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Wie hältst du’s mit den Menschenrechten? Teil II

Dienstag 28. Juli 2009 von Prof. Dr. Thomas Schirrmacher


Prof. Dr. Thomas Schirrmacher

Wie hältst du’s mit den Menschenrechten – Teil II

Die Begründung der Menschenrechte in der deutschen Gesellschaft

Kurz zusammengefaßt stehen wir als Christen mit den Menschenrechten nicht auf Kriegsfuß, sondern empfinden sie als Teil einer politischen Ethik, wie sie sich ergeben muß, wenn wir die Bibel ernst nehmen. Der Buddhismus ist seit 1988 ganz gut im Rennen, sich mit dem Gedanken der Menschenrechte zu arrangieren. Die beiden anderen großen Weltreligionen müßten eigentlich ihre Religion grundlegend ändern, um mit dem Menschenrechtsgedanken in Einklang zu stehen. Das schließt nicht aus, daß sich viele ihrer Anhänger für Menschenrechte aussprechen oder einsetzen, aber sie müssen dabei ihre Religion in Teilen außer Acht lassen. Wir Christen haben zwar über Jahrhunderte, ja Jahrtausende alles Schreckliche einmal ausprobiert, wir haben uns vor allem auch gegenseitig die Köpfe eingeschlagen, aber als wir dann schließlich soweit waren, daß wir die Menschenrechte allgemein bejahten, mußten wir die Grundlagen unserer Religion nicht ändern.

Auch ein fundamentalistischer Christ kann voll für die Menschenrechte sein und ist es in der Regel auch. Viele sehr ‚enge’ christliche Gruppen der Geschichte, wie etwa die Mennoniten, waren sehr friedlich, ja pazifistisch, und Vorreiter der Menschenrechte. Ich muß Jesus nicht irgendetwas Neues in den Mund legen oder das Neuen Testament verbiegen und verdrehen, damit ich eine Trennung von Kirche und Staat hinbekomme, Jesus und Paulus selbst haben sie gelehrt. Sicher nicht mit diesen Begriffen, aber inhaltlich.

Was heißt das alles aber für unser Land? Da kommen wir an eine sehr komplizierte Thematik. Da geht es um unser Verhältnis als Christen zu säkularisierten Christen und Atheisten in unserem Land. Es hat sich ja irgendwie gezeigt, daß sich mit Atheisten, so sehr wir vielleicht persönlich Probleme mit ihnen haben, und mit den vielen säkularisierten Christen – und der Bundestag etwa besteht ja überwiegend aus diesen beiden Gruppen, eigentlich ganz gut klar kommen läßt. Das ist kein Automatismus. Mit den Kommunisten sind wir nie klar gekommen. In China etwa kommen Christen und der Staat bis heute nicht klar. Aber mit unseren deutschen Atheisten und säkularisierten Christen, sind überzeugte und praktizierende Christen von wenigen Ausnahmen abgesehen doch ganz gut klar gekommen. Woran liegt das?

Wir sahen, daß die Kairoer Erklärung der Menschenrechte dies darauf zurückführt, daß der Gedanke der Menschenrechte eine säkularisierte Form des jüdisch-christlichen Denkens ist. Das führt zu einer interessanten Frage. Wo liegt eigentlich die atheistische Begründung der Menschenrechte? Wie begründet ein Mensch die Menschenrechte, der keine der angesprochenen Religionen teilt. Wie begründet eigentlich die UNO die Menschenrechte, die für keine dieser Religionen spricht. Die Antwort lautet – und ich weiß was ich sage -: meist einfach gar nicht. Die Menschenrechte werden stillschweigend vorausgesetzt und gelten als unantastbar. Sie begründen sich letztlich daraus, daß man einfach weiß, daß man mit ihnen ganz gut fährt und es so viele Menschen gibt, die von ihnen überzeugt sind. Die normale Begründung eines Deutschen für die Menschenrechte ist doch, daß er dort, wo sie nicht gelten, nicht leben möchte. Wenn ich ihn frage, worin sie denn verankert sind, wo sie denn herkommen, warum sie denn so unantastbar sind, wenn ich also den normalen Deutschen frage, warum das Grundgesetz eine Ewigkeitsklausel für die Menschenrechtsparagraphen hat, was also die Merkwürdigkeit soll, daß da ein paar Sätze stehen und man sie nie wieder verändern darf, wo doch alles ständig im Fluss ist und geändert wird, dann kann er mir die Frage nicht beantworten, aber er ist sich ganz sicher, daß er es nicht anders haben will.

