Gemeindenetzwerk

Ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes

Der Mensch – Gottes geniale Idee

Sonntag 21. Juli 2024 von Hartmut Steeb


Hartmut Steeb

„Ich glaube an Gott, den Vater, den Schöpfer Himmels und der Erde“. Mit diesen Worten beginnt das Apostolische Glaubensbekenntnis, in dem die wichtigsten unverzichtbaren Glaubenswahrheiten komprimiert zusammengefasst sind. Wenn ich es richtig sehe, machen wir uns meist Gedanken und halten Predigten über das, was dann innerhalb der Schöpfung abgeht, was unser Leben betrifft, oft, auch nur, was gedanklich unser Leben bestimmen sollte. Aber reden wir auch über dieses ganz Grundsätzliche? Fangen wir wirklich von vorne an oder vielleicht sogar von vor dem Anfang?

Ich bin ein Fan von 1. Mose 1 und 2, den beiden ersten Kapiteln in der Bibel. Die geben uns einen unverrückbaren Blick in die Anfänge. Sie zeigen uns, dass und wie Gott die Welt geschaffen und gedacht hat, in der die Sünde, die Trennung von der unmittelbaren Gottesgemeinschaft, noch keinen Stich machte. Damit wir uns gut orientieren und im Gestrüpp des Hier und Heute nicht verirren, brauchen wir den Blick auf den zurückliegenden Anfang und das vor uns liegende Ziel.

Heute vor einem Monat gab es einen Staatsakt zum 75. Jährigen Jubiläum des Grundgesetzes. Es gab auch mehr oder weniger kluge Reden. Von der Verantwortung vor Gott, die in der Präambel des Grundgesetzes festgehalten ist, war nichts zu vernehmen. Der Bundespräsident betonte wiederholt in seiner Ansprache „Selbstbehauptung ist die Aufgabe unserer Zeit!“ Das erinnert mich an diese nun seit Jahren schon zur Schau gestellte menschliche Hybris, diese totale Selbstüberschätzung, also z.B. bei Barack Obama „Yes, we can!“ oder von Angela Merkel „Wir schaffen das!“ Und noch stärker bei Olaf Scholz:  „Eine Zeit, die gut wird, wenn wir sie aktiv gestalten. Denn es macht einen Unterschied, dass wir unser Schicksal entschlossen selbst in die Hand nehmen!“  Aber dieses „Selbst“ ist viel zu wenig. Auf das menschliche Können will ich mich jedenfalls nicht verlassen. Darum will ich Sie heute Morgen gerne in ein paar Textpassagen aus dem 1. und 2. Kapitel der Bibel mitnehmen.

„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde … Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht … Und Gott sprach: Es werde eine Feste … Und es geschah so … Und Gott sprach: Es sammle sich das Wasser … Und es geschah so … Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut … Und es geschah so … Und Gott sprach: Es werden Lichter an der Feste des Himmels, die da scheiden Tag und Nacht … Und es geschah so … Und Gott sprach: Es wimmle das Wasser von lebendigem Getier … Und Gott schuf … Und es geschah so … Und Gott sah, dass es gut war. Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei … Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht … Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut … Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte …“ (aus 1. Mose 1 und 2).

Gott ist der Kreator, der Ideengeber, der Architekt, der Produzent, der Bauleiter dieser ganzen Schöpfung. Von dem Teil, den wir sehen, erleben, erahnen, verstehen und auch von dem, was weit über unser Vorstellungsvermögen und unser Wissen hinausreicht. Denn wer kann schon die Weite des Weltalls, die Galaxien, das Licht und die scheinbaren Unendlichkeiten verstehen? Das alles hat Gott geschaffen. Wie er das alles gemacht hat – dazu gibt auch die Bibel nur zaghafte Einblicke. Mir ist wichtig – und ich erlaube mir zu sagen: Für uns ist wichtig – dass wir erkennen und anerkennen, dass der lebendige Gott es ist, der das alles erdacht und gemacht hat. So beschreibt es ja auch der Evangelist Johannes: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott selbst war das Wort…Alle Dinge sind durch dasselbe geschaffen…“. Alles ist geworden durch Gottes Wort! Und Gott sprach … und es wurde….ist der Kehrreim der ganzen Schöpfungsgeschichte. Wenn Gott redet, ist das kein unverbindlicher Diskussionsbeitrag. Wenn er redet, dann geschieht es. Bei ihm fallen nicht Wort und Tat auseinander, wie viel zu oft bei uns, sondern Wort und Tat sind bei ihm eine unzertrennbare Einheit. Ich wünsche uns ein neues Staunen, über die Schöpferkraft seines Wortes!

