Gemeindenetzwerk

Ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes

Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag Artikel empfehlen Artikel empfehlen

Brief an Kurfürst Friedrich den Weisen vom 5. März 1522

Donnerstag 11. September 2014 von Martin Luther (1483-1546)


Martin Luther (1483-1546)

Dem Durchlauchtigsten, Hochgebornen Fürsten und Herrn, Herrn Friedrich, Herzogen zu Sachsen, des heiligen römischen Reichs Kurfürsten, Landgrafen in Thüringen, Markgrafen zu Meissen, meinem gnädigsten Herrn und Patron.

Gunst und Friede von Gott unserm Vater, und unserm Herrn Jesu Christo, und mein untertänigster Dienst.

Durchlauchtigster, Hochgeborner Kurfürst, Gnädigster Herr! E. K. F. G. 1) Schrift und gnädiges Bedenken ist mir zukommen auf Freitag zu Abend, als ich auf morgen, Sonnabend, wollt ausreiten. Und daß es E. K. F. G. aufs Allerbeste meine, bedarf freilich bei mir weder Bekenntnis noch Zeugnis; denn ich mich deß, so viel menschlich Erkundung gibt, gewiß achte. Wiederum aber, daß ichs auch gut meine, dünkt mich, ich wisse es aus höherer denn aus menschlicher Erkundigung; damit aber ist nichts getan.Ich hab mich aber lassen ansehen E. K. F. G. Schrift, als hätte meine Schrift E. K. F. G. ein wenig bewegt, damit daß ich schriebe, E. K. F. G. sollt weise sein 2). Doch wider solchen Wahn hat mich meine große Zuversicht beschieden, daß E. K. F. G. mein Herz wohl besser erkennet, denn daß ich mich mit solcher Art Worten E. K. F. G. hochberühmte Vernunft stockern sollte. Denn ich hoffe, es sei mein Herz je an dem, daß ich aus Grund, ohn alles Heucheln, ein Lust und Gefallen allzeit an E. K. F. G. vor allen Fürsten und Oberkeiten gehabt. Was ich aber geschrieben habe, ist aus Sorgen geschehen, daß ich E. K. F. G. wollt trösten: nicht meiner Sach halben, davon ich dazumal kein Gedanken hatte, sondern des ungeschickten Handelns halben, nämlich zu Wittenberg, zu großer Schmach des Evangelii, durch die Unsern entstanden 3). Da war mir Angst, E. K. F. G. würden deßwillen ein groß Beschwerung tragen. Denn mich auch selbst der Jammer also hat zutrieben, daß, wo ich nicht gewiß wäre, daß lauter Evangelium bei uns ist, hätte ich verzaget an der Sache. Alles, was bisher mir zu Leide getan ist in diesen Sachen, ist Schimpf und nichts gewesen. Ich wollts auch, wenn es hätte können sein, mit meinem Leben gern verhindert haben. Denn es ist also gehandelt, daß wirs weder vor Gott, noch vor der Welt verantworten können; und liegt doch mir auf dem Halse, und zuvor dem heiligen Evangelio. Das tut mir von Herzen wehe. Darum, gnädigster Herr, meine Schrift sich nicht weiter streckt, denn auf derjenigen, und nicht auf meinen Handel, daß E. K. F. G. sollten nicht ansehen das gegenwärtige Bild des Teufels in diesem Spiel. Und solche Ermahnung, ob sie E. K. F. G. nicht not wäre, ist sie doch mir nötlich zu tun gewesen.

Von meiner Sache aber, gnädigster Herr, antworte ich also: E. K. F. G. weiß, oder weiß sie es nicht, so laß sie es ihr hiermit kund sein, daß ich das Evangelium nicht von Menschen, sondern allein vom Himmel, durch unsern Herrn Jesum Christum habe, daß ich mich wohl hätte mögen (wie ich denn hinfort tun will) einen Knecht und Evangelisten rühmen und schreiben. Daß ich mich aber zur Verhöre und Gericht erboten habe, ist geschehen, nicht daß ich dran zweifelt, sondern aus übriger Demuth, die andern zu locken. Nun ich aber sehe, daß meine zu viele Demuth gelangen will zur Erniedrigung des Evangelii, und der Teufel den Platz ganz einnehmen will, wo ich ihm nur ein Hand breit räume, muß ich aus Not meines Gewissens anders dazu tun. Ich hab E. K. F. G. genug getan, daß ich dies Jahr gewichen bin, E. K. F. G. zu Dienst. Denn der Teufel weiß fast wohl, daß ichs aus keinem Zag getan habe. Er sah mein Herz wohl, da ich zu Worms einkam, daß, wenn ich hätte gewußt, daß so viel Teufel auf mich gehalten hätten, als Ziegel auf den Dächern sind, wäre ich dennoch mitten unter sie gesprungen mit Freuden.

