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„Das Ziel der Deportation ist das Nichts“

Freitag 9. Mai 2014 von Hilfsaktion MĂ€rtyrerkirche e.V.


Hilfsaktion MĂ€rtyrerkirche e.V.

Die
 Tragödie 
der 
christlichen
 Armenier
 1915


Es war Ostern 1915. Die FĂŒhrer des Osmanischen Reiches, eines ĂŒberlebten Vielvölkerstaates, wollten die Wirren des Ersten Weltkrieges nutzen, um einen lĂ€nger gehegten Plan in die Tat umzusetzen. An die Stelle eines „islamischen“ Großreiches sollte der völkische Nationalstaat treten. FĂŒr die christlichen Einwohner, immerhin ein FĂŒnftel der Bevölkerung, war darin kein Platz vorgesehen. Ihre bloße Anwesenheit störte die TrĂ€ume vom „ethnisch homogenen Nationalstaat.“

Bereits im Februar 1915 wurden alle armenischen Soldaten aus der osmanischen Armee genommen und zur Zwangsarbeit verschickt. Ende MĂ€rz begannen die planmĂ€ĂŸig vorbereiteten Deportationen aller Armenier aus dem ganzen Reich. Offiziell sollten die Armenier umgesiedelt werden. Doch in den Köpfen der Planer war der millionenfache Völkermord eine ausgemachte Sache, die sie kĂŒhl durchzufĂŒhren hofften. Hauptverantwortlich waren der Kriegsminister Enver Pascha und der Innenminister Talaat Pascha. TatkrĂ€ftige UnterstĂŒtzung erhielten die Mörder von den deutschen Generalen Colmar von der Goltz und Fritz Bronsart von Schellendorf, die die Armee der verbĂŒndeten TĂŒrkei fĂŒhrten.

Eine Spezialeinheit, die „Teskilat-i Mahsusa“, die sich aus Kurden und Kriminellen zusammensetzte, begleitete die Kolonnen der Armenier auf ihren TodesmĂ€rschen. Unterwegs waren die hilflosen Menschen Freiwild fĂŒr jedermann. Wer immer wollte, konnte sich an den armen, verĂ€ngstigten Menschen bereichern, sie schikanieren oder töten. Sie wurden beraubt, gequĂ€lt und erschlagen. Frauen und Kinder vergewaltigt oder als Sklaven geraubt. Ein Telegramm an fragende Beamte, was mit den Deportierten geschehen soll, gibt als Antwort: „Das Ziel der Deportationen ist das Nichts.“ Ein Ziel zur Neuansiedlung war nie vorgesehen.

Die Massaker an den Armeniern beschreibt ein tĂŒrkisches (!) Kriegsgericht von 1919 so: „Durch die KolonnenwĂ€chter, die sie aus einer Reihe von moralisch niedertrĂ€chtigen Personen, WiederholungstĂ€tern sowie Angehörigen der Gendarmerie … zusammengestellt hatten, ließen sie die Armenier, die der Verteidigungsmöglichkeiten beraubt waren, zwecks Umsiedlung in Bewegung setzen. Als sie sich aus der Stadt entfernt hatten, ließen sie an PlĂ€tzen, die … vor Blicken ziemlich geschĂŒtzt waren, die MĂ€nner und Frauen voneinander trennen. Nachdem daraufhin ihre Sachen durch RĂ€uberbanden geplĂŒndert worden waren … ließen sie die MĂ€nner durch verschiedene Grausamkeiten ermorden und vernichten. Die hilflosen Frauen brachte man an andere PlĂ€tze, wo man auch ihnen den Schmuck und das Bargeld und den meisten von ihnen die Kleidung und sonstige GegenstĂ€nde abnahm, … und vergewaltigte viele von ihnen. Danach ließen sie sie … in entfernte Gebiete in Bewegung setzen, wobei man sie zu Fuß monatelang marschieren ließ, so dass sie völlig erschöpft waren und viele von ihnen vor Hunger, Durst und durch die Strapazen des Marsches starben.“

Neben Erschießungen und Hinrichtungen traten Hunger, Durst und Seuchen. Wer die TodesmĂ€rsche dennoch ĂŒberlebte, wurde am Ende in die mesopotamische WĂŒste getrieben. Dort ließ man sie so lange im Kreis herumwandern, bis etwa eine Million von ihnen den Tod fanden. Der Schriftsteller Franz Werfel, der den Armeniern ein literarisches Denkmal setzte, nannte die Todeskarawanen „wandernde Konzentrationslager“. Beamte und Soldaten, die sich dem Vernichtungsbefehl widersetzten, wurden entlassen oder getötet, Zivilisten, die Armenier versteckten hĂ€ngte, man oft an Ort und Stelle auf.

