Gemeindenetzwerk

Ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes

Perspektiven bekennender Christen heute

Freitag 6. Juli 2012 von Hermann Traub (1944-2013)


Hermann Traub (1944-2013)

Perspektiven bekennender Christen heute

1.) Der neue fundamentalistische Liberalismus

Seit mehr als 200 Jahren lebt die Gemeinde, leben die Kirchen, mit dem theologischem Liberalismus. Dies hat nicht zuletzt zu einem Aufbruch des Pietismus auf vielen Gebieten geführt. Der Aufbruch, der vor etwa 300 Jahren in der Kirche begann, ist heute immer wieder neu das Hoffnungszeichen lebendiger Gemeinde. Die Innere Mission hat ihre Wurzeln in der Erweckungsbewegung des Pietismus. Der Liberalismus hat trotzdem die Kirchen geprägt. Er gab sich nicht immer tolerant, besonders, wo er die Macht hatte, seinen Einfluss bei Regierungen geltend zu machen. Heute, so beobachte ich, trägt dieser alte Liberalismus mehr und mehr autoritative, wenn nicht autoritäre Züge.

Früher konnte man christliche Fundamentalisten in extremen Gemeindegruppen ausmachen. Bis heute zeigen sie sich dadurch, dass sie ihr Bibelverständnis über die Bibel stellen und so ihre Festlegungen treffen. Was man früher und heute solchen „frommen“ Fundamentalisten mit Recht vorwirft, geschieht heute durch liberale und bibelkritische Kräfte in gleichem Verhaltensmuster. Das eigene Bibelverständnis wird über das sich selbst auslegende Bibelwort gestellt.

Es hat sich mit dieser Haltung ein Fundamentalismus herausgebildet, der andere Meinungen, Kritik und Ermahnung der glaubenden Gemeinde unbeirrt ignoriert und teilweise mit autoritären Mitteln bekämpft. In folgenden Feldern sehe ich diesen „neuen“ liberalen Fundamentalismus:

1.)

Die Negierung des Sühneopfers Jesu wird in weiten Teilen der Theologenschaft verkündet. „Gott braucht keine Opfer – er ist ja ein Gott der Liebe.“ Damit wird zur leeren Religionsformel, was beim Abendmahl gesagt wird: „Christi Blut für dich vergossen.“ Nicht nur, dass Gottes Heilshandeln der Versöhnung abgelehnt wird, das er durch das bittere Leiden und Sterben Jesu gegeben hat – viele Schriftstellen werden ausgeblendet und ihrer Aussage beraubt. Dieses Handeln richtet sich gegen alle noch immer geltenden Bekenntnisse und Grundordnungen der Kirchen.

2.)

Die Weitergabe des Evangeliums von Jesus, dem Messias, an die Juden wird weithin strikt abgelehnt. Der oberste Repräsentant der EKD tut dies sehr offen. Damit verlässt die Kirche den Auftrag der Schrift, der in Römer 1, 16 festgelegt ist: „…die Juden zuerst und ebenso die Griechen.“ Die Stimmen der auch in Deutschland wachsenden messianischen Gemeinden werden überhört, teilweise unterdrückt und sogar theologisch mundtot gemacht. Dies ist ein der Bibel widersprechender Fundamentalismus.

3.)

Viele bezahlte und ordinierte Verkündigerinnen und Verkündiger legen nicht mehr Gottes Wort aus, sondern schöpfen aus Bibeltexten allgemeine psychologisierende Reden zur allgemeinen Lebensbewältigung. Reine Innerweltlichkeit auf den Kanzeln! Das Wort Gottes ist nicht mehr das Rettungswort, sondern Lebenshilfewort. Dass Jesus Christus „von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung“ (1. Kor. 1, 30), das ist kaum mehr Gegenstand der Verkündigung. Statt Auslegung des Wortes Interpretation des Lebens – das ist ein neuer Fundamentalismus.

4.)

In den sexualethischen Fragen wird Gottes Wort ausgehebelt. Ihm widersprechende Lebensweise wird als mögliche Schöpfungsvariante gehandelt. Was Gott strikt in seinem Wort verneint, wird eingesegnet, als sei Gottes Segen eine uns verfügbare Masse, über die wir selbst bestimmen könnten. Menschen, die in homosexueller Partnerschaft leben, haben vollen Zugang zum Amt der Seelsorge und Verkündigung. Einzelne Kirchenvertreter fordern sogar das volle Adoptionsrecht solcher Paare. Künstlich befruchtete Frauen in homosexueller Partnerschaft werden nicht nur kirchlich akzeptiert, sondern sogar bejubelt. Ein gottferner, dem Wort Gottes widersprechender Fundamentalismus!

