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Geht niemand endgültig verloren?

Donnerstag 23. Juni 2016 von Holger Lahayne


Holger Lahayne

Papst Franziskus ist ein so ganz anderes Kirchenoberhaupt. Er begeistert auch viele Evangelikale, die ihn für seine „wunderbare Weite“ loben. In der vergangenen Woche bürstete Alexander Kissler in „Ein relativ katholischer Papst“ einmal gegen den Strich. Der „Cicero“-Redakteur nimmt darin kein Blatt vor dem Mund und spricht vom „redseligen Relativismus“ des Papstes, nennt ihn einen „in weiß gewandeten Dalai Lama“, einen „Uno-Generalsekretär mit Brustkreuz“. „Nicht dass jemand so redet, wie Franziskus redet, ist das Problem – sondern dass ein Papst so redet. Und dass damit ein Papst, dem nichts über den Glauben der Apostel gehen sollte, ununterscheidbar wird in der Riege der weltlichen Herren.“ Kissler, der Benedikt XVI viel positiver sah, erwartet von Franziskus im „spirituellen Kerngeschäft keine Terraingewinne“ und sieht daher die Zukunft der Kirche Roms eher trüb: „Der Nachfolger wird eine spirituell ausgezehrte und verunsicherte Kirche übernehmen.“

Ob Kissler dem Papst gerecht wird, soll hier nicht bewertet werden. Doch es scheint tatsächlich so, dass in den scharfen Worten manches Wahre steckt. Denn im „spirituellen Kerngeschäft“ der Bibelauslegung fällt der Argentinier hinter seinen Vorgänger deutlich zurück, was die Generalaudienz vom 4. Mai wieder zeigte.

In  seiner Katechese legte Franziskus das bekannte Gleichnis vom verlorenen Schaf in Lk 15 aus.  Er fordert dazu auf, „oft über dieses Gleichnis nach[zu]denken, denn in der christlichen Gemeinschaft gibt es immer jemanden, der fehlt und nach seinem Weggang einen leeren Platz zurücklässt.“ In der Auslegung findet sich viel evangelistischer Geist: „Man muss hinausgehen und darf sich nicht in den kleinen Gemeinden, in der Pfarrgemeinde, nicht in sich selbst verschließen und sich für ‘die Gerechten’ halten.“ Der Papst sieht die Gefahr, dass die Christen sich in ihren Stall einschließen, „in dem es nicht nach den Schafen, sondern nach einem ungelüfteten Raum riecht!“

Das Bild der offenen Türen und damit auch der offenen Kirche ist gewiss nicht falsch. Doch Franziskus geht darüber und gibt den evangelistischen Aussagen einen bestimmten Dreh: „Die Lehre, die Jesus uns erteilen will besagt vielmehr, dass kein Schaf verloren gehen kann. Der Herr kann sich nicht mit der Tatsache abfinden, dass auch nur ein einziger Mensch verloren geht. Das Wirken Gottes besteht in der Suche nach den verlorenen Söhnen, um dann ein Fest zu veranstalten und sich mit allen über die Wiederfindung zu freuen.“

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn, auf das er hier anspielt, folgt in Kapitel 15 ab Vers 11. Wollen die Gleichnisse in dem Kapitel aber wirklich aussagen, dass kein Sohn bzw. Schaf, kein einziger Mensch, verloren gehen kann? Wenn Gott sich nicht mit der Tatsache abfindet, „dass auch nur ein einziger Mensch verloren geht“, wird er dann nicht auch sicherstellen, dass niemand tatsächlich verloren geht?

Auch folgende Sätze werfen Fragen auf: „Gott kennt unsere gegenwärtige Wegwerfkultur nicht, für Gott hat diese keine Bedeutung. Gott sondert keinen Menschen aus; Gott liebt alle, sucht nach allen: einen nach dem anderen! Er kennt den Ausdruck ‘Menschen aussondern’ nicht, denn er ist zur Gänze Liebe und Barmherzigkeit.“

Sondert Gott Menschen aus, wenn er doch nicht alle rettet? Wirft er dann Menschen weg? Ist hier noch irgendein Raum für eine Erwählungslehre?

