Gemeindenetzwerk

Ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes

Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag Artikel empfehlen Artikel empfehlen

Ein „Kuckucksei“ im Pfarrerdienstrecht der EKD

Freitag 29. Juli 2011 von Dr. Traugott Schall


Dr. Traugott Schall

Pastoralpsychologische Betrachtungen einer konfliktträchtigen Regelung

Die Synode der EKD hat am 10. November 2010 ein einheitliches Dienstrecht für alle Pfarrer beschlossen[i]. Mein eigener Pfarrverein – der Verein in der Lippischen Landeskirche – hat mir mitgeteilt, dass der Entwurf dieses Gesetzes vom Vorstand ausdrücklich gebilligt wurde. Werner Dettmar hat in seinem Artikel „Dienste fordern Rechte“[ii] dieses Gesetz ausdrücklich begrüßt und etliche Vorzüge benannt. Wörtlich: „Wir können nur hoffen, dass alle Landeskirchen zügig zustimmen und nicht durch allzu viele Türen gehen, die noch für Sonderregelungen offengelassen sind“[iii]. Ähnlich zustimmend hat sich Gerhard Tröger in seinem Artikel „Ein Meilenstein gesamtkirchlicher Rechtsetzung“[iv]geäußert.

Ich kann dem nicht zustimmen. Ganz versteckt und für viele augenscheinlich nicht relevant hat dieses Gesetz ohne Not Pfarrer ungeschützt einer kirchlichen Obrigkeit ausgeliefert und zwar gerade dann, wenn es Probleme in der Gemeinde gibt und der Pfarrer Unterstützung braucht. Spannungen, Rivalitäten in Ortsgemeinden und Konflikte werden nach diesem Gesetz endgültig auf dem Rücken der Pfarrerschaft ausgetragen. Im Blickwinkel des AT werden Pfarrer oder Pfarrerin zum „Sündenbock“, der in die Wüste geschickt werden muss, damit das Volk Gottes wieder rein wird[v]. Unter der Sichtweise der Systemischen Therapie mutiert ein Pfarrer zum „identifizierten Patienten“. Gemeinde oder „Vertretungsorgan“[vi] projizieren bzw. verlagern vorhandene Probleme auf ihn[vii]. Wenn Pfarrer oder Pfarrerin Schutz, Begleitung und Seelsorge am nötigsten brauchen, begegnen sie nach diesem neuen Gesetz allenfalls „Erhebungen“[viii].

„Mit Konflikten leben“

Im Jahre 1963 gab es einmal einen Kirchentag mit dem Thema „Mit Konflikten leben“[ix]. Wo Leben ist, gibt es auch Konflikte. Das war die Botschaft. Konflikte sind zunächst nichts Böses. Schon das NT ist Zeuge dafür, dass Konflikte auch in einer christlichen Gemeinde denkbar sind und sich ereignen. Das gilt auch für Konflikte zwischen einem Pfarrer/einer Pfarrerin und Menschen in der Gemeinde. Und Konflikte in einer Kirchengemeinde sind vor einem beruflichen „Exitus“ (d.h. Tod) und auch ohne diesen lösbar[x].

Das Dienstrecht der EKD macht mit seinen knappen und unklaren Formulierungen den jeweiligen Amtsträger in Konflikten schutzlos. Er wird Verwaltungsvorgängen ausgeliefert. Idealvorstellung scheint die konfliktfreie Gemeinde zu sein. Wird dies Ideal verfehlt, ist der Pfarrer/die Pfarrerin jeweils schuldig und auszutauschen.[xi]

Hier kann ich nur hoffen, dass die einzelnen Landeskirchen fürsorglicher[xii] und seelsorgerlicher sind als die Synode der EKD und eigene Ausführungsbestimmungen erlassen oder das Gesetz an dieser Stelle für ihren Geltungsbereich ergänzen. Das Pfarrerdienstrecht ist gerade an dieser Stelle – des §80 – nachzubessern. Der Kirchenjurist Tröger betont in seiner Würdigung[xiii] mit Recht einige Grundsätze beim Verdacht „nichtgedeihlichen Wirkens“ oder „nachhaltiger Störung in der Wahrnehmung des Dienstes“. Diese Grundsätze müssen in der Tat Basis von kirchenleitenden Aktionen sein. Tröger schreibt: „Es ist die Festlegung von klaren Verfahrensvorschriften vor Einleitung und erst recht nach Eröffnung des förmlichen Verfahrens notwendig, um jeden Eindruck missbräuchlichen Vorgehens auszuschließen“[xiv]. Solche klaren „Verfahrensvorschriften“ sucht man im Gesetzestext allerdings vergeblich[xv]. Diese Paragraphen des PfDG.EKD schreien zumindest nach Ausführungsbestimmungen in den einzelnen Kirchen. Davon soll nachfolgend die Rede sein.

