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Die Mär vom Untergang der Ehe

Donnerstag 12. November 2009 von Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e. V.


Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e. V.

Kindeswohl, Sorgerecht
und die Mär vom Untergang der Ehe

Das Bürgerliche Gesetzbuch geht vom Leitbild der ehelichen Familie aus. Aus der Sicht von Befürwortern weitreichender Reformen des Familien-, Kindschafts- und Sorgerechts, wird dieses Leitbild „den vielfältigen Lebensformen, in die Kinder hineingeboren werden und in denen sie aufwachsen, nicht mehr gerecht“. Schließlich lebten Kinder immer häufiger bei unverheirateten Eltern und angesichts der zunehmenden Instabilität von Ehen und Partnerschaften wüchsen viele in Stieffamilien auf. Dabei könnten „mehr oder weniger enge Beziehungen zum anderen leiblichen Elternteil fortbestehen, so dass das Kind zwei Familien hat; dieser kann aber auch unbekannt sein oder keinen Kontakt mehr pflegen“. Schließlich könne auch die Partnerschaft der Stiefeltern wieder aufgelöst werden, ohne dass notwendigerweise die emotionale Bindung des Kindes zum Stiefelternteil endet“ (1). Für „ein der sozialen Elternschaft entsprechendes Sorgerecht“ sollte allein „das Bestehen einer faktischen Eltern-Kind-Beziehung“ entscheidend sein. Anzuknüpfen sei deshalb nicht mehr wie bisher an Ehe und/oder leibliche Elternschaft, sondern an das „Bestehen einer häuslichen Gemeinschaft über längere Dauer“. Die hierfür erforderliche Beständigkeit der Partnerschaft sei „auch in der Ehe keineswegs immer gegeben“. Der bisherige Ausschluss Unverheirateter von der Stiefkindadoption sei deshalb nicht zu rechtfertigen und dürfte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte keinen Bestand haben (2).

Nach dem herkömmlichen Rechtsverständnis müssen juristische Normen so formuliert sein, dass sie mit Hilfe allgemeiner Begriffe eine Vielzahl von Einzelfällen erfassen. Demnach sollte der Gesetzgeber auch im Familienrecht die Normalität der „Lebenssachverhalte“ beachten. Zu dieser Normalität gehört es aber nachweislich, dass drei Viertel der minderjährigen Kinder in Deutschland bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen (3). Und bei mehr als 90 % dieser Kinder sind die beiden leiblichen Eltern miteinander verheiratet. Trotz des häufiger gewordenen Zerbrechens von Familien wachsen etwa zwei Drittel der Kinder in Deutschland in „traditionellen Kernfamilien“ mit ihren leiblichen verheirateten Eltern auf. In Stief- bzw. Patchworkfamilien wachsen nur etwa 11% der Kinder in Deutschland auf. Selbst von diesen Stiefkindern leben etwa 80% bei verheirateten Paaren (4).

Zu den Lebenssachverhalten gehört auch, dass sich in westlichen Ländern Paare mit und ohne Trauschein in ihrem Bindungs- bzw. Trennungsverhalten signifikant unterscheiden: Europaweit vergleichende Analysen zeigen, dass unverheiratet zusammenlebende Paare verglichen mit Ehepaaren, eine mehrfach höhere Trennungswahrscheinlichkeit aufweisen: In den meisten Ländern Nord- und Mitteleuropas ist das Trennungsrisiko von unverheiratet zusammenlebenden Paaren im Vergleich zu Ehepaaren, die ohne vorheriges Zusammenleben geheiratet haben, drei-bis viermal, in Italien etwa sechs- und in Spanien sogar 11-mal höher. Auch im Vergleich zu den verheirateten Paaren, die bereits vor der Heirat zusammengelebt haben, sind die Beziehungen unverheirateter Paare wesentlich brüchiger: In Deutschland ist das Trennungsrisiko der Paare ohne Trauschein hier im Vergleich etwa dreimal so groß (5). Aus der Sicht von Kindern bedeutet dies: „Wenn die leiblichen Eltern eines nichtehelich geborenen Kindes unverheiratet zusammenleben, liegt das Risiko einer Trennung bis zum 18. Lebensjahr des Kindes bei über 80% …, wenn sie sich entscheiden zu heiraten, unter 20%“ (6). Dass Kinder unter der Trennung ihrer Eltern leiden, ist unbestritten (7). Solche Lebenssacherhalte sollte beachten, wer ein am Wohl von Kindern orientiertes Familien- Kindschafts- und Sorgerecht anstrebt.

