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Für die Wahrheit ins Feuer

Samstag 4. Juli 2015 von pro Christliches Medienmagazin


pro Christliches Medienmagazin

Zum 600. Todestag von Jan Hus

Er kritisierte den Reichtum der Kirche. Und er wollte Gott mehr gehorchen als dem Papst. Genau 600 Jahre sind vergangen, seit Jan Hus am 6. Juli 1415 in Konstanz den Flammentod starb. Der böhmische Theologe und Reformator gilt als wichtiger Vorläufer Martin Luthers.

Jan Hus hat gemischte Gefühle, als er am 11. Oktober 1414 die Burg Krakovec im heutigen Tschechien verlässt. „Und jetzt“, so schreibt er zum Abschied, werde er sich „mitten unter sehr mächtige und zahlreiche Feinde“ begeben. Mit zwei Wagen und 30 Pferden macht sich seine Reisegruppe auf den Weg. Ziel ist die 600 Kilometer entfernte Bischofsstadt Konstanz. Auf dem Konzil am Bodensee soll der unter dem Kirchenbann stehende Theologe und Reformator aus Prag an den Pranger gestellt werden. Doch er ist auch zuversichtlich: König Sigismund, der das Konzil einberufen hat, schickt ihm zwei Ritter als Begleitschutz. Im Gepäck hat Hus einen Brief, in dem ihm der König freies Geleit zusichert. Vor allem glaubt Hus an den Sieg der Wahrheit: Er geht davon aus, dass er Gelegenheit zu einer Disputation erhält. Doch zu einem fairen biblisch-theologischen Streitgespräch wird es nie kommen – in Konstanz erwartet ihn ein Ketzerprozess.

Jan Hus stammt aus einfachen Verhältnissen. Geboren um 1370 im südböhmischen Husinec (daher sein Name), gelingt ihm in Prag der akademische Aufstieg. Als Philosophie-Professor faszinieren ihn die Lehren des englischen Kirchenreformers John Wycliff (1330–1384). Hus wird Priester. Er predigt in der Prager Bethlehemskapelle nicht auf Lateinisch, sondern in der Sprache des Volkes, auf Tschechisch. Und er wird Universitätsrektor. Im Zentrum seiner Verkündigung geht es um die „Wahrheit“, die der Mensch „bis zum Tod“ suchen und lieben solle. Hus betont, dass die Heilige Schrift das alleinige Maß für die christliche Lehre sei, der Glaube müsse sich an der Wahrheit von Jesus Christus und dessen Gebot orientieren. Für die Kirchenfürsten heiße das, „dass die Geistlichkeit ehrbar lebe nach dem Evangelium Jesu Christi und verwerfe zur Schau gestellte Pracht, Geiz und Unmoral“. Längst reicht es der Kirche: Die Kurie bestellt den Prager Priester nach Rom. Da Christus das wahre Haupt der Kirche sei – und nicht der weltlich orientierte Klerus –, sieht Hus eine Pflicht zum Ungehorsam: Er bleibt zu Hause und wird dafür aus der Kirche entfernt.

Es kommt noch dicker: In Italien ringen seit der Kirchenspaltung (Schisma) drei Päpste um die Vorherrschaft. Zwei von ihnen verwickeln sich 1412 in einen Krieg. Um die Gegenseite niederzuringen, ruft Papst Johannes XXIII. (ein Gegenpapst, der später vom Konzil abgesetzt wurde, nicht zu verwechseln mit Papst Johannes XXIII., der das Vaticanum II 1962 einberief) in einer Bulle, einer päpstlichen Urkunde, einen Kreuzzug gegen seine Widersacher aus. Den will er durch einen Ablass finanzieren: Alle, die Geld spenden, dürfen demnach mit Sündenvergebung rechnen. Jan Hus predigt dagegen an: Ein Kreuzzug sei nur legitim, wenn die Christenheit verteidigt werden müsse. Hier aber gehe es um die „Bekämpfung, Beraubung und Abschlachtung von Christen“.

