Gemeindenetzwerk

Ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes

Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag Artikel empfehlen Artikel empfehlen

Ehe früher und heute: Ideal und Wirklichkeit

Freitag 23. April 2010 von Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e. V.


Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e. V.

Ehe früher und heute: Ideal und Wirklichkeit

„Dieselben Teens und Twens, die eine Jugend lang die kühle Masche übten“ verwandelten sich bei der Hochzeit „in reine Romeos und Julias“ wunderte sich 1968 der SPIEGEL. In einer „Epoche schock- und popfroher Jugend“ drängten damals mehr Paare als je „mit Frack und Claque, in Samt und Seide – vor Standesbeamte und Traualtare. Zahlreiche junge Paare heirateten damals schon während des Studiums und selbst minderjährige Brautleute waren keine Seltenheit. Seit 1950 war das durchschnittliche Heiratsalter von 28,1 auf 26 Jahre (Männer) bzw. von 25,4 auf 23,6 Jahre (Frauen) gesunken. Schon in der Altersgruppe der 20-29-Jährigen waren etwa zwei Drittel der Frauen und fast die Hälfte der Männer verheiratet: „Junggesellen“ über dreißig und erst recht ältere ledige Frauen („alte Jungfern“) erweckten Argwohn oder Mitleid (1). Im Rückblick auf diese Zeit sprechen Soziologen vom „Golden Age of Marriage“. Historisch betrachtet sei die damalige Selbstverständlichkeit von Ehe und Familie eine der „Restauration“ der 1950er Jahre und dem „Wirtschaftswunder“ geschuldete einzigartige „Ausnahmesituation“ (2).

Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung erleichterten es damals jungen Paaren, früh zu heiraten. Ihr Heiratsverhalten war aber keine „Ausnahme“, sondern folgte dem Beispiel vorangegangener Generationen: Nachdem im Zuge von Aufklärung und Industrialisierung Heiratsverbote abgeschafft worden waren, heirateten mehr als 90 Prozent der Erwachsenen. Zwar wurden während wirtschaftlicher Krisen und Kriege Heiraten häufig zeitlich aufgeschoben. Prosperierte später wieder die Wirtschaft, war die Heiratsneigung dafür umso höher und das Heiratsalter sank (3). Seit den 1970er Jahren steigt das Heiratsalter über alle Rezessionen und Wachstumsphasen hinweg kontinuierlich an (4). Gleichzeitig ist der Anteil der lebenslang Ledigen sprunghaft gestiegen: Während noch in den 1960er Jahren nur fünf Prozent der Erwachsenen nie heirateten, bleiben heute in der jüngeren Generation fast 40 Prozent der Männer und mehr als ein Drittel der Frauen dauerhaft ledig (5). Als Folge sowohl des Aufschubs der Heirat wie des Verzichts auf die Ehe sind mittlerweile fast 40 Prozent der Frauen und sogar mehr als die Hälfte der Männer zwischen 30 und 39 Jahren unverheiratet. Zwischen 1900 und 1970 war weniger als ein Fünftel der Männer und Frauen in diesem „klassischen Familienalter“ ledig – die postmoderne Ehemüdigkeit ist tatsächlich einzigartig (6).

Das von jungen Paaren erstrebte Eheglück blieb auch in der vermeintlich „idyllischen“ Nachkriegsära stets fragil: Als besonders scheidungsgefährdet galten die damals noch häufigen „Frühehen“ von Frauen unter 20 Jahren. Trotz des Verschwindens dieser Frühehen ist die Scheidungshäufigkeit sprunghaft gestiegen (7). Die Geschiedenen wiederum sind – als Folge der späteren Heirat – auch immer älter. Auch deshalb ist die Neigung, nach einer Scheidung wieder zu heiraten, seit den 1970er Jahren stark gesunken. Während früher Geschiedene wie Verwitwete meist rasch wieder heirateten, signalisieren Scheidungen heute oft eine endgültige Abkehr von der Institution Ehe (8).

An die Stelle der lebenslangen Ehe treten heute „Kaskadenbiographien“ von Lebensabschnittspartnerschaften und zunehmenden Single-Phasen (9). Paarbeziehungen neigen deshalb heute dazu, „sich so zu organisieren, dass Trennungsprobleme minimiert werden: eigene Wohnung, getrennte Kassen, keine Ehe, keine Kinder“ (10). Vordenker des Individualismus propagierten solche Beziehungsformen schon vor Jahrzehnten als „optimalen Kompromiss zwischen Selbstverwirklichung und Nähe“. Mit diesem Idealbild kontrastiert die graue Wirklichkeit: Nur selten sind beide Partner von Modellen des „Living Apart Together“ überzeugt. Sehr viel häufiger als Ehen zerbrechen diese Partnerschaften daher innerhalb weniger Jahre oder gar Monate (11). Dies obwohl sich fast alle Paare etwas anderes wünschen: „Sie verlieben sich nicht auf Zeit, nicht vorläufig und nicht probehalber, sondern wünschen eine feste Partnerbeziehung auf Dauer“ (12). Diese Kluft zwischen dem Ideal der „Für-immer-Beziehung“ und dem Trend zur „seriellen Monogamie“ ist ein bisher viel zu wenig beachtetes postmodernes Paradox. Und dass in diesem Paradoxon das Glück nicht zuhause ist, versteht sich von selbst.