Nun könnte einer sagen: „Schuster, bleib bei deinen Leisten“. Verwaltungsleute, juristische Mitglieder von Leitungsgremien und diese – die Leitungsgremien selbst – können es als vermessen ansehen, wenn der Pastoralpsychologe sich zu Rechtsfragen äußert. Dem setze ich meine lange Erfahrung im Kirchendienst entgegen und die langjährige Erfahrung als Personalberater von Pfarrerinnen, Pfarrern und kirchlichen Mitarbeitern. Ich bringe pastoralpsychologische Kompetenz ein. Sie gründet sich in der entsprechenden Verantwortung in der kleinen Lippischen Landeskirche über Jahre hinweg, dazu in Amtshilfe in der Schaumburg-Lippischen Kirche und der Kirche Anhalts. Dabei gehe ich davon aus, dass die jeweilig wahrgenommenen Prozesse und Einflüsse unschwer verallgemeinert werden können. Eine kleine Kirche ist wie ein Labor, in dem schnell deutlich wird, was in großen Systemen untergeht oder verdeckt bleibt.

Es geht auch anders

Ich beginne mit einer eigenen Erfahrung zum Thema. Sie zeigt, wie Konflikte auch anders, vor „Erhebungen“ und Verwaltungsakten, gelöst werden können. Mich hat diese Erfahrung ermutigt, mich selbst immer wieder für bedrängte Pfarrer einzusetzen. Nach 2. Examen und Ordination wurde ich 1959 als in Breslau geborener „Hilfsgeistlicher“ zum Dienst in eine Dorfgemeinde im Raum Schleswig eingewiesen. Schon ehe ich meinen Dienst antrat, trat der ganze Kirchenvorstand aus Protest geschlossen zurück. „Wi wullt keen Flüchtling hebbn.“ Der Bischof besänftigte die Ältesten, wie es schien. Sie nahmen ihr Amt wieder auf, ich trat meinen Dienst an und konnte meine pastorale Arbeit ungehindert tun. Ein knappes Jahr später wurde die bischöfliche Berufung in diese Gemeinde auf einer Gemeindeversammlung bestätigt. In der Folgezeit machte jedoch ein Ältester große Schwierigkeiten[xvi]. Er beeinflusste die Stimmung im Vorstand gegen mich. Gesprächsweise teilte ich das dem Propst mit, auch die Überlegung, möglicherweise bald die Stelle zu wechseln[xvii]. Daraufhin besuchte der Propst jenen Ältesten und sprach mit ihm über die Gemeinde und die Situation mit mir, dem jungen Pastor. Er erzählte später, dass er etwa Folgendes gesagt habe: „Wenn ich zwischen einem Ältesten und einem Pastor zu wählen habe, dann wähle ich den Pastor!“ Nun, wie auch immer: von nun an konnte ich ruhig arbeiten. Es gab keine Herzlichkeit im Kirchenvorstand, aber Frieden. Dass mein Vorgesetzter sich für mich einsetzte, wirkte.[xviii] Auch zu jenem Ältesten gab es mit der Zeit eine vertrauensvolle Beziehung. Wir lernten uns kennen und schätzen.

Es ist völlig klar und „unstreitig“: Der Dienst von Pfarrern braucht eine Regelung. Und dass für den Bereich der EKD einheitliche Regelungen geschaffen wurden, ist zu begrüßen. Hier ist Dettmar und Tröger zuzustimmen. Extrem verbesserungsbedürftig sind jedoch jene Passagen, die sich mit dem Problem von Beziehungsstörungen in Kirchengemeinde oder Vorstand[xix] befassen.

§79,2 PfDG.EKD stellt fest: „Pfarrerinnen und Pfarrer können … versetzt werden … wenn ein besonderes kirchliches Interesse an der Versetzung besteht. Eine besonderes kirchliches Interesse liegt insbesondere vor, wenn in ihrer bisherigen Stelle oder ihrem bisherigen Auftrag eine nachhaltige Störung in der Wahrnehmung des Dienstes gemäß § 80 Absatz 1 und 2 festgestellt wird.“

Diese Formulierung scheint deutlich zu machen, dass §80, Satz 1 und Satz 2 die entscheidenden Formulierungen enthalten. Diese Formulierungen zielen ganz eindeutig auf die persönlichen – und damit emotionalen – Beziehungen zwischen Pfarrer und Gemeinde resp. Gemeindeleitung ab.