5.)

In der heiklen politischen Nahostfrage wird von den liberalen Fundamentalisten der Feind des Friedens schnell ausgemacht: es ist der Staat Israel, der sich mit militärischen Mitteln wehrt, eine Grenzmauer mitten durchs Land gezogen hat und nicht zum Frieden bereit ist. Ausgeblendet wird der Judenhass, der sich weltweit breit macht. Ausgeblendet wird die Drohung der Vernichtung Israels durch Staatsführer. Damit arbeitet man, theologisch untermauert, den Antiseministen weltweit zu, in blinder politischer Stellungnahme. Dass Gott selbst sein Volk als eigener „Augapfel“ in seinem Wort beschreibt, wird überhört, und man legt sich selber politisch einseitig fest. Auch wenn Christen sich niemals mit Krieg und Blutvergießen abfinden können und dürfen, kann dem Volk Israel nicht verboten sein, um sein Lebensrecht zu kämpfen. Wer dies ablehnt, widersteht in einem selbst gewählten Fundamentalismus Gottes Wort.

6.)

Seit einiger Zeit ist in Theologenkreisen, unter dem Einfluss von Persönlichkeiten des Ökumenischen Rates der Kirchen, von der „Ökumene Gottes“ die Rede. Gemeint ist, dass alle Religionen einen Gott haben, den sie auf verschiedene Weise ehren. Damit wird zentrale neutestamentliche Wahrheit beiseite gestellt. Jesus ist nicht mehr die einzigartige Wahrheit, ohne die niemand zu Gott kommen kann. Bereits kommt es seit längerer Zeit zu interreligiösen Feiern und zu Handreichungen dafür. Selbstverständlich wird hier der Auftrag zur Mission völlig ausgehebelt, und die weltmissionarischen Aktivitäten der Christenheit werden infrage gestellt. Ein Fundamentalismus, der zum blanken Synkretismus führen wird!

7.)

Der tragenden und sich Gottes Wort allein verpflichteten Mitarbeiterschaft im Ehrenamt, aber auch im Vollzeitdienst, mutet man Faustschlag um Faustschlag ins Gesicht zu, macht ihre Haltung nicht nur zur Außenseitermeinung, sondern tritt alle ihre Werte mit Füßen. Man verbietet ihnen Rederecht und Widerspruch. Und dies ist dabei das Neue: ohne Skrupel, mit vollem Bewusstsein. Kirchenleitungen und ihre Vertreter gehen ohne Gewissenbelastung das Risiko ein, dass eine Abstimmung mit den Füßen geschieht und viele, besonders Ehrenamtliche die Kirche verlassen – mindestens sich anderen, meist freien Gemeinden anschließen. Dieser ideologisch festgelegte Fundamentalismus hat Kirchenleiter und viele Ordinierte erfasst.

Gibt es Hoffnung in dieser Situation? Ja. Wie in alten, liberalen Zeiten der Kirche geht die glaubende Gemeinde ihren zielklaren Weg: das ganze Evangelium, der ganzen Gemeinde, der ganzen Welt. Neue Aufbrüche sind immer aus einer Minderheitenstellung gekommen. Die heute noch so fest stehenden Frauen und Männer, die den oben beschriebenen Fundamentalismus verkörpern, haben wie alles ihr Verfallsdatum schon aufgeprägt.

2.) Welche Perspektiven haben wir?

2.1 Lebendiger Gottesdienst

Der Gottesdienst ist Dreh- und Angelpunkt der Gemeinde. Er unterliegt immer wieder neuen Ideen. Das Jahr der Kirchenmusik tut das Übriges dazu. Wo eine junge Generation daran beteiligt ist, wird vielfältig experimentiert. Neues Liedgut ohne Ende wird auf den Markt geworfen. Die Qualität ist unterschiedlich. Viele Anbetungs- und Jesuslieder sind darunter. Selbst eingefleischte Verfechter neuer Lobpreismusik ermahnen eindringlich, die älteren Lieder nicht in den Hintergrund zu drängen. Manchen gelingt eine gute Mischung, die die Schätze nicht verspielt und das Neue nicht außen vor hält.

Doch die Mitte des reformatorisch geprägten Gottesdienstes ist die Wortverkündigung. Die ist nicht nur durch eine liberale Theologie gefährdet, sondern durch eine völlig theologiefreie Oberflächlichkeit, die sich als fromm ausgibt. Mit liberaler Theologie kann man umgehen. Aber mit Frömmigkeit ohne Jesus und Theologie, ohne deutlichen Wortbezug sind wir total im Schwimmen. Die einzige Gegenmaßnahme ist, dass wir wieder Ausleger des Wortes werden, bekommen und heranbilden, die unter Gottes Wort stehend es erschließen für unsere Zeit. Viel Frömmigkeit in der Jugendarbeit geht auch ohne Wort Gottes.

