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„Damit Gott sei alles in allem“

Freitag 7. Januar 2011 von Dr. Joachim Cochlovius


Dr. Joachim Cochlovius

„Damit Gott sei alles in allem“ (1 Kor 15,28)

Das Versöhnungshandeln Gottes
und die Lehre von der Allversöhnung

1.)
Die Vorstellung, daß sich Gottes Heilswille am Ende als stärker erweisen wird als alle Gottlosigkeit der Menschen und alle Aufsässigkeit Satans, hat schon in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung Christen angesprochen und fasziniert. Origenes (185 bis ca. 254) lehrte, daß die Seelen derjenigen, die nicht ins Paradies kommen, an einem Übergangsort bestraft und geläutert werden, bis sie schließlich zu Gott gelangen. Erst wenn alle Geister, einschließlich der Dämonen, gerettet und verklärt sind, kann ein neuer Äon kommen. Unter dem Einfluß Augustins (354-430) wurde diese Auffassung allmählich zurückgedrängt und durch die Lehre von einer doppelten Ewigkeit, des ewigen Erlöstseins und der ewigen Höllenstrafen, ersetzt. Luther bekannte 1528: „Ich halte es nicht mit denen, die da lehren, daß die Teufel endlich auch zur Seligkeit kommen werden“. In Artikel XVII des Augsburger Bekenntnisses von 1530 wird gelehrt, „daß unser Herr Jesus Christus am jüngsten Tag kommen wird, zu richten und alle Toten auferwecken, den Gläubigen und Auserwählten ewiges Leben und ewige Freude geben, die gottlosen Menschen aber und die Teufel in die Hölle und ewige Strafe verdammen wird“. Im Protestantismus hat sich diese Auffassung gehalten, bis sich Vertreter des Pietismus mehr oder minder offen zur Lehre von der Allversöhnung bekannten (J. A. Bengel, Ph. M. Hahn, F. Chr. Oetinger, Vater und Sohn Blumhardt u.a.). An einflußreichen evangelischen Theologen, die dieser Lehre zugewandt waren, sind vor allem Fr. Schleiermacher und K. Barth zu nennen (wobei man bei Barth besser von einer „Allerwählungslehre“ sprechen kann). Bekannt sind Schleiermachers Einwände gegen die Lehre eines doppelten Ausgangs der Menschheitsgeschichte. Er meinte, daß die Seligkeit der Erretteten durch die „Erkenntnis von dem Zustande der Verdammten“ getrübt würde.

2.)
Die Lehre von der Allversöhnung macht sich insbesondere fest an den biblischen Aussagen über den allumfassenden Heilswillen Gottes. In der Tat gibt es eine Reihe solcher Texte, welche die welt- und zeitumspannende Bedeutung des Versöhnungsgeschehens hervorheben.

2.1       Zu nennen wären z.B. „Gott will, daß allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1 Tim 2,4), „Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu“ (2 Kor 5,19), „Wie nun durch die Sünde des Einen die Verdammnis über alle Menschen gekommen ist, so ist auch durch die Gerechtigkeit des Einen für alle Menschen die Rechtfertigung gekommen, die zum Leben führt“ (Röm 5,18), „Denn es hat Gott wohlgefallen, daß in ihm (Christus) alle Fülle wohnen sollte und er durch ihn alles mit sich versöhnte, es sei auf Erden oder im Himmel, indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz (Kol 1,19f), „Denn wie sie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus alle lebendig gemacht werden“ (1 Kor 15,22).

2.2       Betrachtet man diese Aussagen isoliert, scheinen sie die Lehre von der Allversöhnung zu stützen. Sieht man sich jedoch den Zusammenhang an, merkt man schnell, daß die Wirklichkeit des Versöhnungswerkes zwar der ganzen Menschheit gilt, jedoch nur an denen wirksam wird, die im Glauben mit Christus verbunden sind. Daß Gott allen Menschen helfen will, wird als Ansporn zur Fürbitte für alle Menschen gesagt (1 Tim 2,1ff). Daß Gott die Welt mit sich versöhnte, muß durch die Botschaft von der Versöhnung weitergesagt werden, damit Menschen gläubig werden können (2 Kor 5,20). Daß Christus durch seine Gerechtigkeit allen Menschen die Rechtfertigung gebracht hat, muß im Glauben angenommen werden (Röm 5,1). Die das All umfassende Versöhnung, die Christus durch seinen Tod bewirkt hat, ist nur an den Gläubigen wirksam, und auch an ihnen nur insofern sie im Glauben bleiben (Kol 1,23). Und schließlich werden auch nur diejenigen, „die Christus angehören“, erfahren, daß in Christus alle lebendig werden (1 Kor 15,23).

