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Eine neue Einheit der Kirche

Montag 13. Dezember 2010 von Prof. Dr. Hubert Windisch


Prof. Dr. Hubert Windisch

Eine neue Einheit der Kirche

Am 10.11.2010, einen Tag vor dem Namenstag Martin Luthers, haben die 126 Synodalen der EKD einstimmig ein neues Pfarrdienstgesetz beschlossen, das Landesbischof Ulrich Fischer als ein „wahrhaft epochales Werk“ bezeichnete. Dass es ein neues Pfarrdienstgesetz im Sinne der Rechtsvereinheitlichung innerhalb der EKD brauchte, steht außer Zweifel. Und dass darin viel Wichtiges und Richtiges behandelt und geregelt wird, ist unbestritten. Für große Unruhe in protestantischen Kreisen sorgt allerdings eine eher harmlos klingende Passage. In § 39 über Ehe und Familie heißt es, dass Pfarrerinnen und Pfarrer auch in ihrer Lebensführung im familiären Zusammenleben und in ihrer Ehe an die Verpflichtungen gebunden sind, die sich aus der Ordination ergeben. Aus der Erläuterung des Begriffs „familiäres Zusammenleben“ im Pfarrdienstgesetz wird nun klar, dass mit diesen neuen kirchenrechtlichen Regelungen auch lesbische Pfarrerinnen und schwule Pfarrer, die in einer Lebenspartnerschaft zusammenleben, ebenso wie ein in normaler Ehegemeinschaft zusammenlebendes Pfarrerehepaar als Familie angesehen werden. Denn in der Begründung zum neuen Gesetz heißt es wörtlich: „Der Begriff ‚familiäres Zusammenleben’ ist bewusst weit gewählt. Er umfasst nicht nur das generationsübergreifende Zusammenleben, sondern jede Form des rechtsverbindlich geordneten Zusammenlebens von mindestens zwei Menschen, das sich als auf Dauer geschlossene, solidarische Einstandsgemeinschaft darstellt.“ Die Formulierung „mindestens zwei Menschen“ lässt sogar Spielraum für künftige Weiterentwicklungen von Lebensformen. So könnten beispielsweise bald auch drei als Partner zusammenlebende Pfarrerinnen oder Pfarrer als Familie gelten. Eine „Ehe zu Dritt“ wäre also, wie bereits jetzt in den Niederlanden möglich, denkbar.

Vielleicht ist den Synodalen der EKD einschließlich ihres neuen Ratsvorsitzenden gar nicht bewusst, welche Sprengkraft in diesen Aussagen liegt, eine Sprengkraft, die zu ähnlichen Zuständen und Vorgängen wie in der anglikanischen Kirche führen könnte. Worum geht es? Mit der erläuternden Begründung zum Begriff „familiäres Zusammenleben“ verlässt die EKD den kirchlichen Boden biblischer Anthropologie, die in der grandiosen Ouvertüre der Heiligen Schrift in Gen 1 und 2 anklingt, und fährt unbedarft und willfährig zugleich im Fahrwasser des Gendermainstreams und der Schwulenbewegung. Ein Urdatum göttlicher Offenbarung, die Gottebenbildlichkeit des Menschen im Mann- und Frausein, wird zur Disposition gestellt, indem dieses Mann- und Frausein nicht mehr als der biblisch exklusive Referenzpunkt geschlechtlichen Verstehens und sexueller Praxis beibehalten, sondern als eine Beziehungsspielart des menschlichen Miteinanders unter vielen anderen angesehen wird. Aus Gen 1 und 2, diesem dichterisch dichten Dokument der Weisheit und der Liebe Gottes, wird Allotria, Beliebigkeit, die an Verhöhnung der Bibel grenzt. Wenn das alles im Blick auf das Pfarramt passiert, kann man eigentlich nicht noch schlimmer mit der Heiligen Schrift umgehen, die doch immer ein Markenzeichen evangelischen Selbstverständnisses, ein Kernpunkt des Bekennens und Tuns der evangelischen Kirchen war.

