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Der evangelistische Auftrag der Kirche

Freitag 10. Juli 2015 von Pfr. Dr. Theo Lehmann


Pfr. Dr. Theo Lehmann

Es liegt ein Auftrag vor, ein Befehl, und zwar von allerhöchster Stelle. Der Allerhöchste, der Chef des Universums, hat von sich gesagt: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum geht hin und macht zu Jüngern alle Völker. Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie halten alles, was ich euch befohlen habe.“ (Mt 28,18-20). Das ist der sogenannte Missionsbefehl. Ein Befehl ist kein Diskussions-gegenstand. Die einzige angemessene Form einem Befehl gegenüber ist der Gehorsam.

1. Der Befehl

Stellen Sie sich einmal folgendes vor: Der oberste Befehlshaber irgendwelcher Streitkräfte hat einen Befehl erlassen. Daraufhin tritt erst einmal der Generalstab zusammen und prüft Inhalt, Unterschrift, Faxnummer und Absender. Da einige Generäle der Meinung sind, dass der Befehl aus bestimmten Gründen nicht vom Generalstabschef erlassen worden sein kann, entspinnt sich nun eine Diskussion darüber, wer oder welche Gruppe für diesen Befehl ursächlich verantwortlich ist und mit welcher Absicht er formuliert wurde. Jedenfalls wird der Befehl nicht ausgeführt und nicht weiter nach unten durchgestellt.

Später gelangen einige Exemplare davon auch auf die Stuben der Mannschaften; auch dort werden sie diskutiert. Auch hier kommt man zu dem Ergebnis, dass es nicht nötig ist, den Befehl auszuführen, weil

  1. die Autorenschaft nicht geklärt ist,
  2. man als Fußsoldat ohnehin schon genug zu tun hat und
  3. bei den sonntäglichen Appellen von den Vorgesetzten nie über das Thema gesprochen worden ist.

Sie verstehen, was ich mit diesem Gleichnis sagen will: Jesus, der Herr, hat einen Befehl erteilt. Der Generalstab, also die Theologen, haben sich zusammengesetzt und den Text untersucht. Dabei haben sie festgestellt, dass er in der vorliegenden Form jedenfalls nicht von Jesus stammen kann. Sie haben über den Autor und seine Motive Erläuterungen verfasst.

Christen an der Basis haben zwar von der Existenz dieses Befehls gehört, sind aber der Meinung, dass sie schließlich genug anderes zu tun haben. Außerdem glauben sie, dass die Sache ohnehin deswegen nicht so wichtig ist, weil sie in der sonntäglichen Verkündigung noch nie etwas von diesem Befehl gehört haben. Oder haben Sie vielleicht in den letzten Gottesdiensten in Ihren Gemeinden, die Sie zu Hause besuchen, irgendwann in den letzten Jahren überhaupt einmal eine Predigt über den Missionsbefehl gehört oder gar selber gehalten?

Über die Fortsetzung allerdings haben wir viele Predigten zu hören bekommen: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage“ (Mt 28,20). Dabei wird allerdings in den meisten Fällen übersehen, dass dieses Wort nicht zu denen gesprochen worden ist, die ungehorsam zu Hause hocken geblieben sind, sondern dass diese Verheißung denen gilt, die sich gehorsam aufgemacht und die Verlorenen nach Hause gerufen haben.

Nachdem ich nun den vorgestellt und gesagt habe, dass Gehorsam die einzig angemessene Reaktion auf einen Befehl ist, habe ich das Thema eigentlich erfüllt und bin mit meinem Referat fertig. Dennoch werde ich noch einige Zusatzbemerkungen anschließen:

2. Ein Blick in die Geschichte

Es haben sich schon enorm viele Versammlungen über den Missionsbefehl Gedanken gemacht; wir hier sind eine davon. Deshalb wäre es naheliegend, einmal zu sammeln, was andere über den Missionsbefehl gedacht, geschrieben oder gesagt haben. Aber wenn wir damit anfangen, finden wir kein Ende.

Es ist von vielen guten Leuten viel Gutes gesagt worden. Aus Dokumenten und Bänden von hochrangigen Konferenzen haben wir massenhaft zitierfähiges Material. Wir haben theologisch korrekte Aussagen, wir haben fantastische Erkenntnisse und herrliche Praxismodelle.

Aber genau das ist das Problem: Statt zu zitieren sollen wir praktizieren. Wir begnügen uns mit Zitaten statt mit Taten. Denn, ich wiederhole: Die einzig angemessene Reaktion auf einen Befehl ist der Gehorsam.

Wie gehorsam war die Kirche bis jetzt dem Missionsbefehl?

Dazu hilft ein kleiner Blick in die Statistik.

Wir sind auf dieser Erde etwas über sieben Milliarden Menschen. Etwas mehr als zwei Milliarden sind Christen; das sind etwa 33,5 % der Weltbevölkerung. Das hält sich immer so etwa gleich. Der Rest – das sind immerhin etwa fünf Milliarden! – glaubt nicht an Jesus. 1,5 Milliarden Menschen haben den Namen Jesus überhaupt noch nie gehört!

Das ist nach 2000 Jahren christlicher Kirchengeschichte ein ziemlich klägliches Ergebnis. Das ist eine Bilanz des Ungehorsams und des Versagens. Die fehlende Mission ist der Verrat der Christen an der Kirche.

Selbst dort, wo in der Kirche besonders viel vom Heiligen Geist gesprochen wird, wird vergessen, dass der Heilige Geist eine zweckbestimmte Gabe Gottes ist, der in erster Linie für die äußere Mission gegeben worden ist. In der Apostelgeschichte Kap. 1 heißt es: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, welcher auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein zu Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien bis an das Ende der Erde (Apg. 1,8).

Jesus will also vor allem zuerst die Judenmission.

3. Die Sache mit der Judenmission

Manfred Kock, ehemals Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat am Israel-Sonntag im Jahre 2000 gefragt: „Zu wem und zu was wollen wir Christen denn Juden bekehren?“ Darauf können wir nur antworten: „Zu Jesus, dem Sohn Gottes, Herr Bischof!“ An Jesus vorbei kommt niemand in das Reich Gottes. Der hat zu den Juden gesagt: „Wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin, werdet ihr sterben in euren Sünden!“ (Joh 8,24).

Jedem Bibelleser, der dem Wort der Bibel glaubt, muss die Äußerung des Bischofs schwer auf den Magen schlagen.

Darum schlage ich vor, dass wir uns nicht mehr länger mit den geistlosen Äußerungen eines oberen Geistlichen der EKD befassen, sondern mit den Äußerungen unseres Herrn, wo Er vom Heiligen Geist redet. Ich erinnere noch einmal an Apg 1,8.

Jesus will also die Judenmission.