Wer möchte denn schon, daß der Bundestag jedes Jahr neu überlegt, welche Rechte wir Bürger dieses Jahr bekommen und welche nicht. Hinter dieser Haltung steht das Grundverständnis, daß Menschenrechte nur funktionieren, wenn sie dem Staat vorausgehen, wenn sie zuerst da sind und dann erst der Staat kommt. Der Staat schützt sie, aber er schafft sie nicht. Er muß sie mit seinem Rechtssystem und mit seinem Gewaltmonopol bewahren und durchsetzen, aber er kann sie nicht schaffen und erfinden. Die Würde des Menschen ist eben unantastbar, das heißt sie ist längst da, bevor der Staat auf den Plan tritt. Das ist der Unterschied zur sozialistischen oder kommunistischen Auffassung, wie sie etwa in der DDR galt, daß nämlich die Rechte der Menschen ihnen vom Staat erst zugewiesen werden. Da darf ich dann soviel besitzen wie der Staat mir eben zugesteht. Und meine Kinder bleiben mir zur Erziehung überlassen, solange der Staat das für sinnvoll hält.

Ich möchte die These wagen, daß die überzeugten Atheisten, die praktischen Atheisten, die Namenschristen und die säkularisierten Christen in unserem Land und das heißt die breite Masse der Bevölkerung unseres Landes, mit den Menschenrechten als eine Frucht der christlichen Kultur leben, weil sie damit ganz gut fahren und ansonsten einfach nicht darüber nachdenken, wo sie herkommen. In Amerika stand schon immer in der Verfassung, daß Gott alle Menschen gleich geschaffen hat. Wer die Geschichte kennt, der weiß, daß die Schwarzen und die Indianer über eine lange Zeit irgendwie dabei vergessen wurden und daß es noch eine Zeitlang gedauert hat, bis die Weißen begriffen, daß „alle Menschen“ alle Menschen meint und nicht nur alle weißen Menschen. Heute ist das fast ausnahmslos allen Amerikanern eine Selbstverständlichkeit.

Fragt man aber den Teil der Bevölkerung in Amerika, die gar nicht an den Gott oder jemanden, der „geschaffen“ hat, glauben, wo dann die Gleichheit der Menschen herkommt, sprechen sie entweder plötzlich von einer höheren Macht und können nicht antworten. Das ist die Situation in der wir leben.

Die Trennung von Kirche und Staat setzt eigentlich eine Religion voraus, die das will. Sonst funktioniert sie nicht oder nur mit großen Reibungen. Die Christen in Deutschland wollen diese Trennung. So kann der Staat also mit uns Christen auch gut eine Trennung von Kirchen und Staat leben. Man hat von den Früchten gelebt und man hat gut damit gelebt. Jetzt kommt aber plötzlich die Situation, wo sich weltweit Religionen in der Politik zurückmelden, von denen man dachte, sie seien schon halb aus dem Rennen. Indien war einmal für Christen ein ganz gutes Land, um dort zu leben, plötzlich aber gibt es eine Eruption von hinduistisch-nationalistischen Bewegungen, die dazu führen, daß immer mehr Christen bedrängt und ihres Lebens nicht mehr sicher sind. Sie betreffen uns noch nicht, aber sie betreffen die Zukunft dieser Welt. Diese hinduistischen Probleme klopfen noch nicht an unsere Tür, aber sie betreffen immerhin über eine Milliarde Menschen. Und deshalb sind wir aktiv, wie etwa im Arbeitskreis Religionsfreiheit der Deutschen Evangelischen Allianz, im Bundestag deutlich zu machen, daß da gigantische Probleme in der internationalen Politik auf uns zu kommen. Wenn Religionen in einem solchen Maße in prinzipiell demokratischen Staaten wie Indien wieder reklamieren, daß sie keine Trennung von Kirchen und Staat wollen, dann kann der Staat irgendwann diese Trennung nicht weiter durchhalten.