IDAF, Nachricht der Woche 44/2009

(1) Siehe: Nina Dethloff: Kindschaftsrecht des 21. Jahrhunderts: Rechtsvergleichung und Zukunftsperspektiven, S. 141-147, in: Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe, Heft 4/2009, S. 141.

(2) Vgl. ebd., S. 144. Zur Bedeutung des Europäischen Gerichtshofes für die Reform des Kindschaftsrechts schreibt Dethloff: „Ein künftiges Kindschaftsrecht muss auch den Anforderungen des internationalen Rechts, insbesondere der Europäischen Menschenrechtskonvention gerecht werden. Durch seine Rechtsprechung namentlich zum Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK sowie zum Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als „Motor der Harmonisierung“ auf dem Gebiet des Familienrechts fungiert“ (ebd., S. 141).

(3) Siehe Abbildung unten: „Kinderleben in Deutschland: Aufwachsen mit beiden leiblichen Eltern als Regelfall.“

(4) Zu beachten sind hier allerdings markante Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland: Nach den Daten des Generations and Gender Survey (2005) wachsen in Westdeutschland 10%, in Ostdeutschland dagegen 15% der Kinder in Stief- bzw. Patchworkfamilien auf. In Westdeutschland leben bei 96,4% der Kinder die leiblichen Eltern in einer Ehe, während es in Ostdeutschland 77,3% sind. Von den Stiefkindern wohnen in Westdeutschland 84,1%, in Ostdeutschland dagegen nur 60,9% im Haushalt eines verheirateten Paars. Vgl.: Anja Steinbach: Stieffamilien in Deutschland. Ergebnisse des „Generations and Gender Survey“ 2005, in: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, 2/2008, S. 172-173. Steinbach kommt zu dem Schluss, dass nur noch etwa 60% der minderjährigen Kinder in „traditionellen Kernfamilien“ leben, „das heißt in Familien, in denen leibliche Mutter und leiblicher Vater gemeinsam in einem Haushalt leben, die Eltern miteinander verheiratet sind und keine weiteren Kinder aus anderen Beziehungen haben“. Diese Definition von traditioneller Kernfamilie ist nicht unzweifelhaft: So schließt sie etwa neu gegründete Familien von Witwern bzw. Witwern mit Kindern aus einer früheren Ehe/Beziehung per se aus. Ihre Schätzung ist deshalb bis auf Weiteres als eine Untergrenze des Anteils der in „traditionellen Kernfamilien“ lebenden Kinder anzusehen.

(5) Vgl.: Aart. C. Liefbroer/Edith Dourleijn: Unmarried Cohabitation and Union stability: Testing the Role of Diffusion Using Data from 16 European countries, S. 203-221, in: Demography, Vol. 43, No. 2 (May 2006), S. 211-212. Bestimmt wurde das Trennungsrisiko hier durch den Anteil von Paaren, die innerhalb von fünf Jahren nach dem Zusammenziehen wieder getrennt lebten.

(6) Vgl.: Rüdiger Peuckert: Familienformen im sozialen Wandel, Wiesbaden 2005

(6. Auflage), S. 181 f. Differenziert nach der (vorehelichen) Kohabitation von Eltern haben kanadische Forscher das Trennungsrisiko aus Sicht von Kindern analysiert: Siehe Abbildung unten: „Trennungsrisiko nach Lebensform der Eltern.“

(7) So plädiert der 7. Familienbericht zwar dafür, Scheidung zu „entdramatisieren“. Zugleich muss er jedoch zugeben, dass sich aus ihr für das Kind „nicht selten gravierende Belastungen“ ergeben, die u. a. das Selbstwertgefühl, die sozialen und kognitiven Kompetenzen sowie die schulischen Leistungen betreffen können.

Vgl.: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit. Perspektiven für eine lebenslaufbezogene Familienpolitik – Siebter Familienbericht, Bundestagsdrucksache 16/1360, Berlin 2006, S. 198-206.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Donnerstag 12. November 2009 um 9:51 und abgelegt unter Demographie, Ehe u. Familie.