiphanias

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 11. Februar 2011 um 16:25 und abgelegt unter Gemeinde, Predigten / Andachten.