§80 PfDG.EKD (1): „Eine nachhaltige Störung … liegt vor, wenn die Erfüllung des dienstlichen oder gemeindlichen Auftrags nicht mehr gewährleistet ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn das Verhältnis zwischen der Pfarrerin oder dem Pfarrer und nicht unbeträchtlichen Teilen der Gemeinde zerrüttet ist oder das Vertrauensverhältnis zwischen der Pfarrerin oder dem Pfarrer und dem Vertretungsorgan der Gemeinde zerstört ist und nicht erkennbar ist, dass das Vertretungsorgan rechtsmissbräuchlich handelt…Zur Feststellung der Voraussetzungen des Absatzes 1 werden die erforderlichen Erhebungen durchgeführt. Der Beginn der Erhebungen wird der Pfarrerin oder dem Pfarrer mitgeteilt.“

„Man“ ist möglicherweise geneigt, diesen ganzen Passus mit dem Wort „Basta“ zu quittieren.

Zunächst muss aus pastoralpsychologischer Sicht darauf hingewiesen werden, dass eine solche Versetzung aus „kirchlichem Interesse“ leicht den Charakter einer Bestrafung gewinnt. Anders aber als beim Disziplinarrecht und anhängigen Disziplinarverfahren sieht das Pfarrerdienstrecht kein geordnetes Verfahren vor, das die Rechte und die Würde des oder der Betroffenen schützt[xx]. Die von Tröger geforderten „klaren Verfahrensvorschriften“ fehlen – und sei es auch nur ansatzweise. Bei „nachhaltiger Störung“ gibt es Ankläger auf der Gemeindeebene oder in der kirchlichen Behörde. Aber es gibt keine Verteidiger, keine unabhängigen Richter, keine Möglichkeit der Revision. Gegenüber der Entscheidung des Kirchenamtes oder der entsprechenden Kirchenleitung bleibt nach diesem Gesetz nur der Gang zum kirchlichen Verwaltungsgericht, sofern die Entscheidung der kirchlichen Obrigkeit formale Fehler aufweist. Ist das nicht der Fall, ist also alles formal dem Gesetz entsprechend verhandelt, ist der jeweilige Betroffene dieser Entscheidung hilflos ausgeliefert. Diese Formulierungen liefern Pfarrer dem Zusammenspiel von feindseligen Gemeindegliedern und Behörde aus.

Es ist ein entscheidender Mangel dieses Paragraphen, dass er keinerlei Angaben zum Schutz einer Pfarrerin/eines Pfarrers enthält. Synodale, die ihre Kirche lieben, sollten dem in der jetzigen Form nicht zustimmen bzw. auf klärende Ausführungsbestimmungen drängen. Das neue Dienstrecht enthält dabei etliche Begriffe, die konkretisiert, ergänzt bzw. operalisiert[xxi] werden müssen. Sie sind in sich unklar und konfliktträchtig.

 

Unklare Begriffe

 

1. Zunächst spricht das Dienstrecht von „nicht unbeträchtlichen Teilen der Gemeinde“. Dabei kann vermutet werden, dass die jeweilige Kirchengemeinde damit gemeint ist. Aber auch das macht die Sache nicht leichter. Sind alle eingetragenen Gemeindeglieder damit gemeint oder die jeweils in Gemeindegruppen und zum Gottesdienst erscheinenden? Es gibt Einschätzungen, dass ein Pfarrer insgesamt ca. 250-300 Menschen persönlich erreicht. Stellen diese „Gemeinde“ dar? Es scheint offensichtlich, dass die im Gesetz gebrauchte Formulierung interpretationsbedürftig ist. Sie öffnet die Tür für üble Nachrede, sowie Klatsch und Tratsch. Vielleicht haben manche eine Erfahrung wie die nachfolgende eigene gemacht: Der Amtskollege beschwert sich über den Organisten: „Die ganze Gemeinde ist mit seiner Musik unzufrieden.“ Da ich selbst anderes gehört hatte, habe ich recherchiert. Das Ergebnis war, dass der Kirchenrechnungsführer mit dem Kollegen gesprochen hatte und die Beschwerde wörtlich übereinstimmte. Menschen neigen zu Übertreibungen. Auch Christen sind davon nicht frei. Das muss bei Konflikten beachtet werden. „Nicht unbeträchtliche Teile der Gemeinde“ sagt zunächst gar nichts. Wer misst das und stellt es fest?

