Gemeindenetzwerk

Ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes

„Der Herr ist nahe!“

Samstag 18. Dezember 2010 von Pastor Jens Motschmann


Pastor Jens Motschmann

Predigt zum vierten Sonntag im Advent

„Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König!  Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander; denn alle Augen werden es sehen, wenn der HERR nach Zion zurückkehrt. 9 Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der HERR hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst. 10 Der HERR hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, dass aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.“ (Jesaja 52, 7 – 10)

Liebe Gemeinde!

Der Herr ist nahe! Das ist die Botschaft des Advent – auch heute noch einmal am 4. Advent. Das Warten auf den Herrn hat ja eine Vorgeschichte, auf die wir auch am Heiligen Abend wieder mit den alttestamentlichen Lesungen aus dem Propheten Jesaja hingewiesen werden. Auch heute haben wir Worte aus dem Buch Jesaja vor uns. Jeder der vier Verse unseres Predigttextes enthält einen markanten Gedanken:

Erstens: Die Freudenboten kommen

Zunächst sind es nur Boten. Aber: „wie lieblich”, wie ermutigend, dass sie kommen. Boten kündigen an. Boten sind noch nicht das Ereignis, aber sie kündigen ein Ereignis an. Die Adventszeit ist die Zeit der Ankündigung und damit die Zeit der Vorfreude auf das große Christusfest, auf die Geburt von Jesus, auf die Ankunft des Heilandes.

Alle Bräuche der Adventszeit, die Kerzen auf dem Kranz, die Weihnachtsbäckerei, das festliche Ausschmücken der Wohnung – das alles sollen Vorboten sein. Sie stimmen auf das Fest ein. Sie wollen Freude wecken. Sie sind Freudenboten besonderer Art.

Auch die Epistel dieses Sonntags ruft uns zu: „Freut euch … und abermals sage ich: Freut euch! Der Herr ist nahe!“ Diese Botschaft bringen die Boten. Man hört sie näherkommen. Bald sind sie da. Und was sagen die Freudenboten? Sie verkündigen Frieden, sie predigen Gutes, sie verkündigen Heil.

Ach, ich wünschte, dass auch in diesen Tagen in Israel Freudenboten über die Berge kämen, die Jerusalem umgeben. Freudenboten, die Frieden verkündigten. Stattdessen herrscht dort Unfrieden, Gewalt und Hass. Da wird zur Zeit nicht nur Gutes gepredigt. Immer wieder gibt es Terroranschläge – und dann die Gegenreaktion nach dem Motto: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. So ist das in einer Welt, die die Freudenboten mit ihrer Botschaft nicht aufnimmt und ihre Botschaft nicht annimmt. Was bleibt dann übrig? Das Gesetz der Vergeltung!

Wir aber wissen, worauf die Botschaft abzielt – oder besser: auf wen – auf den Messias, auf den Friedenskönig. Die Freudenbotschaft des Jesaja besteht aus fünf Worten: „Zion, dein Gott ist König!“ Zion ist nur ein anderes Wort für Jerusalem.

Es wird immer ein Rätsel für uns bleiben, warum es Gott gefallen hat, dieses kleine unscheinbare Hirtenvolk zum Träger dieser großen Verheißung zu machen: Dein Gott ist König! Das heißt ja: nicht nur König über Zion, über Jerusalem, über Israel, sondern über die ganze Welt und auch über mein Leben!

Er wird auf diese Welt einen Kraftstrom lenken, der alle erreicht, die sich ihm öffnen und die dann sehen, dass Friede kein Fremdwort im Leben eines Menschen sein muss. Das ist der Grund der großen Freude, dass Frieden im Leben eines Menschen Wirklichkeit werden kann.

Denn der, der von Jesaja verheißen wurde, kam in Jesus Christus in diese Welt und blieb in seiner Sendung nicht auf Israel beschränkt. Darum sprechen uns diese uralten Worte so stark an, weil die Nachricht der Freudenboten auch uns betrifft, weil sie unsere Sehnsucht betrifft, die tiefe Sehnsucht nach Frieden.

