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Antidiskriminierung: Wo liegen die Grenzen für Christen?

Freitag 17. Juli 2009 von Dr. Dieter Müller


Dr. Dieter Müller

Antidiskriminierung: Wo liegen die Grenzen für Christen?

Das lateinische Wort diskriminieren heißt unterscheiden, trennen. So definiert noch Meyers 20-bändiges Konversationslexikon von 1905-1908 den Begriff. Erst aufgrund der Erfahrungen mit der Rassenideologie der Nationalsozialisten wurde das Wort zur Keule im Streit um die humane Gesellschaft. Wo diese Keule ins Spiel kommt, wird es schwer, sachlich rational zu unterscheiden zwischen dem, was dem Leben der Menschen dient und dem, was es gefährdet. „Diskriminierung ist zu einem beladenen Begriff geworden. Er ist mittlerweile Synonym für die unterschiedliche Bewertung von Menschen aufgrund ihrer rassischen Merkmale und hat damit eine sehr viel weitreichendere Bedeutung erlangt. Allem Anschein nach dürfen wir eigentlich über nichts mehr ein Werturteil aussprechen, weil dem jetzt der Ruch anhaftet, letztlich auch nur eine Form von Rassismus zu sein. Wir haben gelernt, daß nicht nur menschliche Individuen hübsch egalitär Seit an Seit zu stehen haben, sondern auch Kulturen und kulturelle Ausdrucksformen gleichrangig sind. Aber ist nicht Diskriminierung in ihrer ursprünglichen, nicht rassistischen Bedeutung der Anfang aller Kultur? Unterscheiden. Hierarchien aufstellen. Wertesysteme entwerfen. Wenn alles gleichrangig geworden ist, wenn alles auf gleicher Höhe oder Tiefe nebeneinander existiert, ist alles gleich schön oder gleich häßlich, und alles wird zu einer Frage individuellen Geschmacks. Und wenn alle Kulturen gleichrangig sind, ‚ist Kannibalismus eine Frage des Geschmacks’, so der amerikanische Philosoph Leo Strauss.“

In diesem Kontext, den der niederländische Schriftsteller Leon de Winter beschreibt, ist das Antidiskriminierungsgesetz der rot-grünen Koalition zu prüfen, das am 21. Januar in erster Lesung im Deutschen Bundestag beraten wurde. Zugleich stellt sich die Frage, was es für Christen bedeutet.

3 Fallbeispiele

Eine Wohngruppe geistig Behinderter macht einen Ausflug und möchte in einem Restaurant zu Abend essen. Am Eingang werden die Menschen abgewiesen, obwohl im Restaurant genügend Plätze frei sind. Es ist deutlich: Der Inhaber will seinen übrigen Gästen den Anblick nicht zumuten.

Ein Transvestit, der wähnt, in seinem männlichen Leib wohne eine weibliche Seele, bewirbt sich um eine freie Stelle in einem großen Kaufhaus. Seit kurzem zieht er Kleider, Röcke und Blusen an, geht auf hochhackigen Schuhen und schminkt sich gekonnt. Deshalb hat sein voriger Arbeitgeber ihn entlassen, obwohl er ihm für seine Arbeit als Verkäufer ein gutes Zeugnis ausstellen mußte. Seine Bewerbung wird abgewiesen.

In Schweden wurde ein evangelischer Pastor zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil er – der Bibel verpflichtet – auf der Kanzel genital gelebte Homosexualität Sünde, Perversion und „schreckliches Krebsgeschwür im Körper der Gesellschaft“ genannt hat, dies jedoch nicht ohne den Ton auf Gottes heilende Gnade zu legen und zu Respekt gegenüber Homosexuellen zu mahnen. Obwohl er also offenbar Person und Sache unterschied, hat er – so sah es das zuständige Gericht – Menschen mit homosexueller Orientierung diskriminiert.