Wir haben das Problem hierzulande eher mit dem Islam. Weil dessen Probleme nicht nur auf islamische Ländern beschränkt sind, sondern weil es Probleme sind, die nun wirklich an unsere Tür klopfen, angefangen damit, daß im World Trade Center auch Deutsche getötet worden sind und die Terroristen teilweise bei uns in Deutschland ausgebildet wurden. Das bringt viele Menschen in unserem Land in eine ganz schwierige Situation, weil man eigentlich die Grundlagen der Menschenrechte oder die Trennung von Kirche und Staat und solche Dinge nur verteidigen kann, wenn man ihre Begründung kennt.

Man müßte jetzt eigentlich zurückfragen, wie es eigentlich kommt, daß die religiösen Menschen in Deutschland immer so friedlich waren, die Trennung von Kirche und Staat und die Geltung für alle Menschen, auch die Gegner ihres Glaubens, unterstützt haben. Es ist eine ganz schwierige Situation. Man hat ja gerade die wirklich religiösen Menschen unseres Landes immer schief angeguckt und immer so getan, als wären sie die Gefahr der Zukunft. Und nun plötzlich merkt man, daß die Sache ja nun genau andersherum ist: Man hat ihnen wesentlich zu verdanken, daß alles so lange friedlich war. Wenn sie nicht friedlich gewesen wären, wie sie es von ihrem Glauben her mit Überzeugung waren, dann hätten die Politiker noch so viel von Trennung von Kirche und Staat reden können, die Masse der Menschen hätten das einfach unterlaufen. Sie haben es aber nicht getan, und sie haben schon gar keine Bomben im Namen der Religionen geworfen.

Wir kommen im Guten wie im Schlechten in eine Situation, wo plötzlich die Bevölkerung und die Politik unseres Landes wieder neu gezwungen wird, über Sachen nachzudenken, über die sie jahrzehntelang nicht nachdenken wollten. Damit meine ich das, was einer der großen Grundgesetzkommentar so formuliert: „Der Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht schaffen kann“. Und dann wird ausgeführt, daß der Staat eben metaphysische Grundlagen hat und braucht, die ihn legitimieren. Das ist die Frage, die wir in der Zukunft vor uns stehen haben, wir als einzelne Christen, die säkularisierten Mitglieder unseres Volkes, unsere Gesellschaft, unser Staat. Was legitimiert eigentlich den Staat? Für uns hat das etwas mit Recht, mit Menschenrechten und unter anderem auch mit dem Menschenrecht der Religionsfreiheit zu tun, für andere nicht. Ich kenne viele Politiker, die sich schon längst im Klaren darüber sind, daß es eigentlich notwendig wäre, daß die Verantwortlichen unseres Landes über die christlichen Wurzeln vieler unserer Werte nachdenken. Allerdings müssen sie dann auch über ihr ganz persönliches Verhältnis zum christlichen Glauben und zu seinem Schöpfer- und Erlösergott nachdenken, und das erweist sich oft als viel schwieriger.