Gegen Ende bringt es der Papst auf den Punkt: „In der Sichtweise Jesu gibt es keine endgültig verlorenen Schafe, sondern nur wiederzufindende Schafe. Das müssen wir genau begreifen: Für Gott ist niemand endgültig verloren. Niemals! Bis zum letzten Moment sucht Gott nach uns.“

Der katholische Blogger Felix Honekamp bestätgt die Sicht des Papstes in „Das Gleichnis vom ‘wiederzufindenden Schaf’“: „Niemand ist verloren, weil Gott niemanden verloren gibt.“

„Wie ein Heide und Zöllner“

Gibt es einzig wiederzufindende Schafe? Also Schafe, die dann auch wiedergefunden werden? Jesus gibt niemanden verloren in dem Sinne, dass zu Lebzeiten von Menschen das Tor des Heils immer offen bleibt. Folgt aus dieser Tatsache, dass es objektiv Verlorene gar nicht gibt?

Jesus erzählt die Gleichnisse in Lk 15, weil den Pharisäern und Schriftgelehrten missfällt, dass „allerlei Zöllner und Sünder“ zu Jesus kamen, „um ihn zu hören“. Lasst die Sünder zu mir kommen, denn ich bin derjenige, der sie zurückholen kann und der einige von ihnen tatsächlich zurückholt. Diejenigen, die ihn hörten und die auf ihn hörten. Das ist die Kernaussage der Gleichnisse dort.

Ist damit eine Aussage über alle Zöllner und Sünder gemacht? Ja, insoweit damit gemeint ist, dass sie alle kommen können. Wenn die Türen schon für die verachteten und verhassten, weil nämlich den Menschen Schaden zufügenden Zöllner offen sind, dann für jeden Sünder. Aber dies bedeutet ja nicht, dass alle Zöllner und Sünder wiedergefunden werden. Im Vers 7 ist die Buße der Sünder genannt. Im Fall der Umkehr und Buße ist „Freude im Himmel“. Die Buße ist, so könnte man sagen, das wahrnehmbare Zeichen, dass der Gute Hirte ein Schaf wiedergefunden hat. Das Verweigern der Buße ist Zeichen, dass sich ein Sünder nicht wiederfinden lässt.

Bei Matthäus findet sich das Gleichnis in etwas anderem Zusammenhang. In Mt 18 geht es mehr um die Jünger. Das verlorene Schaf in V. 12–14 ist eher der Jünger auf Abwegen. Das machen auch die folgenden Verse (15–17) deutlich, die Sünde von Christen behandeln („Sündigt aber dein Bruder an dir, so geh und weise ihn zurecht…“). Verweigert der an der Sünde festhaltende Bruder die Umkehr, so ist er schließlich aus der Gemeinde auszuschließen, und hier tauchen die Zöllner wieder auf: „… so sei er für dich wie ein Heide und Zöllner“.

Hier haben wir nun die „Aussonderung“, gegen die Franziskus so Sturm läuft. Es ist ja eine Aussonderung, die nicht nur eine rein menschliche, sondern auch eine gleichsam göttliche sanktionierte ist, wie V. 18 deutlich macht.

„In jedem menschlichen Wesen wohnt der Heilige Geist“

Alle werden wiedergefunden werden. Der Papst dehnte die christliche Brüderlichkeit schon so manches Mal auf alle Menschen aus. Zu einer muslimischen Delegation sagte er: „Wir alle haben einen gemeinsamen Vater – wir sind Geschwister!“ Diese universalistische Tendenz ist ja in der Kirche Roms seit dem II Vatikanum festzustellen. Alle Menschen sind nun „auf das Gottesvolk auf verschiedene Weise hingeordnet“. Der „Heilswille“ wird wahrlich universal gesehen und erstreckt sich auch auf Anhänger nichtchristlicher Religionen. Nun können z.B. auch diejenigen gerettet werden, die ehrlich suchen und versuchen, moralisch zu leben (Lumen gentium, 16).