„Konzile können irren“

Als Hus im Herbst 1414 unterwegs ist nach Konstanz, erlebt er zunächst eine Überraschung. Weiden, Sulzbach, Nürnberg, Gunzenhausen, Nördlingen, Ulm und Biberach: „In allen Städten ging es uns gut“, schreibt er. „Wir wurden gut bewirtet“, die Menschen seien sehr offen für seine Predigten gewesen. In Bärnau in der Oberpfalz erwarten ihn bereits Vikare und der Pfarrer, der ihm in seiner Stube einen großen Humpen Wein serviert. Bis in die Nacht wird das Wort Gottes gepredigt und diskutiert. In vielen Wirtshäusern darf er die Zehn Gebote an die Wand kleben.

Am 3. November 1414 trifft Jan Hus in Konstanz ein. Er wohnt bei der Witwe Frida Pfister im heutigen „Haus zur roten Kanne“, das ein Hus-Museum beherbergt. Und sofort gibt es Ärger: Der konziltreue Chronist Ulrich Richental vermerkt, Hus habe „im Haus der Pfistrin“ die Messe gelesen. „Einfache, ungelehrte Leute“ hätten auf ihn gehört. Der Bischof handelt unverzüglich, Hus erhält Predigtverbot. Von Beginn an übernehmen die mächtigen klerikalen Gegner die Regie. Sie sind überzeugt: Hus’ Lehren rütteln an den Grundfesten der Kirche. Am 28. November wird Hus festgenommen. Er wird eingekerkert in einem finsteren Verlies, direkt neben der Kloake im Turm des Dominikanerklosters. Heute ist dort das Steigenberger Inselhotel.

Konstanz, Frühsommer 1415. Eine gespenstische Atmosphäre, die in den gut erhaltenen Chroniken festgehalten ist. Hus muss etliche „Audienzen“ über sich ergehen lassen. In diesen Anhörungen wird der Beschuldigte nicht angehört. Er wird niedergeschrien. Und ausgelacht. Kardinäle, Erzbischöfe, Prälaten, Rechtsgelehrte lassen falsche Zeugen auftreten. Hus sagt: Er hätte mehr „Würde und Anstand“ erwartet. Und König Sigismund knickt ein. Zwar habe er freies Geleit versprochen, aber natürlich müsse Hus Buße tun – mit einem „hartnäckigen Ketzer“ wolle auch er nichts zu tun haben.

Immer wieder die ultimative Forderung: Hus soll Irrtümer bekennen, abschwören, öffentlich widerrufen und in Zukunft das Gegenteil predigen. Hus erklärt, er sei bereit, dem Konzil zu gehorchen. Doch „unter Tränen“ beteuert er, er könne keine Irrtümer widerrufen, die er nie vertreten habe: „Gott weiß ja, dass ich niemals jene Irrtümer gepredigt habe, die man sich ausgedacht hat, indem man viele Wahrheiten wegließ und falsche Behauptungen hinzufügte.“

Für den Konstanzer Buchautor und Literaturhistoriker Walter Rügert, der seit Jahren auf den Spuren von Hus forscht, ist der Fall klar: „Jan Hus ist als Reformator ein Vorläufer Martin Luthers.“ Auch bei Luther habe 100 Jahre später, um 1517 herum, ein Ablassstreit zur Eskalation geführt. Allerdings hat sich Luther erst 1519 intensiv mit Hus beschäftigt. Als seine Gegner ihn mit dem Ketzer aus Böhmen in Verbindung bringen, vertieft sich der Wittenberger in die Predigten aus Prag, studiert Akten aus Konstanz und kontert: „Auch Konzile können irren!“ Ähnlich äußert sich Luther 1521 vor dem Reichstag zu Worms, wo auch er „nichts widerrufen“ wird.

Der emeritierte Göttinger Professor Eberhard Busch, langjähriger Forscher im Bereich der reformierten Theologie, bestätigt ebenfalls, dass „Luther freundlich von Hus geredet und ihn als Vorgänger bezeichnet hat“. Theologisch habe der Prager Reformer aber „andere Schwerpunkte“ gesetzt: „Am eindrücklichsten scheint mir der im tschechischen Christentum bis heute sehr kämpferisch ausgeprägte Wahrheitsbegriff zu sein“, sagt Busch. Diese freiheitlich orientierte „Kampfbereitschaft“ sei ihm auch bei seinen Besuchen in Prag begegnet – in Theologie und Kirche sowie im Umfeld der Demokratiebewegungen.

