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Sprach-Feminismus in der Sackgasse

Montag 27. Juli 2009 von Arthur Bruehlmeier


Arthur Bruehlmeier

Sprach-Feminismus in der Sackgasse

Das PhÀnomen

Zahlreiche Redaktoren, Autoren von Sachtexten, Gesetzgeber und Werbetexter haben sich angewöhnt, menschliche FunktionstrĂ€ger stets doppelt zu erwĂ€hnen, und so liest und – soweit es auszusprechen ist – hört man denn allenthalben von Athleten und Athletinnen, EidgenossInnen, Arzt/Ärztinnen und BĂŒrger/innen. In diesen SprachgebrĂ€uchen widerspiegelt sich einerseits die konziliante Haltung der Schreiber gegenĂŒber dem Gleichstellungsanliegen der Frauen; andererseits aber wird dadurch so schwerwiegend in die Sprache eingegriffen, daß die LektĂŒre nicht bloß ermĂŒdend wirkt, sondern das laute Lesen teilweise sogar unmöglich wird und der Inhalt kaum mehr verstĂ€ndlich ist. Ein Beispiel aus einem Protokoll des Basler Gesundheitsdepartements möge dies belegen: „Bereits die mildeste und hĂ€ufigste Form der Trennung einer ‘Rolle des Verantwortungstragens’ (Arzt/Ärztin) von einer ‘Rolle des Sich-Anvertrauens und Sich-Unterordnens’ (Patient/in) reduziert die Eigenverantwortlichkeit, mit der der/die Patient/in Entscheidungen in Bezug auf seine/ihre Gesundheit trifft. Damit wird der/die ‘beratende Arzt/Ärztin’ zum/zur ‘entscheidenden Arzt/Ärztin’. In bestimmten Situationen haben Patient/in und Arzt/Ärztin natĂŒrlich keine andere Wahl (zum Beispiel bei einer Notfallbehandlung eines Bewußtlosen). Doch bereits die Entscheidung, ob ein vom Arzt/Ärztin empfohlener Wahleingriff durchgefĂŒhrt werden soll, will der/die mĂŒndige Patient/in in Eigenverantwortlichkeit selbst treffen. DemgegenĂŒber nimmt der/die unmĂŒndige Patient/in seine/ihre Eigenverantwortlichkeit nicht wahr, ohne daß er/sie durch zwingende GrĂŒnde daran gehindert wĂŒrde.“

Es ist kaum anzunehmen, dass jemand mit besonderer Freude solcherart geschriebene BĂŒcher lesen möchte. Angesichts dieses Resultates verwundert es denn auch nicht, wenn zunehmend auch Frauen die neuen SprachgebrĂ€uche als lĂ€stig, ja sogar als lĂ€cherlich empfinden und keinen echten Gewinn darin zu sehen vermögen, beim Lesen immer wieder die BanalitĂ€t bestĂ€tigt zu bekommen, dass dem Schreiber die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen bewußt war. Meist macht sich die VerĂ€rgerung in sarkastischen Leserbriefen oder Glossen Luft. Dies ist aber der Tragweite des Problems nicht angemessen, weshalb hier eine sachliche, auf sprachwissenschaftlichen Überlegungen fußende Analyse vorgelegt werden soll.

 Der Irrtum

Das oben zitierte Beispiel ist – neben vielen Ă€hnlich aussehenden Textpassagen – ein deutlicher Hinweis darauf, daß da irgend etwas nicht stimmen kann. TatsĂ€chlich beruht die Forderung nach einer konsequenten Doppelnennung menschlicher FunktionstrĂ€ger auf einem fundamentalen sprachwissenschaftlichen Irrtum. Die FehlĂŒberlegung besteht in der Gleichsetzung von biologischer Geschlechtlichkeit und grammatikalischem Genus. Diese Gleichsetzung ist aber unstatthaft, denn es gibt ja drei Genera (Maskulinum, Femininum, Neutrum) aber bloß zwei Geschlechter. Auch wird allem Ungeschlechtlichen (der Ofen, die Wolke, das Faß) ein Genus beigeordnet, was wiederum zeigt, daß biologisches Geschlecht und grammatikalisches Genus keinesfalls gleichgesetzt werden dĂŒrfen.