2. Der Text des Gesetzes benutzt den Begriff der Zerrüttung anstelle des auch üblichen „ungedeihlich“. Nun ist „Zerrüttung“ bestens aus dem Eherecht bekannt. Ehen werden nach dem geltenden Recht geschieden, wenn sie „zerrüttet“ sind. Das wird durch Trennungszeiten operational[xxii]. Aus diesem Vergleich folgen zwei Erfahrungen. In der Ehefrage hat das „Zerrüttungsprinzip“ dazu geführt, dass Partner eine Ehe „einfach so“ aufgeben können und der andere dem hilflos gegenüber steht. Das ist hier nicht weiter auszuführen. Anders aber als bei der Beziehung zwischen Pfarrer und Gemeinde gibt es für den Bereich von Ehe und Familie eine ausgedehnte und kompetente Eheberatung für solche, die aus Problemen heraus wollen. Man kann folgern: Zerrüttung und Beratung entsprechen einander. Dabei weist der Blick auf Ehe und Familie auf ein Weiteres hin: Zerrüttung hat es wie jede andere Störung einer Beziehung mit Emotionen, mit Gefühlen zu tun. Und Gefühle sind veränderbar, wandelbar, mitunter höchst unbeständig. Psychologische und pastoralpsychologische Kompetenz nimmt eine Störung in einer Beziehung wahr, fragt aber zugleich nach den Einzelheiten dieser Störung. Innerhalb einer zeitlichen Abfolge von Beratungskontakten verändern sich Gefühle. Eheberatung heißt manchmal nichts anderes als Menschen über eine schwierige Zeit bringen und ihnen Gelegenheit zum Gespräch zu geben. Bei einer Beziehungsstörung in einer Kirchengemeinde ist Ähnliches anzunehmen. Es geht dazu das Axiom ein, dass sich nicht Teufel gegenüberstehen, sondern es andere Aspekte gibt, die eine gegenseitige Achtung immer noch ermöglichen.

Dazu wieder eine Erfahrung aus der eigenen Praxis: Der zuständige Superintendent der Klasse[xxiii] berichtet von einem Konflikt zwischen einem Pfarrer und dem Kirchenvorstand. Als Pastoralpsychologe mit Ausbildung und Akkreditierung zum Supervisor werde ich um Hilfe gebeten. Unter „amtlicher“, formaler Leitung des Superintendenten findet eine Reihe von Sitzungen statt, in denen es zum Teil „hoch hergeht“. Dem etwas distanzierten – sperrigen – Pfarrer wird bedeutet, er solle „verschwinden“. Die Gemeinde sei ohne ihn besser dran. Der Pfarrer kann seine Ziele und Absichten erläutern, auch für Fehler um Vergebung bitten. Über all das wird in etlichen Sitzungen geduldig gesprochen. Fazit: Der ärgste Kritiker gehört nicht mehr zum Vorstand. Er ist längt verstorben. Der Pfarrer ist noch heute – nach ca. 16 Jahren – „im Amt“.

Ich postuliere: Konflikte bzw. Zerrüttung zwischen Pfarrer und Gemeinde oder „Vertretungsorgan“ ohne vorherige kompetente und geduldige Beratung und Supervision zu regeln, ist einer christlichen Gemeinde und Kirche nicht angemessen. Es mag Gesetzesparagraphen entsprechen, widerspricht aber der gesamten Botschaft des NT[xxiv]. Dabei muss eine Beobachtung auffallen. Das Gesetz kennt Methoden moderner Personalführung in §26, Satz 5 durchaus als Soll-Bestimmung für Pfarrerinnen und Pfarrer „in der Wahrnehmung des Dienstes“. Umso bemerkenswerter ist, dass eine solche Verpflichtung dort fehlt, wenn Pfarrerin oder Pfarrer selbst davon betroffen sind[xxv].

3. §80 nennt als besonderen Tatbestand, dass „das Vertrauensverhältnis zwischen der Pfarrerin oder dem Pfarrer und dem Vertretungsorgan der Gemeinde zerstört ist und nicht erkennbar ist, dass das Vertretungsorgan rechtsmissbräuchlich handelt“. Mit dieser Formulierung haben „die Eltern“ dieses Gesetzes festgestellt, dass der Entzug des Vertrauens eine Handlung ist. Sie unterliegt der Willkür. Und natürlich ist Vertrauen nicht einklagbar. Vertrauen wird geschenkt. Immer aber sind Gefühle im Spiel, dazu Bewertungen von Erfahrungen. „Ich habe kein Vertrauen zu dir“ ist dabei zunächst eine Art „Totschlagsphrase“. Sie ist genauso zu bewerten wie „Ich habe Angst“. Aus Supervision, Beratung und Psychotherapie heraus ist die angemessene Reaktion die Aufforderung: „Erzähl mir mehr darüber!“ Der Vertrauensbegriff scheint mir aus psychologischer Sicht als Rechtsbegriff ungeeignet. Er eignet sich vorzüglich zum Etikettenschwindel im Machtkampf und zum Kaschieren von Aggressionen nach erlebter Kränkung.