Ich habe 17 Jahre lang die Jugendbibelesehilfe „Start in den Tag“ redigiert. Wie viele fromme Gedanken wurden hier abgeliefert! So dass sogar Jugendliche uns bei Auswertungen geschrieben haben, dass sie mehr Substanz wünschen und ihre Fragen an den Text beantwortet werden müssten. Wir haben dann angefangen, zum Anfordern Predigten anzubieten. Oft sind Hunderte von Manuskripten angefordert worden. Nur Predigten. Kein Beiwerk. Nur Text. Wir sind einig, dass es immer auch um die packende und aufrüttelte Predigt geht. Aber sie muss wieder Bibelauslegung sein. Und nur eine lebendige Bibelpredigt lohnt, dass Menschen kommen und hören. Die Zeit der interessanten Kanzelreden muss überwunden werden. Christen und Menschen auf der Suche brauchen biblisches Schwarzbrot.

Der Wittenberger Dozent Johann Olearius hat es 1671 in seinem Lied sehr klassisch gesagt: „Dein Wort bewegt des Herzens Grund, dein Wort macht Leid und Seel’ gesund, dein Wort ist’s was mein Herz erfreut, dein Wort gibt Trost und Seligkeit.“

2.2 Lehre dein Volk

Wir leben ja in einer Zeit der Glaubenskurse. Viele dieser Kurse sind zum Glauben hinführend. Eine ganze Reihe sind aber infiltriert mit einer Theologie, die man nicht biblisch fundiert nennen kann. Was fehlt heute und wozu möchte ich ermutigen?

Wir müssen die altkirchlichen Bekenntnisse wieder ins Licht rücken, ganauso die Barmer Erklärung. Auf viele aktuellen Fragen haben die Väter der alten und neuen Bekenntniszeit sehr treffende Antworten gefunden. Die Bekenntnisse sind die erste kompetente Theologie und Bibelauslegung. Dass sie außer Papierwert kaum Leitfaden in Theologie, Kirchenleitungen und Gemeindepraxis sind, das ist tragisch. Dies zu beklagen ist das eine. Das andere ist, diese Bekenntnisse neu zu nützen.

Predigtreihen könnten daraus konzipiert werden. Glaubensgrundkurse könnten daraus entworfen werden. Ganze Bildungswochen können entstehen. Die Arbeit mit 55+ – einer wissensdurstigen Generation – , kann sich vertiefen in die Bekenntnisse. Hier sind Schätze zu heben, die nahezu unauslotbar da liegen. Es bringt nichts, wenn wir uns beklagen über eine bekenntnislose Kirche. Die Basis der Gemeinde muss anhand der Bekenntnisse mündig gemacht werden. Wir als Bekenntnisbewegungen stehen oft mutterseelenallein im Kampf. Noch werden einige uns auf die Schulter klopfen für unseren Mut. Das nützt aber nichts, gar nichts! Wenn wir nicht mehr die Basis der Gemeinden zurüsten, bibelklar und bekenntnisfest zu sein. „Die da lehren, werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich.“ (Daniel 12, 3)

3. Außenimpulse setzen

Gemeinden und Werke können nicht aus eigenem Antrieb in die Zukunft gehen. Wir bewegen uns immer nur in dem, was wir kennen. Und keine Gemeinde kann sich etwas wünschen, was sie nicht kennt. Deshalb sind die Netzwerke sehr entscheidend, ob wir in unseren Gemeinden vorwärtskommen. Das fängt in der Jugendarbeit an: Junge Christen brauchen die Außenkontakte. Sie müssen andere junge Christen erleben im CVJM, im EC, in Jugendtreffen und Mitarbeiterschulungen. Das geht hinein in die Gemeinde. Wir Pfarrer müssen manchmal die Kanzel frei geben für neue Impulse von anderen.

Bibelwochen bitte nicht durch die eigenen Pfarrer. Sondern Referenten von außen holen. Besondere Gottesdienste sollten auch einen neuen und überraschenden Prediger haben. Bei Gemeindefreizeiten einen Referenten von außen gewinnen. So sehe ich auch ProChrist 2013 wieder. Der Impuls von außen ändert die Gemeinden innen. Allein das Sich-Einstellen auf eine neue Formen auf neue Töne und Zeugnisse haben verändernde Kraft. Wir sind doch als Pfarrer und Verantwortliche keine Gralshüter. Wir sind im besten Fall Hirten. Und die führen immer wieder an neue Quellen und frisches Wasser und grüne Weide. Manchmal muss ein Pfarrer nur mal wieder Leute mitnehmen zu Neuem. Er muss ein guter Transporteur sein zu Orten, wo das Evangelium mal anders gesagt wird!