Und als Krone seiner phantastischen Schöpfung hat er auch den Menschen erschaffen. Wie alle anderen Geschöpfe sind wir Teil der Schöpfung. Der Mensch ist nicht ein Produkt des Zufalls, er hat sich nicht so im Laufe der Jahre, Jahrzehnte oder gar Jahrtausende oder Jahrmillionen entwickelt nach dem Motto „immer höher, immer weiter, immer veredelter“. Nein, er ist, so wie er ist, gewollte Absicht Gottes, von Gott kreiert, nach Gottes Plan gemacht. „Zum Bilde Gottes schuf er ihn“. Er ist ein direktes Abbild des schöpfungsgewaltigen Gottes. Der Psalmist sagt von ihm „Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott. Mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan“ (Psalm 8, 6.7).

Als Gott den Menschen erschaffen hatte, da hat er nicht nur, wie nach jedem Schöpfungstag, das erschaffene als gut bezeichnet. Nein, da heißt es: „Und siehe es war sehr gut“! Da hat er sich selbst „summa cum laude“ gegeben, das höchste Lob! Wir würden heute sagen: „Echt super!“ Es ist darum nicht menschliche Arroganz sondern göttliche Absicht und Bestimmung, dass wir Menschen schon was ganz Besonderes sind. Zum Bilde Gottes geschaffen! Wir sind nicht nur wie auch die Tiere zur Vermehrung beauftragt sind sondern haben noch einen viel umfassenderen Auftrag, eine viel größere Bestimmung bekommen.
„Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht…. Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ (1. Mose 1,28; 1. Mose 2,15)

Der Mensch ist von Gott geschaffen! Bei aller Wertschätzung Ihnen gegenüber und allen hier vorhandenen wunderbaren Gaben und Fähigkeiten. Die Erschaffung der Menschen – auf eine solch glorreiche Idee wären Sie alle nie gekommen. Der Mensch – das ist Gottes geniale Idee. Auch auf die Erschaffung des menschlichen Körpers, seine genetische Zusammensetzung – dabei stehen ja so unendlich viele Variationen zur Verfügung, dass es in der ganzen Weltgeschichte völlig unwahrscheinlich ist und auch tatsächlich nicht vorkommt, dass es zwei genetisch gleiche Menschen gibt. So unendlich viele Schöpfungsvarianten hat Gott vorrätig, dass es auch bei über 8 Milliarden Menschen oder viel mehr, die leben und schon bisher hier auf dieser Erde gelebt haben, nie zufällig mal zwei gleiche gab und gibt. Da ist also selbst der 6er im Lotto, der schon sehr unwahrscheinlich ist, noch zig tausendmal wahrscheinlicher als die Erschaffung zweier gleicher Menschen. Jeder Mensch ist ein Meisterwerk göttlichen Handelns.

Vor etwas über einer Woche hat unser 21. Enkelkind ihren Antrittsbesuch bei ihren Großeltern gemacht. Und bei jedem kleinen Kind kommen die Erinnerungen an unsere eigenen Kinder. Wie aus der intimen Liebesgemeinschaft zwischen meiner Frau und mir, aus den unsichtbaren kleinen Samen und den tausendfach größeren Eizellen, die aber wohl nur 0,1 Millimeter groß sind, ein neuer Mensch wird, ist ein einzigartiges Wunder. Und wenn sie zusammenkommen, wenn Ei- und Samenzelle verschmelzen, dann sind darin alle Informationen enthalten, damit dieses menschliche Wesen zu einem lebensfähigen Menschen heranwächst. Da kommt von außen nichts mehr, gar nichts mehr dazu. Vom Geschlecht bis zur Haarfarbe ist alles schon klar. Wunderbar! Von da an entwickelt sich dieses Wesen nicht erst zum Menschen sondern er entwickelt sich als Mensch, wie das ja auch nach der Geburt noch mit dem Wachstum und der Entwicklung weiter geht.
Wir können uns aussuchen, über was wir mehr staunen wollen und können: Die Größe der Schöpfung Gottes mit der uns unendlich erscheinenden Weite des Universums oder dieser kleine mit natürlichem Auge nicht erkennbare Vorgang der Menschwerdung! Das kann man doch eigentlich mit normalem menschlichem Verstand nicht erfassen! Welche Weisheit, welche Klugheit, welche Genialität kommt darin zum Ausdruck, eine solche Ordnung geschaffen zu haben, dass der Mensch zwar in Serie geschaffen werden kann, aber jeder einzelne Mensch ein einzigartiges Original ist, von seinem ersten Ursprung an bis zu seinem letztem Atemzug.

