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Familiäre versus öffentliche Betreuung

Freitag 10. Juli 2009 von Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e. V.


Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e. V.

Orte früher Bildung: Familiäre versus öffentliche Betreuung

Kinder müssen durch eine möglichst früh, ja schon in den ersten beiden Lebensjahren beginnende kognitiv-intellektuelle Förderung für die globale Wissensökonomie fit gemacht werden. Dies ist Konsens in der seit dem „PISA-Schock“ intensivierten öffentlichen Debatte über Erziehung und Bildung. Zugleich werden der privaten und familiären Erziehung vor allem in sog. „bildungsfernen“ Schichten vielfältige Defizite (z. B. im Umgang mit Medien) bescheinigt. Angesichts dieser Defizite und der gewachsenen Bildungsanforderungen wird häufig davon ausgegangen, dass die private und familiäre Erziehung eine angemessene frühe Förderung von Kindern nicht (mehr) gewährleisten kann. Frühe Bildung müsste in öffentlichen Kindertagesstätten von professionellen Kräften vermittelt werden. Als Konsequenz wird zum einen gefordert, Erziehung und Bildung zu „defamilialisieren“: Der zeitliche Schwerpunkt der Kinderbetreuung soll hin zu Krippen, Kindergärten, Schulen und Horten verlagert werden. Zum anderen wird die Notwendigkeit kognitiver Bildung von frühestem Kindesalter an betont: Bereits im Kleinkindalter sollen Kinder nach Maßgabe von Bildungsplänen und Curricula unterrichtet werden. Schulische Ausbildungsmethoden werden damit im Lebenslauf vorverlagert und intensiviert (1).

„Förderung“ wird aus dieser Perspektive nicht selten mit „institutionellem“ Lernen gleichgesetzt. Unterbelichtet bleibt dabei die gerade für Kleinkinder herausragende und grundlegende Bedeutung des „informellen“ Lernens in der Familie: „Ihren Eltern stellen Kinder die ersten Fragen, von ihnen erhalten sie die ersten Antworten. An die Eltern wenden sie sich mit ihrer kindlichen Neugier, in der Familie erproben und entdecken sie die zunächst rätselhafte Welt mit ihren Formen, Farben und Tönen, mit ihren Ãœberraschungen und Wiederholungen, mit Regelmäßigkeiten und Sinn. Von den Eltern hören sie die ersten Worte und aus der Sprache in der Familie übernehmen sie, worüber man sprechen, wie genau man Dinge, Sachverhalte und Gefühle unterscheiden und mit welchem Ausdrucksrepertoire man sich verständlich machen kann. (…) Hier formen sich Dispositionen, schnell aufzugeben oder weiterzumachen, wenn eine Sache schwierig wird oder längere Anstrengungen erfordert“ (2). Im Gegensatz zum curricularen, schulischen Lernen sind diese informellen Bildungsprozesse überwiegend nicht geplant. Sie laufen in der Familie nebenbei ab, wenn die Familienmitglieder ihre Freizeit miteinander verbringen, miteinander Spaß haben oder alltägliche Gewohnheiten und Rituale vollziehen (3). Kinder eignen sich zunächst in der Familie, später außerhalb dieser durch Neugierde und spielerisches Erkunden die Welt an. Für dieses spielerische Lernen brauchen Kinder ein „entspanntes Feld“, das ihnen nicht nur Anregungen, sondern auch Geborgenheit bietet (4). Familie und Freundeskreis sind deshalb für Kinder nicht Refugien, in denen Kinder vor der „Welt“ beschützt werden, sondern Orte früher Bildung.

Dass Kinder zunehmend in öffentlichen Institutionen aufwachsen, ist deshalb auch mit Gefahren verbunden: „Je mehr die Institutionalisierung von Kindheit voranschreitet, desto größer wird die Herausforderung, Kindern innerhalb und außerhalb von Tageseinrichtungen Handlungsspielräume für freies Spiel, selbst gewählte und selbst gelenkte Tätigkeiten einzuräumen“, warnten Forscher des Deutschen Jugendinstituts 2004 in einer Expertise der Bundesregierung zur frühkindlichen Bildung (5). Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitiker der EU, der OECD und der nationalen Regierungen lassen sich durch solche Warnungen allerdings nicht beeindrucken. Entscheidend ist für sie nicht die Lebensqualität von Kindern und Eltern, sondern die quantitative Planerfüllung: Quoten von erwerbstätigen Frauen, von  institutionell betreuten Kindern, akademisch ausgebildeten Jugendlichen etc. sind für sie der  unhinterfragte Maßstab. Bürger aber, deren Sinnhorizont sich nicht im materiellen Erwerb erschöpft, und für die Bildung daher mehr bedeutet als nur berufsbezogene „skills“ zu „optimieren“, werden diese „De-Familialisierung“ nicht als „raison d´etre“ einer modernen Gesellschaftspolitik betrachten können. Ihr Leitbild wird vielmehr eine Sozialordnung sein, die der Bedeutung der Familie als erstem Bildungsort gerecht wird. In diesem Sinn fordern Isabelle Krok und Andreas Lange: „Das Ziel der Bemühungen muss neu definiert werden. Weg von der einseitigen Orientierung auf eine Humankapitalmaximierung im Sinne einer berufsbezogenen schulischen Bildung, hin zu einer Kompetenzförderung im weitesten Sinne, die die Heranwachsenden in ihrer gesamten Lebensführung betrachtet und die immer länger währende Lebensspanne im Blick behält. Bildung erschöpft sich nicht nur in der Verbesserung des funktionalen Werts des Individuums für die Gesellschaft. (…) Anstelle einer an Defiziten orientierten De- Familialisierung, die in den nicht selten von den Institutionen diktierten „Erziehungspartnerschaften“ gipfelt, ist eine „smarte Ko-Produktion“ von privater wie öffentlicher Bildung und Erziehung anzustreben und konzeptionell voranzutreiben (6).

(1) Siehe hierzu: Isabelle Krok/Andreas Lange: Defamilialisierung oder smarte Ko-Produktion? Zum Verhältnis familialer und öffentlicher Erziehung, S. 23-31, in: vorgänge, Heft 3/2008.

(2) Vgl.: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend/Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.): OECD Early Childhood Policy Review 2002-2004, Hintergrundbericht Deutschland Fassung, Berlin 2004, S. 66.

(3) Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Zwölfter Kinder- und Jugendbericht (Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode; Drucksache 15/6014), S. 166.

(4) Vgl. ebd., S. 33-34.

(5) In ihrem „Hintergrundbericht“  zum „OECD  Early Childhood Policy Review“ ist ferner zu lesen: „Probleme ergeben sich, wenn die gewachsenen Erwartungen an die Förderleistungen im frühpädagogischen Bereich mit der Forderung zur Vorverlagerung schulischer Lehr- und Lernmethoden einhergehen, wie das in manchen Publikationen aufscheint. In den neuen Bundesländern zeigt sich eine solche Tendenz, wenn überwunden geglaubte Methoden der Erziehungs- und Bildungspläne aus DDR- Zeiten weiter tradiert oder wieder neu belebt werden.“ Siehe: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend/Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.): OECD Early Childhood Policy Review 2002-2004, op. cit. S. 98-99.

(6) Vgl. Isabelle Krok und Andreas Lange: Defamilialisierung oder smarte Ko-Produktion?, op.cit. S. 27 f.

i-daf-Nachricht der Woche 29/2009

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 10. Juli 2009 um 12:49 und abgelegt unter Gesellschaft / Politik.