Beispiel 1: Ein junger Pfarrer gerät in seiner ersten Stelle mit einem Rechtsanwalt im Kirchenvorstand aneinander. Dieser ist so erbost, augenscheinlich narzisstisch gekränkt, dass er keine Ruhe gibt. Obwohl der junge Pfarrer seinen Dienst angemessen tut, muss er gehen.

Beispiel 2: Ein Pfarrer hat so guten Kontakt mit seinen Konfirmanden, dass er einen Jugendkreis mit ihnen beginnt, der auch floriert. Darüber sind aus dem CVJM kommende Mitglieder des Kirchenvorstandes empört und rufen die „Ungedeihlichkeit“ aus. Nach intensiver Personalberatung und in Kenntnis gängiger Versetzungspraxis u.a. des Beispiels 1 entschließt sich der Pfarrer zum Wechsel in eine andere Landeskirche, was im zweiten Anlauf gelingt[xxvi].

Prinzipiell hilfreiches Beziehungsgefüge

Ehen sind in ihrem Beziehungsgefüge auf sich selbst verwiesen. Ihre Einbettung in eine Familie oder Verwandtschaft hat heute nur noch mahnenden oder tröstenden Charakter. Anders ist das mit dem Pfarrdienst in einer Gemeinde. Die Gemeinde ist einmal eingebettet in den Kirchenkreis. Der Pfarrer gehört zu einem Konvent, der von einem Superintendenten, Dekan oder Propst geleitet wird. Hierbei weist die Bezeichnung „Superintendent“ noch auf eine besondere Funktion dieses ersten kirchenleitenden Amts hin. Ich erinnere: „superintendere“ heißt „auf etwas sehen“. Es ist das, was griechisch „episkopein“ heißt, die Aufgabe des Episkopus, des Bischofs. Schon die geistlichen Leiter von Kirchenkreisen sind „pastores pastorum“. Sie haben die Aufgabe, Seelsorger der Seelsorger zu sein. Sie sind keine Verwaltungsbeamten!

Von dieser Aufgabe her ist jeweils die Frage interessant, wie es denn zu der im Gesetz genannten „Zerrüttung“ gekommen ist. Was war vorher? Waren die sich aufbauenden Spannungen und die Feindseligkeit gegenüber dem Pfarrer unbemerkt?

Im derzeit gültigen Dienstrecht der Lippischen Landeskirche ist vermerkt, dass bei „Ungedeihlichkeit“ in einer Gemeinde und vor Beschlüssen der Kirchenleitung der „Klassenvorstand“, d.h. Kreiskirchenvorstand zu hören ist. Das ist insofern günstig, als aus der Nähe kundige Pfarrer und Abgeordnete ihr Votum abgeben können[xxvii]. Die tief in das persönliche Leben eingreifende Disziplinarmaßnahme findet nicht „hinter verschlossenen Türen“ statt. Sie wird öffentlich. Nicht unmittelbar Betroffene können sich dazu äußern. In Lippe heißt die entsprechende Formulierung des Pfarrerdienstgesetzes: „(4) Die Feststellung, dass ein gedeihliches Wirken in der Gemeinde nicht mehr gegeben ist, ist nach übereinstimmendem Urteil des Klassenvorstandes und des Landeskirchenamtes zu treffen“[xxviii]. Hier ist ein minimaler Schutz des Pfarrers/der Pfarrerin eingefügt.

Nun ist der Kirchenkreis nicht die letzte Beziehungsgröße. Pfarrer gehören einer Kirche an, an deren Spitze ein Bischof, Präses oder Kirchenpräsident[xxix] steht. Große Landeskirchen haben dazu geistliche Zwischeninstanzen in Form von Pröpsten, Regionalbischöfen oder Landessuperintendenten. Wie auch immer, in allen Kirchen scheint sich das Erbe bewahrt zu haben, dass leitende Geistliche viel weniger Verwaltungsbeamte und Kirchenpolitiker zu sein haben als vielmehr „pastores pastorum“. In Schwierigkeiten und bei Problemen ist es nicht die Aufgabe leitender kirchlicher Ämter, Kolleginnen oder Kollegen zu verfolgen, sondern ihnen beizustehen, zu mahnen, zu trösten und zu helfen. In der Ausbildung von Seelsorgern gilt der Satz, dass nur der Seelsorge üben kann, der sie auch erfahren hat[xxx].

An dieser Stelle ist vor dem zu warnen, was man „Zeitgeist“ nennt. Schon Paulus schreibt: „Stellt euch nicht dieser Welt gleich.“ Seit 35 Jahren lebe ich in einem mehrheitlich reformiert geprägten Umfeld. Dabei habe ich in der Personalberatung eine eigenartige Erfahrung gemacht. Aus der reformierten Tradition herkommende leitende Geistliche hatten als Superintendenten einer „Klasse“ (Kirchenkreis) wiederholt die Tendenz, sich bei Konflikten unmittelbar mit Gemeindegliedern zu solidarisieren. Dort, wo der Pfarrer Schutz, auch Beratung oder Unterstützung brauchte, stand er plötzlich allein. Der „Hirte“ hatte seinerseits keinen „Hirten“.

