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Nachruf auf Hans-Jochen Vogel

Montag 27. Juli 2020 von idea e.V.


idea e.V.

Zum Schluss des Interviews holte er nochmal tief Luft. Die Zeit war fast abgelaufen. Er wollte ganz offensichtlich die letzten Minuten noch nutzen. Testamentarisch. „Der Glaube ist nicht nur etwas für alte Leute. Gerade die Jungen brauchen einen archimedischen Punkt. Und das ist der unbewegte Beweger, nämlich Gott.“ Und dann der Hammer: „Das wichtigste Datum der Zukunft ist das Jüngste Gericht. Wir werden vor Gott Rechenschaft ablegen müssen. Dann gibt es endlich Gerechtigkeit, auch für die vielen, die in ihren Familien als Kinder missbraucht wurden und schweigen müssen.“

Er war nicht nur der Oberlehrer mit erhobenem Zeigefinger

Ja, das war die andere Seite des Hans-Jochen Vogel. Nicht nur der Oberlehrer mit erhobenem Zeigefinger, die wandelnde Klarsichthülle und Büroklammer. 2015 signalisierte mir sein Bruder Bernhard, Jochen würde gern noch ein größeres Interview geben, am liebsten in meiner Sendung beim ZDF. „Ich habe ihn doch noch nie gewählt!“, war meine spontane Reaktion. Wir lachten beide. Es müsse aber in seinem Altenheim in München sein. Mit meinem Team reiste ich nach Bayern. Als ich nachmittags zum Set kam, feixten meine Kollegen und zeigten auf ein Buch: „Das hat Vogel eben vorbeigebracht. Es wird für dich eine lange Nacht.“ Es war gerade erschienen: „Niemals aufgeben – Mit Werten in Führung bleiben.“ Und es war das frömmste, so die Kritik. Voller Bleistift-Bemerkungen, mit vielen Zetteln drin, Fragen, Ergänzungen.

Von den Bibelarbeiten Friedrich Hänsslers beeindruckt

Wie sehr es in ihm arbeitete, merkte ich bereits im Februar 2005. Wir hatten beide bei der Christlichen Polizeivereinigung (CPV) in Nürnberg gesprochen. Jetzt verhinderte ein Schneesturm den Abflug nach Berlin. Der Flughafenchef wollte uns in die VIP-Lounge führen. Doch Vogel lehnte kategorisch ab. So sprachen wir in einem ruhigen Eckchen zwei Stunden über Gott und die Welt. Mehr über Gott. Bei einem privaten Abendessen bei Johannes Rau (1931–2006) im Schloß Bellevue hatte er im Vorjahr unvermutet erzählt: Er sei so beeindruckt von den Bibelarbeiten bei der „Internationalen Berliner Begegnung“, einem Ableger des parlamentarischen Gebetsfrühstücks, die der Verleger Friedrich Hänssler (1927–2019) regelmäßig hielt. Er käme gar nicht so schnell mit dem Mitschreiben nach. „Dieser Mann glaubt an alles, was in der Bibel steht. Und erzählt die Geschichten mit Humor, aber einem heiligen Ernst. So etwas habe ich noch nie gehört.“ Ja, durch die Arbeit dieser eher pietistisch geprägten Gebetsfrühstücke ist dieser Mann zum lebendigen Glauben gekommen.

Anstöße kamen von einem seiner Leibwächter

Anstöße kamen auch von einem seiner Leibwächter, einem überzeugten Christen. Erst unlängst sagte dieser mir: „Der Hans-Jochen Vogel ist durch und durch echt.“ Mit Manfred Siebald möchte man singen: „Überall hat Gott seine Leute, freu dich doch daran.“

Gegen jede Form der Sterbehilfe

Das Interview von 2015 werde ich nie vergessen. Über die aktuelle politische Lage und das Umfrageelend seiner Partei war er kurz angebunden. Doch ein damals brandaktuelles Thema lag ihm am Herzen: Er sprach sich vehement gegen jegliche Form von Sterbehilfe aus. Das sei eine Sache Gottes – und nicht des Menschen. Und er wolle in keiner Gesellschaft leben, in der alte, pflegebedürftige Leute sich geradezu überflüssig und als Belastung fühlen und dann lieber sterben wollen. Der Zwang dazu sei doch förmlich programmiert.

Was würde Jesus jetzt tun?

Hans-Jochen Vogel, der das Reden über Gott lieber seinem Bruder Bernhard überließ, wurde in diesem langen Interview, seinem letzten, sehr offen. Er habe eine bewusste Entscheidung für den christlichen Glauben getroffen. Leider erst so spät. Er würde jetzt vieles anders machen und bei jeder Entscheidung fragen: „Was würde Jesus jetzt tun oder sagen?“. Natürlich lag die Frage bei einem fast 90-Jährigen auf der Hand: „Haben Sie Angst vor dem Tod?.“ Ein energisches „Nein!“ mit der knappen Begründung: Seit er Jesus kenne, habe er keine Angst mehr davor.

Der entscheidende Unterschied

Für mich schließt sich ein Kreis. 1972 war ich als Student bei den Olympischen Spielen in München. Im Stadion ein „deutsches Sommermärchen.“ Doch dann der schreckliche Anschlag palästinensischer Terroristen auf die israelische Mannschaft. Abbrechen oder nicht, war die Frage im Stadion und in aller Welt. Oberbürgermeister Vogel war für Weitermachen. In seiner ruhigen Art erklärte er das über die Medien überzeugend. Noch wichtigerer war für die Stimmung der damalige Stadionsprecher Joachim Fuchsberger (1927–2014) mit seiner sonoren, beruhigenden Stimme. Viel später erzählte ich ihm, dass viele Leute damals für ihn und Vogel gebetet hätten. Wir trafen uns kurz vor Fuchsbergers Tod im ARD-Talk „Hart aber fair“. Hinterher solle ich mir bitte Zeit nehmen. Wir redeten bis in die Nacht. Nach dem furchtbaren Tod seines Sohnes nagte an Fuchsberger die Sinnfrage, er hatte ein gebrochenes Herz: „Ich wohne ja direkt neben Ihrem alten Kollegen Harry Valerien. Wir sind uns zu 99 Prozent einig. Was wir denken und essen, wo wir Urlaub machen und was wir wählen. Nur dass Harry dauernd von Jesus erzählt…“ Nach einer fast endlosen Pause fügte er leise hinzu: „Aber er hat keine Angst vor dem Tod.“ Ja, das ist der entscheidende Unterschied, der Markenkern von Christen und Kirche. Hans-Jochen Vogel hat das, wenn auch spät, begriffen. Er ruhe in Frieden.

Peter Hahne

Quelle: www.idea.de, 27.7.2020

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Montag 27. Juli 2020 um 21:54 und abgelegt unter Allgemein.