Ich saß einmal mit einem Juden zusammen am Frühstückstisch. Wir unterhielten uns über die Predigt, die ich am Abend vorher gehalten hatte. Anfangs war es noch recht friedlich, aber allmählich schlugen die Wellen immer höher. Dann sagte er schließlich: „Das ist doch eine Frechheit und eine Beleidigung von euch, dass ihr uns bekehren wollt! Wir haben die Thora, wir haben den direkten Zugang zum Vater.“ Ich wies darauf hin, dass im Joh.-Evangelium steht: „Jesus sagt: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich“ (Kap. 14,6). Daraufhin belehrte er mich: „Das ist zu den Heiden gesagt. Das gilt für euch, damit ihr auch am Heil teilnehmen könnt.“ Mein Einwand lautete: „Allerdings hat das der Jude Jesus zu den Juden gesagt.“ Darauf antwortete mein Gesprächspartner mit einem Hinweis auf die Unklarheit des Neuen Testaments. Man wüsste ja nicht, wer da alles mitgeschrieben hätte. Eigentlich kann man in einem solchen Fall ohnehin nicht mehr weiterdiskutieren. Aber er berief sich noch auf das Bild vom Ölbaum. Das sage aus, dass die Juden die Wurzel seien.

Aber das stimmt nicht. Denn die Wurzel ist die Erwählung und die Verheißung Gottes. Aus dieser Erwählung und der Verheißung erwächst ein Baum; der besteht aus Zweigen, die ausgebrochen und die eingepfropft worden sind. In Offb 22 sagt Jesus ganz deutlich: „Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids“ (Offb 22,16).

Die Schwierigkeiten, mit einem Juden über Jesus zu diskutieren, sind riesengroß. Es hat einige Leute, wie zum Beispiel Jesus selbst, das Leben gekostet und Paulus jede Menge Prügel eingebracht. Darüber hinaus ist es rein taktisch sehr die Frage, ob es günstig ist, wenn Deutsche in Israel evangelisieren würden. Es gibt in den Köpfen vor allem der jungen Israelis eine Gleichung, die lautet: „Ein Deutscher ist ein Christ, und ein Christ ist ein Nazi.“ Das ist eben so.

Aber wenn es ein Volk gibt, das mehr als alle anderen zur Mission und zum Christuszeugnis verpflichtet ist, gerade auch den Juden gegenüber, dann ist es das deutsche Volk. Das gilt vor allem wegen der Leiden, die wir dem Volk der Juden zugefügt haben.

Für die Judenmission zu sein, bedeutet ja nicht nur, in Israel als Prediger aufzutreten, sondern täglich für die Errettung Israels zu beten. Das tägliche Gebet für Israel gehört meines Erachtens zur täglichen Praxis eines jeden Christen.

Im Übrigen finde ich es äußerst merkwürdig, wer alles heutzutage in Deutschland gegen die Judenmission auftritt. In Deutschland ist man gegen etwas, das ohnehin niemand tut oder getan hat. Wer treibt denn in Deutschland Judenmission oder hat sie vorangebracht? Der Kampf mancher Leute, die sich so energisch gegen die Judenmission aussprechen, kommt mir ziemlich heuchlerisch vor. Das wäre etwa so, wenn ich, der ich von Fußball nichts verstehe, noch nie bei einem Fußballspiel gewesen bin und mir auch nie ein Fußballspiel weder im Fernsehen noch im Original anschauen werde, dafür plädieren würde, dass ein bestimmter deutscher Sender die Fußballmeisterschaften nicht übertragen darf.

4. Die Weltmission

Damit die Christen in die Welt gehen, hat Jesus ihnen einen bestimmten Kraftstoff gegeben, und das ist der Heilige Geist.

Ich habe bei manchen Christen den Eindruck, dass der Heilige Geist für sie nur dazu da ist, damit sie selber besser vorwärts kommen: Um bessere Christen zu werden, um bessere Erkenntnisse oder Erfahrungen zu gewinnen. Das ist nicht alles verwerflich. Aber es stimmt etwas nicht, wenn der Heilige Geist für alles Mögliche in Anspruch genommen wird, bloß nicht für das, wozu er in erster Linie gegeben worden ist.

Der Heilige Geist ist eine zweckbestimmte Gabe Gottes. Es ist eine Veruntreuung von Gottes Gabe, wenn er, der vor allem zum Zweck der Mission gegeben worden ist, nur zum Aufbereiten des eigenen geistlichen Images gebraucht wird.

Jesus hat den Heiligen Geist nicht mit dem Stempel versehen, der in der DDR-Zeit auf jedes kirchliche Dokument gesetzt werden musste: „Nur für den innerkirchlichen Dienstgebrauch!“ Nein, sondern Er hat den Heiligen Geist extra mit dem Stempel versehen: „Für den außerkirchlichen Dienst, für den Außendienst, für die Weltmission!“ „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen und bis ans äußerste Ende der Erde gehen!“

Um bis an das äußerste Ende der Erde zu gehen, ist mehr Kraft nötig als ein bisschen Abenteuerlust. Die Abenteuerlust verdampft schnell, wenn man in ein Land kommt, dessen Sprache man nicht versteht und die man erst erforschen muss, oder wenn man erst sein Haus selber bauen muss, das nach ein paar Jahren die Ameisen wieder zerfressen, wenn man die ganze Zeit mit der Familie leben muss ohne Wasser aus der Wand, ohne Strom, ohne Komfort, ohne medizinische Betreuung, in extremer Hitze und Kälte, gequält von wilden Tieren und Moskitos und dergleichen mehr.

Die vielen Missionare und ihre Frauen, die buchstäblich bis an die Enden der Erde gefahren, bis zum letzten Winkel und ins finsterste Heidentum eingedrungen sind, sind für mich die wahren Charismatiker und die wahren Helden der deutschen Nation. Das waren Männer und Frauen, die erfüllt waren von der Kraft des Heiligen Geistes. Sie hatten nur ein einziges Ziel, nämlich dass der Name Jesu allen Völkern bekannt wird.

Gestatten Sie mir, an dieser Stelle auch etwas Persönliches zu sagen. Zu diesen wahren Helden zähle ich auch meine Eltern, die im Dienste der Mission in Indien gestanden haben. Dort hat meine Mutter einen Sohn verloren und eine Fehlgeburt gehabt, bis schließlich wieder ein Kind geboren wurde. Sie verlor in dieser mörderischen Hitze ihre Gesundheit. Sie hatten zu diesem Zeitpunkt ja noch keine „air condition“ oder Wasserflaschen, das, was für uns heute Gang und Gäbe ist.

Erst der Jüngste Tag wird einmal offenbar machen, wie viel Leid, Tränen, Opfer, Angst und Kämpfe es alle diese Missionare und ihre Frauen gekostet hat, den Heiden das Evangelium zu predigen – von der Welt unbeachtet, von vielen verachtet, heute noch von vielen Leuten, die keine Ahnung von Mission haben, als Kolonialistenknechte verspottet und geschmäht! Aber ich wiederhole es: Das waren die wahren Charismatiker und Helden der Kirche.