Nun ist Herzog Georg noch weit ungleich einem einzigen Teufel. Und sintemal der Vater der abgründlichen Barmherzigkeit uns durchs Evangelium hat gemacht zu freudigen Herrn über alle Teufel und Tod, und uns gegeben den Reichtum der Zuversicht, daß wir dürfen zu ihm sagen, herzliebster Vater: kann E. K. F. G. selbst ermessen, daß es solchem Vater die höchste Schmach ist, so wir nicht sowohl ihm vertrauen sollten, daß wir auch Herren über Herzog Georgen Zorn sind. Das weiß ich je von mir wohl, wenn diese Sache zu Leipzig 4) also stünde, wie zu Wittenberg, so wollte ich doch hinein reiten, wenns gleich (E. K. F. G. verzeihe mir mein närrisch Reden,) neun Tage eitel Herzog Georgen regnete, und ein jeglicher wäre neunfach wütender, denn dieser ist. Er hält meinen Herrn Christum für einen Mann aus Stroh geflochten; das kann mein Herr, und ich, eine Zeit lang wohl leiden. Ich will aber E. K. F. G. nicht verbergen, daß ich für Herzog Georgen habe nicht einmal 5) gebeten und geweinet, daß ihn Gott wolle erleuchten. Ich will auch noch einmal bitten und weinen, darnach nimmermehr. Und bitte, E. K. F. G. wollt auch helfen bitten und bitten lassen, ob wir das Urtheil könnten von ihm wenden, das (ach Herr Gott!) auf ihn dringt ohn Unterlaß. Ich wollt Herzog Georgen schnell mit einem Wort erwürgen, wenn es damit wäre ausgerichtet.

Solches sei E. K. F. G. geschrieben, der Meinung, daß E. K. F. G. wisse, ich komme gen Wittenberg in gar viel einem höhern Schutz, denn des Kurfürsten. Ich habs auch nicht im Sinn, von E. K. F. G. Schutz zu begehren. Ja, ich halt, ich wolle E. K. F. G. mehr schützen, denn sie mich schützen könnte. Dazu wenn ich wüßte, daß mich E. K. F. G. könnte und wollte schützen, so wollte ich nicht kommen. Dieser Sachen soll noch kann kein Schwert raten oder helfen; Gott muß hie allein schaffen, ohn alles menschlich Sorgen und Zutun. Darum wer am meisten gläubt, der wird hie am meisten schützen. Dieweil ich denn nun spüre, daß E. K. F. G. noch gar schwach ist im Glauben, kann ich keinerleiwege E. K. F. G. für den Mann ansehen, der mich schützen oder retten könnte.

Daß nun auch E. K. F. G. begehrt zu wissen, was sie tun solle in dieser Sachen, sintemal sie es achte, sie habe viel zu wenig getan; antworte ich untertäniglich: E. K. F. G. hat schon allzuviel getan, und sollt gar nichts tun. Denn Gott will und kann nicht leiden E. K. F. G. oder mein Sorgen und Treiben. Er wills ihm gelassen haben, deß und kein anderes; da mag sich E. K. F. G. nach richten. Gläubt E. K. F. G. dies, so wird sie sicher sein, und Friede haben: gläubt sie nicht, so gläube doch ich, und muß E. K. F. G. Unglauben lassen seine Qual in Sorgen haben, wie sichs gebührt allen Ungläubigen zu leiden. Dieweil denn ich nicht will E. K. F. G. folgen, so ist E. K. F. G. für Gott entschuldiget, so ich gefangen oder getötet würde. Für den Menschen soll E. K. F. G. also sich halten: nämlich der Oberteil, als ein Kurfürst, gehorsam sein, und Kaiserl. Maj. lassen walten in E. K. F. G. Städten und Ländern, an Leib und Gut, wie sichs gebührt, nach Reichs-Ordnung, und ja nicht wehren noch widersetzen, noch Widersatz oder irgend ein Hindernis begehren, der Gewalt, so sie mich fangen oder töten will. Denn die Gewalt soll niemand brechen noch widerstehen, denn alleine der, der sie eingesetzt hat; sonst ists Empörung und wider Gott. Ich hoffe aber, sie werden der Vernunft brauchen, daß sie E. K. F. G. erkennen werden, als in einer höhern Wiegen geboren, denn daß sie selbst sollt Stockmeister über mir werden. Wenn E. K. F. G. die Thore offen läßt, und das frei Kurfürstliche Geleit hält, wenn sie selbst kämen, mich zu holen, oder ihre Gesandten; so hat E. K. F. G. dem Gehorsam genug getan. Sie können je nicht Höheres von E. K. F. G. fordern, denn daß sie den Luther wollen bei E. K. F. G. wissen. Und das soll geschehen ohne E. K. F. G. Sorgen, Tun und einiger Fahr. Denn Christus hat mich nicht gelehrt, mit eines andern Schaden ein Christ sein. Werden sie aber je so unvernünftig sein und gebieten, daß E. K. F. G. selbst die Hand an mich lege, will ich E. K. F. G. alsdenn sagen, was zu tun ist: Ich will E. K. F. G. Schaden und Fahr sicher halten an Leib, Gut und Seele, meiner Sachen halben, es gläube es E. K. F. G. oder gläubs nicht.