Die Professorin für Strafrecht an der Universität Stockholm, Madeleine Lejonhufvud, ist der Ansicht, daß man sich nicht schuldig mache, solange man entsprechende Bibeltexte als historische Dokumente zitiere. Die Grenze zum Vergehen beginne dort, wo die biblische Sichtweise für heute als gültig erklärt werde. In dieser Weise äußerte sich auch Justizkanzler Gören Lambertz. Ein Problem entstehe nur, wenn ein Prediger behaupte, die Gebote der Bibel wären für das heutige Leben verbindlich.

Das Gesetz der Rot-Grünen

Im Gesetzentwurf heißt es: „Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“ Wichtige Wirkräume des Gesetzes sind das Arbeits- und das Mietrecht. Die Beweislast wird umgedreht: Wer das plausible Gefühl hat, er sei aufgrund der Gesetzesmerkmale benachteiligt, kann klagen, und der Arbeitgeber oder Vermieter hat zu beweisen, daß er nicht diskriminierte. Läßt sich der Beweis nicht antreten, wird ein abschreckender Schadenersatz fällig. Die Überwachung der Wirksamkeit übernehmen eine Antidiskriminierungsstelle des Bundes und ein vielfältiges Netzwerk von Antidiskriminierungsverbänden, denen in Vertretung der mutmaßlich oder vermeintlich Diskriminierten das Klagerecht verliehen wird. Ihnen wächst ein erhebliches Drohpotential zu, und das ist offenbar beabsichtigt. Ein erster Überblick zeigt: Das Gesetz, das in viele Bereiche der privaten Vertragsgestaltung hineinreicht, wirkt an wichtigen Stellen schwammig. Sind Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht in gewisser Weise definierbare Eigenschaften, so ist dies bei der sogenannten „sexuellen Identität“ keineswegs der Fall. Der Begriff steht für ein buntes Durcheinander, das von Schwulen und Lesben bis zu Transvestiten reicht und Abnormitäten verschiedensten Grades umfaßt: Zum Beispiel den Mann, der sich Scheide und Busen bauen läßt, weil er sich als Frau empfindet; den Sadomasochisten, den Pädophilen und manches dazwischen. Der Begriff der „sexuellen Identität“ läßt völlig außer Acht, daß es unter den sexuellen Orientierungen der verschiedenen Minderheiten Mischformen und eine erhebliche Durchlässigkeit gibt.

Tendenz totalitär, aber politisch korrekt?

Der Begriff „Diskriminierung“ ist zu einer scharfen Waffe des Minderheitenschutzes geworden: Niemand darf benachteiligt oder in seiner Menschenwürde herabgesetzt werden. Dieser Grundsatz wird jetzt bis in den Bereich der Mietverträge gerichtsverwertbar durchbuchstabiert. Ein unter Juristen kursierender Witz zeigt, was hier auf dem Spiel steht: „Ein Farbiger, ein Türke, ein Homosexueller, ein Behinderter und eine Familie mit drei Kindern bewerben sich um eine Wohnung. Wen darf der Vermieter ablehnen, ohne gegen das Antidiskriminierungsgesetz zu verstoßen? Antwort: Nur die Familie mit den Kindern.“ Das Gesetz bietet die Möglichkeit, den Wunsch vieler Bürger nach vertrauten, homogenen Wohnverhältnissen in Mietshäusern zu vergewaltigen. Die von der Justizministerin ausgenommene Einlieger-Wohnung im selbst genutzten Haus ist keine davor schützende Grenze. Der Arbeitgeber wird in Zukunft zu beweisen haben, daß er den Roma, den Mitbewerber arabischer Herkunft oder den Transvestiten nicht benachteiligt hat, wenn er den freien Arbeitsplatz einem deutschen „Normalbürger“ gibt. Wohlhabende Eltern, die für ihr Kind nichtsahnend einen pädophilen Klavierlehrer mit Vertrag einstellen, werden den Vertrag nicht kündigen können, solange der Pädophile sich nichts zu Schulden kommen läßt. Auch die pädophile Orientierung steht – folgt man dem Wortlaut des Gesetzes – unter dem Schutz der „sexuellen Identität“.