5. Zur Mission in Deutschland

In der internationalen Statistik haben die Norweger die meisten Missionare; danach folgen die Schweiz, Schweden und Amerika. Ziemlich am Ende der Statistik erscheint Deutschland, das Land der Reformation. Wir sind eine der reichsten Kirchen der Welt mit dem größten Mundwerk und der anspruchsvollsten Theologie, aber im Hinblick auf die Mission läuft fast gar nichts.

Noch vor fünfzig Jahren gab es mehrere kirchliche Ausbildungsstätten für Missionare. Die sind inzwischen fast alle verschwunden. Meines Wissens gibt es nur noch in der Lüneburger Heide die Hermannsburger Mission. Ansonsten ist die Weltmission eine Domäne der Evangelikalen oder Pietisten geworden. Die haben sich in der Arbeitsgemeinschaft der Evangelikalen Missionen (AEM) zusammengeschlossen und verfügen über 2.400 Mitarbeiter. Jährlich wird ein Katalog herausgegeben, dass noch mehr Mitarbeiter benötigt werden. Über 400 freie Stellen sind zu besetzen.

In meiner Heimat in Sachsen gab es einmal fünf Evangelisten, die in der Kirche angestellt waren. Einer nach dem anderen ging in den Ruhestand oder verstarb. Ich machte mich eines Tages zum Bischof nach Dresden auf den Weg, um ihn zu fragen, wie es denn mit unserem Arbeitszweig weitergehen solle. Hat die sächsische Kirche einen Plan oder eine Perspektive, was werden soll, oder stirbt die Evangelisation bei uns aus? Der Bischof wusste nichts zu sagen – und die Evangelisation ist ausgestorben.

Ich war dann der einzige Evangelist; und mein Nachfolger Lutz Scheufler ist inzwischen entlassen worden, weil er sich gegen den Bischof wegen des Zusammenlebens der homosexuellen Paare im Pfarrhaus ausgesprochen hat.

Es ist klar, dass man sich in Deutschland darüber Gedanken gemacht hat, wie man diese Stellen besetzen kann. Wie kann man vor allem junge Leute dazu bewegen, sich bei Mission und Evangelisation zu beteiligen?

Vor einigen Jahren gab es einen Kongress zu diesem Thema. Es sollte das Interesse der jungen Leute für Weltmission geweckt werden. Es wurde gefordert, dass man mehr auf die Bedürfnisse der jungen Christen eingehen müsse. Es ging allerdings nicht um die Bedürfnisse der Verlorenen, sondern um die Bedürfnisse derer, die sich als Retter zur Verfügung stellen sollen und der Motivation bedürfen. Ein Jugendlicher sagte sogar: „Nur über die Erlebnisschiene ist es überhaupt möglich, Jugendliche für die Mission zu begeistern.“ Einer forderte, dass die missionarischen Werke auch für die Jugendlichen offen sein sollten, die noch nicht genau wissen, was sie glauben. Das heißt nichts anderes, als die Böcke zum Gärtner zu machen. Die Missionare wurden aufgefordert, auf die Jugendlichen zuzugehen. Sie müssten spüren, dass die Missionare von ihrer Arbeit begeistert sind.

Aber hier wird das Pferd von hinten aufgezäumt, und ich bezweifle, dass auf diese Art und Weise überhaupt Mitarbeiter für die Mission und Evangelisation gewonnen werden können. Es ist zum Verzweifeln, wo wir mit unserer Praxis und unseren Argumenten gelandet sind! Da hilft nur noch ein Blick in die Praxis von Jesus selber.

6. Jesus und Seine Missionspraxis

Allerdings ist Seine Art der Mitarbeiterhilfe nach unseren heutigen Begriffen, höflich ausgedrückt, gewöhnungsbedürftig. Wir lesen in Lk 10: „Danach sonderte der Herr andere Siebzig aus, sandte sie je zwei und zwei vor sich her in die Städte und Orte, wo er wollte hinkommen und sagte zu ihnen: Die Ernte ist groß, der Arbeiter aber sind wenige. Bittet den Herrn der Ernte, dass Er Arbeiter aussende in seine Ernte. Geht hin! Ich sende euch wie Lämmer unter die Wölfe!“ (Lk 10,2-3).

Wenn man diese Rede liest, merkt man bei jedem Satz: Jesus ist kein Manager. Er hat von Betriebspsychologie auch keine Ahnung. Von „Erlebnisschienen“ hat er auch noch nichts gehört. Statt die bevorstehende Arbeit ein bisschen schmackhaft zu machen, damit die Leute Lust bekommen, bei Ihm mitzumachen, redet er gleich von vorneherein von der erschreckenden Größe des Auftrages. Statt zur Hebung der Arbeitsmoral mit ein paar positiven Beispielen aufzuwarten, weist er nur auf Misserfolge hin.

Jesus ist auf dem Weg von Galiläa nach Jerusalem. In Galiläa hat er eine Wirksamkeit hinter sich, die gar nicht viel gebracht hat. Er hat über die dortigen Städte ein so hartes Urteil gefällt. Er hat sie verglichen mit den gottlosesten Städten, die im Alten Testament genannt werden, nämlich Sodom und Gomorra. Und wenn er sich jetzt nach Jerusalem wendet, weiß er, dass er dort gekreuzigt wird. Aber auch das hat er seinen Jüngern vorausgesagt. Vor sich und hinter sich nichts anderes als Misserfolg – und genau daran erinnert er seine Jünger bei der Aussendung zu ihrem Dienst. Kein Wort von Erfolg, sondern nur Kampf und Leiden: „Ich schicke euch wie Schafe mitten unter die Wölfe…“

Jemand sagte einmal: „Noch nie hat ein Eroberer in der Geschichte der Menschheit seine Soldaten zu einer so gewaltigen Aufgabe mit einer solchen Eröffnungsrede ausgesandt.“ Hierbei ist aber zu beachten, dass Jesus nun nicht, nachdem er die Größe und die Dringlichkeit des Auftrages geschildert hat, sagt: „Also los – nun werden die Ärmel aufgekrempelt! Macht was!“ Stattdessen sagt er: „Bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter sendet in seine Ernte!“ (Lk 10,2).

Für das Wort „aussenden“ steht im griechischen Urtext ekballízein, das heißt hinauswerfen. Bei dieser so merkwürdigen Ernte, bei der man so wenig Erfolg sieht und von der man nichts hat – man kann dabei ja in der Kirche finanziell nicht auf einen grünen Zweig kommen – strömen die Arbeiter nicht von selber. Mitarbeiter in der Ernte Gottes wird man nicht durch den Anreiz der Arbeit, sondern durch den Anstoß des Heiligen Geistes, der einen gleichsam an die Arbeit „schubst“. Und bevor wir in die Hände spucken und zupacken, sollen wir die Hände falten und um Mitarbeiter beten, um Mitarbeiter, die frei sind von dem Zwang des Erfolgreichen, des Erfolgsdenkens, und die sich durch keinen Misserfolg irremachen lassen, weil sie fest an die Verheißung glauben: „Die Ernte ist groß!“ Denn nur, wer das glaubt, kann Evangelist und Missionar sein.