Das Genus wird aber nicht bloß geschlechtlich oder ungeschlechtlich, sondern – in unserem Zusammenhang grundlegend – auch ĂŒbergeschlechtlich (als Androgynum) verwendet: Der Mensch, der Gast, der FlĂŒchtling – die Person, die Persönlichkeit, die Waise – das Kind, das Individuum, das Geschwister – sie alle können mĂ€nnlich oder weiblich sein. So sind insbesondere sĂ€mtliche Funktionen, die praktisch von allen Verben abgeleitet werden können und auf -er enden, trotz des maskulinen Genus nicht biologisch mĂ€nnlich, sondern androgyn zu verstehen. Ein Mensch, der liest, ist ein Leser, einer, der singt, ein SĂ€nger und einer, der arbeitet, ein Arbeiter. Die Forderung nach konsequenter Doppelnennung menschlicher FunktionstrĂ€ger wird gegenstandslos, wenn man die zusĂ€tzliche ĂŒbergeschlechtliche (androgyne) Funktion aller drei Genera erkennt. Wenn somit heute einzelne Frauen argumentieren, sie möchten bei der ErwĂ€hnung menschlicher FunktionstrĂ€ger (SĂ€nger, Bewohner) nicht „bloß mitgemeint“ sein, so ist dem entgegenzuhalten, daß im erwĂ€hnten Androgynum auch die MĂ€nner „bloß mitgemeint“ sind.

FĂŒr die NichtĂŒbereinstimmung von Genus und Geschlecht ist „das Geschwister“ ein besonders anschaulicher Fall: grammatikalisch ein Neutrum, vom Wortstamm her weiblich und in der Bedeutung ĂŒbergeschlechtlich. Es wĂ€re unsinnig zu fordern, es z. B. in Gesetzestexten im Zuge der Gleichberechtigung zu ersetzen mit „Geschwister und GebrĂŒder“, denn – ob es ihnen paßt oder nicht – die GebrĂŒder sind in den Geschwistern mitenthalten. So ergibt etwa der Satz „Die Ehe zwischen Geschwistern und GebrĂŒdern (oder auch: zwischen Schwestern und BrĂŒdern) ist untersagt“ keinerlei Sinn.

Auf dem erwĂ€hnten sprachwissenschaftlichen Fehlschluß beruht ein weiterer Irrtum: nĂ€mlich die angebliche Benachteiligung der Frauen durch die Sprache. Vielmehr bevorzugt das Deutsche das weibliche Geschlecht: Das meiste real MĂ€nnliche unterscheidet sich ja nicht von der ĂŒbergeschlechtlichen Form. „Der FußgĂ€nger“ kann Mann oder Frau sein, und wenn auf sein mĂ€nnliches Geschlecht Gewicht gelegt wird, muß dies zusĂ€tzlich ausgedrĂŒckt werden. Aber das real Weibliche kennzeichnet die Sprache eindeutig: einerseits mit dem geschlechtsspezifisch gemeinten Wechsel des Artikels (der zu die) und andererseits mit der spezifischen Endung -in.

