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Wider die Vernachlässigung der Ethik

Mittwoch 9. März 2016 von Dr. John Stott (1921-2011)


Dr. John Stott (1921-2011)

Der anglikanische Pfarrer und Theologe John Stott (1921–2011) über Ethik in seinem Kommentar zu den Thessalonicherbriefen (The Gospel & the End of Time – The Message of 1&2 Thessalonians; IVP, 1991):

„Wir haben euch gelehrt, wie ihr leben sollt, um Gott zu gefallen, und ihr handelt auch danach. Doch nun bitten wir euch im Namen des Herrn Jesus mit allem Nachdruck: Macht darin auch weiterhin Fortschritte! Ihr kennt ja die Anweisungen, die wir euch im Auftrag des Herrn Jesus gegeben haben. Gott will, dass ihr ein geheiligtes Leben führt…“ 1 Thess 4,1–3a

Eine der größten Schwächen der heutigen evangelikalen Christenheit ist unsere relative Vernachlässigung der christlichen Ethik – sowohl in unserer Lehre als auch in der Praxis. Als Folge davon sind wir besser bekannt als solche, die das Evangelium predigen, und weniger als die, die es leben und verehren. Es fällt Außenstehenden zu selten auf, dass wir eine Gemeinschaft sind, die sich der Heiligkeit des menschlichen Lebens verschrieben hat, die soziale Gerechtigkeit anstrebt, die persönliche Ehrlichkeit und Integrität im Geschäftsleben betont, die einen einfachen Lebensstil praktiziert – im Gegensatz zur Gier in unserer Konsumgesellschaft, und deren Heime von Stabilität gekennzeichnet sind, wo Untreue und Scheidung praktisch unbekannt sind und Kinder in der sicheren und liebenden Obhut ihrer Eltern aufwachsen. Zumindest in der Ehe- und Familienstatistik schneiden die Juden besser ab als die Christen!

Einer der Hauptgründe für all dies ist, dass unsere Kirchen im Großen und Ganzen zu wenig Ethik lehren. Wir sind so sehr damit beschäftigt, das Evangelium zu verkündigen, dass wir nur selten das Gesetz lehren. Wir haben Angst davor, uns den Vorwurf der „Gesetzlichkeit“ einzuhandeln. „Wir leben nicht unter dem Gesetz“, sagen wir fromm – als ob wir frei wären, es zu ignorieren oder ihm gar ungehorsam zu sein. Dagegen meinte Paulus doch, dass unsere Annahme bei Gott nicht von unserer Beachtung des Gesetzes abhängt. Christen sind jedoch immer noch verpflichtet, das moralische Gesetz und die Gebote zu halten. Tatsächlich war der Zweck von Christi Tod, dass „die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert, in uns erfüllt würde“ (Röm 8,4), und der Heilige Geist, der in unseren Herzen wohnt, schreibt Gottes Gesetz in diese (s. Jer 31,33; Hes 36,27; 2 Kor 3,3–8).

Im Vergleich zu unserer heutigen Vernachlässigung der Ethik bietet der Apostel Paulus einen starken Kontrast. Er unterteilte seine Briefe in der Regel in zwei Hälften, die erste konzentriert sich mehr auf dogmatische Fragen, die zweite mehr auf Ethik. Darüber hinaus gibt er darin detaillierte Anweisungen für ein moralisches Verhalten der Christen, auch an junge Gläubige. Die paradosis (apostolische „Tradition“), die er an sie weitergegeben hat (2 Thes 2,15; 3,6), beinhaltete sowohl die Wahrheit des Evangeliums (1 Thes 1,5–6; 2,2.8.13), als auch moralische Anweisungen „wie ihr leben sollt, um Gott zu gefallen“ (1 Thes 4,1–2).

Tatsächlich ist eines der besonderen Kennzeichen der 2 Thessalonicherbriefe die Häufigkeit, mit der der Apostel sich rückbezieht auf das, was er ihnen bei seiner Anwesenheit gelehrt hat. Vielsagende Phrasen wie „von uns empfangen“ (1 Thes 4,1), „welche Gebote wir euch gegeben haben“ (4,2), „wie wir euch schon früher gesagt haben“ (4,6), und „wie wir euch geboten haben“ (4,11) ermöglichen es uns, den Inhalt von Paulus ethischer Lehre während seines Aufenthaltes in Thessalonich zu rekonstruieren.

Er betonte, daß Christen ein Leben führen sollen, das „würdig Gottes“ (2,12) ist und das „Gott gefällt“ (4,1); dass solch ein Leben von moralischer Gerechtigkeit gekennzeichnet sein wird; dass Gottes Gebote so profane Dinge einschließt wie unsere tägliche Arbeit (4,11–12; s. auch 2,6–9 und 2 Thes 3,7s) und vordringt bis in unser Privatleben, bis zu Sexualität und Ehe (4,3–6); dass Gott diejenigen bestraft, die sexuell eigensüchtig handeln; dass Aufrichtigkeit uns zwar von Gottes Gericht bewahrt, nicht jedoch vor Verfolgung, denn Leiden ist Teil unserer Berufung (3,3–4); und dass unser großer Ansporn zu Heiligkeit und Ausdauer die Erwartung der Rückkehr unseres Herrn ist (1,3.10; 2,12; 5,2–8). Ermahnungen zur Heiligkeit, Warnungen vor dem Leiden und Versprechen der Wiederkunft Christi gehörten alle zusammen zur Lehre des Paulus. Innerhalb weniger Wochen oder Monate hatte er den jungen Bekehrten aus Thessalonich nicht nur das Wichtigste der Guten Nachricht verkündigt, sondern auch das Wichtigste über das gute Leben, hatte nicht über Glaube an Jesus gepredigt, sondern auch über die Notwendigkeit von guten Werken, durch die rettende Glaube bestätigt wird und ohne die dieser Glaube tot ist (z.B. 1,3).

Angesichts der weiten Verbreitung von Pluralismus und Relativismus ist es heute äußerst wichtig, dem Beispiel von Paulus zu folgen und den Menschen klare, praktische ethische Lehre zu bringen. Christliche Eltern müssen Gottes moralisches Gesetz zu Hause ihren Kindern lehren. Sonntagschullehrer und Lehrer in der Schule müssen sicherstellen, dass ihre Schüler wenigstens die 10 Gebote kennen. Pastoren dürfen nicht davor zurückschrecken, auf der Kanzel biblische Standards für unser moralisches Handeln auszulegen, so dass die Gemeinde den Zusammenhang zwischen Evangelium und Gesetz versteht. Und vom Beginn des christlichen Lebens an muss Bekehrten gesagt werden, dass das neue Leben in Christus ein heiliges Leben ist, ein Leben, das Gott gefällt, weil wir seinen Geboten gehorchen.

Aus: John Stott, The Gospel & the End of Time – The Message of 1&2 Thessalonians; IVP, 1991

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 9. März 2016 um 16:16 und abgelegt unter Theologie.