Missionarische Mitarbeiter kommen nicht auf der Erlebnisschiene „angeschlittert“, sondern sie werden vom Heiligen Geist zur Arbeit gedrängt. Nur vom Heiligen Geist Berufene können auch andere Menschen zu Jesus rufen.

Nun muss man sich natürlich etwas einfallen lassen, um den missionarischen Gedanken unter das Volk zu bringen, vor allem unter den jungen Menschen und an den Ausbildungsstätten.

7. Die Mission und die Ausbildung der Theologen

Man kann heute in Deutschland Theologie studieren und aufs Predigerseminar gehen, ohne jemals auch nur einen einzigen Satz über Mission oder Evangelisation gehört zu haben. Ich habe jahrzehntelang einen vergeblichen Kampf geführt, um meinen Fuß als Evangelist in die kirchlichen Ausbildungsstätten hineinzubekommen. Außer bei zweien ist es mir nicht gelungen.

Im Westen war die gleiche Situation anzutreffen. Nach der Wende luden mich einige Studenten ein, um über evangelistische Predigt zu reden. Aber der Inhaber des Lehrstuhles für Praktische Theologie hat das verhindert. Das ging Ulrich Parzany übrigens ein Jahr vorher genauso. Der wurde auch eingeladen und dann wieder ausgeladen. Man ist an der Universität nicht daran interessiert, einmal einem Praktiker eine Stunde lang zuzuhören.

Die niederschmetterndste Erfahrung, die ich in dieser Hinsicht einmal gemacht habe, war während einer Evangelisation in einer der bekanntesten Städte in Deutschland, nämlich in Wittenberg. Hier bekehrten sich damals scharenweise Jugendliche. In dieser Stadt gibt es auch heute noch ein Predigerseminar. Die jungen angehenden Herren Amtsbrüder hatten „gnädigerweise“ beschlossen, Burgfrieden zu halten, wie sie das nannten. Das hieß, dass sie uns in Ruhe lassen und nicht gegen uns kämpfen wollten. Das war ja schon viel, dass sie die Brüder wenigstens in Ruhe arbeiten ließen. Tatsächlich haben sie mit mir als Evangelist auch kein Gespräch geführt. Ich hatte keine Chance, einmal eine Stunde über Evangelisation zu reden.

Aber an den Abenden erschienen die jungen Brüder. Sie marschierten grußlos an mir vorbei zur Treppe, die zur Empore hinaufführte, wo meistens die Konfirmanden sitzen. Dort nahmen sie Platz, und sie benahmen sich auch genauso wie Konfirmanden das zu tun pflegen.

Die jungen Brüder hatten ein großes güldenes langes Fernrohr mitgebracht. Das fuhren sie aus und beobachteten mich von der Empore dort unten am Altar und machten sich über mich lustig, und das vor allen Leuten. Ich stand da unten mit meinem Kollegen Wolfgang Tost. Wir haben beide das Letzte gegeben, um junge Menschen, um Seelen zu retten, während sie sich einen Spaß machten und uns für komische Objekte hielten, die so etwas wie Insekten oder eine andere Kuriosität darstellten: „Der stellt sich hin und will Leute bekehren – das gibt’s doch gar nicht!“

Klaus Engelhardt, der ehemalige Chef der EKD, fragte mich einmal, wie ich mich als Evangelist in der evangelischen Kirche so fühle. Daraufhin erzählte ich ihm dieses Beispiel und sagte zu ihm: „Im Zentrum der Reformation wurden wir vor allen Leuten in einem öffentlichen Gottesdienst verulkt, durch den Kakao gezogen, bloßgestellt vor den feixenden Jugendlichen und wie ein komisches Insekt, das eigentlich schon ausgestorben ist, betrachtet. So wird man als Vertreter einer vergangenen Zeit und einer wunderlichen Art beäugt wie ein Fossil.“

Nebenbei bemerkt: In eben diesem Predigerkolleg ist jetzt ein Vikar, der mir einmal erzählte, wie es dort jetzt zugeht. Wir kamen ist Gespräch, und ich fragte ihn, ob er die Bekenntnisschriften kenne. Er hatte sie noch nie gelesen! Er wird in wenigen Wochen ordiniert. Ich erwiderte erstaunt: „Aber die müssen Sie doch gelesen haben. Sie müssen doch auch darauf Ihre Unterschrift geben. Sie werden doch als Lehrer verpflichtet auf die Bekenntnisschriften.“

Was die jungen Vikare gefragt werden, ist nicht: „Glauben Sie an Jesus? Glauben Sie an den Auferstandenen? War das Grab leer? Glauben Sie an die Auferstehung? Glauben Sie an den dreieinigen Gott?“ Diese Fragen werden nicht gestellt. Stattdessen werden sie als Kandidaten für das Pfarramt, für das Predigeramt im Einzelgespräch folgendes gefragt: „Was halten Sie von der Frauenordination? Wie stehen Sie zur Homosexualität?“ Und die Beantwortung dieser Fragen entscheidet dann darüber, ob sie zum Pfarramt zugelassen werden oder nicht.

Aber das ist auch nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, dass einer der Dozenten mit einer Vikarin schläft. Darüber hinaus sind zwei der Dozentinnen lesbisch. Dann kommen sie natürlich nicht auf biblisch relevante Themen und Fragen.

Ich gebe indes gerne zu, dass sich sicherlich in den Predigerkollegs manches geändert hat, aber im Grunde genommen ist der gleiche Geist noch in den Ausbildungsstätten vorhanden. Das aber bedeutet, dass die Vikare von Evangelisation und Mission nichts weiter zu erfahren brauchen.

8. Die Synode 1999 – ein neuer Aufbruch?

Umso erfreulicher ist es, dass sich in Deutschland inzwischen vieles geändert hat. Das wichtigste Ereignis war die Synode 1999 in Leipzig. Da komme ich ins Schwärmen, weil das geradezu ein Wunder war. Wir haben in den Papieren der Synode eine Menge wunderschöner zitierfähiger Worte erhalten. Noch schöner liest sich das Erklärungsbuch „Das Evangelium unter die Leute bringen“. Dort werden grandiose Sätze formuliert, wie zum Beispiel dieser: „Die evangelische Kirche hat das Glaubensthema und den missionarischen Auftrag an die erste Stelle gesetzt.“ Daraus werden nun Folgerungen gezogen bis dahin, dass für die kirchlichen Ausbildungsstätten die Vermittlung „einer missionarischen Kompetenz auf professionellem Niveau“ gefordert wird. Das sind fantastische Äußerungen, die das Herz eines Evangelisten höher schlagen lassen – ein zweiter Herzinfarkt ist zu befürchten…

Man kann diese Schrift kaum lesen ohne mehrmals in Hallelujarufe auszubrechen – das ist wunderbar!