Die Konsequenzen

Die Folgen der neuen SprachgebrĂ€uche sind schwerwiegend: Durch die gewohnheitsmĂ€ĂŸige Doppelnennung menschlicher FunktionstrĂ€ger (Lehrerinnen und Lehrer, AHV-BezĂŒgerinnen und AHV-BezĂŒger) geht nĂ€mlich die ĂŒbergeschlechtliche Bedeutung des maskulinen Genus allmĂ€hlich verloren, und dann wird alles Maskuline als real mĂ€nnlich und alles Feminine als real weiblich empfunden. Damit fĂ€llt zuerst einmal alles grammatikalisch Neutrale unter den Tisch, und das Kind, das MĂ€dchen, das Weib und das Individuum, aber auch alle Diminutive (das KnĂ€blein, das tapfere Schneiderlein usf.) mĂŒssen sich als biologisch geschlechtslose Wesen empfinden. DarĂŒber hinaus – und dies wiegt schwerer – fĂŒhrt diese Umdeutung des Übergeschlechtlichen in biologisch Geschlechtliches zum Verlust des wichtigsten Oberbegriffs der deutschen Sprache, nĂ€mlich des allgemeinen, nicht unter geschlechtlichem Aspekt ins Auge gefaßten Menschen. Konnte man ehedem von Einwohnern, Wanderern, BĂŒrolisten, Musikliebhabern, Studenten, FußgĂ€ngern, Autofahrern, Christen, Experten, AnfĂ€ngern, AuslĂ€ndern usf. sprechen, ohne vorentschieden zu haben, ob es sich dabei um MĂ€nner oder Frauen handelt, weil dies im jeweiligen Zusammenhang vollkommen unbedeutend war, so tritt mit der heute ĂŒblich gewordenen Doppelnennung die Betonung des Verbindenden, des Übergeordneten, der Funktion zurĂŒck und macht der Betonung der Geschlechtlichkeit irgend eines FunktionstrĂ€gers Platz. Damit wird der Sexismus nicht etwa – wie gewiß in guten Treuen beabsichtigt – aus der Sprache entfernt, sondern erst konsequent in diese eingefĂŒhrt. Mit der Beseitigung jener sprachlichen Instrumente, die niemals sexistisch gemeint waren und stets der Darstellung des Allgemeinen, Übersexuellen dienten, nimmt man dem Menschen schlicht und einfach jene Oberbegriffe, die er benötigt, um sich korrekt ĂŒber einen Sachverhalt zu Ă€ußern, in dem es nicht um das Nebeneinander oder die Summe von MĂ€nnlichem und Weiblichem, sondern um das geschlechtlich nicht relevante allgemein Menschliche geht. Wer nun ĂŒber den Menschen in seinen Funktionen und Rollen – unabhĂ€ngig vom Geschlecht – zu schreiben hat, steht dadurch vor unnötigen und teils unĂŒberwindbaren Schwierigkeiten: Er muß sich zum Ärger sprachlich empfindsamer Leser dauernd unnötig wiederholen und kann gewisse logisch erkannte ZusammenhĂ€nge gar nicht mehr sprachlich angemessen ausdrĂŒcken. Das eingangs zitierte Beispiel belegt dies einwandfrei.

Die konkreten Auswirkungen

Die Eliminierung des allgemeinen, d.h. nicht unter geschlechtlichem Gesichtspunkt ins Auge gefaßten Menschen aus der deutschen Sprache fĂŒhrt zu schwerwiegenden Folgen in der Sprachpraxis, welche die Urheber der hier kritisierten Sprachreform gewiß weder voraussahen noch beabsichtigten: Ausgesprochen lĂ€stig sind die ermĂŒdenden Wiederholungen: In LehrplĂ€nen kann man heute Dutzende, ja Hunderte von Malen lesen „Die SchĂŒlerinnen und SchĂŒler sollen …“ Oder das neue Personalgesetz des Kantons Zug zĂ€hlt auf rund 180 Zeilen die staatlichen FunktionstrĂ€ger auf nach der Manier „Dipl. Ingenieurin oder Architektin/Dipl. Ingenieur oder Architekt“. Einzig der Polizeifeldweibel bleibt ohne femininen Gegenpart. Eine gewisse Hilfe scheint dann das alle Probleme verkleisternde Wort ‚beziehungsweise‘ zu sein, das aber – auch als AbkĂŒrzung – schwer lesbare Texte erzeugt: So lesen wir beispielsweise in einer Verordnung ĂŒber das neue Fleischhygienerecht (gemĂ€ĂŸ einem Skript von Herrn lic.iur. Urs-Peter MĂŒller vom Bundesamt fĂŒr VeterinĂ€rwesen) folgende Bestimmungen:

„1 Der Kantonstierarzt beziehungsweise die KantonstierĂ€rztin oder der beziehungsweise die an seiner beziehungsweise ihrer Stelle eingesetzte Tierarzt beziehungsweise TierĂ€rztin leitet in fachlicher Hinsicht die TĂ€tigkeit der Fleischinspektoren beziehungsweise Fleischinspektorinnen und Fleischkontrolleure beziehungsweise Fleischkontrolleurinnen.

2 Der Kantonstierarzt beziehungsweise die KantonstierĂ€rztin und der leitende Tierarzt beziehungsweise die leitende TierĂ€rztin können auch die Funktion eines Fleischinspektors beziehungsweise einer Fleischinspektorin ausĂŒben, der Kantonstierarzt beziehungsweise die KantonstierĂ€rztin, der leitende Tierarzt beziehungsweise die leitende TierĂ€rztin und der Fleischinspektor beziehungsweise die Fleischinspektorin die eines Fleischkontrolleurs beziehungsweise die einer Fleischkontrolleurin.“

Um solchen Ungeheuerlichkeiten aus dem Wege zu gehen, greifen einzelne Schreiber zur Klammer. So ist in einer Dissertation wörtlich zu lesen: „So wird ein(e) Lernende(r) zu einer(m) LernbegleiterIn und umgekehrt.“ Man lese diesen Satz, der eher einer mathematischen Formel als einem sprachlichen Gebilde gleicht, doch einmal laut! Er mißachtet eine elementare sprachliche Forderung: daß Geschriebenes auch gesprochen werden kann.

Sobald Adjektive und abhĂ€ngige Pronomina verwendet werden, wird die Sprache außerordentlich umstĂ€ndlich: „Der interessierte Leser bzw. die interessierte Leserin kĂŒmmert sich immer auch um die Person des unbekannten Autors bzw. der unbekannten Autorin.“ – Wie kĂŒnftig ein Deutschlehrer bzw. eine Deutschlehrerin mit den aufgeworfenen Problemen umgeht und ob dann auch sein/ihr Inspektor bzw. seine/ihre Inspektorin damit einverstanden ist, daß er seinen bzw. sie ihren SchĂŒlern und SchĂŒlerinnen so etwas beibringt, kann heute wohl noch keiner, der bzw. keine, welche die Abschaffung des nichtgeschlechtlich ins Auge gefaßten Menschen betreibt, voraussagen.

Eine weitere Komplikation ergibt sich aus der Möglichkeit, Substantive zusammenzusetzen: GelĂ€ufig sind bereits Lehrerinnen- und Lehrerzeitung, Lehrerinnen- und Lehrerfortbildung, und im neuen Aargauer Schulleitbild ist die Rede vom Lehrerinnen- und Lehrerurteil, von den SchĂŒlerinnen- und SchĂŒlerwahrnehmungen, von den SchĂŒlerinnen- und SchĂŒlerbedĂŒrfnissen und von der SchĂŒlerinnen- und SchĂŒlerbeurteilung. Logischerweise werden wir kĂŒnftig wohl bei der FahrprĂŒfung den FĂŒhrerinnen- und FĂŒhrerausweis erwerben und mĂŒssen dann aufpassen, niemanden auf einem FußgĂ€ngerinnen- und FußgĂ€ngerstreifen anzufahren.

