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Sind wir jetzt wirklich klüger?

Montag 8. Juni 2015 von Deutsche Evangelische Allianz


Deutsche Evangelische Allianz

Es fehlt der Mut zu klaren Positionierungen

Rückblick auf einen Kirchentag in Stuttgart. Es liegt in der Natur der Sache, dass der bei jedem natürlich ganz anders ausfällt. Und wie er ausfällt, konnte man eigentlich schon vorher bestimmen. Denn man sucht sich natürlich den Kirchentag so zusammen, wie man ihn braucht, wie man ihn will, was man seinem Nervenkostüm zumuten möchte. Das Kirchentagsmotto „damit Ihr klug werdet“ war jedenfalls klug gewählt. Denn in einer Zeit der Bildungseuphorie kann man einen Wunsch nach mehr Klugheit weder beiseiteschieben noch übersehen. Schade, dass man den Kontext dieses biblischen Wortes aus Psalm 90 weggelassen hat.

Klar, er ist nicht besonders werbeträchtig. Aber gerade angesichts des öffentlichen Sterbens um uns her – Flugzeugabsturz, Erdbeben in Nepal, Ertrinken im Mittelmeer, der Tod von unzähligen Christen, die von blindwütigen Terroristen hingemordet werden – ist der Kontext so bedeutend: „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden.“ Nicht, dass es überhaupt nicht vorgekommen wäre – aber beherrschend war der Ewigkeitshorizont leider nicht, den wir so dringend bräuchten. Denn wer sich der Ewigkeit gewiss ist, hat Zeit und Kraft, sich den Fragen der Zeit zu widmen.

Was halte ich fest?

  1. Ich stimme gerne in das medial weit verbreitete Loblied ein: Es war ein friedlicher harmonischer Kirchentag. Und es war ein spiritueller Kirchentag. Von morgens früh bis abends spät ertönte wirklich Lobgesang, auch mit Instrumenten. Das ist was in einer Zeit, in der sonst meist Klagelieder erklingen und Demonstrationen um eigene Vorteile das Leben anderer erschweren.
  2. Es gibt substantielle Fortschritte: Die ChristusBewegung durfte ihren eigenen Christustag in eigener Verantwortung autonom gestalten und konnte dabei auch die Barriere unbeachtet lassen, die messianischen Juden ansonsten die aktive Mitwirkung in kaum zu überbietender Intoleranz untersagt. Und dass bei einem Forum tatsächlich auch ein messianischer Jude auftreten und reden durfte: Immerhin ein Anfang – auch wenn man dem fremdsprachigen Gast einem deutschsprachigen Kreuzverhör aussetzte. Augenhöhe und Fairness sehen anders aus. Warum hat sich der Kirchentag nicht zugetraut, einen deutschsprachigen messianischen Juden gegenüber zu setzen und neben Kirche und Judentum auch einen evangelikalen Nichtjuden als Befürworter zu Wort kommen zu lassen? Der Kirchentagspräsident hat überdies in seinem Schlusswort eher den Eindruck verbreitet, dass man jetzt ja nochmal die Stellungnahme gegen Judenmission erklärt habe. Das hörte sich nicht nach Beginn, sondern nach Ende der Debatte an – bevor sie wirklich begonnen hat.
  3. Es gab klare Aussagen, dass die Bibel als Wort Gottes zu achten ist und sie die Orientierung für die Lehre in der Kirche und das Leben der Christen bietet. Wer hören wollte, konnte es hören. Aber auch das pure Gegenteil. Es fehlt  die Grundübereinstimmung, was die Substanz christlichen Glaubens ist. Wenn es wenigstens einen Versuch gäbe, das gemeinsam herauszuarbeiten? Ich habe ihn nicht entdeckt. Denn wenn das Glaubensbekenntnis nicht die bestimmende Norm ist, was soll es dann sein? Die Grundsatzdiskussion darüber darf nach meiner Überzeugung nicht mehr länger hinausgeschoben werden. Oder man einigt sich darauf, was der frühere Kirchentagspräsident und Verfassungsrichter Simon schon einmal vom Kirchentag sagte, dass es eigentlich kein Kirchentag, sondern ein Gesellschaftstag sei.
  4. Es gab viele ernsthafte Diskussionen, auch in kleinen Kreisen. Ich habe etwa an einer solchen Diskussion im Blick auf das „Christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt“ zugehört, die kompetent und offen nach Wegen suchten, wie der Glaube im Zeugnis und Dialog weiter gegeben werden kann.
  5. Man redet von Buntheit und Vielfalt und scheint nicht zu merken, dass daraus längst eine Einseitigkeit geworden ist. In vielen Foren darf man sich über alle möglichen Sexualitätsformen und Partnerschaftsformen ausbreiten. Auch eine Werkstatt gegen den Phantomgegner Homophobie hat seinen Platz. Aber den Mut, auch mit Homosexuellen zu diskutieren, die zölibatär leben wollen, gibt es nicht; eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe in fairen Diskussionen zwischen Vertretern der LSBTTIQ-Community und solchen, die das nicht für zukunftsträchtig halten: Fehlanzeige! Die Plattitüde des Kirchentagspräsidenten in seinem Abschlussstatement, dass man gelernt habe, sich nicht gegen die Liebe stellen zu können, verschiebt die notwendige Sachdiskussion auf die emotionale Ebene. Fehlanzeige auch für das Thema der baden-württembergischen Bildungs- und Akzeptanzpläne. Warum ist z.B. ein Lehrer, der eine Petition binnen kurzer Zeit zu fast 200.000 Unterschriften führt, kein gefragter Podiumsgast, z.B. im Gegenüber mit dem Kultusminister?
  6. Und auch wenn das nervt: Die schlimmste Menschenrechtskatastrophe, über 100.000 Kinder, deren Leben schon im Mutterleib gewaltsam beendet wird, ist dem Kirchentag nach wie vor kein Podium wert. Dabei berichten die Lebensschutzgruppen über gute Gespräche und nicht mehr so viel Feindschaft wie in früheren Jahren. Das macht Mut. Könnte es sein, dass die Diskussionen über das Ende des Lebens auch wieder offener machen für den Lebensschutz am Anfang? Es wäre sehr schön.
  7. Die wahrscheinlich größte Herausforderung für die Gesellschaft, die demografische Katastrophe, in der wir schon stehen, ist leider kein Hauptthema beim gesellschaftlich geprägten Kirchentag.
  8. Die größte Herausforderung für die Kirchen, nämlich wie wir Menschen zum lebendigen Glauben an Jesus einladen können, war da und dort durchaus ein Thema. Aber warum Hauptherausforderungen nicht auch in Hauptpodien aufmerksam bearbeitet werden, kann ich nicht nachvollziehen.
  9. Die stärkste ökumenische Herausforderung, das Leid der verfolgten Christen weltweit, hatte nicht annähernd den gleichen Stellenwert, wie Dialogprogramme mit anderen Religionen. Das bleibt mir unverständlich!
  10. „Damit wir klug werden“ – ich finde der Kirchentag hat noch ein großes Lernprogramm vor sich. Wenn ich das richtig beurteile, steht die evangelikale Gemeinschaft bereit, daran mitzuarbeiten. Aber dafür – das hat der Vorsitzende der ChristusBewegung, Ralf Albrecht, bei einem Empfang richtig festgestellt – liegt der Ball jetzt beim Kirchentag.

Hartmut Steeb, Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Montag 8. Juni 2015 um 14:14 und abgelegt unter Kirche, Pressemeldungen.