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Roter Terror und Morde im Keller der Tartuer Kreditkasse

Montag 27. Mai 2019 von Administrator


Am 28 November 1918 begann der estnische Freiheitskrieg und bereits am 22. Dezember besetzten rote Truppen Tartu. Die Druckereien der Zeitung Postimees und der Dorpater Zeitung wurden beschlagnahmt und umfunktioniert. Von jetzt an gab es die kommunistischen Zeitungen Edasi und Vasar. Noch zu Weihnachten 1918 wurden Gottesdienste abgehalten, und die Kirchen waren voll, obwohl man wusste, dass die kommunistischen Besatzungstruppen dies nicht dulden wĂŒrden. Die Pfarrer und Geistlichen machten sich Gedanken, ob sie ihrer Gemeinde treu bleiben oder lieber fliehen sollten, um ihr eigenes Leben zu retten. Die meisten blieben.

Es fing an mit Hausdurchsuchungen und mit den ersten Festnahmen. Man machte keinen Unterschied zwischen SchĂŒlern, jungen MĂ€nnern, Frauen oder alten Leuten. Die Zahl der Gefangenen aus Tartu und Umgebung belief sich auf ĂŒber 500. Man brachte sie in das GebĂ€ude der Kreditkasse in der Kompaniestraße 5 und in das Polizeirevier derselben Straße Nr. 10. Menschen aller Gesellschaftsschichten waren vertreten: Lehrer, Pfarrer, Arbeiter, Bauern, Handwerker, Gutsbesitzer, Kaufleute und Beamte. Auch die NationalitĂ€t spielte keine Rolle. Die ZustĂ€nde in den RĂ€umen, wo man die Leute gefangen hielt, waren verheerend und unmenschlich.

Am 28. Dezember wurde in der Zeitung Edasi das „Manifest des estnischen Arbeitervolkes“ veröffentlicht. Da hieß es, die abgesetzte estnische Verwaltung, deren Agenten und UnterstĂŒtzer, alle Gutsbesitzer und Pastoren, deren HĂ€nde vom Blut des estnischen Arbeitervolkes trieften, sind vogelfrei und ohne Rechtsschutz. Vertreter der Gemeinden versicherten dagegen, dass die HĂ€nde ihrer Pastoren nicht bluttriefend seien, sondern dass sie gerade der Arbeiterklasse dienen.

Am nĂ€chsten Tag wurden Gottesdienste und jegliche kirchliche Amtshandlungen verboten. Zu Silvester sprach der kommunistische Kultusminister A. Vallner in der Petri-Kirche: Das Evangelium ist eine LĂŒge. An Gott glauben wir nicht. Ihn gibt es nicht. Wir glauben nur an einen Gott, das Volk, und der Gott ist stĂ€rker als der alte.

Die Zeitung Vasar gab am 31. Dezember eine Mitteilung heraus: Die estnische Arbeiter-Bauern-Regierung schlÀgt allen Priestern, katholischen Geistlichen, Pastoren und Rabbinern vor, innerhalb von 24 Stunden das Land zu verlassen.

Bischof Platon wurde zusammen mit Oberdiakon Dorin am 2. Januar 1919 festgenommen, einen Tag spÀter Prof. Traugott Hahn; am 5. Januar die Priester Mikhail Bleive und Alksandr Brjantsev sowie Diakone, Kirchenvorsteher und Kirchendiener.

In der Nacht des 9. Januars fĂŒhrte man eine Gruppe von Gefangenen an den Embach (Emajögi) und nach dem Befehl „Ausziehen“ erschoss man sie auf dem zugefrorenen Fluss. Zwei Tage spĂ€ter stand folgende Meldung in der Zeitung Edasi: „Die estnische Kommission zur Niederschlagung der Konterrevolution der Tartuer Abteilung (Vorsitzender Kull, stellvertretende Vorsitzende Ots und Ed. Otter, SekretĂ€r RĂ€tsep) hat folgende Personen hingerichtet: August Meos, Abram Schreiber, Voldemar RĂ€sta, Beer Stark, Paul Tiesenhausen, Voldemar Ottas, Johann Ottas, Mikhel Kure, Friedrich PĂ€sse, Bruno von Samson-Himmelstjerna, Harald von Samson-Himmelstjerna, Gustav von Himmelstjerna, Rudolf Kippasto, Johann Orro. Johann Orro war der einzige, der zwar verwundet, aber lebend der Hinrichtung entkam.