Hiemit befehl ich E. K. F. G. in Gottes Gnaden. Weiter wollen wir aufs schierst reden, so es not ist. Denn diese Schrift hab ich eilend abgefertigt, daß nicht E. K. F. G. Betrübnis anführe von dem Gehöre meiner Zukunft; denn ich soll und muß Jedermann tröstlich und nicht schädlich sein, will ich ein rechter Christ sein. Es ist ein ander Mann, denn Herzog Georg, mit dem ich handel, der kennet mich fast wohl und ich kenne ihn nicht übel. Wenn E. K. F. G. gläubte, so würde sie Gottes Herrlichkeit sehen; weil sie aber noch nicht gläubt, hat sie auch noch nichts gesehen. Gott sei Lieb und Lob in Ewigkeit, Amen.

Geben zu Borna beim Geleitsmann, am Aschermittwoch, Anno 1522. E. K. F. G. untertäniger Diener

Martinus Luther.


1) Euer Kurfürstliche Gnaden

2) Luther bezieht sich auf einen früheren Brief, den er an den Kurfürsten geschrieben hatte.

3) er meint die Bilderstürmer, die aus den Wittenberger Kirchen die Bilder gewaltsam entfernt und damit den Verlauf der Reformation gefährdet hatten.

4) Leipzig, durch das Luther reiten mußte, gehörte Herzog Georg, einem heftigen Feind Luthers.

5) d. h. nicht bloß einmal, sondern oft.


Dieser Brief – „einer der herrlichsten, die er geschrieben hat“ (Heinrich Bornkamm) – gehört mit Recht zur Weltliteratur. Zum geschichtlichen Hintergrund: Während Luther 1521/22 auf der Wartburg war, hatte sich in Wittenberg eine revolutionäre Stimmung entwickelt, die gewaltsam die reformatorischen Erkenntnisse gegen die Altgläubigen durchsetzen wollte (keine Bilderverehrung, Abendmahlsfeiern nur unter beiderlei Gestalt, also mit Brot und Wein). Einer der Wortführer war der Theologieprofessor Karlstadt. Erste gewaltsame Aktionen hatten seit Anfang 1522 stattgefunden. Der Rat der Stadt und der Kurfürst, die durchaus Sympathien für die reformatorischen Anliegen hatten, zeigten sich irritiert. Luther erkannte, dass damit das ganze Werk der Reformation gefährdet war und teilte seinem Kurfürsten seine Absicht mit, nach Wittenberg zu reisen, was für ihn mit großen Gefahren für Leib und Leben verbunden war. Der Kurfürst antwortete voller Sorge und bot ihm Begleitschutz an. Kurz vor Leipzig, das einem der schärfsten Gegner der Reformation unterstand, in Borna, wo sich Luther im Haus seines Geleitsmannes Michael von der Straßen aufhielt, schrieb er den vorstehenden Brief an den Kurfürsten. Am 6. März ritt er in Wittenberg ein und begann gleich am folgenden Sonntag mit seinen bekannten Invocavitpredigten, durch die es ihm mit Gottes Hilfe gelang, die Reformation als eine Bewegung des Wortes Gottes zu erhalten, die ihre Ziele ohne Gewaltmaßnahmen verfolgt.


 

Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag Artikel empfehlen Artikel empfehlen

Dieser Beitrag wurde erstellt am Donnerstag 11. September 2014 um 14:10 und abgelegt unter Gemeinde, Gesellschaft / Politik, Kirche, Seelsorge / Lebenshilfe.