„Umsiedlung“ – hieß die Aktion offiziell, die im April 1915 im Osmanischen Reich begann. Die Armenier galten als Freunde und Sympathisanten der Russen, mit denen sich die TĂŒrkei im Krieg befand. Was lag da nĂ€her, als die angebliche Gefahr (die Armenier als „Russenfreunde“) in entlegene Gebiete des Riesenreiches zu verschleppen?

Doch was „Umsiedlung“ genannt wurde, war nichts anderes als der geplante Mord an einem Volk, einer Kultur, einem Glauben. Ein Augenzeuge der Bluttaten, der deutsche SanitĂ€tsoffizier Armin T. Wegner, beschrieb das Schicksal der armenischen Christen in drastischer Weise: „Von Kurden erschlagen, von Gendarmen beraubt, erschossen, erhĂ€ngt, vergiftet, erdolcht, erdrosselt, von Seuchen verzehrt, ertrĂ€nkt, erfroren, verdurstet, verhungert, verfault, von Schakalen angefressen. Kinder weinten sich in den Tod, MĂ€nner zerschmetterten sich an Felsen, MĂŒtter warfen ihre Kleinen in die Brunnen, Schwangere stĂŒrzten sich mit Gesang in den Euphrat. Alle Tode der Erde, die Tode aller Jahrhunderte starben sie.“

Nichts wurde von den Planern und TĂ€tern ausgelassen, um die „Armenierfrage“ ein fĂŒr allemal zu lösen. Bereits 20 Jahre zuvor versuchte der brutale Sultan Abdul Hamid die Armenier zu massakrieren. Zwischen 1894 und 1897 ermordeten tĂŒrkische Soldaten mindestens 312.000 Armenier. Allein in der Provinz Kilikien zerstörte man 2.500 Dörfer und 500 Kirchen. Durch die Interventionen von Russland und Großbritannien konnte das Morden verhindert werden. Jetzt, im Ersten Weltkrieg, scherte man sich nicht mehr um die Meinung des Auslandes, das jetzt sowieso der Feind war. Einzig der deutsche BĂŒndnispartner setzte kurzfristig einen matten Widerstand entgegen, beugte sich aber der „Realpolitik“: das KriegsbĂŒndnis musste um jeden Preis erhalten werden. Beinahe wĂ€re der teuflische Plan aufgegangen und ein Volk vollstĂ€ndig zerstört worden. Doch auf abenteuerlichen Wegen gelang vielen die Flucht oder sie ĂŒberlebten durch muslimische Nachbarn und Soldaten, die sich ein Gewissen bewahrt hatten. Dennoch wurden etwa 1,5 Millionen Armenier ermordet. Sozusagen „nebenbei“ versuchte die TĂŒrkische Regierung auch die christlichen AramĂ€er mitzumorden.

Sowohl staatliche wie auch religiöse FĂŒhrer stellten die gewĂŒnschte moralische Rechtfertigung fĂŒr das Morden. Der Sultan-Kalif sprach als geistliches Oberhaupt alle Muslime frei, die sich an Exzessen beteiligt hatten. Innenminister Talaat verhinderte die gerichtliche Verfolgung von Mord und Vertreibung, da alle TĂ€ter „Der von der Regierung befolgten Zwecks dienten.“

Die TĂŒrkei widersetzt sich bis heute vehement dem Urteil, an den Armeniern sei der erste organisierte und von einem Staat ausgefĂŒhrte Völkermord des 20. Jahrhunderts geschehen. Wann immer ein Staat oder eine Organisation das Wort Völkermord im Zusammenhang der Geschehnisse von 1915 benutzt, reagiert die tĂŒrkische Regierung „als sei ihr der Krieg erklĂ€rt worden“, urteilt der Historiker Wolfgang Benz. In Frankreich wurde der Völkermord an den Armeniern 2001 vom Parlament anerkannt. Daraufhin zog die TĂŒrkei ihren Botschafter ab, rief zum Boykott französischer Waren auf, stornierte WirtschaftsauftrĂ€ge an französische Firmen. Gegen französische Touristen wurde Stimmung gemacht. Als Brandenburg im Unterrichtsplan den „Genozid an der armenischen Bevölkerung“ einbrachte, wurde der tĂŒrkische Generalkonsul sofort aktiv. Nach langem Gezerre wurde das Thema in den SchulbĂŒchern beibehalten, flankiert von den Morden in Ruanda und Kambodscha.

Noch 1987 verlangte das EuropĂ€ische Parlament die Anerkennung des Völkermordes durch die TĂŒrkei, bevor ĂŒber einen Beitritt des Landes zur EU geredet werden könnte. Doch 2001 wurde diese Forderung gestrichen.

