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Rezension: Bernd Ahrbeck und Marion Felder (Hg.): »Geboren im falschen Körper. Genderdysphorie bei Kindern und Jugendlichen«

Donnerstag 6. April 2023 von Pfr. Dr. Hans-Gerd Krabbe


Pfr. Dr. Hans-Gerd Krabbe

Lobbygruppen aus dem LSBTTIQ-Spektrum heraus fordern dazu auf, Transgender und Queer als neue gesellschaftliche Normalität uneingeschränkt zu akzeptieren — propagieren ›fluide Geschlechtlichkeit‹ und ebenso Umwandlungen des Geschlechts als Wunschoption — erklären die Dekonstruktion der heterosexuellen Geschlechtlichkeit als Akt der Befreiung (vgl. Ahrbeck & Felder, 19f.): »Endlich das binäre Zwangskorsett aufbrechen, in das patriarchale Gewalt jahrtausendelang die gesamte Realität zu pressen versuchte« (Türcke, 164).

Die Frage allerdings sei erlaubt: Werden Menschen, von Kindern und Jugendlichen aus angefangen, durch Geschlechtsangleichungen dankbarer, zufriedener, glücklicher? Werden »adoleszentenspezifische Entwicklungsverunsicherungen« (Walter, 116) gebührend berücksichtigt? Soziale Medien üben keinen geringen Einfluss auf Kinder und Jugendliche aus, ihr Geschlecht wechseln zu wollen, weil sie sich »im falschen Körper« fühlen — nur sind Kinder und Jugendliche in ihrer psychischen Entwicklung bereits so gereift und gefestigt, dass sie die Entscheidung zur Transition in ihrer Tragweite überhaupt überblicken und eigenverantwortlich treffen können? Wenn Vierzehnjährige bereits eine solch weitreichende, irreversible Entscheidung mit lebenslangen Folgen fällen können sollen, sogar gegen den Willen ihrer Eltern? — Nebenbei: Würde dabei nicht das Erziehungsrecht der Eltern durch das Selbstbestimmungsrecht von Jugendlichen ausgehebelt werden? — Zudem: Müssten die Begriffe ›Geschlechterwechsel‹, ›Geschlechtsangleichung‹, ›Transition‹ nicht daraufhin hinterfragt werden, inwieweit sie überhaupt adäquat und zutreffend sind oder ob sie nicht durch eine ganz andere Bezeichnung ersetzt werden müss(t)en? Welche?

»Die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit einer Genderdysphorie hat sich im letzten Jahrzehnt … vermehrt und Umwandlungswünsche nehmen zu« (Ahrbeck & Felder, 7). »Diese bedenkliche Entwicklung darf .. nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene in eine erhebliche Not geraten können, wenn sie das Gefühl haben, im falschen Körper zu leben. Für sie kann eine Transition der beste Weg sein … Zugleich bedeutet diese Feststellung nicht, dass dem Willen von Kindern und Jugendlichen bedingungslos gefolgt werden muss, ohne Beratung und Therapie, ohne fachärztliche Untersuchung, eventuell sogar gegen das elterliche Votum. Im Sinne einer Fürsorgepflicht, der Wahrung des Kindeswohls, ist ein solches Vorgehen nicht vertretbar, auch wenn es von einigen Betroffenen eingefordert wird« (Ahrbeck & Felder, 8). »Was sollen Kinder davon haben? Wozu soll das dienen?« (Ahrbeck & Felder, 26). »Angestrebt wird ein Eingriff in einen gesunden Körper, der auf fundamentaler Ebene verändert werden soll, was abschließend nie gelingt. Möglich ist nur eine Annäherung. Über die Hormonvergabe bleibt eine lebenslange Abhängigkeit von äußeren Eingriffen bestehen, die kritischen Folgen wie etwa ../ .. Libidoverlust sind zu bedenken« (29f.) bis hin zu Ess-Störungen, Schulverweigerung, Depressionen, Suizid-Absichten. »Die Indikation zur Einleitung einer Hormonbehandlung lässt sich nur als Ergebnis eines längeren diagnostisch-therapeutischen Prozesses stellen«, so Alexander Korte (67). »Operationen zur äußeren Angleichung des Körpers an die empfundene Geschlechtsidentität sollten frühestens mit Erreichen der Volljährigkeit erfolgen« (Korte, 68). Dem allerdings steht der »Primat der Selbstbestimmung« (Kunze, 218) entgegen.