Als die Kunde von der Erschießung der Mitgefangenen in die Kreditkasse gelangte, wurde die Stimmung unter den Festgenommenen noch bedrĂŒckender. Trotzdem wurden Andachten unter der Leitung von Prof. Hahn und Bischof Platon abgehalten. Es wurde gesungen und gebetet. Man kann sagen, dass in dieser ausweglosen Situation ökumenische Gemeinschaft entstand und gelebt wurde.

In der Nacht zum 14. Januar hörte man von weitem Kanonendonner. Die estnische Armee kĂ€mpfte mit Erfolg gegen die rote Armee und nĂ€herte sich der Stadt Tartu. Am Morgen gegen 10:30 Uhr begann im Keller der Kreditkasse die Ermordung der ersten Gefangenen. Bischof Platon wurde herausgerufen. Zehn Minuten spĂ€ter fielen die ersten SchĂŒsse. Das nĂ€chste Opfer war der Töpfer Ado Luik. Dann folgten die Priester Mikhail Bleive und Nikolai Bezanitski, Pastor M. Wilhelm Schwartz (der mit der Axt umgebracht wurde), der Fleischer Eugen Massal, Prof. Traugott Hahnund 12 weitere Personen. Als die nĂ€chste Gruppe von Gefangenen in den Hof der Kreditkasse gebracht wurde, kam ein Rotarmist gelaufen und rief: „Die Weißen sind in der Stadt!“ Die Kommunisten ergriffen die Flucht, als erste die Hauptkommissare Kull, RĂ€tsep und Otter. Wenig spĂ€ter wurde die TĂŒr der Kreditkasse aufgebrochen und die ĂŒberlebenden Gefangenen wurden sogleich befreit.

Die Namen der Opfer im Keller der Kreditkasse:

  1. Dr. Traugott Hahn
  2. Oberpriester Nikolai Bezanitski
  3. Bischof Platon
  4. Oberpriester Mikhaail Bleive
  5. Pastor Wilhelm Schwartz
  6. SchĂŒler Karl Bentsen
  7. Mitarbeiter bei Postimees Friedrich KĂ€rner
  8. Kaufmann Susman Kaplan
  9. Gutsbesitzer Konstantin von Knorring
  10. Gutsbesitzer Heinrich von Krause
  11. Töpfer Ado Luik
  12. Fleischer Eugen Massal
  13. Gutsbesitzer Hermann von Samson-Himmelstjerna
  14. Stadtrat Gustav Seeland
  15. Verwalter Herbert von Schrenk
  16. Ehemaliger Stadtrat Gustav Tensmann
  17. Advokat Arnold von Tiedeböhl
  18. Restaurantbesitzer Harry Vogel
  19. Tichonov?

Der Keller der Kreditkasse wurde 1929 zu einer Kapelle umgestaltet. Erst im Jahre 1940, als die Kommunisten die Macht ergriffen, wurde die Kapelle zerstört und spÀter in den Eingang ein Transformator eingebaut.

Am 14. Januar 1999 feierten Probst Joel Luhamets und der orthodoxe Priester Samuel Puusaar einen GedĂ€chtnisgottesdienst am Eingang des Kellers. Seit 2007 hĂ€lt der Pfarrer der deutschen Gemeinde Matthias Burghardt jeweils um den 14. Januar eine Andacht an demselben Ort. Es wĂ€re an der Zeit und im Sinne der noch lebenden Hinterbliebenen, wenn der Keller wieder zu einer StĂ€tte der Begegnung und Besinnung wĂŒrde, wobei man gleichzeitig den Transformator am Eingang um einige Meter versetzen mĂŒsste.

(Übersetzt und zusammengefasst von P.-G. Schwartz, einem Enkel des ermordeten Pfarrers Wilhelm Schwartz)

Quelle: Massenmord im Keller der Tartuer Kreditkasse am 14. Januar 1919 (Kristjan Luhamets)

Bild: Stadtflagge von Tartu (wikimedia)

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Montag 27. Mai 2019 um 14:37 und abgelegt unter Christentum weltweit.