„Ketzerführer“ in Flammen

Konstanz, 6. Juli 1415. Die Schatten werden länger. Die Bischöfe sehen ihre Anklage der Ketzerei bestätigt. Nach den Verfahrensregeln wird Jan Hus zunächst im Münster als Priester degradiert. Die Kirchenführer waschen ihre Hände in Unschuld, den Delinquenten übergeben sie der weltlichen Macht. Das Urteil soll vor den Toren der Stadt vollstreckt werden. Man verpasst Hus eine „Schandkrone“. Sie ist mit Dämonen bemalt und trägt die Aufschrift: „Dieser ist ein Ketzerführer.“ Hus wird durch das Geltinger Tor geführt. Überall Menschenmassen. Die Torbrücke stürzt fast ein unter der Last. Westlich, in der Nähe der Vorstadtgräben, liegt die Hinrichtungsstätte „auf dem Brühl“, damals eine „Wiese zwischen Gärten“ im heutigen Stadtteil Paradies. Jan Hus wird auf einen hohen Schemel gehoben, „mit Schuhen und Kleidern“ an einen „dicken Balken“ gebunden. Der Henker schichtet „zwei Fuhren Holzbündel, die mit Stroh vermischt“ sind, „bis an sein Kinn“. Dann schüttet er Pech dazu und zündet „alles an“. Hus schreit. Den Überlieferungen zufolge blickt er zum Himmel, betet laut, singt und fleht: „Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich meiner.“ Zuletzt schlägt ihm „der Wind die Flammen ins Gesicht“. Doch das Werk seiner Feinde geht noch weiter. Peinlich genau und „auf Geheiß“ werden alle verkohlten sterblichen Überreste, Schädel, Knochen und Organe eingesammelt und mit Schubkarren in den Rhein gekippt – um eine Reliquienverehrung in Böhmen zu verhindern.

Dort brechen Hussitenkriege aus. Seither haben viele Machthaber den wahrheitsmutigen christlichen Märtyrer für ihre Ideale und Ideologien vereinnahmt: Jan Hus wurde zum Nationalhelden. 1999 äußert mit Johannes Paul II. erstmals ein Papst „tiefes Bedauern“. Konservative Kirchenhistoriker der Kurie sagen dennoch, der Konzilsprozess von 1415 sei nach damaligem Kirchenrecht formell korrekt gewesen. Das Urteil ist bis heute rechtskräftig.

Konstanzer Konzil 1414–1418

Das 16. ökumenische Konzil (lat. „Zusammenkunft“) ist die größte Kirchenversammlung, die das Abendland bis dahin gesehen hat. Zwischen 1414 und 1418 wird Konstanz am Bodensee zum Austragungsort eines dramatischen religionspolitischen Machtkampfs: Seit 1378 gibt es drei Päpste – und jeder hält sich für den rechtmäßigen Stellvertreter Gottes auf Erden. Wichtigstes Ziel ist die Aufhebung der Kirchenspaltung (Schisma). Am Ende gibt es nur noch einen Papst: Martin V. Angeblich geht es auch um Reformen „an Haupt und Gliedern“ – doch dazu kommt es nicht. Die Konzil-Mächtigen beschäftigen sich dafür intensiv mit der Bekämpfung von Irr- oder Ketzerlehren (Häresie): Am 6. Juli 1415 wird der böhmische Reformator Jan Hus verurteilt und verbrannt. Konstanz hat damals 6.000 Einwohner. Während des Konzils sind es doppelt so viele. Neben Kardinälen, Bischöfen und Fürsten samt Hofstaat zählt der Chronist allein 700 Huren.

Christoph Irion

Christliches Medienmagazin pro (3/2015) | www.pro-medienmagazin.de
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Literatur: Walter Rügert, „Jan Hus. Auf den Spuren des böhmischen Reformators“, 2015, Südverlag

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Samstag 4. Juli 2015 um 9:00 und abgelegt unter Kirche.