Es geht aber auch anders: In meiner Dienstzeit in Ratzeburg und Lippe hatte ich wiederholt mit dem weiland gut bekannten[xxxi] späteren Landesbischof Prof. Dr. Heubach zu tun. Und wiederholt habe ich erlebt, wie er sich für bedrängte, manchmal auch „sperrige“, d.h. nicht einfache Pfarrer einsetzte. Im Zusammenhang mit ihm habe ich kein Versetzungsverfahren „wegen Ungedeihlichkeit“ erlebt, obwohl Anlass dazu war. Dr. Heubach hat immer Wege gefunden, einem Amtskollegen einen Weg zu öffnen. Dass das mitunter mühevoll war, liegt auf der Hand. Aber es ging. Es geht auch so.

Nun ist es natürlich so, dass Beziehungsstörungen zwei Partner brauchen. Möglicherweise trifft „Zerrüttung“ oder „Ungedeihlichkeit“ bestimmte Charaktere mehr als andere. Etwas „sperrige“, distanzierte Persönlichkeiten trifft dies Problem mehr als andere, die den kirchlichen „small talk“ beherrschen und freundliche und nachgiebige Menschen sind. Aber gerade sie, die klaren Denker, aufmerksamen Zuhörer und gelehrten Prediger brauchen Schutz. Ein kleiner Slogan heißt: „be kind to unkind people, they need it most“ – „Sei nett zu den unnetten Leuten, sie bauchen es am meisten.“ Das ist das Liebesgebot für den Alltag, auch den Alltag von Kirchenführern.

Die Alternative

Es scheint wirklichkeitsfremd, auf die Streichung des „Zerrüttungsparagraphen“ zu hoffen[xxxii]. Das wird immer wieder gefordert, bisher aber ohne Ergebnis[xxxiii]. Ich schlage darum hilfsweise folgendes Vorgehen bei Konflikten vor, die als nicht lösbar definiert werden:

  1. Übereinstimmende Voreinschätzung von Kreiskirchenvorstand, Landeskirchenamt und leitendem Geistlichen
  2. Zuordnung eines Beistandes für die betroffene Pfarrerin/Pfarrer als Anwalt bei Anhörungen mit der Befugnis zur Akteneinsicht
  3. Erste Anhörung des Pfarrers/der Pfarrerin
  4. Anordnung (sic) einer längerfristigen Supervision unter Leitung des Superintendenten, Dekans oder Propstes[xxxiv] mit einem ausgewiesenen Supervisor und nach den entsprechenden fachlichen Regeln[xxxv]
  5. Feststellung der „Friedenspflicht“ während der Supervision[xxxvi]
  6. Feststellung des Supervisionsergebnisses durch Supervisor, Superintendent, Pfarrerin oder Pfarrer, zwei Vertretern der Beschwerdeführenden und dem leitendem Geistlichen der Kirche
  7. Ãœbereinstimmendes Urteil von Kreiskirchenvorstand, Landeskirchenamt und leitendem Geistlichen der Kirche.

Die beste Vermeidung von Zerrüttungen ist deren Prävention. Konflikte sind lösbar[xxxvii]!

Die Gesetzesformulierungen liefern Pfarrer dem Zusammenspiel von feindseligen Gemeindegliedern und Behörde aus.

Konflikte zwischen Pfarrer und Gemeinde oder „Vertretungsorgan“ ohne vorherige kompetente und geduldige Beratung und Supervision zu regeln, ist einer christlichen Gemeinde und Kirche nicht angemessen.

In Schwierigkeiten und bei Problemen ist es nicht die Aufgabe leitender kirchlicher Ämter, Kollegen zu verfolgen, sondern ihnen beizustehen, zu mahnen, zu trösten und zu helfen.

 

Dipl.-Psych. Dr. Traugott Schall, Jahrgang 1931, 1958-1976 Gemeinde- und Jugendpfarrer in Treia/Schleswig und Ratzeburg, 1976-1995 Landespfarrer für Familien- und Lebensberatung in Lippe, 1995-2006 Stiftspfarrer in Detmold, 1971-1979 berufsbegleitendes Studium der Psychologie und psychotherapeutische Ausbildung, 1983 Promotion zum Dr. theol. (Prof. Dr. Seitz), 1999 staatl. appr. Psychologischer Psychotherapeut; Veröffentlichungen (u.a.): „Eheberatung – konkrete Seelsorge in Familie und Gemeinde“, „Mitarbeiterführung in Kirche und Kirchengemeinde“, „Seelsorgepraxis“, „Vom christlichen Umgang mit Schuld“.