Den Menschen gibt es nur, weil Gott ihn geschaffen hat und weil Gott ihn wollte. Weil wir aber nach Gottes Willen und um Gottes Willen geschaffen sind, haben wir eine einzigartige Würde. Und daraus schließe ich: Wer sich am Menschen vergreift, vergreift sich an Gott! Wer sich am Menschen vergreift, pfuscht Gott ins Handwerk.

Und wozu ist der Mensch da? Der lebendige Gott, der Schöpfer, hat ihm Prokura erteilt, Handlungsvollmacht. Aber wie bei einem echten Prokuristen sind mit der Handlungsvollmacht natürlich auch Beauftragungen verbunden.

Es ist das erste Wort Gottes überhaupt an die Menschen: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan“ (1. Mose 1,26). Heute wird viel über Natur- und Umweltschutz geredet, über unsere Verantwortung fürs Klima, über unsere Weltverantwortung. Das ist gewiss auch richtig und nötig, wobei wir uns auch hier vor der Überschätzung unserer Möglichkeiten hüten sollten. Vor allem die Gestaltung des gesellschaftlichen Miteinanders bis hin zur politischen Mitverantwortung gehört zu diesem Schöpfungsauftrag des Beherrschens und Bebauen und Bewahrens. Aber hier steht unsere Erst-Verantwortung, auf die wir uns heute konzentrieren, die Priorität 1: „Du, Mensch, sollst fruchtbar sein! Du, Mensch, sollst dich vermehren. Du sollst das, was ich, Gott, getan habe, weiter tun: Menschen zeugen, Menschen gebären“. Darum ist der Mensch erschaffen als Mann und Frau, als zwei Geschlechter, binär, wie man das heute sagt. Und auch wenn das vielleicht bald bestraft wird, sage ich bewusst: Es gibt nur zwei Geschlechter! 

Was heißt eigentlich „vermehren“? Es ist doch klar: Jeder von uns lebt, menschlich gesprochen, weil zwei Menschen zur Zeugung beigetragen haben. Damit die Menschheit erhalten bleibt, müsste also doch jeder Mensch wieder dazu beitragen, dass durch seine Mitwirkung auch wieder zwei neue Menschen das Licht der Welt erblicken können. Das ist doch eigentlich das Mindestmaß an Dankbarkeit für mein eigenes Leben. „Vermehren“ würde dann also bedeuten, es müsste mindestens ein dritter Mensch sein. Aber ist das heutzutage verantwortlich?

Am 15. November 2022 verkündete die UNO, die Menschheit habe jetzt die 8 Milliarden-Grenze geknackt. Nicht wenige verbinden damit die Sorge, dass es auf dieser Welt zu viele Menschen geben könnte. Aber wenn wir doch gerade das Ausmaß der Schöpfung Gottes bewundernd betrachteten, im Großen wie im Kleinen, müssen wir dann nicht klar bekennen: Der Schöpfer-Gott hat sich nicht verschätzt! Er hat nicht einfach vergessen, der Aufforderung zur Vermehrung ein Stoppschild hinzuzufügen! Seine Weitsicht übersteigt doch ganz gewiss all unser Denken! Gott hat keinen Bevölkerungsbegrenzungsplan! Und darum wird man doch konstatieren müssen: Er hat bei seiner Schöpfung mehr als ausreichend Ressourcen für alle Menschen aller Zeiten mitgegeben.