Inzwischen hat Klaus Diehl eine Rückschau gehalten und festgestellt, dass 2/3 der Landeskirchen auf diesen Aufruf der Synode überhaupt nicht reagiert und keine Konsequenzen gezogen haben.

Wie sieht denn die Praxis aus, obwohl wir eine solche Synode mit solchen herrlichen Erkenntnissen hatten?

Ich war in Fürstenwerder zu einer Evangelisation eingeladen. Das ist ein kleines Nest an der Grenze von Mecklenburg und Brandenburg, wo sich die Füchse gute Nacht sagen, also dort, wo es immer finsterer wird. Ich hatte dort eine gewaltige Mitarbeiterschaft: Das waren der Pfarrer, dessen Frau, ein etwas verrückter Charismatiker und der Bäckermeister, der früh um 4.00 Uhr aufstehen musste. Das waren meine Mitarbeiter. Diese vier Leute haben sich ein halbes Jahr lang jeden Morgen um 6.00 Uhr oder 7.00 Uhr getroffen, um für die Evangelisation zu beten.

Wir haben dann die Evangelisation durchgeführt, und tatsächlich haben sich Manche bekehrt. Der Pfarrer hatte beim Missionarischen Ausschuss der Brandenburgischen Kirche um eine finanzielle Unterstützung für diese Evangelisation gebeten. Allerdings wurde seine Bitte abschlägig beschieden, weil für diese Art der Evangelisation, bei der zur Bekehrung aufgerufen wird, kein Geld zur Verfügung stünde.

Während dieser Evangelisation saß der Bischof dieser Kirche Wolfgang Huber am Runden Tisch für Evangelisation und hat wunderbare Dinge von sich gegeben.

Aber das Problem mit dem Geld hatte Jesus dann selber geklärt. Es rief nämlich eine ältere Dame aus der Gemeinde an und fragte den Pfarrer, ob noch irgendwelche Auslagen bestehen; sie würde alles begleichen, was die Evangelisation gekostet hatte, und damit war die Sache geklärt. Also brauchen wir wegen der finanziellen Mittel für solche Veranstaltungen keine „Pastorenbücher“ oder irgendetwas anderes – das regelt Jesus schon für uns.

Die kleine Schrift „Das Evangelium unter die Leute bringen“ ist als Text aus dieser Synode hervorgegangen. Dort stehen, wie schon gesagt, herrliche Sätze. Aber ich muss auch eine Menge Kritisches dazu sagen.

Der Vorsitzende dieser Kommission, die dieses Heft zusammengestellt hat, wurde in einem Interview gefragt: „Was ist denn an dem jetzigen Engagement der EKD neu?“ Darauf gab er zur Antwort: „Neu ist die Erkenntnis, dass Evangelisation die Zentralaufgabe der ganzen Kirche ist.“

Dazu möchte ich mir den schlichten Hinweis erlauben: Das ist nicht neu, sondern das ist neutestamentlich, also 2000 Jahre alt. Aber neu ist das vielleicht bloß für die EKD, die in den vergangenen Jahrzehnten in dieser Hinsicht geschlafen hat.

Allerdings ist die oben genannte Sicht von missionarisch gesinnten Christen schon immer so vertreten worden. Die Lausanner Welt-Evangelisations-Bewegung hat als Grundsatz: „Die ganze Botschaft der ganzen Welt durch die ganze Gemeinde.“

Es ist natürlich schön, dass in diesem Buch („Das Evangelium…“) darauf hingewiesen wird, es dürfe nicht sein, dass nun die Gemeinden den Auftrag zur Mission ausschließlich den Missionaren zuschieben, sondern stattdessen gilt jetzt: Mission und Evangelisation ist unsere gemeinsame Aufgabe.

Das ist schön und gut; aber dann heißt es weiter: „Es geht um eine große Verantwortungsgemeinschaft für die Zukunft des Glaubens in unserem Land.“ Meine Frage dazu lautet: „Wieso denn das!?“ Es geht in der Evangelisation doch nicht um die Zukunft des Glaubens und der Gläubigen in unserem Land. Es geht in der Evangelisation vielmehr um die Zukunft der Ungläubigen, weil sie in der Hölle landen, wenn ihnen das Evangelium nicht gebracht wird! Alle Begriffe wie Kirchenaustritte, Mitgliederschwund und finanzielles Ausbluten und dergleichen mehr haben in der missionarischen Diskussion überhaupt nichts zu suchen. Leere Kassen und leere Kirchenbänke sind keine Motivation und kein tragfähiges Motiv für Evangelisation.

Der Altbischof Axel Noack sagte: „Heute muss man von Mission reden, weil die normale Fortpflanzung von Kirche deutlich gestört ist.“ Aber eine Kirche, deren Missionsmotiv die Sicherung des eigenen Überlebens ist, ist auf dem sichersten Wege auszusterben. Die ist herzkrank. Sie ist auch nicht dadurch zu retten, dass man ohne große Umstände und neuerdings bei einem Glas Bier wieder eintreten kann.

9. Unser Motiv für Mission: Der Gehorsam gegenüber dem Befehl

Es gibt für das missionarische Tun eine ganze Menge Motive. Dazu gehört auch, dass wir Mitglieder brauchen, damit Kirchensteuer hereinkommt – das ist klar. Auch das stimmt, dass wir aus Liebe zu den Verlorenen Retterliebe entwickeln müssen. Alles das sind durchaus ehrenwerte Motive, aber sie sind nicht tragend. Bei Jesus finden wir sie überhaupt nicht.

Bleiben wir nüchtern: Das einzige tragende Motiv für die Mission ist schlicht und einfach der Gehorsam. Paulus schreibt im 2. Korintherbrief: „Weil wir wissen, dass der Herr zu fürchten ist, suchen wir Menschen zu gewinnen“ (2 Kor 5,11). Es liegt ein Auftrag vor, ein Befehl, und dem gilt es zu gehorchen.

Wann hat denn Jesus jemals gegenüber seinen Jüngern so agitiert, dass er sie bei ihren Gefühlen gepackt hat und gesagt hätte: „Aus Liebe zu den Verlorenen müsst ihr losgehen…?“ Die Begründung von Jesus für die Weltmission ist ganz anders. Sie lautet: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“ (Mt 28,18) – das ist die Voraussetzung. Und weiter: „Darum geht hin in alle Welt“ (Mt 28,19).

Es geht also um die Ausführung eines Befehls, und das unabhängig davon, ob die Kirche am Wachsen oder Schwinden, verfolgt oder frei, finanzkräftig oder arm ist.