Es ist eine raffinierte Konstruktion, daß dieses Gesetz nicht strafrechtlich bewaffnet, sondern zivilrechtlich scharf gemacht daher kommt. Es mag sein, daß man diesem Entwurf im parlamentarischen Prozeß den einen oder anderen Beißzahn noch zieht, die Gefahren lauern im Geist, aus dem dieses Gesetz entstand, und in der quasireligiösen Inbrunst, mit der manche Interessenvertreter versuchen werden, seine Durchsetzung zu erzwingen. Dieses Gesetz könnte gefährlicher für eine freie Gesellschaft werden als jede Gen-Datenbank in Polizistenhand, weil hier Werte-Vorstellungen bis in den privaten Lebensbereich des Individuums hinein gerichtsverantwortlich und sanktionsbewehrt normiert werden – dies taktisch klug nicht auf dem Weg des Strafrechts, sondern des kostenträchtigen Zivilrechts. Das, was hier beabsichtigt ist, erinnert in gewisser Weise an den Schwulenparagraphen 175 unseligen Angedenkens, diesmal nur anders herum. Die legitimen Bedürfnisse der Mehrheit, nämlich eigenverantwortlich zu bestimmen, wie viel Fremdes und Anderes sie an sich herankommen lassen wollen, werden der Dynamik einer ideologisch dynamisierten Minderheitenförderung geopfert. Die Rechte, die Antidiskriminierungsverbände gewinnen, lassen in Zukunft Inquisitionstribunale und Hexenjagden im Namen einer diffusen Toleranzideologie befürchten, die im Namen menschlicher Freiheit antritt und in unmenschlicher Stasi-Mentalität verendet.

Antidiskriminierung im Wertekonflikt

Die Menschenwürde, die nach dem Grundgesetz zu Recht unantastbar ist, hat ihren geheiligten Ursprung im Glauben, daß der Mensch Gottes Bild trägt. Er ist Gottes Ikone. Gott selbst wurde Mensch im Stall von Bethlehem. Die von Gott verliehene Würde können Menschen selbst Massenmördern wie Mao, Pol Pot oder Hitler nicht entziehen. Gerade deshalb müssen wir zwischen der Würde eines Menschen und den von ihm gelebten Werten unterscheiden. Und das führt unausweichlich in Wertekonflikte, denn Werte sind in säkularen Gesellschaften nicht sakrosankt, sondern umstritten. Sowohl Diskriminierung wie auch Antidiskriminierung sind in Werten verwurzelt. Der Rassenwahn der Nationalsozialisten war Ausdruck eines Wertesystems, dessen Perversität entsetzliche Folgen zeitigte. Wache Christen widersprachen dem Rassenwahn Hitlers, weil sie durch ihr biblisch normiertes Wertesystem in jedem Menschen Gottes Ikone sehen.

Es ist unausweichlich und dient dem Leben zu diskriminieren, nämlich zu unterscheiden. Auch in unserer Gesellschaft wird diskriminiert. Man unterscheidet Rechtsradikale von Linksextremisten, Fundamentalisten von liberalen Bürgern, Wähler von Nichtwählern. Wo man unterscheidet, wird in der Regel nicht nur wertneutral differenziert, sondern aufgrund von Werten mehr oder weniger diskriminiert, nämlich gewertet. Die Diskriminierung junger Neo-Nazis aus der Skinhead-Szene, die in den Medien verbal auf das Merkmal „Glatzen“ fixiert und verächtlich gemacht werden, gilt als ein der gesellschaftlichen Sauberkeit verpflichteter Reinigungsakt. Diskriminieren ist offenbar deshalb unvermeidlich, weil Unterscheiden in den Dimensionen ethisch-sozialen Lebens immer Wertmaßstäbe voraussetzt. Die Kultur des Kannibalen, der aus religiösen Gründen seinen Feind verspeiste, war von einem christlichen Menschenbild her nie zu achten, sein Wertesystem nie zu respektieren. Aber zugleich gilt: Auch die Würde des Kannibalen, dessen Kultur ich abwertend diskriminiere, ist unantastbar. Wir müssen also differenzierend würdigen und werten. Auch das im Namen der Menschlichkeit entworfene Antidiskriminierungsgesetz ruft einen Wertekonflikt hervor, dem die Tendenz eignet, die Gesellschaft zu spalten.

