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In den Karikaturen zeigt sich ein mangelndes Werteverständnis

Dienstag 21. Februar 2006 von Erzbischof Janis Vanags


Erzbischof Janis Vanags

In den Karikaturen zeigt sich ein mangelndes Werteverständnis

Hinter dem Wort Freiheit verbirgt sich eine hochmütige Entgleisung der Medien. Wenn ich die verschiedenen Ansichten über die Reaktion der Welt des Islam auf die Karikaturen (z. B. mit den Überschriften „In den Karikaturen zeigt sich ein Zusammenstoß der Werte“) lese, möchte ich zuerst die Beurteilung eines zeitgenössischen Schriftstellers in Frage stellen, hier ginge es um eine Zankerei zwischen zwei verwandten beziehungsweise abrahamitischen Religionen. Dies ist kein Konflikt zwischen Christen und Moslems. Einem praktizierenden Christen sind diese Karikaturen genau so zuwider wie einem gläubigen Moslem. Ich denke, daß die Leute der Medien, welche die demütigenden Karikaturen veröffentlicht oder übernommen haben, keine Christen sondern Säkularisten sind, die mit Abraham wirklich nichts gemeinsam haben. Ich weiß wirklich nicht, ob die Moslems, als sie dänische Waren boykottierten oder Fahnen verbrannten, tatsächlich so weit gedacht haben, daß sie bewußt „den Eckstein der Werte des Zeitalters der Aufklärung zum Wanken bringen wollten“. Sie protestieren nicht gegen die Freiheit des Wortes in der westlichen Welt, sondern eher gegen eine stupide, hochnäsige und völlig überflüssige Entgleisung der Medien. Ich weiß auch nicht, ob ich dem lettischen Philosophen Artis Svece völlig beipflichten kann, wenn er behauptet, daß „das Geschehen das beidseitige Unverständnis gegenüber der anderen Kultur deutlich machen würde.“ Konkret zeigt dieser Vorfall eher die radikale Begriffsstutzigkeit des Säkularismus gegenüber jeder Kultur.

Für die Generation, die es während der Sowjetzeit erfahren mußte, was totale Zensur bedeutet, ist die Freiheit des Wortes ein teueres Gut. Als ein Vertreter dieser Generation bemühe ich mich stets, mich der Überzeugung des Präsidenten des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte Wildhaber anzuschließen, daß „auch das Recht zu provozieren, anzuklagen und zu stören eine Funktion in der Demokratie hat“. Jedoch – ob und wie wir dieses Recht in Anspruch nehmen, das ist eine Frage an unsere Intelligenz und innere Kultur. Wenn ich den Apostel Paulus ein wenig umparaphrasieren wollte, dann könnte ich sagen: „Die Intelligenz ist langmütig und freundlich, sie eifert nicht und bläht sich nicht auf. Innere Kultur treibt nicht Mutwillen“ (1. Kor. 13, 4). Ein intelligenter, von Takt und Anstandsgefühl geleiteter Mensch wird oft darauf verzichten, etwas zu tun, auch wenn ihm das durch das Gesetz und die Freiheit gestattet ist. Hier sollten wir uns an etwas erinnern, was der Schriftsteller und Publizist Michel O’Brian einmal gesagt hat: daß viele, die sich als liberale Intellektuelle betrachteten, eigentlich Hooligans seien. Diese Bezeichnung scheint mir für die Redakteure sehr zutreffend zu sein, die wiederholt Karikaturen veröffentlichten, die Moslems demütigen, ergänzt durch Details, deren Absicht es war, dabei auch Christen, Juden und Buddhisten zu verletzen unter der Überschrift „Wir haben das Recht, euren Gott zu karikieren.“ Jawohl! Aber wenn dem wirklich so ist, dann erschreckt bitte nicht, wenn an einem anderen Ort jemand, der euch ähnlich ist, darauf antwortet: „Aber wir haben dann auch das Recht, eure Redaktion in die Luft zu jagen.“ Bitte sehr! Radikale, seien sie religiös, seien sie säkular, sind einander so ähnlich wie Brüder. In diesem Sinne ist das vielleicht wirklich etwas wie ein „Konflikt unter Verwandten“, in den dann leider ungewollt auch normale Menschen mit hineingerissen werden.