Ich war einmal bei einer Zeltevangelisation einer kleinen Baptistengemeinde, also einer Gemeinde, die keine Kirchensteuer kennt und von Spenden lebt. Diese Gemeinde bestand aus 47 Personen, alte Damen und Kinder eingerechnet. Diese Gemeinde bestellte sich das größte Zelt, das die Baptisten haben. Das kostete damals 10.000 DM und hatte 500 Plätze. Die Gemeinde hatte nicht einmal einen eigenen Pfarrer. Aber sie hatten einen kräftigen Missionswillen. Sie führten eine solche Evangelisation sogar jedes Jahr durch.

Wie ist so etwas möglich? Oder fragen wir umgekehrt: Warum ist das in einer landeskirchlichen Gemeinde nicht möglich? Wenn es hier heißt: wir haben jetzt keinen Pfarrer, dann bedeutet das ja oft, dass gar nichts gemacht wird. Darum müssen wir warten, bis einer eingesetzt wird und dann vielleicht mal…

Wie ist das überhaupt möglich, dass so eine kleine Gemeinde ein solches Projekt auf die Beine stellt und das in der Landeskirche nicht funktioniert? Oder allgemeiner gefragt: Warum wird eigentlich nicht mehr evangelisiert? Zurzeit ist die Tendenz in Deutschland eindeutig: Es werden weniger Evangelisationen durchgeführt.

Ich habe einmal an einer großen Konferenz von Lausanne teilgenommen. Einer der Redner war ein Baptist. Er wollte der Versammlung von etwa 4.000 Evangelisten erklären, warum die Kirchen so wenig evangelisieren. In einer meisterhaften Rhetorik sagte er: „We have the people, we have the money, we have the tools, but we don’t have the will!“ (wir haben die Leute, wir haben das Geld, wir haben die Mittel und Werkzeuge, aber wir haben den Willen nicht). Wir wollen nicht gehorchen. Ich bin überzeugt, dass dieser Mann Recht hatte.

Es liegt ein Befehl vor. Und die angemessene Reaktion darauf ist der Gehorsam, weiter nichts. Aber zum Gehorsam bedarf es eben eines willentlichen Entschlusses. Das ist für mich der ganze Dreh- und Angelpunkt der großartigen Diskussion über den missionarischen Auftrag der Kirche. Wie viele herrliche Bücher gibt es darüber. Jeder Professor für Missionswissenschaft schreibt ein neues Buch darüber mit einer neuen Definition von Mission und missio dei und was alles noch kommen mag.

Aber für mich dreht sich alles um diesen einen einzigen Punkt. Aber in der stattfindenden Diskussion um die Evangelisierung der Welt höre ich von Gehorsam gar nichts und von der Rettung der Verlorenen auch nichts. Aber genau darum geht es doch in der Evangelisation – um Rettung aus der Verlorenheit! Und dazu gehört wiederum, dass wir den Mund auftun und uns gehorsam zu Jesus bekennen.

10. Das Ziel aller Mission: Rettung der Verlorenen

Aber genau davon, von der Rettung der Verlorenen, wird gar nicht gesprochen. Soviel ich weiß, kommt der Begriff der Verlorenheit in den Leipziger Dokumenten überhaupt nicht vor. In dem Nachfolgeheft steht allerdings, dass „Evangelisation Rettung des Menschen aus seiner Verlorenheit“ bedeutet. „Leben ohne Gott, ohne Glauben an Jesus Christus ist Leben in der Verlorenheit.“ Das stimmt ja auch; aber es wird nicht dazu gesagt, dass es eine ewige Verlorenheit gibt. Es geht um das ewige Schicksal der Menschen.

Wo es indes um eine grundsätzliche Definition des missionarischen Auftrages geht, fehlt der Begriff der Verlorenheit, demzufolge auch der Begriff der Rettung. Es wundert einen von daher auch nicht, dass der Begriff der Bekehrung fehlt. Das kommt in dem ganzen Heft nicht ein einziges Mal vor.

Umso erfreulicher ist es, dass Michael Herbst einmal gesagt hat: „Wer von Mission redet, muss von Bekehrung reden.“ Das ist eine deutliche Ansage.

Das Wort der Synode von Leipzig beginnt mit folgendem Grundsatz: „Alle Bemühungen um den missionarischen Auftrag fangen damit an zu erkennen und zu beschreiben, wie schön, notwendig und wohltuend die christliche Botschaft ist.“ In diesem Stil geht es weiter: „Wir haben den Auftrag, den Menschen die Augen zu öffnen für die Wahrheit und die Schönheit der christlichen Botschaft.“

Gott erbarm‘ – was ist das bloß für eine Wortwahl! Wo stehen diese Begriffe, wenn es um den missionarischen Auftrag geht?! Warum kann man denn nicht bei den Worten bleiben, die Jesus selber gesagt hat? Als Jesus den Paulus zum Heidenmissionar berufen hat, sagte er: „Ich will dich erretten von deinem Volk und von den Heiden, unter welche ich dich sende, aufzutun ihre Augen, dass sie sich bekehren von der Finsternis zu dem Licht und von der Gewalt Satans zu Gott, um zu empfangen die Vergebung der Sünden“ (Apg 26,17-18). So hat Jesus gesprochen, und so haben wir zu sprechen. Keine Rede von dem Öffnen der Augen für „die Schönheit und Nützlichkeit des christlichen Glaubens“. Hier geht es um ewige Finsternis, um Sünde und Verlorenheit, um Sündenvergebung.

Ich leugne ja weder die Schönheit noch die Nützlichkeit des christlichen Glaubens. Im apologetischen Teil meiner Predigten kommt das oft vor. Wir haben ein Lied, das bei jeder Evangelisation gesungen wird: „Als Christ bewusst zu leben, ist spannend, schwer und schön.“ Aber das ist ein Thema gleichsam nebenbei. Das ist nicht die Beschreibung des missionarischen Auftrages.

Ich habe einmal bei 30°C Hitze missioniert in einem öffentlichen Freibad. Bevor es losging, musste ich eine große Wiese überqueren, um die Toilette aufzusuchen. Dort saß eine Gruppe von jungen Männern, die immer, wenn ich vorüber ging, „Jesus! Jesus!“ schrien. Aber eines Abends saßen sie vor mir im Zelt, mit ihren Glatzen, nackten Oberkörpern, tätowierten Armen und einer Bierflasche in der Hand. Dazu kam noch eine Gruppe entlassener Strafgefangener. Was sollen die denn mit dem Begriff der Schönheit des christlichen Glaubens anfangen? Was die brauchten, war Gesetz und Evangelium, Sündenerkenntnis, Sündenvergebung. Die brauchten einen Verteidiger, der sie aus ihrem verpfuschten Leben heraushaut und wieder zurechtbringt!

So hat Paulus seine Tätigkeit beschrieben: „Ihr habt euch bekehrt von den Götzen zu Gott, zu dienen dem lebendigen und wahren Gott und zu warten auf seinen Sohn vom Himmel, welchen er auferweckt hat von den Toten, Jesus, der uns vor dem zukünftigen Zorn rettet“ (1 Thess 1,9-10).