Kaum mehr lösbare Probleme ergeben sich bei Koppelung zweier Funktionen: Arbeitervertreter, Lehrerberater, Patientenbetreuer. Der Satz „Ein kĂŒnftiger Lehrerberater sollte zuvor auch ein bewĂ€hrter SchĂŒlerbetreuer gewesen sein“ lautet neu: „Ein kĂŒnftiger Lehrer- bzw. Lehrerinnenbetreuer bzw. eine kĂŒnftige Lehrer- bzw. Lehrerinnenbetreuerin sollte zuvor auch ein bewĂ€hrter SchĂŒler- bzw. SchĂŒlerinnenberater bzw. auch eine bewĂ€hrte SchĂŒler- bzw. SchĂŒlerinnenberaterin gewesen sein.“

Zu diesen kĂŒnstlich erzeugten UmstĂ€ndlichkeiten gesellt sich die Unmöglichkeit, gewisse ZusammenhĂ€nge logisch korrekt auszudrĂŒcken. Der Verlust der beide Geschlechter umfassenden Oberbegriffe verhindert grundsĂ€tzlich Aussagen, in denen Frauen und MĂ€nner als Einheit zusammengefaßt oder miteinander verglichen werden. Der Satz „MĂŒllers sind Schweizer“ lautet nun: „MĂŒllers sind Schweizer und Schweizerin.“ Haben sie aber noch eine Tochter, heißt es dann „MĂŒllers sind Schweizer und Schweizerinnen.“ Völlig am Anschlag ist ein Friedensrichter, der ein streitendes Paar ermahnen sollte: „Als Eheleute seid ihr nicht Gegner, sondern Partner, ja Freunde!“ Auch SĂ€tze wie „Auf fĂŒnf Schweizer trifft es einen AuslĂ€nder“ oder „Die Eltern sind die ersten Erzieher der Kinder“ sind unter dem Anspruch der neuen Sprachnorm unstatthaft, obwohl sie eigentlich wahr sind. Und der Satz „Frauen sind die vernĂŒnftigeren Autofahrer“ hat keinen Sinn, wenn man – wie in einer BroschĂŒre mit dem vielsagenden Titel ‘Übung macht die Meisterin’ verlangt – „Autofahrerin“ schreibt; er ist aber auch sinnlos, wenn „Autofahrer“ bloß noch biologisch mĂ€nnlich gedeutet wird. Ebenso steht es mit der oft aufgestellten Behauptung: „Frau Dreifuß ist die hundertste BundesrĂ€tin.“ Schön wĂ€r’s, mag da manche denken.

Hinzu kommt die Ächtung von ĂŒbergeschlechtlichen, grammatikalisch maskulinen Vokabeln wie etwa man, jeder, jedermann, niemand, jemand, wer. Ein Satz wie „Verletze niemanden in seinen GefĂŒhlen“ lautet sprachfeministisch „Verletze keinenmann und keinefrau in seinen bzw. ihren GefĂŒhlen.“ Steht irgendwo „Jedermann ist eingeladen“ folgt prompt die Frage: „Und die Frauen?“ Satzgebilde wie „Wer zuviel Energie verbraucht, der oder die sollte zur Kasse gebeten werden“ kann man praktisch tĂ€glich am Fernsehen oder Radio hören. Einfachste Wahrheiten wie „Liebe deinen NĂ€chsten“ werden zu sprachlichen Seifenblasen: „Liebe deinen NĂ€chsten, deine NĂ€chste und dein NĂ€chstes“ (denn auch Kinder haben Anspruch auf NĂ€chstenliebe).