Das ist die Herausforderung vor der wir stehen, daß plötzlich die Nagelprobe kommt und unsere Gesellschaft sich damit auseinandersetzen muß, daß wenn wir etwa der Scharia Raum geben, wir dann auch ihre Konsequenzen lieben müssen. Wir können nicht sagen, wir geben ihr ein bißchen Raum, aber wir wollen nicht, daß eine Hand abgehackt wird. Die Scharia gibt es nicht ohne solche Strafen. Kanada hat das ausprobiert und hat gesagt, daß die Muslime für bestimmte Fragen ihre eigenen Gerichte einrichten und bestimmte Fragen für sich selbst klären können. Eineinhalb Jahre später hat man das still und heimlich alles wieder aus dem Verkehr gezogen, weil die Urteile so abenteuerlich waren, daß die Politiker plötzlich mit dem Rücken zur Wand standen. Wie könnt ihr so was in Kanada zulassen? Zudem stellte man fest, daß Muslime gezwungen wurden, sich diesen Gerichten zu fügen, die dies gar nicht wollten. Darüber muß man sich im Klaren sein, wir können bestimmte Dinge zulassen. Aber dann muß man auch die Konsequenzen akzeptieren und kann dann nicht sagen, wenn sie kommen: Das wollen wir nicht. Wenn sie ein Schariagericht zulassen, das über Familienfragen zu entscheiden hat, wird es Gerichtsurteile geben, in denen wenigstens die Ausstoßung wenn nicht die Tötung eines Familienmitgliedes zulässig ist. Das ist nun einmal Schariagerichtsbarkeit.

Der Staat, der das nicht möchte, muß hier von vornherein eine Grenze ziehen, nicht, weil er das Christentum bevorzugen möchte, sondern, weil die verschiedenen Rechtsauffassungen nun einmal weltanschauliche und religiöse Fundamente haben, die man nicht einfach ignorieren kann. Dann muß sich der Staat aber auch die Frage stellen, wie es kommt, daß die Gerichtsbarkeit und ihre Begründung, wie wir sie bis jetzt hatten, nicht solche verheerenden Folgen haben. Ich glaube, daß sich daran die Zukunft unserer Gesellschaft entscheiden wird, ob sie sich auf die Fundamente besinnt, die unter, hinter und über dem Staat stehen. Ich sehe bei aller Sorge über das, was sich so an Gewalt in der weltweiten Öffentlichkeit darstellt, eine einmalige Chance unseres Landes, daß es plötzlich in dieser Situation wieder vor die Alternative gestellt wird, welche Religion und welche Weltanschauung denn nun unser Ausgangspunkt ist.

Das eine, was ich aber weiß, ist, daß es keinem gelingen wird, den christlichen Glauben zum Ausgangspunkt des Denkens zu machen, wenn er nicht bereit ist, sich dem auch persönlich zu stellen, und da liegt unsere Herausforderung. Wie gelingt es uns auf der einen Seite auf der politischen Ebene Politikern die Konsequenzen klar zu machen und es uns gleichzeitig gelingt, mit einem ganz anderen Auftrag als Gemeinde Jesu die Menschen mit dem Evangelium zu erreichen. Weil wir glauben, daß Gott unser Schöpfer und Erlöser ist, deswegen ist es für uns auch selbstverständlich davon auszugehen, daß er alle anderen Menschen gleich geschaffen hat und wir sie zu respektieren haben.

Ich kann Ihnen die Frage nicht beantworten, worauf das die nächsten Jahre hinläuft, aber ich kann Ihnen sagen: Es wird für uns sehr spannend, weil es am Rumoren und Brodeln ist. Unsere Gesellschaft muß sich nach vielen Jahren, in denen das religiöse Thema kaum existierte oder tabu war, das erste Mal wieder die Gretchefrage stellen: Wie hältst du es mit der Religion? Und deswegen war die Formulierung „Die Gretchenfrage an die Religionen“ sehr treffend. Es wird aber eine Gretchenfrage an unseren Staat, an unsere Gesellschaft, an uns alle: Wie hältst du es mit der Religion? Und wie halten es die Religionen mit den Menschenrechten?

Vortrag in Speyer am 4.11.2006 beim Netzwerk bekennender Christen Pfalz

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Dienstag 28. Juli 2009 um 10:50 und abgelegt unter Christentum weltweit, Weltreligionen.