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Ãœber die Selbstverwirklichung Jesu

Mittwoch 23. März 2005 von Prof. Dr. Klaus Berger


Prof. Dr. Klaus Berger

Ãœber die Selbstverwirklichung Jesu

Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s erhalten. (Lk 9,24)

Wer ist Jesus, der so redet? Zunächst einmal erkennen wir am Geschick Jesu, welcher Zusammenhang besteht zwischen Gewinnen des Selbst, Auferstehung und Freude. Am Ende der Wirksamkeit Jesu wird die Umleitung dramatisch. Nach kurzem Auftreten wird er hingerichtet. Er hat das Leben verloren. Wie kann man sagen, er habe es trotzdem gewonnen? Der indirekte Weg der Christen hat Auferstehung geradezu als notwendige Konsequenz. Auferstehung ist die dramatische Entfaltung davon, daß derjenige sich selbst gewinnt, der es versteht sich loszulassen. Und umgekehrt erfahren wir von Jesus, was Auferstehung ist: Auferstehung ist nicht irgendein obskurer Wunderglaube oder eine pharisäische Marotte – Auferstehung ist Gewinnen des Selbst. Auferstehung ist Ausdruck dafür, daß derjenige, der schenkt, sich nicht im Schenken verliert, nicht im Nichts verlischt wie eine Wunderkerze, die brennt und vergeht. Der Schenker gewinnt – sein Leben, seine Identität. Auferstehung ist der Erweis der unbesieglichen Liebe zum Leben. Auferstehung setzt diejenigen ins Recht, die Leben verstreichen lassen, ohne es krampfhaft und egoistisch raffen zu wollen. Und wo immer wir Freude wahrnehmen bei dem, der schenkt, ist es eine Freude, die für das steht, was fromme Leute das Ewige Leben nennen. Freude als Widerschein der Auferstehung in der Gegenwart, Freude als der Sinn schon jetzt.

Es geht hier nicht um fromme Mutmaßungen, sondern um etwas sehr Nüchternes, den harten Kern menschlicher Identität. Es gibt aus meiner Sicht – keine Alternative zu dieser Regel: Man kann sich nicht auf dem direkten Weg des Habenwollens gewinnen, sondern nur auf dem Umweg über die Liebe. Jede Liebe, schon jedes Verliebtsein heißt Weggeben von Leben, Wegschenken, weil Verliebtsein so schön ist. Und das Geheimnis jeder Liebe heißt Auferstehung. Das ist nichts anderes als die Hoffnung, sich selbst auf diesem Weg zu gewinnen und sich nicht zu verfehlen. Gott scheint auf als derjenige, der nichts anderes will und fordert als genau dies. Gott ist der Umweg, der zu uns selbst führt. Freude ist wie ein leuchtendes Wegzeichen, wie der Widerschein der Wahrheit, der Hinweis, daß wir auf dem richtigen Weg sind.

Die Offenbarung des Johannes greift in der Rede vom »Sieger« ein wichtiges Stück von Jesu Botschaft auf. Sich selbst gewinnt, wer Nein sagt bei den vielen kleinen Gelegenheiten, sich durch Kompromisse anzupassen. Lebende Fische erkennt man daran, daß sie gegen den Strom schwimmen können. Alle Machthaber der Welt wollen unsere Seele. Ihnen bis aufs Blut zu widerstehen, das nennt die Offenbarung des Johannes »siegen«. Im Kampf um die Seele des Menschen ist das Christentum ein wahrhaft aktueller Beitrag, möglicherweise die einzige Alternative. Welches Risiko gibt es denn sonst noch, wenn nicht dieses eine, Leben zu gewinnen oder zu verlieren? Die Mutter aller Schlachten gibt es nicht im Krieg, sondern immer dort, wo das Bekenntnis zu Jesus gefordert ist. Denn hier entscheidet sich Gewinnen oder Verlieren des Lebens. Dieses Wort ist von Jesus oder in seinem Namen in einer Situation gesprochen worden, in der das Bekenntnis zu Jesus lebensgefährlich war. Auch im 20. Jahrhundert gab es solche Situationen in großer Fülle. Darin besteht die größte innere Verwandtschaft zwischen dem 1. und dem 20. Jahrhundert nach Christus.

Aber es geht nicht nur um den Extremfall des Martyriums. Unser Leben gewinnen und es nicht verfehlen wollen – das ist das ureigenste Interesse jedes Menschen. Es geht um die ars vivendi – den Wettstreit um die große Lebenskunst, zu der Jesus den entscheidenden alternativen Beitrag liefert. In dieser Lebenskunst ist die Liebe zu Gott deshalb weise, weil Gott als Einziger eine Liebe fordert, die grenzenlos ist. Alle Kreatur kann unsere Liebe nur begrenzt ertragen. Selbst menschliche Liebespartner brauchen hin und wieder Ruhe voreinander. Sie können nur begrenzt geben, weil sie nur begrenzt empfangen können. Wer in der Liebe vom anderen »alles« fordert, wird ihn garantiert überfordern (vielleicht boomen darum die Scheidungen?). Nur Gott kann »alles« geben, »alles« fordern. Gott ist die Selbstverwirklichung des Menschen. Siehe Jesus, siehe die Auferstehung dessen, der alles gegeben hat, um alles zu bekommen.

Aus: Klaus Berger, Jesus, S.220-221

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 23. März 2005 um 11:11 und abgelegt unter Theologie.