2.3       Der Blick auf die genannten ausgewählten Stellen zeigt, daß das Versöhnungswerk Gottes tatsächlich der ganzen Menschheit, der ganzen Kreatur, ja dem ganzen All gilt, daß es aber nur denjenigen Menschen zugute kommt, die dem Ruf folgen „Laßt euch versöhnen mit Gott“ (2 Kor 5,20). Man kann also sagen, daß Gott einerseits das ganze All mit sich versöhnt hat, daß aber andererseits nur derjenige Anteil an diesem Geschehen hat, der im Glauben mit Christus Gemeinschaft hat. Eine „Lehre von der Allversöhnung“, die unabhängig vom Glauben jedem Menschen – früher oder später – Anteil an Gottes Versöhnungswerk zuspricht, kann sich auf die erwähnten Bibelstellen nicht stützen.

3.)
Vertreter der Allversöhnungslehre sprechen von Läuterungsmöglichkeiten nach dem Tod und berufen sich dabei auf den Abstieg Christi in das Gefängnis der Geister (1 Petr 3,19). Dazu ist folgendes zu sagen:

3.1       Für Läuterungsprozesse, ja überhaupt für Veränderungen braucht es den Faktor Zeit. Mit dem Tod verläßt der Mensch jedoch die raum-zeitliche Welt und tritt in eine neue vieldimensionale Wirklichkeit ein, in der unsere Kategorien Raum und Zeit nicht mehr gelten. Wo aber keine „Zeit“ vorhanden ist, dort kann es auch keine Veränderung bzw. Läuterung geben, denn jede Veränderung setzt Zeit voraus.

3.2       Der Abstieg Christi in das Gefängnis der Geister nach 1 Petr 3 diente nicht der Verkündigung des Evangeliums. Für diese Verkündigung verwendet Petrus ein spezielles Verb, das er hier nicht einsetzt. 1 Petr 3,19 geht es um eine gewaltige Proklamation, nämlich um die Selbstproklamation Christi als Herr über Himmel und Erde und damit über die ganze unsichtbare Welt. Die „Geister im Gefängnis“ sind keine Geister von Menschen, sondern die Geister der gefallenen Engelwesen, die sich zur Zeit Noahs mit Frauen verbanden und riesenhafte Mischwesen zeugten (1 Mose 6,1-4). Sie sollten erfahren, wer jetzt der Herr ist.

4.)
Von Vertretern der Allversöhnungslehre wird oft auf die Liebe Gottes verwiesen. Die Vorstellung einer großen Menge unerlöster Menschen in Verdammnis und Abgeschiedenheit von Gott sei mit Gottes Liebe nicht in Einklang zu bringen. Demgegenüber muß man an zwei Aspekte der Liebe Gottes erinnern, die oft vergessen werden, die freiwillige Ohnmacht der Liebe und den Leidenswillen bzw. die Leidensfähigkeit der Liebe.

4.1              Wir wissen aus dem biblischen Zeugnis, daß Gott die Menschen heiß und innig liebt (Joh 3,16). Dies gilt in gleicher Weise für Jesus Christus, die Liebe Gottes in Person. Eines der hervorstechendsten Merkmale der Liebe Jesu Christi war sein Verzicht auf die Inanspruchnahme der göttlichen Allmacht. So heißt es im Christuspsalm Phil 2,6f, daß er sich seiner Gottgleichheit „entäußerte“ und aus Liebe zu der verlorenen Menschheit ein Mensch wurde, der ganz und gar unter den Bedingungen des Menschseins lebte. Das ganze irdische Leben Jesu war gekennzeichnet durch einen fast vollständigen Verzicht auf die göttliche Allmacht. Nur bei seinen Wundern nahm er sie in Anspruch, aber auch dort nur deswegen, um aus Liebe zu den Menschen ihnen zeichenhaft die angebrochene Herrschaft Gottes zu zeigen. Jesus hätte kraft der göttlichen Allmacht tausendfältige Möglichkeiten gehabt, Menschen zur Anbetung Gottes zu führen. Aber da sein Wesen reine Liebe ist, verzichtete er auf alle Machttaten, welche die Menschen zur Anbetung Gottes gezwungen hätten. Liebe will lieben, und deswegen kann sie den anderen nicht gegen seinen Willen zu etwas zwingen. Dieser Wesenszug der göttlichen Liebe muß bei allen Fragen der Heilsvermittlung bedacht werden. Nichts hätte Gott lieber als daß sein Heil alle Menschen erkennen und annehmen. Aber da sein Hauptwesenszug Liebe ist, beschränkt er sich darauf, Taten der Liebe zu tun und diese bezeugen zu lassen. Deswegen läßt er auch seine große Versöhnungstat am Kreuz von Golgatha nur bezeugen und verzichtet auf ihre machtvolle Durchsetzung.