 


[i] Um unnötigen Missverständnissen vorzubeugen: Ich verstehe „Pfarrer“ als Gattungsbegriff, der geschlechtsübergreifend zu gebrauchen ist, also beide Geschlechter – inklusiv – einschließt.

[ii] DPfBl 1/2011, 46f.

[iii] A.a.O., 47.

[iv] DPfBl 3/2011, 135ff.

[v] Die „theologischen Überlegungen zum Pfarrerberuf“ –„Ministerium verbi divini“ von Peter Haigis (DPfBl 3/2011, 124ff können als theologische Grundlage meiner Überlegungen dienen. Dazu einige Stichworte aus seinen Darlegungen: „das ministerium verbi divini … enthält ein doppeltes Mandat … im Verkündigungsdienst des Evangeliums … und … der Gemeinde Jesu Christi“. Und weiter: „ist der Pfarrberuf auch gegenüber einem allgemeinen Priestertum unverzichtbar.“ Und schließlich: „bedarf die Glaubenskommunikation der sichtbaren Kirche der Exposition eines bestimmten identifizierten Zeugendienstes“ (sämtlich, a.a.O., 125). Gerade dieser „Verkündigungsdienst“ und „Zeugendienst“ bleibt (nota bene!) innerhalb der Kirche ohne Schutz und lädt wieder innerhalb der Kirche zum Angriff ein. Die Versuchung, „den Menschen gefällig zu sein“ (Gal. 1,10) steht vor der Tür. Paulus hätte nach den Paragraphen dieses Gesetzes keine Chance.

[vi] So die Wortwahl des Pfarrerdienstgesetzes.

[vii] Ein jüngstes und aktuelles Beispiel: In einer Kirchengemeinde wird nach vielen Ermahnungen und Abmahnungen und auf Rat der Kirchenleitung ein Chorleiter gekündigt. Von Chormitgliedern wird der Pfarrer als Schuldiger „ausgeguckt“ und es entwickelt sich ein Konflikt, der immer neue Wellen schlägt.

[viii] PfDG.EKD, §80, Satz 2.

[ix] Dortmund 1963.

[x] Die Versetzung in den „unseligen“ Wartestand bedeutet immer eine Stigmatisierung und befördert somit in den meisten Fällen das Ende einer beruflichen Tätigkeit. Ein Verwaltungsakt kommt somit einem harten Disziplinarurteil gleich. Die Bemerkung, dass die Ursachen für diesen Verwaltungsakt nicht beim Pfarrer liegen müssen, ist pure Kosmetik.

[xi] Dagegen hilft auch nicht die erwähnte Bemerkung, dass im Fall einer Versetzung wegen Störung der Beziehung der Grund nicht beim Pfarrer liegen muss. Das sind schöne Worte, die an der „Bestrafung“ nichts ändern. Dieser Grundsatz macht ein „Scheunentor“ für Mobbing auf.

[xii] Im Sinn einer gekonnten Mitarbeiterführung, vgl. dazu Schall, T: Mitarbeiterführung in Kirche und Kirchengemeinde, Würzburg 1991.

[xiii] Tröger, a.a.O., 135.

[xiv] A.a.O., 137.

[xv] Hier hätte der Pastoralpsychologe sich mehr Klarheit durch den Juristen gewünscht. Tröger weist auf der einen Seite auf die „vom Verband als vorbildliche Regeln herausgestellten bayerischen Ausführungsbestimmungen“ von Paragraphen des VELKD-Gesetzes hin. Auf der anderen Seite begnügt er sich beim vorliegenden Gesetz mit einem Hinweis auf die §26 Abs. 5 und §58 Abs. 1. Gerade letzterer Paragraph ist eine bloße „Soll-Vorschrift“. Aber Konflikte weiten sich aus, weil die Dienstaufsicht eben nicht das leistete, was sie „sollte“. Die Forderung von Ausführungsbestimmungen aufgrund der grundlegenden Voraussetzungen hätte dem Autor zur Ehre gereicht.

[xvi] Gemeindekonflikte „fallen nicht vom Himmel“. Immer ist irgendjemand Auslöser, manchmal nur einer, manchmal zwei oder drei Menschen. Es gibt immer einen kleinen Anfang, der sich „wie ein Buschfeuer“ ausdehnt.

[xvii] Das war in jenen Jahren noch leichter möglich. Gerade „auf dem Land“ gab es viele freie Stellen.