4. Liederschätze heben

Von einem Freund habe ich gelernt, Lieder nicht nur singen zu lassen sondern ihre Autoren- oder Entstehungsgeschichte mit zu erzählen. Was da zutage kommt, das sind wunderbare Schätze, Geschichten, Zeugnisse. ich erlebe und singe die Lieder ganz anders, wenn ich ihre Geschichte weiß, was ihr biblischer Bezug ist usw.

5. Wie wird aus Patchwork eine Bewegung in und für die Kirche?

Haben die missionarischen, pietistischen, evangelikalen Sammlungsbewegungen eine Chance, unsere Kirche zu verändern? Besonders in der Zeit des „liberalen Fundamentalismus“, der sich autoritär und oft totalitär gebärdet? Da stellen sich Kirchenleiter hin und erklären der Gemeinde, dass eine verbindlich gelebte homoerotische Partnerschaft keine Sünde sei. Römer 1 müssen sie dann herausreißen aus der Bibel, wenn das so ist. Sie führen durch die Hintertüre der Theologie ein neues Lehramt der Kirche ein, dass das Bibelwort sich nicht selbst auslegt, sondern allein dastehend zum Aberglauben führen kann.

Kaum einer steht dagegen auf. Ein paar versickernde Leserbriefe in idea ersetzen nicht unsere Verpflichtung, die wir als Ordinierte eingegangen sind – zumindest in den lutherisch geprägten Kirchen. Dort haben wir uns verpflichtet (CA Artikel 28): „Wo das geistliche Regiment etwas gegen das Evangelium lehrt oder tut, haben wir den Befehl, dass wir ihm nicht gehorchen (Matthäus 7,15; Galater 1, 8; 2. Korinther 13, 8). Wo es Kirchenordnungen und Zeremonien einführt, dürfen sie nicht wider das Evangelium sein.“

Wir brauchen in Deutschland eine Bekenntnissynode. Alle Kräfte müssen sich zusammenfinden die unsere Kirchen in großer Gefahr sehen. Der Begriff ist umstritten – aber weil er so klar umstritten ist, ist er geeignet.

Viele Fragen sind dabei offen: Wer ruft diese Synode zusammen? Beim wem kristallisiert sich das Vertrauen Vieler? Wo ist die junge Theologengeneration, die uns Ruheständler ersetzt?

Jesu, hilf siegen und laß mich nicht sinken;
wenn sich die Kräfte der Lügen aufblähn
und mit dem Scheine der Wahrheit sich schminken,
laß doch viel heller dann deine Kraft sehn.
Steh mir zur Rechten, o König und Meister,
lehre mich kämpfen und prüfen die Geister.

Jesu, hilf siegen im Wachen und Beten;
Hüter, du schläfst ja und schlummerst nicht ein;
laß dein Gebet mich unendlich vertreten,
der du versprochen, mein Fürsprech zu sein.
Wenn mich die Nacht mit Ermüdung will decken
wollst du mich, Jesu, ermuntern und wecken.

Die Gemeinde wird im „Beten und Tun des Gerechten“ ihren Weg finden, auch gegen ihre innere Bedrohung, die sich so frech brüstet und alle Warnsignale zu überhören scheint. Wir beten „Kyrie eleison“. Wir streiten mutig um die ewige Gültigkeit von Gottes Wort. Wir sehen unsere Hauptaufgabe in der Weitergabe des frohen Evangeliums von Jesus Christus, der sein Blut vergossen hat zu unserer Rettung vom Gericht Gottes. Ihn hat Gott auferweckt. Er lebt und wird wiederkommen und jeden zur Verantwortung ziehen.

Pfarrer Hermann Traub, 16. Juni 2012, Vortrag anlässlich des Jahrestreffens der Mitglieder und Freunde des Gemeindehilfsbundes in Walsrode-Düshorn.

Wir laden Sie an dieser Stelle herzlich ein, dem Kreis der Mitglieder und Freunde des Gemeindehilfsbundes beizutreten. Wir brauchen Ihre Unterstützung! Zum Antragsformular gelangen Sie hier.  

Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 6. Juli 2012 um 10:00 und abgelegt unter Kirche, Theologie.