Also, die Sorge um eine Überbevölkerung können wir getrost ad acta legen. Sie ist eine der vielen Märchen, die uns immer wieder aufgetischt werden. Gott schafft den Menschen. Aber er beauftragt uns mit der Fortsetzung der Schöpfungsgeschichte. Ich stimme selten dem Arzt und Kabarettisten Hirschhausen zu. Aber vor einiger Zeit hat er darauf hingewiesen, dass man diese ganze Weltbevölkerung auf Mallorca versammeln könnte. Natürlich hat er nicht gemeint, dass die dort alle auf Dauer leben könnten. Aber man könnte dort alle versammeln, vom Platz her, z.B. zu einer Welt-Schlussversammlung. Zu viel Menschen? Nein!

Der Prophet Jeremia hat in dieser Linie auch viel später im Auftrag Gottes an das Volk in der Zwangs-Herrschaft in Babel geschrieben: „Nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet“ (Jeremia 29,5.6).

Der Ur-Auftrag der Menschen gilt ganz offenbar auch unter den schwierigsten Bedingungen weiter!

Aber auch wenn wir beauftragt sind und dazu befähigt, Kinder zu zeugen und zu gebären: Wir können sie nicht machen. Es bleibt dabei: „Siehe, Kinder sind eine Gabe des HERRN, und Leibesfrucht ist ein Geschenk“ (Psalm 127,3). Komisch, das gerade bei diesem Geschenk bei uns oft die Überforderungssorge hochkommt, es könnten zu viele werden. Wer lehnt sonst denn schon kostbare Geschenke ab? Ich sage das selbstkritisch in meine Generation hinein: Wir haben eine Geburtenplanungs- und Familienplanungsmentalität entworfen und gestaltet, die im Grunde nicht mehr als eine Geburtenverhinderungs-planung war anstatt grundsätzlich und frohgemut Kinder als Chance, als Auftrag, als Geschenk anzunehmen, die uns von Gott gegeben werden. Darum erlaube ich mir die Zuspitzung: Wer die Gabe der sexuellen Gemeinschaft zwischen Mann und Frau ausleben und genießen will, dabei aber grundsätzlich die mögliche Frucht dieser Gemeinschaft, nämlich Kinder, neue Menschen, verhindern will, der gleicht einem Menschen, der gerne Bäume wegen ihrer schönen Blüten pflanzt, aber deren Früchte nicht ernten will.

Ich habe vorhin schon kurz die 75-Jahr-Feier des Grundgesetzes erwähnt. Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und des Dritten Reiches haben die Verfassungsväter klar gemacht, dass alles staatliche Handeln dem Menschen dienen muss und darum an die Spitze des Grundgesetzes diese einzigartige Formulierung gestellt „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist  Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“.

Diesem Spitzensatz folgen dann die Grundrechte nach. Und mit ihnen verhält es sich ja so ähnlich, wie der Reformator Martin Luther über die Apokryphen gesagt hat: „Sie sind der Heiligen Schrift nicht gleich zu achten, aber doch Wert zu lesen.“

Die „Würde des Menschen“ ist die Perle des Rechtsstaates, der Angelpunkt für eine humane rechtsstaatliche Gemeinschaft.  Denn das Ja zur Würde jedes Menschen ist zugleich ein Ausschlusskriterium für andere Maßstäbe. Die Menschenwürde beginnt auch nicht erst mit der Geburt und sie endet noch nicht einmal mit dem Tod. Auch der Anspruch auf eine ordentliche Bestattung und selbst die Totenruhe auf den Friedhöfen sind Folgen dieser klaren Sicht. Und darum sind natürlich selbstverständlich auch Menschen mit Behinderungen und Menschen ohne Behinderungen gleichwertig. Damit ist ein klares Nein der Herrschaft von Menschen über Menschen verbunden, die anderen die Würde rauben könnte und dürfte. Und das ist eben auch das Ergebnis der biblischen Sicht auf die Menschen. Alle Menschen – ohne Ausnahme – sind Würdenträger. Gott ist und bleibt der HERR des Lebens – vom Anfang bis zum Ende. Damit verbieten sich alle Urteile über „lebenswertes Leben“ oder nicht mehr lebenswertes Leben! Übrigens ist das auch entlastend, dass wir nicht darüber urteilen müssen. Auch die übermäßige Sorge, jemand könnte zu lange leben, ist völlig unnütz. Es ist noch keiner übrig geblieben und nicht abgeholt worden. Und selbst die wenigen, die nicht verstorben sind, aus der Bibel wissen wir das von Henoch und Elia, wurden abgeholt. Alles zu seiner Zeit! Jeder kommt dran!