Als die Unionsfraktion im Februar 2005 forderte, der Bundestag solle der armenischen Opfer gedenken, warnte der tĂŒrkische Botschafter, dies könne die in Deutschland lebenden TĂŒrken beleidigen. Offensichtlich spielte der Botschafter mit der Angst vor vier Millionen hier lebender TĂŒrken. Zuvor hatte der Botschaft im Jahr 2002 mit dem Marsch 100.000 TĂŒrken nach Potsdam gedroht, als ein Lepsius-Haus eingeweiht werden sollte. Pfarrer Johannes Lepsius gehörte zu den ersten, die den Völkermord an den Armeniern öffentlich machte und dafĂŒr schwer gescholten wurde. Dabei hatte die CDU/CSU-Fraktion bewusst das heikle Wort „Völkermord“ vermieden. Der Schriftsteller Orhan Pamuk war weniger sensibel. Er nannte die VorgĂ€nge beim Namen. Seither wird in der tĂŒrkischen Presse eine Hetzkampagne gegen ihn gefĂŒhrt, und er muss um sein Leben fĂŒrchten.

„Wird das, was geschehen ist, nĂ€mlich die fast gĂ€nzliche Vernichtung des armenischen Volkes auf anatolischem Territorium, harmloser, wenn man es Massaker nennt, statt Völkermord?“ fragt der tĂŒrkische Schriftsteller Zafer Senocak.

Von tĂŒrkischer Seite wird auch versucht, die Armenier zu TĂ€tern und die TĂŒrken zu Opfern zu machen. Der Massenmord an den Armeniern seien lediglich „kriegsbedingte Folgeerscheinungen“ in einem Kampf der TĂŒrken um ihre Existenz gewesen. In der Ära des kalten Krieges konnte der wichtige NATO-Partner TĂŒrkei darauf vertrauen, dass ihm diese Geschichtsklitterung großzĂŒgig ĂŒbersehen wurde. „Die Armenier in aller Welt leben noch immer unter einem dreifachen Trauma – erstens dem Trauma des Erlittenen, zweitens der Leugnung des Verbrechens durch die TĂ€ter und drittens des Nichtwahrhaben-Wollens des Genozids durch große Teile der Außenwelt.“, urteilt der Orientexperte Gerd Stricker (ZĂŒrich).

Im Jahr 301 wurde das Christentum in Armenien zur Staatsreligion erhoben. Fast einhundert Jahre bevor das große Rom diesen Schritt vollzog. Deshalb bezeichnet man Armenien auch als „Àltesten christlichen Staat.“ Zwischen den jeweiligen GroßmĂ€chten gelegen, kannte Armenien nur kurze Phasen der UnabhĂ€ngigkeit. Im 14. Jahrhundert lebten die Armenier unter tĂŒrkischer, iranischer und russischer Herrschaft, die sich ihr Land aufteilten.

Im muslimisch geprĂ€gten Osmanischen Reich genossen die christlichen Armenier zunĂ€chst einen guten Ruf. Sie trugen als HĂ€ndler, Handwerker und Politiker zur BlĂŒte des Reiches bei. Mitte des 19. Jahrhunderts, in der abzeichnenden Krise des Osmanischen Reiches, waren die Armenier die gesuchten SĂŒndenböcke fĂŒr den Niedergang einstiger tĂŒrkischer Herrschaft. Den Armeniern erwuchsen zwei mĂ€chtige Gegner: ein zunehmend radikaler werdender Islam und ein militanter tĂŒrkischer Nationalismus. FĂŒr die Muslime waren die Armenier unglĂ€ubige Christen, denen ein islamischer Staat nicht trauen durfte. Den Nationalisten galten die Armenier als „national unzuverlĂ€ssig“. Sie misstrauten den Armeniern und unterstellten ihnen, eine fĂŒnfte Kolonne auslĂ€ndischer KolonialmĂ€chte zu sein. PlĂ€ne, die Armenier zu vertreiben und in ihren Gebieten tĂŒrkische Muslime neu anzusiedeln, gab es bereits vor dem 1. Weltkrieg. Aber erst dieser Weltbrand ermöglichte die DurchfĂŒhrung eines Völkermordes ohne internationales Aufsehen.

„Wer spricht heute noch von den Armeniern?“, spottete Hitler als er gebeten wurde, die Juden zu verschonen. Fast scheint es, als sollte Hitler recht behalten. Aber nur fast. (M.H.)


Hilfsaktion
 MĂ€rtyrerkirche e
.V.


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Uhldingen‐MĂŒhlhofen


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Quelle: 
www.verfolgte‐christen.org


 

 

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 9. Mai 2014 um 18:17 und abgelegt unter Christentum weltweit, Weltreligionen.