In den Dokumenten des II Vatikanums blieb noch vieles im Ungefähren. Der Horizont begann sich aber gewaltig auszudehnen. Andere gingen dann deutlich weiter. Für die Einheit der Menschheitsfamilie setzt sich seit Jahrzehnten die von Chiara Lubich (1920–2008) gegründete Focolare-Bewegung ein. Auch Fr. Roger (1915–2005), der Gründer von Taizé, betonte immer wieder: „Die Menschheit soll zu einer großen Familie zusammenrücken“. Jesus wohne schon in jedem Menschen, denn „in jedem menschlichen Wesen wohnt der Heilige Geist“. Wiederholt lehrte er, dass die Menschen begreifen müssen, dass „das Wesentliche“ (und das meint doch wohl die Versöhnung mit Gott) im Menschen, in jedem Menschen, schon geschehen sei. Es ist nur die Frage, wann der Mensch dies erfährt und begreift. „Alle Menschen haben denselben Meister. Es ist noch ein Geheimnis. Aber einmal wird es offenbar werden“. Der Leib Christi solle wachsen, „bis er das All umfasst“. Rhetorisch fragte Roger: „Ist die Kirche im Herzen Gottes nicht so weit, wie die ganze Menschheit?“ Die Botschaft ist also eindeutig: Keiner geht wirklich verloren; es ist nur eine Frage des bewussten, subjektiven Wissens um die schon geschehene Erlösung. Evangelisation im eigentlichen Sinne, so wie sie lange Zeit verstanden wurde, ist nicht nötig.

Der Papst hat Recht, dass wir uns nicht in Ställen einschließen sollen; dass die Türen geöffnet bleiben müssen. Schließlich war auch Jesus offen für die zu ihm kommenden Sünder und Zöllner. Aber diese sagte er sicher nicht: Ihr könnt gar nicht endgültig verloren gehen; alles wird gut; lasst uns „einen neuen Weg der Brüderlichkeit“ (Franziskus) finden.

Die Sünder und Zöllner, die zu Jesus kamen, ließen sich von ihm verändern. Sie hörten den Bußruf an verlorene Sünden. Jesus begann seine Zeit des Predigens mit diesem Bußruf (Mt 4,17). Das Evangelium des Lukas endet mit einer Ankündigung Jesu, dass nun allen Völkern die Buße zur Vergebung der Sünden gepredigt wird (Lk 24,47). Auch die Apostel riefen zur Buße auf: die ersten beiden großen Predigten des Petrus enden mit einem Bußaufruf (Apg 2,38; 3,19). Paulus tat das gleiche (Apg 17,30) und fasste im Rückblick den Inhalt seiner Verkündigung so zusammen: „sie [die Heiden] sollten Buße tun und sich zu Gott bekehren und rechtschaffene Werke der Buße tun“ (Apg 26,20). J. Edwin Orr (1912–1987), der baptistische Pastor, Autor und große Historiker der modernen Erweckungen, nannte daher in einer Predigt die Buße „das erste Wort des Evangeliums“. Seine Verkündigung ist das „spirituelle Kerngeschäft“ der Kirche, jeder Kirche. Was nützt die Durchlüftung à la Franziskus, wenn dies wichtige Element der Herausforderung nämlich der Ruf nach Buße, Umkehr und Bekehrung an wirklich Verlorene fehlt?

Holger Lahayne, 24.5.2016

Quelle: www.lahayne.lt

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Donnerstag 23. Juni 2016 um 17:36 und abgelegt unter Kirche, Theologie.