Die folgenden Graphiken können durch Anklicken vergrößert werden:

IDAF,ledig bleiben

IDAF,Serielle Monogamie

(1) Siehe: N. N.: Ein Rest aus dem Paradies – SPIEGEL- Report über Heiraten in Deutschland, in: DER SPIEGEL vom Nr. 37 (9. September) 1968, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46477754.html.

(2) Beispielhaft für eine solche Sichtweise: Rüdiger Peuckert: Familienformen im sozialen Wandel, 7. Auflage, Wiesbaden 2008, S. 16.

(3) „Das Faktum des zweiten Jahrhundertdrittels, dass es am unteren Rand der Gesellschaft eine soziale, schicksalhafte, nicht individuell zu erklärende „Familienlosigkeit“ gab, verschwindet, zuerst mit dem Wegfall der rechtlichen und ökonomischen Heiratsschranken. Die Familienlosigkeit im Pauperismus wird von einem Siegeszug der Familie abgelöst.“ Siehe: Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866-1914, Band I Arbeitswelt und Bürgergeist, Broschierte Sonderausgabe, München 1998, S. 66.

(4) Im Jahr 2008 waren Frauen bei ihrer ersten Heirat im Durchschnitt 30 und Männer sogar 33 Jahre alt; 1975 hatte das Erstheiratsalter mit 22,7 Jahren bei den Frauen und 25,3 Jahren bei den Männern einen historischen Tiefststand erreicht. Vgl.: Statistisches Bundesamt: Eheschließungen und Ehescheidungen, Eheschließungen, Ehescheidungen und durchschnittliches Heiratsalter Lediger; Tabelle abrufbar unter www.destatis.de; Statistisches Bundesamt 2007: Durchschnittliches Heiratsalte nach dem bisherigen Familienstand der Ehepartner. Siehe hierzu auch: http://www.i-daf.org/139-0-Woche-13-2009.html.

(5) Vgl.: Jürgen Dorbritz Heiratsverhalten Lediger, Geschiedener und Verwitweter in Deutschland 2007 – Ergebnisse der Berechnung von Heiratstafeln, S. 2-6, in: Bevölkerungsforschung aktuell 03/2009, S. 2.

(6) Siehe hierzu Abbildung oben: „Ledig bleiben – postmoderne Lebensformenrevolution“.

(7) Vgl.: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung: Die demographische Lage in Deutschland 2008 (bearbeitet von Evelyn Grünheid) Wiesbaden 2009, S. 6, abrufbar unter: http://www.bib-demographie.de.

(8) Vgl.: Jürgen Dorbritz: Die Berechnung zusammengefasster Wiederverheiratungsziffern Geschiedener – Probleme, Berechnungsverfahren und Ergebnisse, S. 253-262, in: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft Heft 3/1998, S. 260-261.

(9) Der Sexualwissenschaftler Kurt Starke kommt auf der Basis von Befragungen in Hamburg und Leipzig zu dem Ergebnis, dass es seit den 1970er Jahren einen „massiven Umbruch im Beziehungsverhalten junger Großstädter“ gab. Im Zuge dieses Umbruchs habe der Anteil von „Kontinuitätsbiographien“ ab und der „anderen Biographien, z. B. den Kettenbiographien“ zugenommen. Dabei sei der Ausdruck Kettenbiographie „eigentlich irreführend, denn die Beziehungen sind ja nicht wie die Glieder einer Kette miteinander verbunden, und zudem liegen meist Single-Phasen dazwischen?. Kurt Starke: Partnerschaftsbiographien – (k)ein Platz für Kinder – Ein Vergleich zwischen Hamburg und Leipzig, S. 106-123, in: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.): männer leben – Familienplanung und Lebensläufe von Männern – Kontinuitäten und Wandel, Köln 2005, S. 111-113. Es wäre deshalb besser von „Kaskadenbiographien“ zu sprechen. Siehe: Im Zuge dieses Umbruchs scheinen auch echte „Single-Biographien“ häufiger geworden zu sein. So hat nach Erkenntnissen aus dem Familiensurvey der Anteil der Frauen zugenommen, die bis zum 30. Lebensjahr noch keine mindestens einjährige Partnerschaft ohne jede Partnerschaftserfahrungen. Siehe hierzu Abbildung oben: „Serielle Monogamie“ oder „Singularisierung“?.

(10) Siehe: Kurt Starke: Partnerschaftsbiographien – (k)ein Platz für Kinder – op. cit, S. 123.

(11) Vgl.: Dorothea Siems: Heiraten – Ja, bitte! Oder – In: WELT am SONNTAG Nr. 14 (14. April) 2010, S. 4, http://www.welt.de/vermischtes/article7048816/Die-Deutschen-verlieren-die-Lust-am-Heiraten.html.

(12) Siehe: Kurt Starke: Partnerschaftsbiographien – (k)ein Platz für Kinder- op. cit, S. 116.

IDAF, Nachricht der Wochen 15-16 / 2010

Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag Artikel empfehlen Artikel empfehlen

Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 23. April 2010 um 11:53 und abgelegt unter Ehe u. Familie.