Bedenklich ist aber auch die geistige Abkoppelung von allem, was vor 1990 geschrieben wurde. Handle es sich um wissenschaftliche Literatur oder Belletristik – auf Schritt und Tritt wird der Leser durch die Tatsache geĂ€rgert, daß von Einwohnern, GĂ€rtnern, SchĂŒlern, Philosophen, Christen usf. die Rede ist, und wird denn alle Autoren entweder fĂŒr naiv oder maskulistisch verdorben betrachten. Es sei dies am Beispiel eines Goethe-Zitates verdeutlicht. WĂŒrde sich Goethe dem Sprachsexismus unterzogen haben, lautete der zweite Absatz des 7. Buches von ‘Dichtung und Wahrheit’ wie folgt: „In ruhigen Zeiten will jeder/jede nach seiner/ihrer Weise leben, der BĂŒrger/die BĂŒrgerin sein/ihr Gewerb, sein/ihr GeschĂ€ft treiben und sich nachher vergnĂŒgen; so mag auch der Schriftsteller/die Schriftstellerin gern etwas verfassen, seine/ihre Arbeiten bekannt machen und, wo nicht Lohn, doch Lob dafĂŒr hoffen, weil er/sie glaubt, etwas Gutes und NĂŒtzliches getan zu haben. In dieser Ruhe wird der BĂŒrger/die BĂŒrgerin durch den Satiriker/die Satirikerin, der Autor/die Autorin durch den Kritiker/die Kritikerin und so die friedliche Gesellschaft in eine unangenehme Bewegung gesetzt.“

Die hier kritisierte Sprachreform hat aber nicht bloß direkt sichtbare Konsequenzen wie etwa die erwĂ€hnten stereotypen Wiederholungen oder die nicht aussprechbaren Kunstformen wie AHV-BezĂŒger/innen oder A(Ä)rzt(e)Innen. Die eingangs erwĂ€hnte und bedauerte Abschaffung des allgemeinen, nicht unter geschlechtlichem Aspekt ins Auge gefaßten Menschen zeigt sich – z. B. in pĂ€dagogischen Fachzeitschriften – auch noch in einer immer abstrakter werdenden Sprache, und zwar ganz einfach darum, weil natĂŒrlich auch die heutigen angepaßten Schreiber merken, daß die dauernden Wiederholungen mĂŒhsam zu lesen sind, und sie sich dann damit behelfen, menschliche FunktionstrĂ€ger (Lehrer, SchĂŒler usf.) einfach nicht mehr zu erwĂ€hnen. So lĂ€ĂŸt sich etwa der einfache Satz „Die Lehrer sollten wieder vermehrt mit den SchĂŒlern ĂŒben“ umformen zur Aussage „Aufgabe der Schule ist es, durch gezielte Wiederholungen die Kulturtechniken wieder vermehrt zu festigen.“ Ganz allgemein sind Lehrer heute LehrkrĂ€fte oder Teil der Lehrerschaft, was ĂŒbrigens auch nicht ganz sauber ist, denn konsequenterweise mĂŒĂŸte es Lehrer- und Lehrerinnenschaft lauten. Oder statt von Studenten und SĂ€ngern ist von Studierenden und Singenden die Rede, ohne alles VerstĂ€ndnis dafĂŒr, daß dies nicht dasselbe ist. Auf diese Weise bringen es heutzutage einschlĂ€gige Zeitschriften fertig, kaum mehr von den Menschen, die eigentlich im Zentrum stehen sollten, zu sprechen: von SchĂŒlern, Lehrern, Erziehern, Inspektoren, Psychologen, Therapeuten, Beamten, Schulpflegern usf. Es ist sehr zu bezweifeln, ob dies die Absicht jener Frauen und MĂ€nner war, die als erste die deutsche Sprache hinsichtlich der Dominanz des Maskulinen einer Fundamentalkritik unterzogen.