Wann ist der Mensch ein Mensch? Ich habe schon betont, dass mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle alles beieinander ist, was den Menschen ausmacht. Es gibt keinen wissenschaftlich begründbaren Zeitpunkt nach dieser Verschmelzung, den man bestimmen könnte für die Aussage: Bisher ist es noch kein Mensch, aber jetzt. Bis hierher muss man dieses menschliche Leben nicht schützen, aber ab jetzt. Früher war das offenbar klarer, obwohl man noch viel weniger vom vorgeburtlichen Leben der Menschen wusste. Die Wissenschaft und die biblische Sicht und damit auch die Rechtsvorstellungen waren da noch im Einklang. Wissenschaftlich – ärztlich: Im hippokratischen Eid der Ärzte um 400 vor Christus verpflichten die sich, an keiner Abtreibung mitzuwirken, also daran, ein ungeborenes Kind zu töten, am Weiterleben zu hindern. Und die biblische Sicht weiß um das von Gott geschenkte Leben. Es beginnt nicht erst mit der Geburt, wie wir unser Lebensalter zählen. Schon vor der Geburt ist klar: „Deine Augen sahen mich, da ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war“ (Psalm 139, 16). Und das macht Gott unter anderem auch in Berufungsgeschichten seiner Propheten klar, z.B. in Jesaja 49, 1: „Der Herr hat mich berufen von Mutterleibe an, er hat meines Namens gedacht, als ich noch im Schoß der Mutter war“. Oder in Jeremia 1,5: „Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest“. Und die Schwangerschaftsgeschichten von Maria, der Mutter Jesu, und Elisabeth, der Mutter von Johannes dem Täufer, machen das auch sehr klar: Gottes Berufungen beginnen nicht erst mit der Geburt. Seine Geschichte mit Menschen beginnen mitunter sogar schon vor der Zeugung. Seine Absichten umfassen damit erst recht auch das ungeborene Kind.

Juristisch, zwei Beispiele: 1794 hat man im Preußischen Landrecht in §§ 10 und 11 formuliert: „Die allgemeinen Rechte der Menschheit gebühren auch den noch ungeborenen Kindern schon von der Zeit ihrer Empfängnis…Wer für schon geborene Kinder zu sorgen schuldig ist, der hat gleiche Pflichten in Ansehung der noch im Mutterleibe befindlichen.“

Und das zweite Beispiel: Wir alle wissen, dass inzwischen die ärztliche Kunst auch dann zu Kindern helfen kann, wenn dies auf natürlichem Weg nicht geschieht oder nicht gewollt wird. Ich bin sehr dankbar, dass diese neuen medizintechnischen Möglichkeiten dazu gezwungen haben, im 1990 einstimmig im Deutschen Bundestag verabschiedeten Embryonenschutz-gesetz den Beginn des Lebensschutzes auch auf die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle festzulegen. Und dort wurde auch festgelegt,  dass auch im Falle der künstlichen Befruchtung kein anderes Ziel akzeptiert werden kann, als dass sich ein Embryo als Kind entwickelt, dass dann ausgetragen und geboren wird. Deshalb dürfen auch nur so viele Eizellen befruchtet werden, wie danach in die Gebärmutter zur Fortführung der Schwangerschaft eingepflanzt werden, höchstens drei.