Das Transsexuellen-Gesetz aus dem Jahr 1981 soll durch ein neues aufgrund der Vorhaben von ›Bündnis 90/Die Grünen‹ und der FDP ersetzt werden (Korte, 76f. / Kunze, 209f.222) — im Sommer 2022 soll dafür ein erster Entwurf vorliegen, um der vermeintlichen ›Queer-Feindlichkeit‹ entgegenzuwirken.

Nur – wenn in Gender-Kliniken Brüste, Gebärmutter, Eierstöcke bzw. Penis entfernt werden — dann handelt es sich dabei um eine partielle, nicht aber um eine vollständige Geschlechtsumwandlung, die auch gar nicht möglich ist (schon deshalb, weil alle Körperzellen eindeutig als männlich oder als weiblich determiniert sind). Handelt es sich dabei nicht aber um eine Kastration (Walter, 122.124 / Brunskell-Evans, 184)? In jedem Fall jedoch handelt es sich um irreversible körperliche Veränderungen. Geschlechtsidentitätsstörungen (›GIS‹) bzw. Genderdysphorie sollen behoben werden durch lebenslange gegengeschlechtliche Hormon-Behandlungen, schließlich soll die Transition durch operative Eingriffe zum Ziel führen. Was bedeutet dies in den Folgen für den je konkreten einzelnen Menschen, in seiner Physis, in seiner Psyche? Für seine Mitmenschen im sozialen Umfeld?

Axel Bernd Kunze formuliert als Schlussfolgerung: »Wer besondere Unterstützung bei seiner Geschlechtsentwicklung, möglicherweise bis zur Transition seiner geschlechtlichen Identität benötigt, sollte diese aus menschenrechtlicher Sicht erhalten — allerdings mit der notwendigen Beratung und Unterstützung sowie auf Grundlage reiflicher Überlegungen und notwendiger Abklärung« (226).

Es gehört in unserer fluiden Gesellschaft ganz viel Mut und Entschlossenheit dazu, dieses Buch vorzulegen — riskiert es doch erheblichen Widerspruch, gerade von Lobbygruppen bestimmter Kreise. Aber — dieses Buch ist ein notwendiger Sinnenöffner, ja höchst-aktuell für den gesellschaftlichen Diskurs! Es braucht breite Beachtung in den Zirkeln von Politik und Pädagogik, von Psychologie und Psychotherapie, von Medizin und Seelsorge, von Theologie und Kirche. Die mahnende und warnende Stimme zu erheben, ist dringlich-erforderlich — auch wenn Widerstände (mit dem Vorwurf, transphob zu sein) zu befürchten und auszuhalten sind: um das Wohl von Kindern und Jugendlichen willen.

Die insgesamt zehn Autoren verdienen hohe Anerkennung, schon deshalb, weil und wie sie sich dem hochsensiblen und zugleich umstrittenen Themen-, Problem-, Konfliktkreis stellen. In sachlich-seriöser, in sorgsam abwägender, in profunder und differenzierender, in wachsam-kritischer Auseinandersetzung, unter Bezugnahme auf den derzeitigen Forschungsstand, in medizin-ethischen und juristischen Überlegungen werden Gefahren benannt und Risiko-Beurteilungen vorgenommen —  alarmierende, erschütternde Erfahrungsberichte (Debbie Hayton, 152-163 / Heather Brunskell-Evans: »Die Stimme der ›Detransitioner‹«, 178.183-187) und statistische Angaben (187f.) eingeflochten — zudem jeweils ausführliche Literaturverzeichnisse angefügt. Bezeichnend ist nicht zuletzt, dass alle Autoren bewusst auf die Verwendung von Gender-Sternchen, Gender-Unterstrichen, Gender-Binnenwort-Doppelpunkten verzichten.

Die Autoren sind: Prof. Dr. Bernd Ahrbeck — Dr. Heather Brunskell-Evans — Prof. em. Dr. Karla Etschenberg — Prof. Dr. Marion Felder — Debbie Hayton — Dr. Alexander Korte — Dr. Axel Bernd Kunze — Prof. Dr. Annette Streeck-Fischer — Prof. em. Dr. Christoph Türcke — Dr. Alfred Walter.

Dr. Hans-Gerd Krabbe

Bernd Ahrbeck und Marion Felder (Hg.): »Geboren im falschen Körper. Genderdysphorie bei Kindern und Jugendlichen«
Kohlhammer-Verlag, Stuttgart April 2022
233 Seiten, ISBN: 978-3-17-041238-5
Preis: 34,- Euro

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Donnerstag 6. April 2023 um 12:15 und abgelegt unter Buchempfehlungen, Medizinische Ethik, Sexualethik.