Jesus – das ist unser Thema! Um den geht es. Den haben wir zu predigen. Aber wenn Jesus nicht mehr der einzige Retter für alle ist, wenn man sich scheut, Begriffe wie Sünde, Gericht, Bekehrung, wahrer Gott, Himmel, Zorn Gottes überhaupt auszusprechen, dann kommt es eben zu diesem bürgerlichen Gesäusel von der Schönheit und Nützlichkeit des christlichen Glaubens; und erst danach heißt es gelegentlich, dass es (auch) um die Bindung an Jesus geht. Um nur ja niemand zu nahe zu treten, um nur ja keinen Synodalen und keinen Professor, der nicht mehr weiß, was Fakt ist, und keinen Bischof zu verschnupfen, lässt man das anstößige Wort „Bekehrung“ und alle anderen biblischen Begriffe einfach weg.

Es kommt mir doch nicht auf die Benutzung dieser bestimmten Begriffe an. Man kann ja alles umschreiben; und es gehört zur Aufgabe eines Evangelisten bis zur Besinnungslosigkeit, das Wort mit den alten Begriffen umzuschmelzen, damit es die Leute der Gegenwart verstehen können. Man kann alles umschreiben. Aber ich sehe überhaupt nicht ein, warum wenigstens in theologischen Dokumenten biblische Zentralbegriffe wie Bekehrung überhaupt nicht mehr verwendet werden.

Ich wittere dahinter keine missionarische Zartheit, sondern schlicht und einfach Glaubenslosigkeit. Wer glaubt, was die Bibel über Gericht, über Zorn Gottes, über Verlorenheit und Verdammnis, über Hölle und Himmel sagt, der spricht das auch aus. Wo das nicht mehr klar gesagt wird, entsteht eine Verschwommenheit, die am Ende dazu führt, dass unter dem Oberbegriff „Missionierende Kirche“ alles untergebracht werden kann.

Eine solche Formulierung lautet zum Beispiel: „Ansprechende Indirektheit“. Das muss man erst einmal begreifen, was das ist oder worum es dabei geht. Da lesen wir: „Eine Kirche, die sich für den Schutz des Sonntags einsetzt, ist schon darin missionierende Kirche.“ Wenn das aber missionierende Kirche ist, dann ist jede Kaffeefahrt der Frauenhilfe auf der Mosel auch eine missionarische Veranstaltung.

Wohin diese Ausweitung führt, zeigt am deutlichsten der Fall einer Gemeinde in Saarbrücken, der auch durch die Presse ging. Sie hatten dort auf ihren Plakaten einen BH abgebildet und mit dem Wort „Erotik“ zum Gottesdienst eingeladen. Dort wurden dann Sexfilme und jugendgefährdende Filme wie „Crash“ gezeigt. Dazu wurden sogenannte „Erotikpredigten“ gehalten. Denen wurde eine missionarische Qualität bescheinigt. Wenn alles missionarisch ist, dann ist am Ende nichts mehr missionarisch.

Deshalb bin ich für eine klare Definition über den missionarischen Auftrag der Kirche, so wie es erfreulicherweise in dem besprochenen Dokument der Leipziger Synode auch vorkommt. Da heißt es nämlich: „Der Auftrag steht fest“; und dann folgt Mt 28. Auch der nächste Satz ist richtig: „Der Auftrag ist unwandelbar, nur die Formen der Auftragserfüllung sind wandlungsfähig.“

Wenn aber das Zeigen von Pornofilmen im Gottesdienst als Auftragserfüllung bezeichnet wird, dann wird alles schief. Denn der Hinweis, dass noch nie so viele Männer in der Kirche gewesen sind wie zu diesen Predigten, ist doch kein Beweis für Mission im biblischen Sinne. Selbstverständlich wird die Hütte voll mit Männern, wenn in der Kirche Pornofilme gezeigt werden…

Aber es geht nicht darum, möglichst viele anzusprechen, sondern zu Jesus zu rufen. Mir fehlt auch jedes Verständnis für den Satz: „Evangelisation und Gemeindeaufbau wollen den Menschen das Evangelium nahe bringen, ohne ihnen zu nahe zu treten.“ Wie das gehen soll, ist mir unerklärlich, vielleicht nach dem Motto: „Wasch mich, aber mach mich nicht nass. Taufe mich, aber mach mich nicht zum Jünger.“ Aber ich muss ja nicht alles verstehen, was Synoden beschließen.

Umso mehr habe ich mich damals gefreut über zwei Feststellungen der Synode. Zum einen wurde gesagt: „Von dieser Tagung der Synode geht das Signal aus: Die Evangelische Kirche setzt das Glaubensthema und den missionarischen Auftrag an die erste Stelle.“ Das ist zu schön, um wahr zu sein… Und zum anderen: „Überall in unseren Kirchen ist die Dringlichkeit der missionarischen Aufgabe neu erkannt und in den Vordergrund gerückt worden. Wir brauchen dafür alle Kompetenz und alle Kraft, die wir aufbieten können.“ Das sind wunderschöne Sätze.

11. „Nötige sie…!“ – die Dringlichkeit der missionarischen Botschaft

Ich will zum Schluss noch etwas zu dem Thema „Dringlichkeit“ sagen.

In Lk 14 gibt es eine Szene, in der beschrieben wird, wie Jesus seine Jünger aussendet: „Geht schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führt die Armen und Krüppel und Blinden und Lahmen herein. Und der Knecht sprach: Herr, es ist alles geschehen, was du befohlen hast. Es ist aber immer noch Platz da. Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh aus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen.“ (Lk 14,21-23 ). Wohl gemerkt: „Nötige sie!“

Nun kann man ja alles auf zweierlei Art und Weise machen, nämlich richtig oder falsch. Und dieses Wort ist in der Kirchengeschichte ziemlich falsch angewendet worden. Augustin hat das theologisch untermauert: „Zwingt sie hereinzukommen!“ Mit einer Art „Gartenschlauch-Taufe“ wurden die Leute zwangsgetauft.

Es geht um das Nötigen. Im Zeitalter der Toleranz kann niemand mehr etwas mit diesem Wort anfangen. Aber wie müssen wir denn mit diesem Wort umgehen, das ja in der Bibel tatsächlich steht?