4.2              Ebenso gibt uns das biblische Zeugnis eine klare Vorstellung vom Leidenswillen der Liebe Gottes. Diese Liebe erträgt alles und sie duldet alles (1 Kor 13,7). Die ganze Menschheitsgeschichte ist Zeugnis der leidensfähigen Liebe Gottes, denn ohne die Bereitschaft Gottes, an der Gottlosigkeit der Menschen zu leiden, hätten sie keine Chance zu überleben. „Mir hast du Arbeit gemacht mit deinen Sünden und hast mir Mühe gemacht mit deinen Missetaten“ (Jes 43, 24). Der Weg Jesu war durchweg ein Leidensweg. „Mußte nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?“ (Luk 24,26) So tief die Liebe Gottes zu jedem einzelnen Menschen ist, so tief ist auch sein Leiden an jedem, der sich von seiner Liebe nicht erreichen lassen will.

Beide Aspekte der Liebe Gottes, ihre freiwillige Ohnmacht und ihre Leidensfähigkeit, sprechen gegen die Lehre von der Allversöhnung. In Gottes Bemühung um die Menschen verzichtet Gott auf jede Zwangsmaßnahme, weil er liebt. Und dort, wo seine Liebe von Menschen verschmäht wird, leidet er.

5.)
Ist die Aussage in 1 Kor 15,28, daß schließlich, nachdem der Tod vernichtet sein wird, Gott alles in allem sein wird, als Beleg für die Allversöhnungslehre zu werten? Der Zusammenhang spricht von der Unterwerfung aller gottfeindlichen Mächte und Gewalten. Wenn Christus wiederkommt, wird er alle Menschen, die zu ihm gehören, in neuer verklärter Leiblichkeit in den Himmel holen und dann den Gerichts- und Heilswillen Gottes vollenden (1 Kor 15,23f). Nachdem der falsche Christus und der falsche Prophet, die Toten und schließlich Satan gerichtet sind, gibt es keine Widersacher Gottes mehr. Dann wird Gott „alles in allem“ sein. Daß alle Gerichteten Anteil an der Versöhnungstat Gottes erhalten, wird nicht ausgesagt.

6.)
Die Gerichtshandlungen, die der wiederkommende Christus nach Gottes Plan ausführen wird, werden von den Vertretern der Allversöhnungslehre als Läuterungsgerichte auf dem Weg zur schließlichen Allversöhnung angesehen. Abgesehen von der in 3.1 dargestellten Tatsache, daß es für Läuterungsprozesse den irdischen Faktor Zeit geben muß, den es in Gottes Wirklichkeit nicht gibt, muß auch darauf hingewiesen werden, daß die in Offb 19 und 20 geschilderten Gerichtsakte Christi einen endgültigen Charakter haben. Die Gerichtshandlungen am falschen Christus und falschen Propheten sind endgültig, denn sie werden in den feurigen Pfuhl geworfen (Offb 19,20). Bei Satan ist es so, daß er zunächst für tausend Jahre gefesselt und in den Abgrund geworfen wird, danach aber ebenfalls in den feurigen Pfuhl muß (Offb 20,10). Der Ausdruck „von Äonen zu Äonen“ unterstreicht die Endgültigkeit. Läuterungsprozesse können hier nicht angenommen werden. Ähnlich ist es beim Gericht über die Toten nach den Werken. Hier ist entscheidend, ob jemand im Buch des Lebens steht oder nicht. Und auch hier erlaubt der Textbefund nicht, an der Endgültigkeit des Gerichts zu zweifeln (Offb 20,15).

7.)
Die hier untersuchten Belegstellen für die Lehre von der Allversöhnung geben keine tragfähige Basis für eine solche Annahme. An dem biblisch vielfach bezeugten doppelten Ausgang der Menschheitsgeschichte muß festgehalten werden. Unsere menschlichen Gedanken und Gefühle sollten angesichts dieses Zeugnisses schweigen und auf Paul Gerhardt hören: „Bist du doch nicht Regente, der alles führen soll, Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl“.

Pastor Dr. Joachim Cochlovius, Januar 2011

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 7. Januar 2011 um 14:02 und abgelegt unter Theologie.