Da sich innerhalb der evangelischen Kirchen, aus welchen GrĂĽnden auch immer, protestantischer Widerstand gegen diese fundamentale Verwerfung von Christ- und Kirchesein nur zaghaft meldet, ist katholischer Protest nötiger denn je. Freilich ist ein solcher Protest nicht einfach. Zum einen gibt es auch innerhalb der katholischen Kirche Gruppierungen und auch Theologen, die dem § 39 des Pfarrdienstgesetzes samt BegrĂĽndung zustimmen wĂĽrden. Zum anderen muĂź man leider feststellen, dass in der katholischen Kirche vor allem auf Leitungsebene eine ökumenische Befangenheit eingekehrt ist, die sich hauptsächlich in ökumenischer Betulichkeit ergeht und weder die Wirklichkeit der Gläubigen noch die wirklichen Fragen des Glaubens in den Blick bekommt. So mĂĽsste man von offizieller katholischer Seite aus den neuen EKD-Ratsvorsitzenden Schneider ja nicht nur auf das neue Pfarrdienstgesetz, sondern auch auf seine Christologie hin kritisch befragen. Und man muĂź leider auch feststellen, dass dieser nicht nur katholischen Befangenheit ĂĽber alle Konfessionen hinweg ein Konsens – eine Art negativer Ă–kumene – zugrundeliegt, der primär auf die Selbsterhaltung der Kirchen als Apparate und Organisationen achtet. Die Kirchen neigen als soziokulturelle Systeme – wie alle innerweltlichen Systeme auch – dazu, selbstreferentielle Systeme zu werden. Es geht um sie selbst, um ihre Strukturen, ihr Personal, ihr Geld. Wohlweislich ist man deshalb ĂĽber konfessionelle Grenzen hinweg darauf bedacht, sich bei dieser Selbsterhaltung gegenseitig nicht weh zu tun. Immer aber, wenn Selbsterhaltung vorrangig wird, ist die Kirche bereit, sich den Vorstellungen der Zeit und den jeweiligen politischen Machthabern, ja sogar einer wie auch immer gearteten Political Correctness zu unterwerfen. Man meint dann, wichtig zu sein aufgrund von Anpassung, obwohl man gerade deshalb deutlich spĂĽren kann, dass man in unserer Gesellschaft als Kirche zunehmend als eine Größe gebraucht wird, die man eigentlich nicht mehr braucht. Wichtigtuerei gegenĂĽber Staat und Gesellschaft nach dem Motto „NĂĽtzt du mir, nĂĽtz’ ich dir“ ist die Folge. Dem Geld des Staates fĂĽr kirchliches Vielerlei korrespondiert dann der kirchliche Segen fĂĽr staatliches Allerlei. Das Pfarrdienstgesetz mit der darin aufscheinenden Sexualethik ist nur ein Symptom fĂĽr eine tiefere VersĂĽndigung.

Leicht vergisst man freilich so den Auftrag zu kritischer Zeitgenossenschaft gegenüber Entwicklungen in unserer Gesellschaft, die weder der Verherrlichung Gottes noch dem Wohl der Menschen dienen. Nun sind immer mehr Gläubige in allen Konfessionen mit diesen Zuständen und Vorgängen unzufrieden. Ein Riß geht vor diesem Hintergrund quer durch die christlichen Konfessionen. Dieser Riß ist als heilsamer Riß zu verstehen und fruchtbar zu machen. Denn längst schon verlaufen die Scheidungslinien in gründsätzlichen ethischen und auch dogmatischen Fragen nicht mehr konfessionell gebunden innerhalb der Konfessionen selbst. Wir haben diesbezüglich de facto eine neue Art von überkonfessioneller Kirchenspaltung, die nur noch eines mutigen de-jure-Zustandes harrt. Dies wahrzunehmen und auch anzuerkennen, würde eine ganz neue Einheit der Christen entstehen lassen, die sicherlich auch noch bestehende sperrige Unterschiede jenseits ökumenischer Gags verschwinden ließe. Nicht zuletzt eine neue geistliche und theologische Ehrfurcht vor der Heiligen Schrift, die die katholische Kirche laut II. Vatikanischem Konzil (Dei verbum Nr. 21) immer wie den Herrenleib selbst verehrt hat, würde dazu beitragen. Sollten sich Christen durch alle Konfessionen hindurch zu gemeinsamem Protest gegen die unselige Passage samt Begründung von § 39 des Pfarrdienstgesetzes der EKD zusammenfinden, hätte Gott auf krummen Zeilen gerade geschrieben.

Prof. Dr. Hubert Windisch, Freiburg, im Dezember 2010

Prof. Dr. Hubert Windisch war von 1988-1992 als Privatdozent (Pastoraltheologie) und Lehrbeauftragter (Homiletik) an der Theologischen Fakultät der Universität Regensburg tätig. Von 1992-1997 wirkte er als ordentlicher Universitätsprofessor (Pastoraltheologie) an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz. Seit 1997 lehrt er an der Theologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Montag 13. Dezember 2010 um 10:45 und abgelegt unter Kirche, Sexualethik.