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Gibt es in Israel Verfolgung aus Glaubensgründen?

Samstag 25. April 2020 von Philippus-Dienst e.V.


Philippus-Dienst e.V.

Wir haben uns in Israel alle an die Bedrohung durch Raketenbeschuss und Bombenattentate auf Busse gewöhnt; es gehört zu unserem Leben, das aggressive Leute etwas dagegen haben, dass es uns gibt. Aber dennoch muss ich einen Moment innehalten und mir bewusst machen – nur weil wir uns daran gewöhnt haben, ist Verfolgung aus religiösen Gründen noch lange nicht in Ordnung. Und wenn man nichts dagegen unternimmt, kann es nur noch schlimmer werden.

„Sind noch mehr Päckchen in der Post?“

So fragte ich, als ich ins Auto einstieg und einen Stapel Umschläge durchging. Es war im Jahr 1992 und als Jude an Yeschua zu glauben war immer noch eines der abartigsten Dinge, von denen die meisten Israelis je gehört hatten. Wir hatten ein spezielles Postfach für Israelis eingerichtet, die mehr über unseren Glauben erfahren, ihre Identität aber nicht preisgeben wollten. Wir konnten ihre anfängliche Scheu gut verstehen und wir vermittelten sie für persönliche Gespräche an einen Gläubigen, der in ihrer Nähe wohnte. Natürlich kam nicht alle eingehende Post von interessierten Leuten.

„Wow, eines der Päckchen enthielt sämtliche Seiten des evangelistischen Büchleins, die der Absender offensichtlich vor der Rücksendung als Toilettenpapier verwendet hatte.“ Ich stöberte durch den Stapel Umschläge und fand noch ein Päckchen. Als ich es vorsichtig öffnete, um nachzusehen, was es enthielt, kam mir feiner Aschestaub entgegen. Sie hatten das Büchlein vor dem Zurücksenden verbrannt.

Ich war damals noch zu jung und so kann ich nicht sagen, ob jemals irgendwelche Israelis durch dieses Geheimpostfach zum Herrn gekommen sind. Woran ich mich aber durchaus erinnere, sind die nie enden wollenden Feindseligkeiten gegen uns als messianisch Gläubige.

Da waren die orthodoxen Juden, die uns am liebsten in der Luft zerrissen hätten, als sie herausgefunden hatten, wer wir waren. Ich weiß noch gut, wie die Regierung Gesetze erlassen hat, die besagten, dass der Glaube an den jüdischen Rabbi Yeschua einen Verrat an allem bedeutet, was jüdisch ist. Und ich erinnere mich an säkulare Israelis, die uns ansahen, als würden wir an die Existenz Außerirdischer glauben. Sie waren nicht unbedingt feindselig gesinnt, aber wir waren für sie ein seltsamer Haufen.

Ich erinnere mich auch an die Sommer, die wir in den USA verbrachten; dort traf ich dann Christen. Mit einem breiten Lächeln war es ihnen ein Vergnügen, uns zu versorgen. Sie liebten jeden. Sie gingen auch über alles hinweg, was sie nicht verstanden. Ich erinnere mich noch daran, wie ich in Gemeindegebäuden und Unterrichtsräumen unterwegs war und die Karte mit dem 10/40-Fenster über die Wände ausgebreitet sah. Für jedes Land in diesem „Fenster“ gab es bunte Kennzeichnungen von Einwohnerzahl, Wirtschaftsleistung, Aufteilung der religiösen Gruppierungen und so weiter. Für jedes Land außer Israel. Israel war grau dargestellt, so als ob wir gar nicht existierten.

Als Teenager waren mir die Auswirkungen dessen nicht bewusst, dass Christen theologisch nicht viel mit Israel anfangen konnten. Die Tatsache, dass das Volk Israel jahrhundertelang nicht Teil der christlichen Theologie war und die Bedeutung seines plötzlichen Wiederauftauchens auf der Weltbühne war vielen Theologen schleierhaft und für das Kirchenvolk irrelevant.

Folgende theologische Erklärungsversuche schafften es ins Rampenlicht: Israel ist schon gerettet; Israel wird nach der Entrückung gerettet; Israel hat Gott abgelehnt und bekommt daher kein weiteres Angebot der Errettung. Das letzte Argument ist die älteste Erklärung – darauf einigten sich die Christen anscheinend sehr bald nachdem die ursprünglich jüdischen Apostel gestorben waren und Gläubige aus den Heiden die jüdischen Gläubigen zahlenmäßig übertrafen. Mit eben dieser Theorie konnten Unmengen von Christen davon überzeugt werden, Gott dabei zu „helfen“, diese Volksgruppe zu beseitigen, welche „Gott getötet“ hatte. Mit beseitigen war gemeint, sie zu töten oder sie dazu zu zwingen, ihrem gottlosen Erbe abzuschwören und zum Christentum überzutreten.