Ich habe also nachgeschlagen: anankázo – zwingen steht tatsächlich da: „Zwingt sie einzutreten.“ Das ist ein starkes Wort! Und es ist auch eine starke Herausforderung, die eine harte Reaktion provoziert. Um diese Provokation zu vermeiden, übersetzt die „Hoffnung für alle“, die ich sonst sehr schätze: „Jeder ist eingeladen.“ Das trifft aber nicht den großen Ernst dieses Wortes. Die „Gute Nachricht“ schreibt: „Dränge die Leute zu kommen!“. Das ist sachgemäß. Wir dürfen aber „Zwingen“ nicht im Sinne von Gewaltanwendung verstehen, sondern sie durch Überreden nötigen. Man kann allerdings auch mit unseriösen Reden Gewalt anwenden, zum Beispiel durch unsachgemäße Beispiele oder mit dem Drohen mit der Hölle. Das gibt es durchaus. Gewalt in jeder Form ist für uns verboten – das geht nicht. Unsere einzige Waffe, die wir haben, ist die Überzeugungsrede.

Es gab einmal einen Film vom MDR über meine Tätigkeit als Evangelist. Den habe ich zusammen mit meiner Familie im Fernsehen angeschaut. Zunächst wurde ein Kirchenvorsteher interviewt: „Was wollen Sie mit dieser Evangelisation erreichen?“ – Seine Antwort war: „Wir wollen natürlich niemanden überzeugen.“ Das war die typische Stellung eines landeskirchlichen Kirchenvorstehers! Wir wollen niemandem zu nahe treten. Selbstverständlich will ich Menschen überzeugen – deswegen trete ich ja an! Ich bin Zeuge, und ich will überzeugen. Es geht mir nicht um die Selbstdarstellung der Kirche, nach dem Motto: „Ich sage meine Botschaft, du sagst deine Botschaft“ oder so ähnlich, nach der Devise: „Leben und leben lassen und alles tolerieren“.

Es ist doch die Frage, ob ich so tolerant bin, dass ich den anderen in seiner Verlorenheit überlasse und dem ewigen Tod, der ihm bevorsteht. Es geht doch um Lebensrettung, und nur, wer das begriffen hat, der begreift, was „Nötigen“ heißt.

Ich besuchte einmal einen Freund, der an der Elbe wohnt. Dort muss man sein Auto stehen lassen und mit einer kleinen Fähre übersetzen. Nach der Rückkehr ans andere Ufer stand dort an der Landungsbrücke eine Frau. Nun bin ich ein ziemlich schüchterner Mensch und rede nie fremde Menschen an, und schon gar keine Frau. Aber in diesem Fall wurde ich wie von einer Schnur gezogen und bin auf die Frau zugegangen. Ich bin davon überzeugt, dass mich Jesus durch Seinen Heiligen Geist zu ihr hingezogen hat. Ich habe ihr in die Augen gesehen und ein Gespräch mit ihr angefangen. Dabei stellte sich heraus, dass sie sich ins Wasser stürzen wollte. Sie stand auch schon ein paar Stunden da. Sie fragte mich gleich: „Bin ich gleich tot, wenn ich in die Schaufelräder eines Dampfers hineingerate?“ Dazu muss man wissen, dass die Dresdener Dampfer riesengroße Schaufelräder an der Seite haben. Inzwischen waren alle Leute abgefahren, und ich stand mit dieser Selbstmörderin allein dort am Ufer, nur einen halben Meter an der Kante, wo es in die Elbe hinabging. Was sollte ich tun? Ich konnte die Frau doch nicht einfach packen und irgendwo hinschieben. Ich hatte nur eine einzige Möglichkeit – und das war die Überzeugungsrede. Ich habe auf sie eingeredet und mir gleichzeitig ihre ganze Lebensgeschichte angehört. Sie hatte Krach mit ihrer Familie, war zerstritten mit ihren Enkeln und alles Mögliche. Und während des Gespräches habe ich versucht, sie immer weiter vom Wasser wegzudrängen. Das dauerte bestimmt eine Stunde lang. Ich habe sie immer weiter geschoben, bis wir auf dem Parkplatz ankamen. Irgendwann saß sie dann auf dem Beifahrersitz meines Autos. Ich brachte sie dann zur Stadtmission, wo sie weiter versorgt wurde.

Das heißt Dringlichkeit. Wie oft haben wir einen Menschen vor uns, bei dem wir merken, dass er jetzt reif ist und eine Entscheidung treffen könnte? Manchmal möchten wir doch einen Menschen am Schlafittchen packen und sagen: „Jetzt knie dich hin und sprich dein Übergabegebet, und dann bist du gerettet!“ So geht es aber nicht.

Manfred Siebald dichtete ein schönes Lied: „Ich möchte schieben und ziehen, wie ein Freund mich bemühen“. Aber den entscheidenden Schritt muss jeder allein tun. Dazu kann ich niemanden zwingen. Aber bis jemand diesen Schritt getan hat, ist die größte Dringlichkeit gefordert.

Ich weiß nicht, ob Sie einmal den Film über die Nicolai-Kirche in Leipzig gesehen haben. Ich habe ihn mir jetzt wieder angeschaut. Dabei fiel mir die Schlussszene auf. Als die Leute aus der Kirche herausströmen, stehen bereits die großen Lastkraftwagen der Stasi bereit. Die Leute werden einfach wie Pakete auf die Laster geworfen. Es ist ein unheimliches Brüllen und ein Durcheinander auf dem Platz. Und mitten in diesem Getöse steht Pfarrer Führer in der Tür seines Pfarrhauses. Er ist aber nicht herumgeschlichen und hat die Leute eingeladen: „Entschuldigen Sie, ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber hätten Sie nicht vielleicht Lust, sich die Schönheit der Bleiverglasung im Treppenhaus anzusehen und sie zu bewundern?“ Nein, er stand an der Tür und rief: „Kommen Sie hier herein! Hier sind Sie sicher!“

Das ist ein Bild für Dringlichkeit – dass wir dastehen und rufen: „Komm hinein ins Vaterhaus! Hier bist du sicher!“ Das gilt für alle Situationen, und nicht nur, wenn die Stasi auf die Leute eindrischt und ein unbeschreibliches Tohuwabohu herrscht. Diese Botschaft gilt für alle Menschen – auch für die, die sich auf der Bahnhofstoilette den „goldenen Schuss“ setzen wollen, sodass sie sterben. Das gilt auch für die Spießer, die an den Biertischen irgendwelches dumme Zeug reden. Das gilt für alle: Kommt herein! Im Vaterhaus seid ihr gerettet!

Pfarrer Dr. Theo Lehmann, 28.3.2015

Seminarvortrag gehalten beim Kongress des Gemeindehilfsbundes „Gemeinde in der Zerreißprobe zwischen Nachfolge und Verweltlichung“ in Bad Teinach-Zavelstein. Alle Referate, Seminarbeiträge und Predigten der Kongresse im Geistlichen Rüstzentrum Krelingen (20.3.-22.3.2015) und in Bad Teinach-Zavelstein (27.3.-29.3.2015) erscheinen in Kürze in einer Dokumentation, die in der Geschäftsstelle des Gemeindehilfsbundes für 5,00 Euro zzgl. Versandkosten vorbestellt werden kann.

 

 

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 10. Juli 2015 um 15:37 und abgelegt unter Gemeinde, Kirche.