Wie zu vernehmen ist, gibt es heute – vorwiegend in MaturitĂ€tsschulen – bereits Deutschlehrer, welche von ihren SchĂŒlern die Doppelnennungen von FunktionstrĂ€gern verlangen. In welch fataler Weise die Ausdruckmöglichkeiten damit beschnitten werden, ist oben aufgezeigt worden. Zu erwĂ€hnen bleibt noch, daß damit ganz allgemein ein Berg neuer Probleme auf die Schule zukommt: Als Zugabe zu allem, was die Lehrer bereits zu bewĂ€ltigen haben, sollen sie nun auch noch das einĂŒben, was aus politischen Motiven in die Sprache eingefĂŒhrt wurde und heute viele Schreiber bereitwillig befolgen. Daß damit gleichzeitig das Anliegen einer sprach-Ă€sthetischen Erziehung untergraben wird, sei hier bloß am Rande erwĂ€hnt.

 Bilanz

Angesichts dieses hohen Preises muß es erlaubt sein, Bilanz zu ziehen und Gewinn und Verlust gegeneinander aufzurechnen. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Auf der Gewinnseite liegt lediglich die Genugtuung jener MĂ€nner und Frauen, denen die Doppelnennung menschlicher FunktionstrĂ€ger ein Anliegen ist und die es offensichtlich verstanden haben, sich durchzusetzen. Die damit verbundene Komplizierung der Sprache und der Verlust an SprachĂ€sthetik und logischen Ausdrucksmöglichkeiten schafft nicht eine einzige zusĂ€tzliche Information, dafĂŒr aber einen nicht geringen Ärger bei vielen Schreibern und Lesern. Es ist indessen anzunehmen, dass es eher wenige sind, die diese VerĂ€rgerung bewusst wollen und somit das Argument unterstĂŒtzen wĂŒrden, das einem Redaktor einer bekannten Berner Zeitung zu Ohren kam: Man wolle die MĂ€nner mit der Sprache so lange Ă€rgern, bis sie endlich den Frauen die Gleichberechtigung zugestĂŒnden. Diese Absicht verfehlt ihr Ziel schon deshalb, weil sich mit Sicherheit auch sehr viele Frauen ĂŒber die aufgezeigten Erschwernisse Ă€rgern.

Was ist also zu tun?

Es ist gewiß richtig und angezeigt, z. B. auf Einladungen oder in Anreden beide Geschlechter anzusprechen, da man dann ja offensichtlich konkrete Menschen als MĂ€nner und Frauen vor sich sieht. In diesen FĂ€llen sollte man sich denn auch die MĂŒhe nehmen, beide Formen ganz auszuschreiben. Formen wie A(Ä)rztIn, Schulpfleger/in oder Coiffeur/euse sind ja reine Schreibsprache, die nicht gesprochen und hinsichtlich weiterer sprachlicher Strukturen (z. B. Pronomina) gar nicht durchgehalten werden kann.

DarĂŒber hinaus aber sollte man den Mut aufbringen, in der Sackgasse, in die man sich verrannt hat, wieder umzukehren. Die Sprache ist ein geistiger Organismus, in den man nicht derart gewaltsam eingreifen darf, daß wichtigste Ausdrucksmöglichkeiten verloren gehen und UmstĂ€ndlichkeit die Klarheit verdrĂ€ngt. Es ist daher zu wĂŒnschen, daß alle feinfĂŒhligen Menschen ihren Sinn fĂŒr sprachliche Ästhetik und auch fĂŒr das natĂŒrlich Gewachsene beim Schreiben bewahren, auch wenn die derzeit gĂ€ngige Ideologie anderes verlangt. Sprache darf nicht zur unaussprechbaren Schreibe verkommen. Wer immer durch sein politisches Amt oder seine berufliche TĂ€tigkeit Einfluß auf die Entwicklung der deutschen Sprache haben oder nehmen kann, möge den Mut zur Umkehr aufbringen.

Überarbeitete Fassung 2005

 Adresse des Verfassers:
Dr. Arthur BrĂŒhlmeier
CH – 5452 Oberrohrdorf (Kanton Aargau, Schweiz)
arthur@bruehlmeier.info
www.bruehlmeier.info

 

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Montag 27. Juli 2009 um 14:11 und abgelegt unter Gesellschaft / Politik.