Die meisten Christen heute sind Juden gegenüber nicht feindselig eingestellt, aber viele von ihnen haben noch immer diesen alten Gedanken verinnerlicht, dass alle Juden zum Christentum konvertieren sollten. Andererseits ist die israelische Regierung verblüfft über die unerschütterliche Unterstützung des modernen Staates Israel durch evangelikale Gruppen. Das Konzept Israel wird sprichwörtlich überschwemmt mit Gruppenreisen, Gebeten, politischer Unterstützung und Milliarden von Dollars. Diese Art von Unterstützung hat viel bei den Juden bewirkt und zur Heilung von Wunden aus der Vergangenheit beigetragen. Die Unterstützung Israels von evangelikaler Seite könnte jedoch so viel effektiver sein, wenn sie sich einen Augenblick Zeit nehmen würden und nachdenken, wie und was sie da genau unterstützen.

Es stimmt schon, was der Apostel Paulus in Römer 15 schreibt, dass Christen Israel unterstützen sollen, als natürliche Reaktion der Dankbarkeit dafür, dass von Israel geistlicher Segen für die ganze Welt ausgegangen ist. Paulus bezog sich dabei jedoch nicht auf Israel als Ganzes. Er meinte damit die messianisch Gläubigen in Israel.

„Denn die Gemeinden in Mazedonien und Achaja haben beschlossen, etwas für die Armen unter den Gläubigen in Jerusalem zusammenzulegen. Sie haben das gern getan und stehen ja auch in ihrer Schuld. Denn wenn die Völker Anteil an den geistlichen Gütern der Jerusalemer Gläubigen bekommen haben, so sind sie auch verpflichtet, ihnen mit irdischen Gütern zu dienen.“
(Rö. 15, 26-27)

Können Sie sich vorstellen, dass die Christen zu Paulus Zeiten Spenden von Christen gesammelt haben, um die Pharisäer mit neuer Kleidung und einer neuen Synagoge auszustatten? Oder dass sie es jüdischen Jungs ermöglichten unter der Anleitung der Sadduzäer ausgebildet zu werden? Aber das ist genau das, was Christen aus der ganzen Welt heutzutage machen. Wenn da ein Davidsstern drauf ist, wird es unterstützt.

Es ist nicht auf den ersten Blick erkennbar

Ich werde manchmal nach Verfolgung in Israel gefragt und meine erste Reaktion darauf ist ein Schulterzucken. Wie gesagt, wir sind in Israel ja an die verschiedensten Bedrohungen gewöhnt, aber das heißt nicht, dass man alles tolerieren und nichts dagegen tun soll, da sich die Lage dann noch verschlimmern könnte.

In den meisten Fällen habe ich in meinem Leben die Verfolgung messianisch Gläubiger in Israel als subtil und wenig offensichtlich erlebt. Unsere Regierung reißt niemandem den Kopf ab, wenn er behauptet, ein Nachfolger des jüdischen Messias zu sein; so läuft das nicht in unserem Land. Man tut allerdings auch nicht viel dafür, uns als israelische messianisch Gläubige zu schützen, wenn andere Gruppen ausschließlich aufgrund unseres Glaubenszeugnisses gegen uns vorgehen.

Von Regierungsseite ist es für messianisch Gläubige nicht verboten, an bestimmten Arbeitsplätzen zu arbeiten; ein explizites Verbot ist auch gar nicht nötig. Die kulturellen Vorbehalte vor messianischen Juden sind schon ausreichend, um manche Arbeitgeber davon abzuhalten messianisch Gläubige einzustellen, obwohl es Gesetze gegen Diskriminierung gibt. Die Regierung verbietet es messianischen Juden nicht, eine Halle zu mieten und eine Lobpreisveranstaltung zu organisieren; das ist wiederum gar nicht nötig.

Die Betreiber der Halle haben viel zu viel Angst vor einem Boykott durch orthodoxe Juden (von denen viele Touristen sind), wenn sie ihre Räumlichkeiten an Juden vermieten, die an Yeschua glauben. Demzufolge müssen messianische Juden oft auf Räumlichkeiten für Konferenzen oder Sommercamps „am Ende der Welt“ ausweichen oder die Veranstaltungen können gar nicht erst stattfinden.

Davon habe ich noch nie etwas gehört

Vielleicht warst du auf einer wunderbaren und inspirierenden Israelreise. In den Augen der Israelis macht es jedoch einen riesigen Unterschied, ob du ein christlicher Tourist aus dem Ausland bist, der vorübergehend hierhergekommen ist, um sein Geld da zu lassen, oder ob du ein israelischer Staatsbürger bist, der sein Leben lang dafür einsteht, dass Juden Yeschua nachfolgen sollen.