Die jetzige Bundesregierung will diese wissenschaftlichen und ärztlichen und biblischen und juristischen Selbstverständlichkeiten nicht mehr gelten lassen. Der Sturm auf diese Bastionen hat begonnen. Zwar gelten Abtreibungen heute noch als rechtswidrig, man darf aber schon dafür werben, dass man diese „Dienstleistungen“ anbietet. Über allem steht nicht mehr die Verantwortung vor Gott. An ihre Stelle ist das „Selbst“ getreten, die Selbstbehauptung und Selbstbestimmung. Darf ich es zugespitzt sagen: Wer keine Kinder will, kann – und konnte auch schon bisher – auf die geschlechtliche Gemeinschaft verzichten. Da man nicht beim Einkaufen und im Vorübergehen schwanger wird, ist das die wirklich einzige 100%ige Verhütungsmethode und Ausdruck der allen Menschen freiheitlich zustehenden Selbstbestimmungen. Auch wenn ich vom Schöpfungsauftrag der Vermehrung sprach: Man darf dazu natürlich auch nicht gezwungen werden. Aber die Selbstbestimmung gegenüber einem neu entstandenen menschlichen Leben einzufordern und dieses gegebenenfalls eben zu liquidieren, ist eine eklatanta nicht zu tolerierende Grenzüberschreitung. Da entartet die Selbstbestimmung zum Recht des Stärkeren, zur Barbarei. Man muss doch noch nicht mal Christ sein und die biblischen Maßstäbe beachten wollen – jedem einsichtigen Menschen muss doch klar sein, dass die eigene Freiheit immer dort endet, wo dadurch die Freiheit eines anderen beschränkt oder gar verhindert wird. Und gibt es eine größere Freiheitsbeschränkung als die, einen anderem durch Zwang am  Weiterleben zu hindern, auch noch gegenüber einem Menschen, der sich schlichtweg überhaupt nicht wehren kann, sondern sich dann nur mit einem „stummen Schrei“ verabschieden?

Vielleicht gibt es ja noch so einige Altersgenossen hier, die sich früher auch mal um einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz beworben haben. Wissen Sie noch? Damals hat man keinen tabellarischen Lebenslauf geschickt sondern sein Leben beschrieben. Bei mir hörte sich das so an: „Am 29. Oktober 1953 erblickte ich das Licht der Welt“. Welche Weisheit lag in dieser Formulierung. Ich erblickte das Licht der Welt. Klar, ich war schon vorher da, aber jetzt hatte ich den bequemen Platz im Bauch meiner Mutter verlassen. Ich konnte in die Welt schauen und die Welt hat mich geschaut. Nach der Geburt wird der Mensch abgenabelt, von der unmittelbaren Versorgung durch die Mutter getrennt und erlebt seinen größten Schritt zur Selbstständigkeit. Klar, er bleibt noch lange Zeit abhängig von Dritten, die ihn versorgen, im allerbesten Fall weiterhin von der Mutter, mit der er schon ca. 40 Wochen eine intensive Gemeinschaft erlebte, wie nie mehr danach und wie es nie jemals mit irgendeinem anderen Menschen möglich ist. Darum ist eine Mutter nie vollständig vollumfänglich vollwertig ersetzbar. Um des Kindeswohles willen sollte dieser Beziehungsvorsprung zu Gunsten des Kindes genutzt werden!

Warum kann es sein, dass diese Wahrheiten und Selbstverständlich-keiten nicht mehr das Maß für Recht und Unrecht abgeben? Es wird alles getan, um dem Menschen das Menschsein abzusprechen, bevor er geboren wird. Darum reden Abtreibungsbefürworter nicht vom Kind, das der Schwangeren als eigene Rechtspersönlichkeit gegenübersteht, sondern am liebsten nur von einem Zellhaufen oder gar vom Schwangerschaftsgewebe, das da entfernt wird.

Und so ist es wirklich die Tragik unserer Zeit, dass die 40 Wochen der Schwangerschaft, von Gott als best-behütete Zeit eigerichtet, der Ruhe und Stille des Heranreifens und Wachstumsprozesses, inzwischen zu der gefährlichsten Zeit für das Leben eines Menschen geworden ist.

