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Dokumentation: Brief des Gnadauer Vorstands an den Rat der EKD vom Dezember 1994

Freitag 15. Januar 2016 von Administrator


In einem Brief vom Dezember 1994 an den Rat der EKD warnte der damalige Vorstand des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes vor einer „Zerreißprobe ungeahnten Ausmaßes“, sollte es in den Evangelischen Landeskirchen zu Segnungen oder Trauungshandlungen für homophile Paare kommen. Wir dokumentieren nachfolgend diesen Brief.

An die Mitglieder des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland
An die Leitenden Geistlichen der evangelischen Landeskirchen in Deutschland

Diskussion und Entscheidungsprozesse um die Segnung homophiler Paare

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Schwestern und Brüder,

als Vorstand des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes wenden wir uns an Sie, weil wir angesichts der gegenwärtigen Diskussionen, die in den einzelnen Landeskirchen in unterschiedlicher Heftigkeit geführt werden, tief beunruhigt sind. Wir haben die begründete Sorge, dass hierbei unsere Kirche in eine Zerreißprobe ungeahnten Ausmaßes geführt wird.

Was die inhaltliche Bewertung homophiler Praxis betrifft, so pflichten wir der theologischen Beurteilung bei, die vom Münchener Professor Wolfhart Pannenberg auf den Punkt gebracht wird: „In der Gesamtheit des biblischen Zeugnisses wird … praktizierte Homosexualität ausnahmslos zu den Verhaltensweisen gerechnet, in denen die Abwendung des Menschen von Gott besonders eklatant zum Ausdruck kommt“ (idea-spektrum 48/93, S. 13). Deshalb steht eine Kirche, die derartige Lebensgemeinschaften positiv würdigt und gar per Segnung oder Trauungshandlung de facto der Ehe gleichordnet, nicht mehr auf dem Boden der Bibel…

Sollte sich eine oder mehrere Landeskirchen zur Legitimierung von Segnungen und Trauungshandlungen für homophile Paare verstehen, wird das unseres Ermessens nachhaltige Folgen haben, die wir zu bedenken bitten:

  • Es gibt in diesem Problemkreis nicht nur einen Riss zwischen Kirche und Gemeinschaftsbewegung bzw. Pietismus, sondern der Riss verläuft durch die einzelnen Landeskirchen hindurch. Aus der vorhandenen inneren Spaltung kann sich unversehens eine äußere Spaltung ergeben, wenn von kirchenleitenden Gremien derart gegen das Schriftzeugnis verstoßen wird. Es kann zu erdrutschartigen Veränderungen der kirchlichen Landschaft führen.
  • Viele Mitglieder unserer Gemeinschaften, die oft vor Ort die treuesten Gottesdienstbesucher, Beter und Spender sind, werden ihre Kirche nicht mehr verstehen. Manche werden ihr enttäuscht den Rücken kehren. Als Mitglieder des Gnadauer Vorstandes haben wir bisher eindeutig den innerkirchlichen Standort vertreten. Wir werden uns dann aber kaum noch in der Lage sehen, einer aufkommenden Austrittsbewegung wirksam entgegen zu steuern.
  • Wir stellen auch die Frage, ob wir es uns in unserer Kirche angesichts der bedrängenden missionarischen und diakonischen Herausforderungen unserer Tage leisten können, eine solche Debatte mit einem derartigen Energieaufwand und dem sich abzeichnenden inneren und äußeren Flurschaden zu führen. Stimmen unter uns die Relationen noch?
  • Unbeschadet der seelsorgerischen Verantwortung, die wir für die betroffenen Menschen haben, stehen wir unter dem Eindruck, dass hierbei unsere Kirche von den betreffenden Interessengruppen instrumentalisiert wird. Bitte verstehen Sie uns recht. Wir sind außerordentlich besorgt über den Weg, den unsere Kirche nimmt. Wir sind das auch deshalb, weil Identität und Arbeitsweise unserer Gemeinschaftsbewegung seit jeher unlöslich mit dem Erscheinungsbild und der Arbeitsweise der Kirche verknüpft sind. Wir sehen die Lage als ernst und besorgniserregend an.

Wir bitten Sie herzlich und dringend, liebe Schwestern und Brüder, die Sie im Rat der EKD und in den einzelnen Landeskirchen Verantwortung tragen, in Ihrem Verantwortungsbereich für eine schriftgemäße Verkündigung und eine dem gemäße ethische Praxis zu sorgen und eine kirchlich legitimierte Segenshandlung für homophile Paare zu verhindern.

Wir wünschen Ihnen eine weihnachtliche Zeit, in der Sie selber das Kommen Jesu erfahren und in der Sie die frohe Botschaft des Christfestes weitergeben dürfen. Damit verbinden wir gute Wünsche für ein gnadenreiches Jahr 1995.

Wir grüßen Sie herzlich.

Der Vorstand des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes

Christoph Morgner, Präses
Hans-Joachim Martens, stellvertretender Vorsitzender
Georg Krause, Schatzmeister
Theo Schneider, Generalsekretär
Lothar Albrecht, Vorsitzender des Landesverbandes landesk. Gemeinschaften Sachsens
Karl-Heinrich Bender, Inspektor des Westfäl. Gemeinschaftsverbandes
Dr. Joachim Drechsel, Direktor des Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverbandes
Alfred Gajan, Inspektor des Liebenzeller Gemeinschaftsverbandes
Michael Hobrack, Vorsitzender des Gemeinschaftsverbandes Sachsen-Anhalt
Nicolaus Jessen-Thiesen, Vorsitzender des Verbandes der Gemeinschaften in Schleswig-Holstein
Karl-Heinz Schabel, Inspektor des Altpietistischen Gemeinschaftsverbandes

Quelle: Gnadauer Gemeinschaftsblatt, gemeinsam unterwegs, Monatsschrift des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, Februar 1995

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 15. Januar 2016 um 11:08 und abgelegt unter Gemeinde, Kirche, Sexualethik, Theologie.