Israel ist eine Demokratie und garantiert Religionsfreiheit. Doch jeder, der sich mit Geschichte beschäftigt weiß, dass Gesetze immer nur so gut sind wie die Männer und Frauen, die den Auftrag haben, diese durchzusetzen.

Einer der bekanntesten Fälle von religiöser Verfolgung ist der von Pnina Pie, einer koscheren Bäckerei, die von Pnina und ihrer Familie betrieben wird. Sie wurde zur Zielscheibe religiöser Aktivisten, nur weil die Familie messianisch gläubig ist. Es ist dabei wichtig klarzumachen, dass es kein Gesetz gibt, das es christlichen oder muslimischen Arabern verbietet, koscheres Essen zu verkaufen – das war definitiv ein Angriff auf Juden, die sich zum Glauben an Yeschua bekannten. Die Aktivisten waren wütend, als sie herausgefunden hatten, dass die Besitzer der Bäckerei messianisch Gläubige waren und sie standen vor dem Geschäft und verteilten Flugblätter, auf denen sie vor den schrecklichen Folgen warnten, wenn man ein köstliches Croissant verspeist, das diese gottverdammten Missionare hergestellt haben.

Da durch diese Aktivitäten nur ein Teil der Kundschaft vom Einkauf abgehalten wurde, rannte ein Aktivist in den Laden und riss das Koscher-Zertifikat von der Wand. Für ein Geschäft ist es in manchen Stadtvierteln ein Todesurteil, wenn man kein Koscher-Zertifikat hat, da nicht nur ultraorthodoxe, sondern auch viele praktizierende Juden solch ein Geschäft nicht unterstützen würden. Die Loyalität der Kunden endet hier, da sie nicht guten Gewissens „nicht koschere“ Backwaren kaufen und anderen zu essen anbieten können.

Man sollte die Auswirkungen auf die messianisch Gläubigen überall im Land bedenken, sollten Vertreter der Orthodoxen es zulassen, dass es nicht geahndet wird, wenn die Geschäfte messianisch   Gläubiger dermaßen angegriffen werden. Wir konnten dann mit Hilfe von unseren Partnern von Maoz eine umfassende rechtliche Klage finanzieren und den Fall bis vor den Obersten Gerichtshof Israels bringen. Der Oberste Gerichtshof urteilte zugunsten von Pnina Pie und gab ihnen das Recht, koscheres Essen anzubieten, unabhängig von der Glaubensrichtung des Inhabers. Wenn der Fall dabei belassen worden wäre, wären alle Bemühungen umsonst gewesen, da die rabbinischen Behörden in Israel die Rechtsprechung des Obersten Gerichts grundsätzlich nicht über ihre religiösen Entscheidungen anerkennen!

Es waren noch mehrere Anläufe nötig, bis das Gericht Strafen verhängte und so die rabbinische Behörde zum Einlenken brachte. Aktuell können glückliche Kunden an zwei Standorten von Pnina Pie einkaufen. Pnina hat jedoch nur gewonnen, weil messianische Juden und Christen aus der ganzen Welt sich für sie eingesetzt haben. Messianische Juden in Israel haben jedoch wenig Hoffnung, dass Christen in Zeiten der Not zu ihnen stehen werden.

Entscheidend ist nicht die Regierung. Es kommt darauf an, wer das Sagen hat.

Die israelische Regierung besteht aus vielen Ressorts; es wird angenommen, dass einige davon von ultraorthodoxen Aktivisten infiltriert wurden. Jahrzehntelang wurde es messianischen Gläubigen durch die bestehenden Machtverhältnisse sehr erschwert die israelische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Dabei war nicht immer klar, woher die Regierung über das Privatleben messianischer  Juden Bescheid wusste, die vorhatten einzuwandern. Es gab Gerüchte, dass Regierungsmitglieder „Detektive“ vor allem von der Organisation Yad L’Achim einsetzten, die Leute dahingehend ausspionieren sollten, ob sie Nachfolger von Yeschua sind.