Ich muss das mit Fakten unterlegen:

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beziffert die Zahl der Abtreibungen auf jährlich 73 Millionen. 73 Millionen bewusst gewollte durch aktives Handeln herbeigeführte Schwangerschaftsabbrüche. Aber da wird nicht nur etwas abgebrochen, da stirbt regelmäßig ein Mensch, das ungeborene Kind. 73 Millionen! Solche Zahlen bedürfen auch immer der Einordnung. Nur wenige von uns werden 73 Millionen Euro ihr Eigentum nennen können. Die wüssten es vielleicht welche Größenordnung 73 Millionen sind. Wir anderen aus der etwas ärmeren Gesellschaftsschicht brauchen zur Einordnung von Zahlen Vergleiche, weil absolute Zahlen oft die Köpfe verwirren. Darum ist es gut, sich bewusst zu machen, dass weltweit jährlich zwischen 56 und 67 Millionen Menschen sterben, also gerundet etwa 60 Millionen nach der Geburt, in den ca. 73 durchschnittlich erlebten Lebensjahren, und 73 Millionen vor der Geburt; das sind täglich 200.000! Kindestötungen im Mutterleib ist die häufigste Todesursache, zudem auch die am häufigsten relativ leicht vermeidbare Todesursache. Das Lebensjahr, in dem die meisten Menschen sterben, ist sozusagen das Jahr -1, mehr als in jedem anderen Lebensjahr, ja, in allen anderen Lebensjahren zusammen. Wenn man sich das vor Augen stellt ist es doch zwingend wahrzunehmen, dass Abtreibungen die schlimmste Menschenrechtsverletzung weltweit ist, die tagtäglich, fortwährend, geschieht!

Menschliches Leben ist natürlich immer bedroht von Krankheit, durch Unfälle, durch Hunger, Armut, Elend, durch Katastrophen und in Kriegen. Aber das Leben ist in den ersten Tagen und Wochen mehr bedroht als in allen anderen Lebensumständen und kommenden Katastrophen danach, zusammen genommen!

Und ich muss noch erwähnen, dass uns am Ende des Lebens ähnliche Zustände drohen. Auch durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts macht sich die Meinung breit, man dürfe über das Ende seines Lebens auch selbst bestimmen. Und wenn ich mir selbst nicht das Leben nehmen kann, dann gäbe es einen Anspruch darauf, dass andere mir dazu „helfen“ Früher war klar als ungeschriebenes Sittengesetz: Wenn einer nicht mehr leben will, dann braucht er Hilfe. Die Beihilfe zur Selbsttötung kam nicht in Frage: „Solches tut man nicht“. Wenn aber jetzt umgekehrt die absolute Selbstbestimmung gilt und die Verweigerung der Hilfe als zu wenig Nächstenliebe ausgelegt wird, dann verirrt sich unsere Gesellschaft auch am Ende des Lebens.

Fast alle Meinungsträger meinen auch, dass man eine solche Beihilfe mindestens im privaten Bereich nicht unter Strafe stellen dürfe. Aber es ist ja leider eine bedauernswerte Tatsache, dass die meiste Gewalt in unserem Land häusliche Gewalt ist. Vor ein paar Tagen wurden die offiziellen Zahlen bekannt, dass man von ca. 240.000 Fällen häuslicher Gewalt im Jahr ausgeht und dass die Zahl gerade um 8,5% gegenüber dem Vorjahr zugenommen hat. Gerade hier droht der größte Missbrauch! Und wenn man sozusagen „sterben wollen darf“, dann wird der Druck logischerweise immer stärker auf Alte, Kranke, Behinderte zunehmen, ideell und tatsächlich, dann eben doch gerne auch ein wenig früher aus dem Leben zu scheiden, sozialverträglich „freiwillig“, sich nicht mehr der Familie und den Sozialkassen zumuten zu wollen.

Wir haben uns das Leben nicht selbst gegeben, also haben wir auch kein Recht, es uns selbst zu nehmen. Gott ist der HERR des Lebens. Wir sind seine geniale Idee. Aber darum bestimmt er auch Anfang und Ende.

Amen

Hartmut Steeb, Predigt im Gottesdienst in der Landeskirchlichen Gemeinschaft Ravensburg, 23.6.2024

 

Dieser Beitrag wurde erstellt am Sonntag 21. Juli 2024 um 5:00 und abgelegt unter Lebensrecht, Predigten / Andachten, Schöpfung / Evolution, Theologie.