Das, was bei diskriminierenden Wertungen geschieht, ist komplex. Und nicht selten verschränken sich konfliktbehaftet Wertesysteme. Im Wertekonflikt gilt es zu unterscheiden zwischen Diffamierung und Diskriminierung. Wo Politiker oder Journalisten den Fundamentalismusbegriff beispielsweise undifferenziert sowohl auf terroristische Islamisten wie auf konservative Christen anwenden, da diffamieren sie die Christen, denn kein Christ sprengt sich selbst im Namen Jesu Christi in die Luft, und das mit dem perversen Ziel, auf dem Weg in den Himmel möglichst viele Menschen zu vernichten.

Unausweichlich: Christlicher Glaube diskriminiert

Jesus hat den christlichen Glauben als Kontrastprogramm zur gottlosen Wirklichkeit entworfen und die Gemeinde der Glaubenden als Kontrastgesellschaft mit nicht selten kontrastierenden Werten gestaltet. Er hat Gott und Satan, Herrschaft Gottes und Reich der Dämonen unterschieden und Menschen aus der Macht der Finsternis ans Licht gerufen. Er hat Umkehr von falschen Werten und Wegen gefordert, zum Beispiel als er die Ehescheidung widernatürlich nannte. Die aus seinem Kontrastprogramm resultierenden Konflikte haben Jesus ans Kreuz und seine Jünger in Konflikte gebracht, die das Leben kosten können.

Sollte das Antidiskriminierungsgesetz in der Entwurfsfassung geltendes Recht werden, wird es auch Christen treffen, deren Werte und Lebensstil die Bibel prägt. Daß ein Hotelbesitzer zwei homosexuellen Lebenspartnern ein Zimmer für einen Urlaubsaufenthalt verweigert, kann durchaus ein Akt des christlichen Bekennens sein, nämlich geprägt durch die biblische Überzeugung, daß gelebte Homosexualität Sünde ist. Das biblisch gebundene Gewissen des Hoteliers könnte ihn zwingen, ein christliches Zeichen zu setzen gegen das, was man die Homosexualisierung der Gesellschaft genannt hat. Oder es ist keineswegs abwegig, daß ein Christ sich aus Glauben entscheidet, sein Grundstück nicht einer Gruppe von Muslimen zu verkaufen, die darauf eine missionarische Fatih-Moschee errichten wollen, um von deren Minarett die Größe Allahs zu rühmen. Christen, die der Bibel verpflichtet glauben, werden dies Gesetz in dem Maß erleiden, in dem es sich in der Gesellschaft durchsetzt. Christlicher Glaube und humanistische Zivilreligiosität geraten unter dem Anspruch des ersten Gebots erneut in Konflikte, denen sie nicht ausweichen können.

Die Verurteilung des schwedischen Pastors und der Fall Buttiglione sind erste Vorzeichen dafür, daß diejenigen, die zur Zeit die veröffentlichte Meinung beherrschen, die Lebens- und Prägekraft des authentischen christlichen Glaubens minimalisieren und die Gesellschaft unter die Knute ihrer politisch korrekten Zivilreligiosität zwingen wollen. Der kolumbianische Philosoph Nicolas Gomez Davila hat scharfsinnig gezeigt, daß der säkularen Demokratie die Tendenz innewohnt, sich in eine Religion zu verwandeln, deren Gott der Mensch ist, und dieser „Kleinbürger“ duldet keine anderen Götter neben sich. Hier ist Einmischen im Namen Gottes Christenpflicht. Und es wird sich zeigen, ob auch Christen im Konflikt in den öffentlich-rechtlich geordneten Kirchen Asylräume finden.

Aus: Kirchliche Sammlung
Herausgeber: Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis in der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche e.V. 27. Jahrgang / Nr. 1/2005/ Februar 2005

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 17. Juli 2009 um 19:04 und abgelegt unter Gesellschaft / Politik.