Es war schlimm genug, dass die Regierung Entscheidungen aufgrund von Informationen treffen konnte, die sie von selbsternannten, inoffiziellen Spionen erhalten hatte. Doch dann kamen Befürchtungen auf, dass innerhalb des von Ultraorthodoxen kontrollierten Innenministeriums auch Informationen weitergegeben wurden. Es lässt sich nicht beweisen, weil wir nicht heimlich in Regierungsgebäude eindringen; aber wir und Gläubige im ganzen Land erhielten aus heiterem Himmel plötzlich „evangelistische“ Literatur an unsere Privatadressen, wo Artikel enthalten waren, die sich mit unseren irrigen religiösen Vorstellungen auseinandersetzten und uns dazu aufriefen, zum „wahren“ Judaismus zu konvertieren. Adressiert waren die Magazine an unsere offiziellen Adressen, die wir in dieser Form nur für Regierungsbehörden verwenden. Da wir jedoch niemals von offizieller Seite zu unserem Glauben befragt worden waren, sieht es so aus, als ob dort eine Akte über jeden von uns existiert, zu der dieser Nicht-Regierungsorganisation Zugang gewährt wurde und somit persönliche Details über uns, wie z.B. unsere Postadresse weitergegeben wurden.

Ein anderes wichtiges Ereignis war, dass vor einigen Jahren ein ultraorthodoxer Mob die Adresse meiner Mutter herausgefunden hatte. Sie warfen daraufhin einen Molotowcocktail vor ihre Tür und dann war sie in ihrer Wohnung im dritten Stock eingeschlossen, da der Hausgang in Flammen stand. Gott sei Dank kam die Feuerwehr und löschte das Feuer.

Ein paar Jahre später, nachdem meine Eltern geheiratet hatten und in der Nähe von Tel Aviv wohnten, wurde unter ihrem Fahrzeug eine Autobombe platziert. Zum Glück bemerkten sie das verdächtig aussehende Päckchen und riefen die Bombenentschärfer, die es entfernten und in die Luft jagten.

Der wohl bekannteste – weil brutalste – Fall, bei dem messianische Juden auf diese Weise zur Zielscheibe wurden, war der von Ami Ortiz, Sohn eines örtlichen Pastors. Er wurde Opfer einer Bombe, die als Purim-Geschenk für seinen Vater getarnt an der Veranda abgelegt worden war. Ami war zu dem Zeitpunkt 15 Jahre alt und es dauerte mehr als zwei Jahre und 14 Operationen lang, um seinen hochgradig verbrannten Körper wiederherzustellen. Dank einer Sicherheitskamera – und immensen juristischen Druckmitteln – war dies einer der wenigen Fälle, in denen der Täter seiner Strafe zugeführt wurde und nun den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen wird. Obgleich dieser Angriff einem religiösen Juden als Einzeltäter zugerechnet wurde, kann man doch klar sagen, dass monatelange, gezielte Demonstrationen gegen den Pastor dazu geführt hatten.

Eine weniger bekannte, aber ziemlich beunruhigende Situation ereignete sich auch vor einigen Jahren, als eine Familie von messianisch Gläubigen berichtete, wie ihre Tochter in der Schule in das Büro des Rektors gerufen und dort von einer Gruppe von religiösen Männern über die religiösen Aktivitäten ihrer Familie befragt wurde. Sie sollte über das Gespräch Stillschweigen bewahren und so hatte sie es gegenüber niemandem erwähnt, bis dann der Van der Familie direkt vor ihrem Haus explodierte.

Gott sei Dank gibt es etliche Leute mit Prinzipien in unserer Regierung. Wenn Unrecht geschieht, kann ein messianischer Jude nötigenfalls seinen Fall bis vor den Obersten Gerichtshof bringen. Das Oberste Gericht ist dafür bekannt, die Durchsetzung des Rechts über persönliche Meinungen zu stellen. Unglücklicherweise dringt man bis zum Richterstuhl des Obersten Gerichts nur durch, wenn man die nötigen Mittel aufbringen und Massen von Leuten mobilisieren kann. Die kleine Gruppe von messianisch Gläubigen in Israel steht nicht gerade für Massen von Leuten. Wenn einer von ihnen versucht, sich für andere einzusetzen, riskiert er damit selbst zur Zielscheibe zu werden. Und so stellt sich die Frage, wer setzt sich für die messianisch Gläubigen in Israel ein?

Zu einer Zeit, wo sich Israel einer Flut permanenter diplomatischer Verurteilungen und Sanktionen ausgesetzt sieht, wird zunehmend klar, dass die Evangelikalen seine vielleicht stärksten Verbündeten in der Welt sind; genau wie Esther, die ihre einflussreiche Stellung dazu benutzte, um für Gottes Volk einzutreten und es so vor einem Massaker zu bewahren. Wer weiß, vielleicht ist das genau Ihre Aufgabe in dieser gegenwärtigen Zeit.

Autor: Shani Ferguson

Aus: Philippus-Dienst – Rundbrief vom 21.4.2020

Dieser Artikel erschien ursprünglich in Maoz Israel Report, April 2020

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Samstag 25. April 2020 um 8:22 und abgelegt unter Christentum weltweit, Israel.