Die arbeitsfreien Tage, die ab dem 24. Dezember vor uns liegen, werden von vielen ersehnt. Sie können eine Wohltat sein, aber Ruhe ist noch nicht Friede. In wie vielen Fällen schlagen die hochgesteckten Erwartungen an das Fest in Streit und Enttäuschungen um.

Man hatte sich so gefreut auf ein paar schöne, besinnliche Tage. Man hatte sich alles so schön ausgemalt und dann passieren Dinge, die man doch gar nicht wollte, die so gar nicht zu der Friedens- und Freudenbotschaft dieses Festes passen. Aber wenn dieser Friede in unser Herz kommt, dann werden wir auch leichter mit denen zurechtkommen, die uns mit ihrer Hektik, mit ihrem oberflächlichen Gerede oder mit ihrer Undankbarkeit zu schaffen machen. Versuchen Sie ganz einfach, unaufdringlich, aber herzlich Freudenboten zu sein. Neben den Freudenboten blicken wir nun auf die Wächter.

Zweitens: Die Wächter jubeln

Wächter sind in aller Regel stille Leute. Sie sollen nicht viel reden, sondern viel sehen und beobachten – und das Beobachtete möglichst unauffällig ihren Vorgesetzten weitergeben. Der berühmte jüdische Theologe Rabbi Akiba meinte, diese Wächter hier seien ein Bild für die Propheten. Er schreibt in einem Kommentar:

„Die Späher sind keine anderen als die Propheten, weil sie die Erlösung Israels erspähen. Obwohl sie Mahnreden gegen Israel gehalten haben, verkündeten sie ihnen auch immer wieder trostreiche Worte.“ (Roland Gradwohl: Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen. Bd. 2/2, S. 250)

Wir dürfen nicht vergessen, das Ganze spielt sich in jenen Jahren ab, als die Juden nach ca. 40 Jahre währender Gefangenschaft aus Babylon befreit wurden und wieder nach Hause durften – in das jüdische Land. Aber wie sah ihre Hauptstadt Jerusalem aus? Zerstört, fast unbewohnbar, die Stadtmauern zerbrochen, die Stadttore unbefestigt. Schutzlos lag die Stadt da, schutzlos vor herumziehenden Banden. Darum müssen Wächter über die Sicherheit der wenigen Einwohner wachen. Aber nun diese Freude über das Auftauchen der Boten mit der guten Nachricht: die Sklaverei in Babylon hat ein Ende, die Verbannten kommen zurück. Gott selbst hat sich seines Volkes angenommen. Die Wächter sind begeistert. Sie rufen mit lauter Stimme. Sie rufen sich zu:

Drittens: Seid fröhlich!

Wörtlich: „Jauchzet, jubelt allesamt!“ Vielleicht haben Sie irgendwann in diesen Tagen Joh. Seb. Bachs „Weihnachtsoratorium” gehört? Dieses Weihnachtsoratorium von Bach beginnt ganz ähnlich: „Jauchzet, frohlocket!“ In diesem Einleitungschor rufen sich die verschiedenen Stimmen – Alt, Sopran, Tenor und Bass – diese Worte zu: „Jauchzet, frohlocket!“

Doch vielleicht denken Sie jetzt: Mir wäre gar nicht danach zumute. Niemand, auch kein Christ, kann sich immer und unter allen Umständen freuen. Auch die Traurigkeit hat nach Gottes Willen ihren Platz in unserem Leben. Christlicher Glaube lebt in einer Spannung, die daran erinnert, dass wir auf dieser Erde und in dieser Weltzeit wahrhaftig nicht im Paradies leben. Ein Christ lebt in dieser Spannung, dass sich im Glauben Irdisches und Ewiges berühren.

Der Christ ist arm und reich zugleich, er hat vor Gott nichts vorzuweisen, worauf er sich etwas einbilden könnte – und er ist reich durch die Gewissheit: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“ Er ist erlöst durch Christus – das ist der wahre Grund der Freude – und steht doch täglich in der Anfechtung der Sünde.

Angefochten waren auch die Menschen, zu denen die Freudenboten kamen. Wen forderte denn der Prophet damals auf, fröhlich zu sein? „Ihr Trümmer Jerusalems! – so sprach er sie an. Zerbrochene Menschen. Eine zerstörte Stadt.