[xviii] Eine ähnliche Intervention in einem beginnenden Konflikt wird vom damaligen Lippischen Landessuperintendenten Dr. Haarbeck berichtet. Er intervenierte für einen Pfarrer in der Landeskirche. Der Betreffende ist noch heute auf seiner Pfarrstelle im Dienst.

[xix] Ich benutze diesen Begriff verallgemeinernd für das „Vertretungsorgan“.

[xx] Hier ist noch einmal auf den von Haigis (a.a.O., 125) beschriebenen „Verkündigungsdienst“ hinzuweisen. Dazu ist die Frage erlaubt, wie viel das einer Kirche wert ist.

[xxi] „Operalisiert“ heißt konkret und im Einzelnen erfahrbar und nachprüfbar machen.

[xxii] Der Begriff „operational“ bezeichnet konkrete für jedermann einsichtige und nachprüfbare Tatbestände.

[xxiii] In Lippe synonym mit „Kirchenkreis“.

[xxiv] In der Eheberatung habe ich nach der direkten bzw. indirekten Arbeit mit mehr als 10.000 Problemfällen die Erfahrung gemacht, dass eine erfolgreiche Arbeit etwa 20 Stunden benötigt. Auch eine Arbeit mit einem „Vertretungsorgan“ braucht seine Zeit. Und diese Arbeit braucht Liebe zur Kirche und Kompetenz. Für Kurzausbildungen ist an dieser Stelle kaum Platz.

[xxv] „Ein Schelm, der Böses dabei denkt“? Nein, dieses Gesetz atmet keine Fürsorge des Arbeitgebers gegenüber seinen Mitarbeitern, wenn Konflikte auftreten. Fast könnte man bei den §§79 und 80 PfDG.EKD von Misstrauen gegenüber der Pfarrerschaft sprechen.

[xxvi] Auch dieses Beispiel stammt aus jener Vergangenheit, als Kirchengrenzen noch nicht geschlossen waren. Bei heute für Bewerbungen geschlossenen Grenzen sähe es anders aus.

[xxvii] In einem aktuellen Konflikt in der Lippischen Landeskirche hat der „Klassenvorstand“ (Kreiskirchenvorstand) sich dem Votum der Kirchenleitung widersetzt. Die dennoch verfügte Versetzung wurde vom Kirchengericht daraufhin aufgehoben (Gisela Kittel: Der Ungedeihlichkeitsparagraph in kirchenamtlicher Anwendung, DPfBl 6/2010, 325f; dies.: DPfBl 1/2011, 38; Sabine Wolf: Internet-Blog „Schlangen evangelisch“).

[xxviii] Zitiert nach Kittel DPfBl 6/2010, 326.

[xxix] In der kleinen Lippischen Landeskirche trägt der Inhaber des die Gesamtkirche leitenden Amtes den Titel „Landessuperintendent“.

[xxx] Die im Gesetz an dieser Stelle – §80,2 – verschwiegene Anhörung ist zunächst pflichtgemäße Ausübung von Seelsorge, auf die auch „Amtsträger“ Anspruch haben müssten.

[xxxi] Als Gegner der Frauenordination war er gewissermaßen „berüchtigt“.

[xxxii] Tröger berichtet, dass das schon in den Vorberatungen „mehrheitlich abgelehnt“ wurde (a.a.O., 137). Das Gesetz kann auch nur als Ganzes abgelehnt oder angenommen werden.

[xxxiii] D.A.V.I.D: Berufung – Rufmord – Abberufung, Wiesbaden 2007; Eberhard Dietrich: Die bessere Gerechtigkeit, 2010; Kirchenrecht – Sonderrecht – Unrecht, Wiesbaden-Berlin 2010.

[xxxiv] Die Supervision muss quasi eine kirchenamtliche Veranstaltung sein, bei der der Superintendent als Hausherr fungiert. Der Superintendent, Dekan oder Propst ist zugleich kritischer Beobachter des Supervisors.

[xxxv] Dies schließt ein, dass der Supervisor unparteiisch ist und bleiben muss. Er darf sich weder mit einer „Partei“ solidarisieren noch hinter dem Rücken der Supervision irgendwelche Stellungnahmen abgeben.

[xxxvi] Während der Supervision dürfen keine Beschlüsse gefasst noch entgegengenommen werden.

[xxxvii] An dieser Stelle weise ich noch einmal darauf hin, dass es in Kirchen keine psychologische Kompetenz in Leitungsgremien gibt. Das ist der Zeit, in der wir leben, kaum angemessen. Kaum gibt es in allen Kirchen einen „Pastoralpsychologischen Dienst“.

Der Artikel wird mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts und des Autors auf www.gemeindenetzwerk.de publiziert. 

Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag Artikel empfehlen Artikel empfehlen

Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 29. Juli 2011 um 12:29 und abgelegt unter Gemeinde, Kirche.