O’Brian schreibt auch, daß Hooligans ihrem Wesen nach Feiglinge seien. In ihren Ländern sind sie es gewohnt, daß christliche Ethik die andere Wange hinzuhalten lehrt, und sind überrascht und erschüttert, wenn an einem anderen Ort plötzlich jemand zurückschlägt. Kürzlich las ich, daß irgendwo ein Film produziert würde, in dem der Apostel Petrus fluchend und Hasch rauchend dargestellt würde. Lebt man unter Christen, dann bedarf es dazu keines großen Mutes, sondern es ist nur Ausdruck eines feigen Hooliganismus. Manches Mal hatte ich mich gefragt, ob sie es sich erlauben würden, in gleicher Weise den Islam zu verletzen und Mohamed zu karikieren. Sie haben es sich erlaubt. Bleibt abzuwarten, was dabei herauskommt. Dänische Firmen erleiden Verluste und Arbeiter verlieren ihren Job. Westliche Botschaften in islamischen Ländern werden angezündet und man droht mit Überfällen in Europa. Als schlimmstes Szenarium könnte man sich vorstellen, daß die einen Radikalen nicht nur die Redaktionen der anderen in Brand stecken, sondern auch unsere Bahnen und Busbetriebe. Die Extremisten bei den Medien, die zur Verschärfung der Situation beitragen, sollten auch den Mut haben, sich nicht unter der Decke der westlichen Ideale zu verkriechen, sondern einzusehen, daß nicht unsere Freiheit des Wortes oder der Protest der Moslems dagegen diese Explosion ausgelöst hat, sondern der Mangel an Kultur und der hochmütige Hooliganismus der Karikaturisten und Publizisten, der sie so den Segen des Geschenkes der Freiheit mißbrauchen ließ.

Ich kann da nur dem lettischen Diplomaten V. Piņķelis zustimmen, daß wir in dieser Situation „den Hahn zur Bildung des Verständnisses in der Gesellschaft weit öffnen und viel in die Bildung zur Förderung des Verständnisses zwischen den Kulturen investieren sollten.“ Doch ich bin mir nicht sicher, ob dieses Verständnis durch lautstark ausgesprochene Aufforderungen, solche Karikaturen jede Woche zu veröffentlichen, „damit sich die Moslems daran gewöhnen“, sehr gefördert wird. Ebenso wird es nicht durch arrogante Belehrungen der Moslems gefördert, daß sie sich endlich zivilisiert verhalten und sich daran gewöhnen und die Verunstaltung Mohameds als eine Alltagserscheinung akzeptieren müßten. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, daß der Wert der westlichen Kultur wohl in der Freiheit des Wortes, aber nicht im Hooliganismus und in der Freude daran besteht, das, was einem anderen heilig ist, zu verspotten. Wir sollten es ganz deutlich machen, daß die Gleichen, die solche Karikaturen veröffentlichen oder Petrus Hasch rauchen lassen, Extremisten und Radikale sind, die ähnlich denken wie diejenigen, die vor laufender Kamera einer Geisel die Kehle durchschneiden. Jeder tut das innerhalb seiner Grenzen und Möglichkeiten auf seine Weise. Eigentlich sind sie Brüder im Geiste. Keiner von beiden repräsentiert die besten Werte der eigenen Zivilisation, sondern ein verzerrtes Pseudopodium. Das sollten die Europäer zuerst beurteilen, und das zu tun wird ebenso schwer sein, wie für einen Moslem der Versuch, die Freiheit des Wortes im Westen zu begreifen. Wenn jemand unter den Zivilisationen Versöhnung und Verständnis zu erwecken vermag, dann werden es bestimmt nicht die Radikalen sein, sondern normale Menschen guten Willens mit Intelligenz, innerer Kultur und taktischer Selbstbeherrschung. Ebenso wie das im ökumenischen Dialog unter Christen der Fall ist.

Aus: Svētdienas Rīts, Zeitung der Evangelisch-lutherischen Kirche Lettlands, 11.2.2006

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Dienstag 21. Februar 2006 um 16:56 und abgelegt unter Allgemein, Gesellschaft / Politik.