Manchmal empfindet man sein Leben wie einen Trümmerhaufen: man sieht die gescheiterten Versuche. Manches geht in die Brüche. Schmerzlich, wenn es menschliche Beziehungen sind, die in die Brüche gehen. Oder ein ganzer Lebensplan geht zu Bruch. Da gibt es Schmerz und Tränen – und sie werden auch gerade in diesen Tagen bei einigen fließen.

„Trümmer” – das wird hier nicht verdrängt. Wie kann einem da nach Jubeln zumute sein? Dennoch, sagt der Prophet: denn die Freudenboten haben angezeigt, dass der Herr in dieses kaputte Leben zurückkehrt. Und das ist der letzte Gedanke.

Viertens: Gott greift in unser Leben ein

Gott hat – so drückt Jesaja sich aus – seinen heiligen Arm offenbart. Das ist ein Bild, ein menschliches Bild für Gott. Was Jesaja prophezeit, wird sich erfüllen – und in ein paar Tagen werden wir es miteinander feiern: Gott wurde Mensch im Kind in der Krippe.

Gottes Arm streckt sich in Jesus Christus nach uns aus. Sein Arm greift in unser Leben ein. Er kann mich ergreifen, fassen, retten. Er kann aufbauen, was für mich wie Trümmer aussieht. Vor ein paar Tagen las ich ein Buch „Gespräche mit Prominenten über Gott im Alltag“. Einer von ihnen, der Sportjournalist Dieter Kürten, langjähriger Moderator des Aktuellen Sportstudios des ZDF beschreibt, was es für ihn bedeutet, dass Gott ihn ergriffen hat. Er sagt: „Erst wenn man begriffen hat, dass Hingabe der Kern des Glaubens ist, wird man spüren, welche Chance zum Glück im Glauben liegt.“ Er hätte sich gewünscht, dass in der ZDF-Fernsehredaktion jeden Morgen erst einmal eine kurze Andacht stattgefunden hätte, um mit dieser Kraft in den Tag zu gehen. (Susanne Raubold: Wir glauben. Gespräche mit Prominenten über Gott im Alltag. Hamburg, S.138) Gerade auch in schweren Stunden ist die Verbindung zu Gott eine ganz wesentliche Hilfe. Selbst die Trümmerstücke unseres Lebens werden uns dann nicht zu Stolpersteinen.

Zurück zu Jesaja: Damals geschah es tatsächlich: aus den Trümmern wurde unter Nehemia und Esra Jerusalem und vor allem auch der Tempel wiederaufgebaut. Aber was ich viel eindrucksvoller finde, dass Jesaja prophezeit: „Aller Welt Enden sollen sehen das Heil unseres Gottes.“ Das mag zur Zeit Jesajas und unmittelbar darauf verstanden worden sein als ein Bild dafür, dass der Wiederaufstieg Israels bevorstand und alle Völker beeindrucken würde, die mit Israel in Verbindung standen.

„Aller Welt Enden sollen sehen das Heil unseres Gottes.“

Wir aber wissen, dass diese Weissagung tatsächlich wortwörtlich zu verstehen ist. Die ganze Welt soll sehen das Heil unseres Gottes – nicht nur die Nachbarländer Israels. Weihnachten tritt dafür den Beweis an. Millionen und Abermillionen Menschen in aller Welt werden bewegt werden von dieser Nachricht: Jesus Christus ist geboren, von dem es heißen wird: „Jesus Christus herrscht als König, alles wird ihm untertänig, alles legt ihm Gott zu Fuß.“

Dein Gott ist König! Darum: „Seid fröhlich und rühmt miteinander…“ Glaubt den Freudenboten! Glaubt dem, was ihr hier hört! Und bereitet euch in dieser herrlichen Vorfreude auf das große Fest vor!

Der Herr hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst – so steht es hier.

„Und er erlöst alle, die seinen Namen anrufen.“

Amen.

Pastor Jens Motschmann, Bremen, 20.12.2009

Dieser Beitrag wurde erstellt am Samstag 18. Dezember 2010 um 8:12 und abgelegt unter Predigten / Andachten.